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"vom clubgeschäft kann ich nicht leben"

Interview: Knust-Betreiber Karsten Schölermann über Nachwuchsförderung und zeitgemäße Kulturpolitik

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 18.04.2012

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Interview: Knust-Betreiber Karsten Schölermann über Nachwuchsförderung und zeitgemäße Kulturpolitik

© Karsten Schölermann

Im ersten Teil des Interviews gewährte Karsten Schölermann einen tiefen Einblick in seine finanziellen Zwänge als Besitzer des Knust. Der zweite Teil des Interviews behandelt die daraus resultierenden Konsequenzen für Nachwuchsförderung, die ideale Größe eines Liveclubs und die Idee einer zeitgemäßen Kulturpolitik.

Im neuen Locationguide können über 1000 Live-Clubs anhand von Musikerbewertungen und exklusiven Informationen (bevorzugtes Genre, Größe, Backstagesituation, Technik etc.) recherchiert werden. Auch die Clubbetreiber und Veranstalter selbst sollen bei Backstage PRO zu Wort kommen und sich zu Branchenthemen äußern. Den Anfang macht der Inhaber des legendären Hamburger Liveclubs Knust.

Interview mit Knust-Betreiber Karsten Schölermann (Teil 2)

Im ersten Teil des Interviews gewährte Karsten Schölermann einen tiefen Einblick in seine finanziellen Zwänge als Besitzer des Knust. Der zweite Teil des Interviews behandelt die daraus resultierenden Konsequenzen für Nachwuchsförderung, die ideale Größe eines Liveclubs und die Idee einer zeitgemäßen Kulturpolitik. Ihr seid erneut herzlich eingeladen, seine Aussagen unter die Lupe zu nehmen und in den Kommentaren zu diskutieren!

Das Logo des Knust in Hamburg

Das Logo des Knust in Hamburg

Backstage PRO: Nach unserem letzten Gespräch ergaben sich zahlreiche Nachfragen, ganz vorne mit dabei war: Wie sieht es denn mit den Einkünften aus der Gastronomie aus? Die behaltet ihr vermutlich komplett?

Karsten Schölermann: Ja, richtig. Ein Club wie das Knust schafft es nicht an der Tür die laufenden Kosten zu decken, also benötigt er die Einnahmen aus der Gastronomie. Die Gastronomie muss diese Einnahmen aber genauso erwirtschaften wie jede Kneipe. Die Leute, die an der Bar stehen sind ja auch festangestellt mit Sozialabgaben, Urlaubsanspruch etc. Grundsätzlich sind wir froh, wenn wir an der Tür nicht draufzahlen. Den Nachweis, dass man an der Tür Gewinn machen kann, hat noch niemand erbracht, daher gibt es auch keine Billig-Liveclub-Kette wie McDonalds. Wenn ich im Jahr 300.000 Euro an der Tür erwirtschafte, dann kann ich davon nicht meine laufenden Kosten decken, sondern muss das aus den 300.000-500.000 Euro finanzieren, die durch die Gastronomie reinkommen.

Wir haben auch ausführlich über das Pay-to-play-Prinzip gesprochen und darüber, dass Du es als notwendige Voraussetzung betrachtest, um als Clubbetreiber in Hamburg überleben zu können. Das wurde teilweise mit Verständnis, teilweise jedoch auch kontrovers aufgenommen. Was denkst du: Welche konkreten Konsequenzen ergeben sich für Musiker, die auf einer feste Gage bestehen?

Man muss den Musikern vermitteln, dass man als Musiker nicht eine Mindestgage von jemandem verlangen kann, der sowieso draufzahlt. Solche Diskussionen gibt es.

Und diese Diskussionen führst Du häufig mit Musikern?

Vornehmlich mit Politikern. Da sitzt irgendein Politiker in Berlin, der fordert eine Mindestgage wie in Dänemark analog zum Mindestlohn. Dann muss man seine Argumente schon parat haben. Man muss diesen Leuten klar machen, dass wertvolle Ressourcen vernichtet werden, wenn dort die Daumenschrauben angesetzt werden, nämlich unsere Bereitschaft zu leiden, unsere Leidenschaft.

Und auch eure Bereitschaft einen Verlust in Kauf zu nehmen, für das nächste Konzert, das einen Gewinn abwirft.

Gewinn und Verlust interessieren mich nicht, wir tragen sowieso unsere Lebensleistung hin, die kann man mit Geld sowieso nicht aufwiegen. Für Geld arbeite ich nicht, also taucht Gewinn und Verlust in meiner Bilanz nicht auf. Wirtschaftlich natürlich schon: wenn ich 10.000 Euro Verlust mache, muss ich dafür sorgen, dass das Geld auf andere Weise reinkommt, durch einen anderen Job.

Wie verdienst Du dann Dein Geld?

Ich bin Sportveranstalter, ich habe tausend andere Sachen, die ich mache. Vom Clubgeschäft kann ich auf jeden Fall nicht leben.

Also mit anderen Worten: Das Clubgeschäft ist ein Zuschussgeschäft, mit Glück geht es null auf null auf.

Es bleibt schon etwas hängen, im Moment läuft es gerade sehr gut, aber da sind wir auch schon auf dem Niveau, dass wir als "bester Club in Deutschland" bezeichnet werden. Ich kenne viele Clubs, die ausgezeichnet wurden, und plötzlich waren sie weg, wie das Knaack in Berlin. Diejenigen, die es über dreißig, vierzig Jahre schaffen sind entweder diejenigen, die das Pay-to-play-Prinzip eingeführt haben und ganz knallharte Vorgehensweisen den Künstlern gegenüber haben. Die überleben, aber reich wird damit auch niemand. Die anderen sind die städtisch geförderten Clubs, die 400.000 Euro oder mehr bekommen, dann geht das auch.

Wie sucht ihr die Bands aus? Booking-Agenturen spielen vermutlich eine wichtige Rolle.

Ja, eine fast ausschließliche. Auf dem Level auf dem wir arbeiten, gibt es in Deutschland vierzig, fünfzig Agenturen. Die sind unsere Hauptadressaten. Wenn ein Booker aus einer Agentur zehnmal im Jahr etwas bringt, dann hat er natürlich auch gelegentlich die Möglichkeit auf Zuruf ein Konzert zu buchen, von dem wir nicht einmal wissen, welche Art von Show das ist. Ungefähr 2/3 der Konzerte sind agenturbasiert, der Rest kommt frei herein, durch regionale Kontakte, Bands oder sich selbst buchende Künstler. Wir halten aber zunächst den Agenturen den Rücken frei und füllen dann mit Bands aus dem regionalen Umfeld auf.

Gisbert zu Knyphausen erspielte sich zu einem frühen Zeitpunkt seiner Karriere durch regelmäßige Auftritt im Knust ein Publikum.

Gisbert zu Knyphausen erspielte sich zu einem frühen Zeitpunkt seiner Karriere durch regelmäßige Auftritt im Knust ein Publikum., © Foto: Simon Fessler

Regionale Newcomer spielen bei euch also durchaus eine Rolle?

Ja, die spielen immer eine Rolle. Man will ja seinen eigenen Standort pflegen. Ein Beispiel ist Gisbert zu Knyphausen. Das war am Anfang ja auch "nur" ein Singer/Songwriter, der sich im Knust wohlgefühlt und eine gewisse musikalische Färbung in Richtung "Independent" erhalten hat. Von einem solchen Künstler, der zu uns passt, würden wir nicht 1000 Euro verlangen, dass er hier spielen darf. Und wenn ein solcher Künstler am Ende erfolgreich ist, was Gisbert ja zum Glück war, dann lohnt sich das auch am Ende für uns.

Was ist denn die ideale Größe eines Clubs, der auch Gewinn abwirft?

Im Augenblick hat sich so eine ungefähre Größe von 1.000 als das Maß erwiesen. Aber dann hat man sofort wieder ein Auslastungsproblem. Ein 1000er-Club wird keine durchschnittliche Auslastung von 300 schaffen und dann dreht sich die Rechenaufgabe weiter. Die wahre Grenze verschiebt sich Richtung 1.500 und dann ist man schon bei einem kleinen Konzertsaal angelangt. Wenn man es nicht schafft, eine hohe Auslastung zu bekommen, ist ein Club egal welcher Kapazität nicht kostendeckend zu betreiben. Wenn man eine hohe Auslastung schafft, dann kann man ab 350-400 Geld verdienen. Aber die hohe Auslastung ist Grundvoraussetzung. Das gilt auch für große Konzerthallen. Diejenigen, die es geschafft haben Geld zu verdienen, wie die O2 World in Hamburg haben mehr als 150 Shows im Jahr…

…und bieten vor allem die Kombination aus Sportevents und Shows…

Das Problem ist, dass die Veranstaltungsbranche in Deutschland boomt, so dass man immer noch ein Konzert "reinschieben" kann, aber tatsächlich ist diese hohe Auslastung nur in Berlin, Hamburg, Köln und München realistisch. Alle anderen Städte tun sehr gut daran, ihre Veranstaltungsorte maßgeblich zu fördern, denn sonst konzentriert sich alles nur noch auf die großen Städte. Für unsere Clubgröße kann ich nur sagen, mit einer 500er-Kapazität können wir mit einer hohen Auslastung Geld verdienen. Es geht. Es ist ein langer, langer, schmutziger Weg und um dorthin zu kommen, haben wir sicherlich drei oder vier Jahre viel Geld draufgelegt. Wenn wir jetzt drei, vier Jahre verdienen: fein, aber auch dann ist es nicht so, dass ich über ein angemessenes Gehalt für einen Millionenumsatz rede.

Was folgt daraus für die Kulturpolitik?

Eine gesunde Kulturpolitik würde nicht die Hochkultur nicht mit einem Kokon aus Millionenbeträgen umgeben, sondern sie würde an den Stellen, an denen die strukturellen Defizite offensichtlich sind, punktgenaue Erleichterungen schaffen. Die reduzierte Mehrwertsteuer für Konzertkarten ist das einzige Beispiel, das zeigt, dass es möglich ist. Mit ein wenig gutem Willen könnte man Entlastungen schaffen, die es uns erleichtern würden, uns selber auszubeuten und damit noch zu überleben. "Ausbeuten" ist ein harter Wirtschaftsbegriff für eine im Grunde schöne Tatsache: Wir tun das ja gerne. Wir leben für den Rock’n’Roll und das teilweise über 50 Jahre lang. Ich könnte viele Namen nennen von denjenigen, die sich in den Dienst dieser Kulturform stellen und keiner erwartet, von irgendwem bezahlt zu werden. Wir wollen einfach nur, dass diese Kulturarroganz aufhört und dass nicht nur Kultur für über 60-jährige, sondern auch zeitgemäße Formen begünstigt werden.

Mehr Informationen über das Knust und zahlreiche andere Clubs findet ihr im Locationguide.

Locations

Knust

Knust

Neuer Kamp 30, 20357 Hamburg

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