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Eure Meinung: Sind Spotify und Co. das Hartz IV unter den Vergütungsmodellen?

Spezial/Schwerpunkt von Dirk Brünner
veröffentlicht am 06.03.2012

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Eure Meinung: Sind Spotify und Co. das Hartz IV unter den Vergütungsmodellen?

Die Spotify-Gründer Daniel Ek & Martin Lorentzon. © Spotify

Mitte März startet voraussichtlich der Musik-Streaming-Service Spotify in Deutschland. Wie bei vergleichbaren Streamingdiensten wird dem Konsumenten für eine monatliche Pauschale der Zugang zu Millionen Songs ermöglicht, auf die er je nach Tarif auch auf allen mobilen Endgeräten unbegrenzt zugreifen kann. Wir werfen einen Blick auf diese Modelle und fragen euch, was ihr davon haltet.

Nach langen erfolglosen Gesprächen mit der GEMA wird es neben Simfy, Rdio und Napster mit Spotify nun doch noch einen weiteren Anbieter in diesem Segment in Deutschland geben. Die Tatsache, dass man theoretisch keine Musik mehr kaufen muss, sondern über eine Flatrate alle denkbaren Titel auch unterwegs über individuell erstellbare Playlists hören kann, wirft die Frage auf, was dieses Geschäftsmodell dem Musiker bringt. Um diese Frage zu klären, möchten wir zunächst die Wertschöpfungskette in diesem System durchleuchten.

Das Angebot der Streaming-Dienste speist sich aus allen möglichen Titeln, für die Lizenzen erworben wurden. Der Erwerb dieser Lizenzen kann entweder direkt über Verhandlungen mit den Labels erfolgen oder über Verträge mit so genannten "Content Aggregatoren" (finetunes, The Orchard, zebralution), die über den Weg der Online-Distribution die Rechte von Labels, Künstlern oder diversen Band-Aggregatoren innehaben. Sind die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die Kosten für die Zurverfügungstellung der Inhalte bzw. Songs geklärt, gilt es zudem noch die Verwertungsrechte zu regeln, wozu ein Rahmenvertrag mit der GEMA unumgänglich ist.

Screenshot simfy.de

Screenshot simfy.de

Sind all diese Faktoren geklärt, kann der Streaming-Anbieter unter Berücksichtigung seiner eigenen Kosten (Server, Streaming, Marketing, Personal etc.) seine Produkte gestalten. Hierbei kristallisieren sich aktuell zwei Tarife heraus. Bereits für ca. 5 Euro pro Monat erhält der Kunde einen unbegrenzten werbefreien Zugang zu 13 Mio. Songs. Für ca. 10 Euro gibt es zudem noch einen Offline-Modus, also einen Zugriff auf seine Playlists ohne Internetverbindung sowie mobile Anwendungen (Apps), um unterwegs nicht auf sein Hörerlebnis verzichten zu müssen.

Alleine das bloße Betrachten dieser Tarife lässt erahnen, dass ein Musiker bzw. Urheber hierüber nicht reich werden kann. Diese Vermutung belegen auch aktuelle Meldungen. On3-Radio warf vor kurzem einen Blick auf die Verkaufserlöse der Berliner Band Bodi Bill, die im vergangenen Jahr viele Erfolge verzeichnen konnte und deren letzte Tour meist in ausverkauften Hallen stattfand. Die Einnahmen bewegten sich in einem mehr als überschaubaren Rahmen: Mit 5300 Streams im November 2011 über Simfy verdienten die Berliner ganze 6,20 Euro. Wer nun denkt, dieses Phänomen beziehe sich nur auf nationale Acts oder Newcomer, der liegt falsch. Selbst Lady Gaga scheint über Streaming-Angebote nicht wirklich nennenswerte Umsätze zu verzeichnen. Laut Informationen des Independent (April 2010) verdiente die Popdiva mit 1 Mio. Streams des Songs Pokerface innerhalb eines Jahres sage und schreibe 108 Pfund (129 Euro), also 0,000129 Euro pro Stream.

on3 schaute bei Bodi Bill in die Geldbörse

on3 schaute bei Bodi Bill in die Geldbörse

Wenn man nun in Betracht zieht, was eine Produktion kostet und wieviel Zeit diese in Anspruch nimmt, wird einem Künstler sicher schwarz vor Augen, wenn er sich ausrechnet, wie lange es dauert bis er diesen Aufwand bzw. die Kosten alleine über Streaming-Angebote wieder eingespielt hat. Nicht umsonst spricht On3 Radio vom "Hartz IV unter den Vergütungsmodellen" im Internet.

Vertriebsplattformen wie z.B. iTunes, Musicload oder Amazon versprechen über so genannte "A-la-Carte-Downloads" (individuelle kostenpflichtige Downloadmöglichkeit von einzelnen Songs) wesentlich mehr Erlöse für den Künstler (bis zu 50 Cent pro heruntergeladenem Song). Wären Streamingplattformen lediglich eine Art Serviceerweiterung, die Fans und Musikliebhaber zum Kauf der Musik über andere Kanäle animiert, könnte man über das magere Erlösmodell eventuell noch hinwegsehen. Studien belegen jedoch, dass der permanente Zugriff auf das enorme Repertoire eher eine hemmende Wirkung auf das Kaufverhalten der User über andere Kanäle hat. Diese nicht wirklich überraschende Erkenntnis veranlasste Ende 2011 über 200 Indielabels, das Songmaterial ihrer Künstler aus dem Angebot von Spotify, Napster, Simfy und Rdio entfernen zu lassen.

Spotify reagierte auf diese Entscheidung mit einer Stellungnahme, in der auf die Wachstumsphase eines noch jungen Geschäftsmodells hingewiesen wird, das mit einer zunehmenden Userzahl in naher Zukunft für alle Beteiligten beträchtliche Einnahmen generieren werde. Die Betreiber müssen sich trotz dieser sehr optimistischen Prognose die Frage gefallen lassen, ob deren Businessplan nicht zu einem Großteil auf den mageren Erlösen der Musiker beruht. Ebenso ist der langfristige Kannibalisierungseffekt in Richtung klassischer Vertriebskanäle nicht absehbar. Selbst wenn die Vorhersage der Spotify-Betreiber zutreffen sollte und Musiker zukünftig halbwegs akzeptable Erlöse über deren Angebot erzielen, muss genau analysiert werden, welchen Effekt dieses mögliche Wachstum auf andere Vertriebskanäle hat.

Der Leitspruch beim Anbieter RDIO:

Der Leitspruch beim Anbieter RDIO: "So viel Musik wie du willst. Wo immer du bist."

Ein weiteres Argument mit dem Streaming-Plattform-Anbieter gerne ihre Daseinsberechtigung unterstreichen, ist die angebliche Verringerung illegaler Downloads. Da die angesprochene Zielgruppe vorwiegend aus jungen bzw. jugendlichen Musikkonsumenten bestehe, so die Betreiber, wirke sich eine zunehmende Akzeptanz von Streaming-Angeboten reduzierend auf Filesharing und illegale Downloads aus. Nachhaltige Belege liegen uns hierzu noch nicht vor. Vielmehr ergibt sich aus der jüngsten "Studie zur Digitalen Content-Nutzung (DCN)", dass 2010 mehr Songs illegal heruntergeladen wurden als in allen Jahren davor (angeblich 900 Millionen Titel – alleine in Deutschland).

Es bleibt demnach abzuwarten inwieweit sich eine Wechselwirkung in den kommenden Jahren evtl. doch noch zugunsten des legalen Musikvertriebs einstellt. Ob ein Preismodell von 5 Euro/Monat mit Zugriff auf 13 Mio. Songs dazu führt, dass Musik beim Konsumenten, wie von der Industrie seit Jahren gefordert, auch im Internet mehr Wertschätzung erfährt, darf aber bezweifelt werden.

Manche Musiker werden sich in diesem Zusammenhang sicher auch die Frage stellen, womit sie eher leben können: Mit der Tatsache, dass jugendliche "illegal" deren Musik tauschen oder mit der Erkenntnis, dass Unternehmer mit deren Werken Profit generieren, während sie selbst einen verhältnismäßig geringen Betrag erhalten. Dieser ist unseren Abrechnungen zufolge zudem noch von Land zu Land stark divergierend. Während ein in Frankreich über Spotify gestreamter Song 0,0000121 Euro für den Künstler abwirft, erhält er in Finnland beim selben Streaming-Service 0,0088 Euro – also das 727-fache. Wie sich diese Spanne betriebswirtschaftlich rechtfertigen lässt, konnten wir bis zum aktuellen Zeitpunkt nicht in Erfahrung bringen. Wir bleiben dran!

Nun ist jedoch erstmal eure Meinung gefragt:

Über Backstage PRO bieten wir Bands und Musikern die Möglichkeit ihre Musik weltweit in über 400 Shops und Downloadportalen zu vertreiben. Optional auch über die hier angesprochenen Streaming-Anbieter. Wir würden gerne von euch wissen, wie ihr zu diesen Geschäftsmodellen (Spotify, Simfy und Co.) steht. Schreibt uns eure Meinung. Wir freuen uns über einen regen Diskurs.

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