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"Die Gewinnmargen machen keinen Spaß"

DEAG-Booker David Garcia über aktuelle Trends und Konstanten im Live-Geschäft

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 15.01.2019

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DEAG-Booker David Garcia über aktuelle Trends und Konstanten im Live-Geschäft

David Garcia mit Kris Kristofferson (rechts). © DEAG

David Garcia ist Senior Booker bei der DEAG in Berlin. Wir sprachen mit ihm über aktuelle Trends im Live-Musikgeschäft, seinen persönlichen Stil als Booker und den Lieblings-Tee von Joan Baez. Er erkärt außerdem, wie wichtig gegenseitiges Vertrauen in diesem "people's business" ist und warum Booker meist einen festen Roster an Künstlern betreuen.

Die DEAG (Deutsche Entertainment AG) ist ein börsennotierter, international tätiger Konzertveranstalter mit Sitz in Berlin. Zur DEAG gehören die nationalen Konzertveranstalter Wizard Promotions und die KBK Konzert- und Künstleragentur, dazu lokale Veranstalter wie River Concerts (Hamburg) und Global Concerts (München).

Backstage PRO: Du bist ein Quereinsteiger in der Musikbranche, denn eigentlich hast du eine Ausbildung zum Industriekaufmann gemacht. Wie wurdest du Booker?

David Garcia: Als ich 2001 bei dem Tourneeveranstalter Moderne Welt in Stuttgart angefangen habe, befanden sich die ersten Veranstaltungskaufleute im ersten Lehrjahr. Es gab zu diesem Zeitpunkt nur Quereinsteiger in der Musikbranche.

Backstage PRO: Hattest du vorher irgendwelche Erfahrungen als Veranstalter von kleinen Konzerten?

David Garcia: Nein, gar nicht. Ich habe Moderne Welt eine Initiativ-Bewerbung geschickt und bin in der Telefonzentrale gelandet. Die hatte aber ein erweitertes Aufgabenfeld. Alle Deals, alle Verträge, die Bestellung von Plakaten und überhaupt alles, was zu einem Konzert gehört, ging über meinen Schreibtisch. Das war eine sehr gute Schule.

Backstage PRO: Aber auch sehr anspruchsvoll, oder?

David Garcia: Nach einem Jahr habe ich erfahren, dass mein Arbeitsplatz vor meiner Ankunft "der heiße Stuhl" genannt wurde, weil niemand es dort lange ausgehalten hat. Nachdem die Verantwortlichen meine Qualitäten erkannt haben, bin ich nach und nach ins Booking gewechselt.

Backstage PRO: Wie ging es dann weiter?

David Garcia: Moderne Welt war sehr stark durch den mittlerweile verstorbenen Geschäftsführer Henning Tögel geprägt. Von ihm habe ich viel gelernt, aber er konnte Dinge schwer abgeben. Er hatte auch immer das letzte Wort. Auf diese Weise habe ich angefangen, mit den ersten Künstlern wie John Mayall, Al Jarreau, Alan Parsons, Alice Cooper, Eric Burdon, Peter Frampton und Steve Winwood zu arbeiten. Dazu habe ich die großen Branchentreffs oder Showcase-Festivals besucht wie SXSW in Austin, Texas, Great Escape Festival in Brighton oder Eurosonic Norderslaag in Groningen.

Backstage PRO: Wie lange warst du dann bei Moderne Welt?

David Garcia: Bis 2015, also vierzehn Jahre lang. 2013 ist Henning Tögel verstorben, woraufhin ich gemeinsam mit Maj-Britt Anlauf die Firma weitergeführt habe. Als ich 2015 zur DEAG nach Berlin gewechselt bin, hat Moderne Welt das Booking-Geschäft eingestellt.

Backstage PRO: Warum bist du zur DEAG gewechselt?

David Garcia: Nach vierzehn Jahren bei Moderne Welt hatte ich das Ziel, mich in einer anderen Unternehmensstruktur zu bewähren. Die DEAG mit ihrem weit verzweigten Netzwerk bot mir die Gelegenheit mich weiterzuentwickeln. Mit den einzelnen DEAG-Abteilungen hatte ich zudem vorher schon zusammengearbeitet.

Backstage PRO: Was ist deine Aufgabe bei der DEAG als Senior Projektmanager Booking?

David Garcia: Nichts anderes als bei Moderne Welt: Ich akquiriere Künstler, gebe ein Angebot ab, mit etwas Glück darf ich die Tour veranstalten und die Künstler betreuen. Nach wie vor arbeite ich regelmäßig mit Kris Kristofferson, Joan Baez, Randy Newman, Steve Earle, Graham Nash und jetzt zum ersten Mal mit den Cowboy Junkies.

Joan Baez (Mitte) mit David Garcia (rechts)

Joan Baez (Mitte) mit David Garcia (rechts), © DEAG

Backstage PRO: Viele dieser Acts sind schon seit den 1960er-Jahren aktiv. Joan Baez ist aktuell auf Abschiedstour, aber auch viele andere sind inzwischen so alt, dass ihre Karriere als Livemusiker jederzeit vorbei sein kann. Wie beurteilst du diesen bevorstehenden Generationswechsel?

David Garcia: Der Generationswechsel ist ja schon in vollem Gang. Viele der Top-Acts, die Stadien füllen, sind schon seit langer Zeit dabei. Insbesondere im Country- und Folkbereich kommen viele interessante Musiker nach – wie beispielsweise Chris Stapleton. Ich glaube, Deutschland lernt Country gerade auch erst richtig kennen. Eine gute Voraussetzung ist, dass das Publikum in diesem Genre sehr treu und offen für junge Acts ist. Wir werden in den nächsten Jahren herausfinden, wie nachhaltig diese Acts sind.

Backstage PRO: Ein anderer aktueller Trend in der Livemusik-Branche ist Popschlager, der bei jungen Leuten sehr angesagt zu sein scheint. Dazu würde mich deine Einschätzung interessieren.

David Garcia: Ich habe gerade zwei sehr erfolgreiche Tourneen in diesem Genre beendet, Feuerherz sind vier Jungs, die klassischen Schlager machen und damit sehr junges Publikum anziehen, beispielsweise junge Mütter mit ihren kleinen Kindern. Und dann gibt es natürlich den großartigen Vincent Gross, der die Grenze zwischen Schlager, Singer-Songwriter und Deutsch-Pop verschwimmen lässt. Das Album ist richtig gut geschrieben und frisch. Vincent Gross steht genau für diese Mischung der Genres und die Aufweichung der Schubladen.

Backstage PRO: Das Livemusik-Geschäft ist mit hohen Risiken und geringen Margen verbunden. Wenn nicht genug Leute kommen, bleiben nur Verluste, auch wenn die Musik gut ist. Den Erfolg kann man als Veranstalter auch gar nicht immer einschätzen. Wie geht man als Booker auch mit Misserfolgen um?

David Garcia: Ich gebe zu, die Margen im Live-Musikgeschäft machen keinen Spaß. Man sollte idealerweise schon ein erfolgreiches Produkt haben und sich als Unternehmen breit aufstellen. Dann gibt es unterschiedliche Ansätze. Es gibt Booker, die nehmen so viele junge Künstler unter Vertrag, wie sie nur können, wobei sie wissen, dass sie gar nicht alle betreuen können. Sie werfen sozusagen nasse Schwämme an die Wand und schauen, welcher kleben bleibt. Das ist dann eine Art von Mischkalkulation: Ich investiere in zwanzig Projekte und hoffe, dass eines nachhaltig funktioniert. Das ist ein legitimes Vorgehen, aber nicht meines. Ich beschäftige mich gerne länger mit Künstlern, womit ich in den letzten 17 Jahren sehr gut gefahren bin.

Backstage PRO: Wie gehst du vor?

David Garcia: Ich setze mich mit den Musikern und den Agenten zusammen und versuche herauszufinden, woher der Erfolg des Künstlers kommt. Hat er ein starkes Label im Rücken oder haben sie sich ein Fangemeinde in den sozialen Netzwerken aufgebaut? Das verlangt jeweils unterschiedliche Konzepte. Aber Erfolg in sozialen Netzwerken bedeutet nicht, dass die Fans auch Tickets kaufen, weil sie gewohnt sind, den Content ansonsten umsonst zu bekommen. Man muss dann schon etwas Besonderes bieten.

Backstage PRO: Wie findest du diese Acts? Suchst du die ständig aktiv selbst oder treten Leute an dich heran?

David Garcia: Zu 80% treten Leute über bestehende Netzwerke an mich heran. Jemand kennt jemand, der denkt, ich sollte mir diesen Act mal anhören. Dann werde ich zu Showcases von Bands eingeladen, die vielleicht in ihrer Heimat schon etwas vorzuweisen haben. Ich besuche gerne solche Konzerte und rede mit den Bands über ihre Ziele und Vorstellungen. Vermutlich ist auch ein Vertreter des Labels oder der Manager da und man vereinbart, in Kontakt zu bleiben, woraus sich eine künftige Zusammenarbeit entwickeln kann. Jedenfalls kaufe ich meine Künstler nicht teuer ein.

Backstage PRO: Ist ein Netzwerk das Wichtigste für einen Booker?

David Garcia: Ja. Das Netzwerk ist unfassbar wichtig. Es muss nicht einmal besonders groß sein, es reicht, wenn es gut ist. Das Musikbusiness hat sich in den letzten Jahren unglaublich gewandelt, aber es ist immer noch ein "people's business". Es gibt einen Grund dafür, warum Booker meistens einen festen Roster und feste Kontakte haben, die sie unabhängig von der Firma, für die sie arbeiten auch in der Regel mitnehmen. Die Vertrauensbeziehung zwischen Promoter auf der einen Seite und Künstler, Manager und Agent auf der anderen Seite wird hoch geschätzt.

Backstage PRO: Kannst du diese Vertrauensbeziehung näher beschreiben?

David Garcia: Man springt am Anfang sozusagen ins kalte Wasser und schaut, wie die Zusammenarbeit läuft. Idealerweise lernt man den Künstler und den Agenten kennen und findet heraus, dass man vieles richtig gemacht hat: der Künstler wurde gut behandelt, die Tour war gut organisiert, möglicherweise hat man Probleme zufriedenstellend lösen können.

Backstage PRO: Im Idealfall ist das die Basis für eine langjährige Zusammenarbeit?

David Garcia: Ja. Bei der zweiten Tour hört man dann schon oft: "Du weißt ja, was wichtig ist." Bestimmte Anforderungen müssen dann gar nicht mehr gestellt werden, weil man die Eigenheiten der Künstler kennt. Aus einer solchen Vertrauensbeziehung ergeben sich weitere gemeinsame Projekte, weil derselbe Agent auch noch andere Künstler unter Vertrag hat.

Backstage PRO: Hast du Files, in denen die Vorlieben der Künstler notiert sind? So etwas wie: Joan Baez hätte gerne drei Teesorten und 70°C heißes Wasser, um mal spontan etwas zu erfinden.

David Garcia: Das weiß ich auswendig. (lacht) Mein Roster ist überschaubar, weil ich die Künstler auch individuell betreuen möchte. Natürlich kenne ich exakt den Ingwer-Tee, den Joan Baez trinkt. Ich weiß, dass sich Joan Baez gerne Gemüsesäfte zubereitet und sorge dafür, dass ein Entsafter Backstage vorhanden ist. Auf diese Kleinigkeiten kommt es an.

Backstage PRO: Wer ist denn der anspruchsloseste Künstler?

David Garcia: Sicherlich Kris Kristofferson. Er zählt zu den bescheidensten und herzlichsten Künstlern, mit denen ich in meinem Leben zusammengearbeitet habe.

Backstage PRO: Genauso wirkt er auch auf der Bühne.

David Garcia: Ja, er ist sehr authentisch. Wir versorgen Kris Kristofferson sehr gut, aber wenn ich ihn frage: "Was hättest du denn gerne als Garderobenbestückung", dann sagt er: "Ein Glas Rotwein wäre schön". Da denkt man: "In welchem Film bin ich jetzt?" Auf der einen Seite gibt es Indie-Bands, die vor 400 Leuten spielen und Alkoholwünsche haben, die teurer sind als die Einnahmen an dem Abend und auf der anderen Seite eine Legende wie Kris Kristofferson, der einfach nur ein Glas Rotwein möchte. Deshalb arbeite ich gerne mit dieser Generation von Künstlern: Die haben alle Allüren schon hinter sich.

David Garcia (rechts) mit Games of Thrones-Komponist Ramin Djawadi.

David Garcia (rechts) mit Games of Thrones-Komponist Ramin Djawadi., © DEAG

Backstage PRO: Du hast 2018 "Games of Thrones – Live Concert Experience feat. Ramin Djawadi" veranstaltet. Das ist ja auch ein Trend: aufwändige Film- oder Serienmusik mit Live-Orchester. Bei diesen Events kommt es nicht darauf an, wer auf der Bühne steht, anders als bei "normalen" Konzerten.

David Garcia: Es ist definitiv ein Trend, der aktuell sehr erfolgreich ist, aber hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Eine opulente Produktion wie "Games of Thrones – Live Concert Experience" ist erfolgreich, weil sie die monumentalen Filmsequenzen der erfolgreichsten Serie der Gegenwart mit dem monumentalen Soundtrack des in Deutschland geborenen Komponisten Ramin Djawadi verbindet. Hier haben, gemeinsam mit der harten Arbeit unseres ganzen Teams, sehr viele Faktoren gestimmt, weshalb die Tour ausverkauft war. Allerdings gibt es auch viele zweitklassige Provinzproduktionen, die auf genau diesen Trend aufspringen und teilweise nicht einmal die Originalmusik verwenden dürfen.

Backstage PRO: Was ist die Herausforderung bei diesen Shows?

David Garcia: Es reicht nicht, einen großen Screen und Filmsequenzen bereitzustellen. Man benötigt ein Konzept, das über zwei Stunden einen Spannungsbogen aufrechterhält. Die Zuschauer müssen sich in die Serie hineinversetzt fühlen. Und dann hast du es bei Serienfans mit Geeks wie mir zu tun. Ich bin ein Serien-Junkie, mich darfst du nicht vergrätzen. Ich habe "Game of Thrones – Live Concert Experience" am Anfang sehr kritisch beäugt, gerade weil ich so ein großer Fan bin.

Backstage PRO: Warum?

David Garcia: Das kann ich dir sagen. Wie ist es beispielsweise mit Spoilern, wenn Szenen aus einer aktuellen Staffel gezeigt werden, die vielleicht noch nicht alle gesehen haben? Man hat es mit einer sehr treuen Fanbase zu tun, die jedes kleinste Detail überprüft und die sich zu Wort meldet, wenn etwas nicht stimmt und bei mir im Büro anruft oder Mails schreibt. Da darf kein Name falsch geschrieben sein. Um sicherzustellen, dass die Details passen, gehen alle Marketingtexte über meinen Schreibtisch.

Backstage PRO: Bei Backstage PRO sind viele Bands, aber auch Musikschaffende registriert. Kannst du dir vorstellen, dieses Netzwerk zu benutzen, um nach interessanten Acts zu suchen?

David Garcia: Ich persönlich würde mich bei Backstage PRO nicht auf Suche nach Bands machen. Der Grund liegt darin, dass es bei einem erfolgreichen Netzwerk mit so vielen Bands schwierig ist, immer wieder die richtigen Bands zu entdecken. Aber das bedeutet nicht, dass ich Backstage PRO nicht benutze. Die Plattform bietet eine gute Möglichkeit, Trends zu erkennen.

Backstage PRO: Welche Trends sind das?

David Garcia: Singer/Songwriter-Musik ist klar auf dem Vormarsch, aber auch Projekte, die im eigenen Wohnzimmer oder der Garage aufgenommen wurden. Im Gegensatz dazu finden Rockbands, die sich regelmäßig im Proberaum treffen, weniger statt. Das kann man bei Backstage PRO sehr gut erkennen. Ich möchte übrigens niemanden auf die Füße treten, ich habe vor allen Bands und Musikern den höchsten Respekt.

Backstage PRO: Für dich ist Backstage PRO also vornehmlich ein Informations- und Trendsetting-Tool?

David Garcia: Genau. Besonders cool finde ich an Backstage PRO, dass es neben dem Netzwerk auch redaktionellen Inhalt gibt, den ich sehr interessant finde. Ich habe die Seite in meinen Bookmarks und bin mir sicher, dass ich sofort etwas interessantes finden werde, wenn ich sie aufrufe. [Ruft Backstage PRO auf seinem Computer auf.] So, da ist es schon: Ich wusste nicht, dass es Kritik am Line-up von Hurricane und Southside gibt.

Backstage PRO: Es gab Kritik daran, dass in der ersten Bandwelle zu wenige Frauen vertreten waren.

David Garcia: Ich glaube, man kann ein ausgeglichenes Line-Up kaum erzwingen, da man schließlich auf das vorhandene Angebot in dieser Saison zugreifen muss, wo ohnehin schon große Konkurrenz untereinander herrscht. Den in der Kritik mitschwingenden Vorwurf des Vorsatzes finde ich daher problematisch. Angebote, wie eine "Women-Stage" auf einigen Festivals oder das von der DEAG Company KBK organisierte "W-Festival" sind in der Zwischenzeit wichtige Plattformen für Künstlerinnen, um dem mittelfristigen Ziel einer 50/50 Quote auf Festivals näher zu kommen.

Backstage PRO: Vielen Dank für das Gespräch.

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