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"Dieses Geld gehört euch!"

Interview mit Christina Otto-Sauer (Sentric Music) über Aufgaben und Nutzen von Musikverlagen

Interview von Mario Rembold
veröffentlicht am 11.12.2014

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Interview mit Christina Otto-Sauer (Sentric Music) über Aufgaben und Nutzen von Musikverlagen

Christina Otto-Sauer von Sentric Music. © Claudia Ach

Was zum Teufel macht eigentlich ein Musikverlag? Immerhin liest man in fast jedem CD-Booklet irgendwo „published by...“, und dafür muss es ja einen guten Grund geben. Christina Otto-Sauer erklärt, was es mit dem Musikverlegen auf sich hat und warum Verlag und Label zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Sie muss es wissen, denn sie war Promoterin für verschiedene Labels und ist heute Ansprechpartnerin für alle Belange der von Sentric Music in Deutschland vertretenen Künstler.

Der Musikverlag Sentric Music wurde 2006 in England gegründet, vertritt mittlerweile über 65.000 Komponisten und Textdichter weltweit und schüttet laut eigenen Angaben jedes Jahr mehrere Millionen Euro an seine Künstler und Autoren aus. Anfang dieses Jahres nahm auch die deutsche Niederlassung in Hamburg ihre Arbeit auf – damit Künstler aus dem deutschsprachigen Raum einen Ansprechpartner „vor der Haustür“ haben.

Backstage PRO: Hallo Christina! Wir freuen uns, dass du Zeit für unsere Fragen hast. Erklär uns doch bitte mal, worin überhaupt die Aufgabe eines Musikverlags besteht!

Christina Otto-Sauer: Jedes Mal, wenn ein Künstler einen Song schreibt, sei es die Musik oder den dazugehörigen Text, entsteht ein Werk. Daran hat er als Urheber Rechte, denn das Werk ist sein geistiges Eigentum. Dieses Eigentum sollte beschützt und verwaltet werden, und hier tritt der Musikverlag oder „Publisher“ auf den Plan. Ein Musikverlag vertritt die Urheberrechte der Autoren, die „Copyrights“. Er verwaltet sie und schüttet die anfallenden Tantiemen, die sogenannten Royaltys, an diese aus. Royaltys fallen immer dann an, wenn ein Song irgendwo auf der Welt öffentlich aufgeführt wird – sei es live auf der Bühne, im Radio, Fernsehen oder im Internet, beispielsweise auf Youtube. Auch wenn andere Künstler das Werk darbieten, stehen dem Autor Royalities zu.

Backstage PRO: Wir sprechen also allein über das Komponieren und das Betexten von Musik. Beim Verlegen von Musik geht es also um die Autoren, die hinter diesen Werken stecken. Dafür gibt es aber doch Verwertungsgesellschaften wie die GEMA. Wenn ich dort Mitglied werde, dann kümmern die sich doch um genau solche Angelegenheiten.

"Es geht sehr viel verloren"

Christina Otto-Sauer: Ja, und wir empfehlen jedem unserer Künstler, Mitglied einer Verwertungsgesellschaft zu sein – hier in Deutschland ist das natürlich die GEMA.  Wer aber schon mal eine GEMA-Abrechnung bekommen hat, der weiß, wie unübersichtlich und ganz schön kompliziert das sein kann. Gerade Künstler, deren Songs auch im Ausland aufgeführt oder vertrieben werden, stellen oft viel zu spät fest, dass ihre Werke in Ländern außerhalb Deutschlands gar nicht angemeldet sind. Aber auch hierzulande kann es Probleme geben: Hat der Veranstalter eines Konzerts die Meldelisten überhaupt eingereicht? Sind die Radioplays genau ermittelt? Erfahrungsgemäß geht hier leider sehr viel verloren. Jedes Jahr häufen sich mehrere Millionen Euro Lizenzen an, die Verwertungsgesellschaften nicht zuordnen können. Unser Job ist es, sicherzustellen, dass diese Gelder auch an die Richtigen abgeführt werden.

Backstage PRO: Woher weiß der Verlag denn, dass irgendwo Material aufgeführt wurde?

Christina Otto-Sauer: In Radio, TV oder im Internet läuft vieles über eine automatisierte Erkennung, aber dafür müssen die Werke auch akkurat angemeldet sein. Wenn Autoren selbst mit ihren Songs auftreten, sollten sie uns die Setlisten aushändigen.

Backstage PRO: Dann kann sich der Autor aber doch gleich an die Verwertungsgesellschaft wenden, ohne dass ein Verlag zwischengeschaltet ist, der etwas vom Kuchen abbekommen will. Die Arbeit ist dieselbe, nur bekommt man als Autor mehr Geld heraus, wenn man alles selbst mit der GEMA regelt.

Christina Otto-Sauer: Theoretisch schon, praktisch ist das dann aber doch nicht so einfach. Natürlich behält sich ein Verlag für seinen Aufwand einen prozentualen Anteil ein. Die Frage, die man sich als Künstler aber stellen muss: Will ich wirklich jedes Detail in meiner GEMA-Abrechnung nachvollziehen und eventuell reklamieren können? Oder scheue ich diesen Zeitaufwand? In der Realität nehmen doch die meisten Autoren ihre GEMA-Abrechnung lediglich zur Kenntnis, obwohl viel mehr rauszuholen wäre. Genau das ist der Job eines Verlegers: mehr für seine Künstler rauszuholen.

Backstage PRO: Hast du hierzu ein paar Zahlen? Wie viel Prozent mehr bekommt man in etwa heraus, wenn man mit einem Musikverlag zusammenarbeitet?

Christina Otto-Sauer: Das lässt sich nicht so einfach sagen und hängt von mehreren Faktoren ab, zum Beispiel von der Anzahl der Liveauftritte im In- oder Ausland. Wir selber betreuen einige Künstler, bei denen wir nachträglich noch das Doppelte bis Dreifache an Performance-Royaltys claimen konnten. Und das, obwohl schon eine Abrechnung für den betreffenden Zeitraum vorlag.

Backstage PRO: Was für viele Songschreiber ebenfalls interessant sein dürfte: Auf eurer Webseite steht, dass ihr auch an Geld für YouTube-Streams herankommt.

Christina Otto-Sauer: Ja, das stimmt. Aus den bekannten Gründen gibt es derzeit aktuell keine Vereinbarung bezüglich der Vergütungshöhe zwischen Youtube und der GEMA. Wir claimen aber direkt. Youtube identifiziert die Videos, in denen bestimmte Musik eingesetzt wird und die wir dann entsprechend abrechnen können.

"Labels besetzen ein anderes Aufgabenfeld"

Backstage PRO: Könnte ich mir als Künstler, der mit selbstgeschriebenen Songs unterwegs ist, nicht einfach ein gutes Label suchen, das mich betreut und sich um diesen ganzen Papierkram kümmert?

Christina Otto-Sauer: Man muss schon den elementaren Unterschied zwischen einem Label und einem Publisher verstehen: ein Label kümmert sich nicht um die Komposition von Songs und dessen Auswertung aus öffentlicher Aufführung. Dort geht es um die Aufnahme und Produktion der Lieder, und um deren Verkauf und Vermarktung. Dies ist ein ganz anderes Aufgabenfeld.

Backstage PRO: Woran erkenne ich als Autor denn einen guten Verlag?

Christina Otto-Sauer: Diese Frage kann ich nicht pauschal beantworten. Es gibt viele tolle große Verlage, die Songwriting-Camps anbieten und engagiert sind, ihre Autoren zu vernetzen. Große Verlage haben da mehr Möglichkeiten. Andererseits kann wiederum ein kleiner Verlag von Vorteil sein, weil ein persönlicher Kontakt da ist und nicht ständig das Personal wechselt. Das kommt immer drauf an, was man selbst möchte. Ich empfehle: Bevor man sich längerfristig exklusiv bindet, sollte man sich gut informieren und eventuell auch mal jemanden über den Vertrag schauen lassen.

Backstage PRO: Du arbeitest für Sentric. Mit 65.000 Autoren, die ihr vertretet, seid ihr ja eigentlich kein kleiner Verlag mehr, oder?

Christina Otto-Sauer: Trotzdem würde ich uns eher als Independent-Publisher mit einem kleinen aber schlagkräftigen Team ansehen. Wir haben tolle, selbst entwickelte IT-Systeme und halten so unsere Verwaltungskosten extrem niedrig. Wir schaffen es sogar, direkt und weltweit bei den Verwertungsgesellschaften in den einzelnen Ländern abzurechnen

Backstage PRO: Für welche Autoren seid ihr als Verlag interessant?

Christina Otto-Sauer: Da möchte ich kurz eine Grundidee ansprechen, die für die Gründung von Sentric wichtig war: Bevor eine Band überhaupt mit dem Gedanken spielt, ins Studio zu gehen, wird sie live spielen und das Repertoire vor einem Publikum ausprobieren wollen. In diesem Stadium der Karriere ist man erst einmal froh, überhaupt irgendwo auftreten zu dürfen und kümmert sich häufig nicht um die Performance-Royaltys, die einem zustehen. Wir schätzen, dass etwa 20 Prozent aller eingesammelten Performance Royaltys nicht zugeordnet werden können, weil sie nicht von den Künstlern eingefordert werden. Unsere Hauptaufgabe sehen wir darin, jedem Künstler, der seine Werke live aufführt, zu helfen, an diese Gelder heranzukommen.

Backstage PRO: Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, wenn man seine Musik bei Sentric verlegen lassen möchte?

Christina Otto-Sauer: Bei uns ist im Prinzip jeder willkommen. Mindestvoraussetzung ist lediglich ein Repertoire von fünf Songs oder mehr. Wir gehen einfach davon aus, dass jeder, der fünf Songs geschrieben hat, diese dann auch live aufführt – der erste Ansatz, um Lizenzen aus Copyrights zu erlösen.

Backstage PRO: Ist man dann exklusiv an euch gebunden?

Christina Otto-Sauer: Wir sehen uns als Dienstleister und Serviceanbieter. Niemand ist als Autor exklusiv an uns gebunden und jedermann kann seine Songs von uns verlegen lassen – sei es ganz oder teilweise. Natürlich benötigen wir für die Dauer der Inanspruchnahme unserer Services eine Titel-Exklusivität. Man kann einen einzelnen Song aber ohnehin nicht mehrfach verlegen lassen.

Backstage PRO: Wie viel kostet mich das als Autor?

Christina Otto-Sauer: Erst einmal erheben wir keine Aufnahmegebühren oder ähnliches. Erst wenn Lizenzen aus den Songs unsere Künstler eingesammelt werden können, behalten wir 20 Prozent dieser Einnahmen für unsere Leistungen ein. Die restlichen 80 Prozent werden an die Autoren ausgeschüttet. Wir denken, dass dies ein äußerst fairer Split ist, gerade im Vergleich zu den Angeboten anderer Verlage. Das dürfte gerade für Bands interessant sein, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen und die noch nicht ihre Tausender für ein gegebenes Konzert bekommen.

"Wir empfehlen die GEMA-Mitgliedschaft"

Backstage PRO: Wo du diese kleinen Bands ansprichst: Die haben ja mitunter andere Bedürfnisse als die großen Acts. Eine GEMA-Mitgliedschaft kann da im Einzelfall sogar hinderlich sein, wenn man beispielsweise einzelne Bonus-Songs zum kostenlosen Download auf der Bandwebseite anbieten will. Könnt ihr als Musikverlag auch solchen Künstlern helfen, die keiner Verwertungsgesellschaft angehören?

Christina Otto-Sauer: Ja, das ist möglich. Wenn uns Autoren ohne GEMA-Mitgliedschaft beauftragen, dann übernehmen wir als Verlag die Registrierung bei der GEMA und kommen so an das Geld für Konzerte und Radioplays. Allerdings empfehlen wir immer eine GEMA-Mitgliedschaft, da sonst Geld verlorengehen kann.

Backstage PRO: Warum?

Christina Otto-Sauer: Weil wir uns nur um die Werke kümmern können, die öffentlich aufgeführt werden. Also zum Beispiel live oder im Radio. Wenn aber Songs auf CD gepresst oder digital veröffentlicht werden, stehen dem Autor Vergütungen für mechanische Vervielfältigungen zu. Da diese ‚Mechanicals’ ausschließlich von der GEMA geclaimt werden können, würden diese Einnahmen wegfallen.

Backstage PRO: Seid ihr denn allein für Newcomer und Nischenkünstler interessant, oder gibt es auch größere Namen bei euch?

Christina Otto-Sauer: Erst einmal sind die besagten Newcomer und Nischenkünstler mehr als nur willkommen. Wir hoffen, unseren Teil zu einer anhaltenden und erfolgreichen Karriere beisteuern zu können. Trotzdem konnten wir auch schon den einen oder anderen „Big Name“ von unserem Leistungsangebot überzeugen: DJ-Legende Felix Da HouseCat zum Beispiel, oder Alt-J, Saint Motel, Gallops. Außerdem haben wir den gesamten Katalog des französischen Acts Air. Auch die Rockband Bastille war bei uns, hat uns aber leider in Richtung Universal verlassen.

Backstage PRO: Das geht deshalb, weil ihr keine Autorenexklusivverträge abschließt. Wem der große Deal winkt, der kann seine Werke also künftig problemlos woanders verlegen lassen. Was aber passiert mit dem bisherigen Katalog, der bei euch registriert ist? Bleiben diese Rechte für alle Zeiten bei Sentric?

Christina Otto-Sauer: Bei uns kann man innerhalb von 28 Tagen jederzeit kündigen und seine kompletten Copyrights wieder mitnehmen, was mehr als fair ist. Denn damit bleibt einem alles offen. du bist also nicht über Jahre gebunden.

Backstage PRO: Ja, das klingt fair und ist sicher nicht die Regel. Seid ihr denn nur für Bands interessant, die live auftreten, oder gibt es bei euch auch andere Möglichkeiten zur Musikverwertung? Es gibt ja auch Künstler, die lieber im Hintergrund bleiben.

Christina Otto-Sauer: Wir sind sehr aktiv im „Synch“-Bereich. Das bedeutet, wir pluggen unsere Songs, um sie in TV-Serien, Filmproduktionen oder in der Werbung unterzubringen.

Backstage PRO: Das muss man vielleicht näher erklären. „Synch“ steht für „Synchronisations“. Musik eurer Autoren kann so in Fernsehsendungen oder Werbespots platziert werden. Wie oft kommen denn solche Deals zustande?

Christina Otto-Sauer: Wir liegen bei durchschnittlich 1000 solcher Synchs im Monat. Ich glaube, das ist ein sehr guter Schnitt. Unsere Künstler versorgen wir regelmäßig mit so genannten „Synch-Briefings“. Darin informieren wir über entsprechende Ausschreibungen, so dass man passende Songvorschläge einreichen kann.

Backstage PRO: Hast du konkrete Beispiele?

Christina Otto-Sauer: Wir waren oft in „Grey’s Anatomy“ vertreten. Dann hatten wir im letzten Jahr eine Band von uns in der deutschen O2-Werbung platziert: die Gallops mit „Miami Spider“. Ein kleiner Tipp schon jetzt für eure Leser: Um hier erfolgreich zu sein, solltet ihr schon bei der Produktion von Songs darauf achten, immer auch eine Instrumentalversion aufzunehmen und bei uns zu hinterlegen. Das erhöht deutlich die Chancen, für eine TV Serie oder einen Film gepickt zu werden.

Backstage PRO: Gut, dass du diesen Punkt ansprichst, denn viele Bands denken wahrscheinlich gar nicht an Werbespots oder Fernsehsoundtracks, wenn sie an neuen Songs für das nächste Album basteln. Vielen Dank, Christina, für deinen Überblick zum „Music Publishing“ und den Einblick in die Arbeit von Sentric. Vielleicht ist der eine oder andere Songschreiber da draußen ja jetzt hellhörig geworden.

Christina Otto-Sauer: Vielen Dank! Es wäre in der Tat schön, wenn wir ein wenig das Interesse an der Thematik wecken konnten. Auf jeden Fall sollte klar geworden sein, dass jeder Künstler ein Anrecht darauf hat, für seine aufgeführten Kompositionen entlohnt zu werden. Lasst dieses Geld nicht einfach so liegen, denn dieses Geld gehört euch!

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Euer Feedback

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Unternehmen

Sentric Music

Musikverlag in 22763 Hamburg

Personen

Christina Otto-Sauer

Musikerin aus Hamburg Marketing Manager & Public Relations bei Sentric Music

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