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"Kritik geschieht mit Respekt und Fairness"

Edith Jeske, Gründerin und Dozentin der Celler Schule, über das Förderseminar für Textschaffende

Interview von Mario Rembold
veröffentlicht am 28.09.2015

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Edith Jeske, Gründerin und Dozentin der Celler Schule, über das Förderseminar für Textschaffende

Edith Jeske. © Quelle: Privat

Edith Jeske hat als Auftrags-Textdichterin bereits hunderte Veröffentlichungen vorzuweisen, u.a. für Interpreten aus Chanson, Musical und Schlager. 1996 rief sie die "Celler Schule" ins Leben, die seither jährlich zehn ausgewählte angehende Liedtexter unterrichtet. Wir haben sie gefragt, worum es dabei genau geht und was man bei einer Bewerbung beachten sollte.

Der Text zu Tim Fischers "Rinnsteinprinzessin" stammt aus Edith Jeskes Feder, sie hat maßgeblich an Claudia Jungs "Seitensprung"-Album mitgearbeitet, mit ihren Lyrics zu  "Ein Brautkleid wars nie" war sie auf dem Album "Eine Frau" von Jasmin Tabatabai vertreten, das 2012 einen Jazz-Echo bekam, und sogar am Ballermann erklangen ihrer Worte, nämlich in DJ-Ötzis "Wie ein Komet".

Sie unterrichtet bei der Celler Schuler seit 2002 zusammen mit Tobias Reitz, mit dem wir bereits über seine eigene Karriere und darüber sprechen konnten, worauf kommt es beim Schreiben von Songtexten ankommt. Edith sagt, man muss es im Blut haben und für diese kreative Arbeit wirklich brennen:

Backstage PRO: Kann man das Schreiben von Songtexten überhaupt lernen oder anderen beibringen? Ich meine: Reinhard Mey oder Bob Dylan mussten ja auch nicht erst Seminare besuchen, sie hatten das einfach im Blut!

Edith Jeske: Im Blut muss man es auch haben. Man kann fast alles lernen, aber Talent hat man oder hat man nicht. Und: Man muss brennen fürs Songschreiben. Es muss einem wehtun, wenn man dran gehindert wird. Man muss es sehr sehr wollen, um die endlosen durststrecken durchzustehen.

"Man kann sich Sackgassen ersparen"

Backstage PRO: Dann ist die Idee einer "Schule" für Songtextdichter doch ziemlich akademisch, wenn es um solch eine Leidenschaft geht.

Edith Jeske: Das sehe ich anders. Man kann das Rad jedes Mal neu erfinden und ins Blaue brettern, man kann sich aber auch Umwege und Sackgassen ersparen, die andere schon hinter sich haben. Man kann sich das Arbeiten erleichtern, indem man Werkzeuge benutzen lernt. Von einem Handwerker erwarten wir auch nicht, dass er die Schraube mit dem Daumennagel reindreht, oder? Was man, wie gesagt, nicht lernen kann, ist Talent. Und da tut Selbsterkenntnis manchmal auch weh. Ich zum Beispiel wollte damals Sängerin werden und habe mir eingestehen müssen, dass mein Talent für respektables Hobbyniveau reicht, mehr aber nicht. Und es stellte sich raus: Ich vermisse das Singen nicht. Ohne Schreiben allerdings wäre ich amputiert.

Backstage PRO: Was passiert denn in den zwei Wochen der Celler Schule? Übt man vierzehn Tage lang sauberes Reimen?

Edith Jeske: Eine der meistgestellten Fragen. Nein, übt man nicht nur, sondern auch. Man übt Schreibtechniken, macht sich seine Schwächen und Stärken bewusst, lernt einen Haufen Methoden, um das zarte Pflänzchen Kreativität richtig zu behandeln, man lernt Verhandeln und die GEMA verstehen, man lässt die eigenen Texte von den Kollegen coachen und schafft mit etwas Glück schon eine Veröffentlichung. Auf jeden Fall sind zwei Wochen am Ende immer zu kurz.

Backstage PRO: Ist jeder willkommen, der Songtexte schreibt? Oder seid Ihr auf bestimmte Genres fokussiert?

Edith Jeske: Wir hatten tatsächlich inzwischen alles, was es an Genres im deutschen Songtexten gibt. Seit 2015 jetzt endlich auch Rap. Das war eine große Bereicherung. Und Falk Arne Goßler – das ist der Kollege vom Rap – hat uns hinterher gefeedbackt, dass er ne Menge mitnimmt. Das war natürlich vorher eine kleine Angst von uns: Dass wir so einem gar nicht wirklich was geben können. War nicht so.

"Eine Garantie kann niemand geben"

Backstage PRO: Ihr habt ja auch Gastdozenten aus der Branche aus den verschiedensten Genres. Beispielsweise Ballermann-Produzenten Mike Rötgens oder den eigenwilligen Chanson-Kabarettisten Sebastian Krämer. Dann kommen auch die Teilnehmer aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Sind da nicht Konflikte vorprogrammiert, wenn so verschiedene Welten aufeinander treffen? Wenn Schlagertexter, Kabarettisten, Rapper und Indie-Popper zwei Wochen lang miteinander klarkommen müssen?

Edith Jeske: Im Gegenteil. Die lernen, dass die anderen auch nicht so anders sind als sie selbst. Uns alle treiben ähnliche Kräfte an. Das eint uns. Dass die Celler Schule auch ein Netzwerk geworden ist, wo man sich gegenseitig hilft, und uneigennützig – das gibt’s nicht grade sehr oft.

Backstage PRO: Dient die Celler Schule dabei nur der persönlichen kreativen Entwicklung, oder bekommt man auch einen Fuß in die Tür zur Branche und wird am Ende reich und berühmt?

Edith Jeske: Qualität wird bemerkt, ganz klar. Es gehört natürlich auch die Fähigkeit dazu, sich sichtbar zu machen und nicht untern Scheffel zu kriechen. Und eine Portion Glück. Eine Garantie kann niemand geben. Aber natürlich haben wir so unsere Vorzeigeabsolventen: Bodo Wartke, Andreas Zaron, Heike Fransecky, Bodenski von Subway to Sally, Flo Peil, jetzt bei Kasalla, Fabian Schläper, Nina Schneider, Michael Krebs und viele andere, die mir hoffentlich den Vorführeffekt jetzt verzeihen, weil sie mir 30 Sekunden nach diesem Interview erst einfallen.

Backstage PRO: Um bei der Celler Schule dabei sein zu können, muss man zunächst in einem anonymisierten Bewerbungsverfahren eine Jury überzeugen, denn pro Jahr werden nur zehn Teilnehmer ausgewählt. Was sollte man für eine erfolgreiche Bewerbung beachten?

Edith Jeske: Die Jury bemerkt sehr schnell, wenn Texte kommen, die dem Publikum – also erst mal uns Juroren – was schenken wollen. Wir freuen uns über Ideen, die uns überraschen, über Wortwitz, über unverbrauchte Poesie, über Lebendigkeit. Was uns nicht so freut, sind Montagen aus Versatzstücken, die wir alle schon kennen. Oder Songtexte, in denen jemand schulmeistert oder uns ironiebefreit etwas vorjammert.

"Man sollte bereit sein, seine Liedtexte auf links drehen zu lassen"

Backstage PRO: Mal vom textschreiberischen Talent abgesehen – gibt es Leute, denen du von einer Bewerbung abraten würdest?

Edith Jeske: Wer sich bewirbt, will hin. Und wer hin will, verspricht sich einen Lernerfolg. Warum soll ich da jemandem abraten? Wer zur Celler Schule will, sollte aber bereit sein, seine Liedtexte auf links drehen zu lassen. Das geschieht mit Respekt und Fairness, kann aber trotzdem wehtun, wenn man eigentlich erwartet, dass der Text bejubelt wird. Oder wenn der Text gefühlt nur eine klitzekleine Macke hat; aber ausgerechnet an der enthüllt sich dann plötzlich ein ganz zentrales Problem und das Lied kracht erst mal zusammen. Daraus soll bitte nicht abgeleitet werden, dass die Kritik umgesetzt werden muss. Jeder bleibt Herr oder Herrin des eigenen Textes und muss ja auch mit den Konsequenzen leben. Aber solche Prozesse muss man bereit sein auszuhalten.

Backstage PRO: Wenn man sich so viel untereinander austauscht, kommt es dann auch vor, dass du als "alte Häsin" von den Teilnehmern lernst?

Edith Jeske: Jedes Mal. Und zwar überall, künstlerisch und menschlich. Vor allem hab ich glaub ich gelernt, weniger streng zu sein. Jedenfalls zu den Teilnehmern.

Backstage PRO: Falls man es unter die besten Zehn schafft, dann gibt es einen geringen Eigenanteil von rund 200 Euro, den man für die Unterkunft zahlen muss. Aber davon abgesehen ist das Seminar kostenlos. Arbeitet ihr alle ehrenamtlich? Wer finanziert das Ganze?

Edith Jeske: Die GEMA-Stiftung finanziert es größtenteils. Außerdem gibt es den neu gegründeten Verein der Freunde und Förderer der Celler Schule. Der kann auch mal die Reisekosten des einen oder andern Dozenten übernehmen. Ganz ehrenamtlich machen wir es nicht. Wir liegen aber noch ein ganzes Stück unterhalb von dem, was ein Nachhilfelehrer so verlangt.

Backstage PRO: Die Celler Schule feiert im nächsten Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Wie kamst du damals auf die Idee, damit anzufangen?

Edith Jeske: Überhaupt nicht. Die Stiftung und Hans Hee – das war der damalige Präsident des Deutschen Textdichterverbandes – kamen auf mich zu, weil sie wussten, ich unterrichte Textdichten im Popkurs Hamburg. Das haben sie als Aufhänger genommen, um mich was entwickeln zu lassen. Es gab nämlich nichts in der Art. Übrigens bis heute nicht.

Backstage PRO: Gibt es eine Sache, die dir für die Zukunft der Celler Schule besonders wichtig ist?

Edith Jeske: Am Herzen liegt mir, dass die Celler Schule mich hoffentlich überlebt.

Aktuelle Ausschreibung

Alle, die gern Songtexte schreiben, können sich noch bis zum 23. Oktober 2015 um einen Platz in der Celler Schule bewerben. Das zweiwöchige Seminar findet vom 24. Juni bis 8. Juli 2016 in Springe statt.

Euer Feedback

Wie schreibst du deine Texte? Woher kommt der Input und das Handwerkszeug? Wäre es eine Option, an einem Lehrgang wie der Celler Schule teilzunehmen oder hast du ähnliches bereits gemacht? Wir freuen uns auf eure Kommentare!

Unternehmen

Celler Schule

Förderseminar für Textschaffende in der deutschen Unterhaltungsmusik

Musikunterricht und Ausbildung in 48155 Münster

Personen

Falk-Arne Goßler

Sänger, Percussionist aus Berlin Sänger, Percussionist bei The Love Bülow

Edith Jeske

Musikerin aus Münster

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