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"die qualität deutscher schlagzeuger ist sehr hoch"

Interview mit Udo Dahmen, Vorsitzender von Percussion Creativ und Direktor der Popakademie

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 27.06.2012

udo dahmen percussion creativ popakademie

Interview mit Udo Dahmen, Vorsitzender von Percussion Creativ und Direktor der Popakademie

Der 1951 in Aachen geborene Udo Dahmen ist seit vielen Jahrzehnten ein prägendes Mitglied der deutschen Schlagzeugerszene. Erst als aktiver Schlagzeuger, dann als Vorsitzender des Schlagzeugerverbands Percussion Creativ und Vizepräsident des deutschen Musikrats engagierte er sich für die Förderung des Schlagzeugspiels. Wir sprachen mit Udo Dahmen über seine Anfänge als Schlagzeuger, seine Karriere als Musiker, die Aktivitäten von Percussion Creativ und die Entwicklung der Popakademie in Mannheim, der er als Geschäftsführer und Künstlerischer Direktor vorsteht.

"Die Qualität deutscher Schlagzeuger ist sehr hoch", sagt Udo Dahmen in unserem Interview. Ein Einblick in die Schlagzeugerszene auf Backstage PRO bietet sich auf
backstage-pro.de/schlagzeugundpercussion!

Backstage PRO: Herr Prof. Dahmen, sie spielen seit Jahrzehnten Schlagzeug. Wissen sie noch, wie alles anfing?

Udo Dahmen: Ich war 15, stand kurz vor dem Realschulabschluss und hatte begonnen, mit Klassenkameraden Musik zu machen. Ich wünschte mir ein Schlagzeug, das ich auch bekam und kurz darauf spielte ich in einer Band.

Gab es irgendein auslösendes Moment?

Ganz viele. Damals habe ich natürlich sehr viel Musik gehört und durch die Musik der Beatles, der Rolling Stones, von The Who und den Yardbirds kam ich zum Schlagzeugspiel.

The Who hatten ja mit Keith Moon einen Powerhouse-Drummer, ein richtiges Tier…

Der hat mir besonders gut gefallen. Ich erinnere mich gut daran, dass ich fast alle Songs von The Who solange geübt habe, bis ich sie gut spielen konnte.

Diese Energie war damals ja auch etwas völlig Neues, vor allem für einen Jugendlichen. Später entdeckt man dann die Vorläufer.

Mit Sicherheit war das unkonventionelle Schlagzeugspiel von Keith Moon, von dem ich gar nicht wusste, dass es so unkonventionell war, ein ganz starker Auslöser für mich. Er war ja eigentlich der erste Rock-Schlagzeuger, der das Schlagzeug emanzipiert hat. In meiner Vorstellung wurde er aber ganz schnell, binnen eines halben Jahres, von zwei anderen Schlagzeugern überholt, nämlich von Ginger Baker von Cream und Mitch Mitchell, dem Schlagzeuger der Jimi Hendrix Experience. Baker und Mitchell waren dann für meine weitere Entwicklung zentral.

Diese Entwicklung verlief dann in ganz unterschiedliche Richtungen.

Ja, das ging alles sehr schnell. Zweieinhalb Jahre später spielte ich in einer damals professionellen Band namens Rufus Zuphall, die zwei Alben veröffentlichte. Danach habe ich in Aachen und Köln Musik studiert und in Aachen im städtischen Orchester vier Spielzeiten ausgeholfen. Parallel dazu habe ich mit sehr unterschiedlichen Bands und Musikern gespielt, beispielsweise habe ich mit dem Jazzsaxophonisten Charlie Mariano ein Album aufgenommen und bin 1978 bei Kraan eingestiegen. Dort blieb ich mit Unterbrechungen bis 1985. Ich bin dann nach Hamburg gezogen, habe dort als Studiomusiker gearbeitet und hatte Gelegenheit mit sehr vielen bekannten Künstlern zu spielen, u.a. mit Jack Bruce, dem Bassisten von Cream, Sting, Gianna Nannini, Nina Hagen und vielen weiteren deutschen Künstlern wie Inga Rumpf, Achim Reichel und Georg Danzer. Bis ungefähr 1990 kam ein großer Katalog an Produktionen, Konzerten und Festivals zusammen, auf denen ich gespielt hatte.

Prof. Udo Dahmen

Prof. Udo Dahmen, © Foto: Percussion Creativ e.V.

Wenn sie an die 1970er zurückdenken, sind sie der Auffassung, dass es damals eine Lust am Experiment gab, die heute ein wenig verlorengegangen ist?

Ja, auf jeden Fall. Das gesamtgesellschaftliche Umfeld ermöglichte Entwicklungen, die sich stark vom Verhalten der älteren Generation abhoben und sie auch direkt herausforderten – das betrifft die Gesellschaft genauso wie Politik und Musik. Die besten Beispiele sind Bands mit stark improvisatorischen Anteil wie Hendrix, Cream oder Grateful Dead. Im ProgRock standen Bands wie Yes, King Crimson, Gentle Giant, Genesis, ELP für Grenzüberschreitungen, indem sie Elemente in ihre Musik bzw. ihre Performance aufnahmen, die nicht im engeren Sinn zum Genre zählten. Auf der anderen Seite erlaubte die Weiterentwicklung der Studio- und Livetechnik Bands wie Pink Floyd lange Kompositionen zu schaffen, die dann auf der Bühne entsprechend inszeniert werden konnten. Gleiches gilt für Genesis, die eine große theatralische Bühnenshow inszenierten, was heute nicht mehr möglich wäre.

Warum eigentlich nicht?

Jede Zeit hat ihre Bedingtheiten, die auch stark von der jüngeren Generation abhängen. Es gibt auch heute solche Bands, aber deren Musik richtet sich an ein kleines Publikum, während stark improvisatorische oder sehr komplexe Musik in den 1970ern ein Mainstream-Publikum erreichte. Kraan ist ja auch eine dieser Bands und wir waren in der Lage, Hallen zu füllen.  

Percussion Creativ, Logo

Percussion Creativ, Logo

Sie sind seit 1995 Vorsitzender des Schlagzeugerverbands Percussion Creativ, der dieses Jahr sein 25-jähriges Bestehen feiert. Was hat sich seit den Anfängen entwickelt?

Es hat sich natürlich sehr vieles verändert. Als ich den Vorsitz übernahm hatten wir 250 Mitglieder, heute mehr als 1000. Viele Dinge, die heute selbstverständlich sind, existierten damals nicht, so wie unsere Zeitschrift, das Off Beat-Magazin, die Percussion Creativ Teacher-Tage, die alle zwei Jahre stattfinden, das Creative Drum-Camp, ein einwöchiges Seminar im Sommer, Fortbildungsveranstaltungen, die wir gemeinsam mit der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen durchführen. Dazu organisieren wird viele weitere kleine, mittelgroße und große Events, wie beispielsweise die Creative Days of Mallets and Percussion am 1. Juliwochenende in Aschaffenburg. Diese Aktivitäten werden in der Regel ehrenamtlich organisiert und kommen der deutschen Schlagzeugercommunity und Projekten im europäischen Ausland zugute.

Percussion Creativ ist ein Verband, der sehr stark praktisch arbeitet und sich vor allem um die Vermittlung des tatsächlichen Schlagzeugspiels kümmert. Ist das so richtig beschrieben?

In unserem Verband sind Schlagzeuger aller Genre organisiert, die sich als Musiker, Lehrer oder Studierende aktiv sind. Unser Ziel ist, durch Fort- und Weiterbildung die Verbreitung und Vertiefung des Schlagzeugspiels zu fördern. Den Unterricht selbst führen natürlich die bei uns organisierten Schlagzeuglehrer selbst durch. Dazu kommt der Unterricht an Hochschulen, an Musikschulen und an öffentlichen und privaten Ausbildungsinstituten. Wir helfen dabei, die Schlagzeuger untereinander zu vernetzen, so dass unsere Ressourcen von allen genutzt werden können.

Der Vorstand des Percussion Creativ e.V.

Der Vorstand des Percussion Creativ e.V.

Die Vernetzung ist ein zentrales Konzept?

So ist es!

Welche Vorteile haben denn die Mitglieder von Percussion Creativ?

Das sind sehr viele, angefangen natürlich mit einem Netzwerk von tausend Schlagzeugern, darunter viele, die als Lehrende tätig sind. Mit unserer sehr erfolgreichen Initiative Trommelpass kann man sich, vornehmlich als Kind oder Jugendlicher, seine Fähigkeiten als Schlagzeuger überprüfen und zertifizieren lassen. Unsere Mitglieder erhalten Vergünstigungen für unsere Seminare, wir bieten Versicherungen an und natürlich unsere Zeitschrift Off Beat.

Wie hat sich die berufliche Situation von Schlagzeugern in den letzten 25 Jahren verändert?

Sie hat sich erheblich professionalisiert, sowohl was das Schlagzeugspiel in Bands als auch was lateinamerikanische oder afrikanische Percussion angeht. Fast alle Musikschulen besitzen heute eine Schlagzeug-Department. Sehr viele Musikschulen im VDM-Bereich haben eine Popularmusik-Abteilung, wo das Drumset eine herausgehobene Rolle spielt. Aufgrund einer rasanten Entwicklung in den letzten zehn Jahren zählen die Schlagzeuger mit mehr als 30.000 Schülern zu den am schnellsten wachsenden Abteilungen im VDM. Die privaten Musikschulen leisten ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung junger Menschen im Schlagzeugspiel.

Die allermeisten werden als Amateurmusiker tätig sein, aber diejenigen die professionell arbeiten, müssen sich mit einer größeren Konkurrenz auseinandersetzen.

Das ist so. Jedes Ding hat zwei Seiten. Allerdings ist die Qualität der deutschen Schlagzeuger auch im internationalen Vergleich sehr hoch. Viele herausragende Drummer kommen aus Deutschland oder aus dem deutschsprachigen Raum und auch der Nachwuchs ist sehr vielversprechend. International spielen deutsche Schlagzeuger in der ersten Reihe.

Sie sind ja zusätzlich künstlerischer Direktor und Geschäftsführer der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim: Was kann ein Studium der Musik und insbesondere des Schlagzeugspiels leisten?

Ein Studium ist ein Beschleuniger von Prozessen. Innerhalb eines Bachelorstudiums können Informationen und Fähigkeiten weitergegeben werden, die man im Eigenstudium nur in einem wesentlich längeren Zeitraum erwerben könnte. Das betrifft den handwerklich-technischen Bereich, das Repertoire, aber auch die notwendige Vernetzung, denn man lernt sehr viele Leute kennen, die hilfreich sein können, die Wege ebnen können und mit denen man später vielleicht in einer Band spielen möchte.

Wie stellt sich die Situation der Popakademie aus ihrer Sicht dar. Von außen betrachtet hat sie sich in Deutschland etabliert.

Genauso ist es. Es gibt dafür einige Indikatoren. Die Bewerberzahlen sind gleichbleibend hoch, beispielsweise haben wir über alle Studiengänge hinweg 15 Bewerber für einen Studienplatz. Alle unsere Absolventen im künstlerischen Bereich, die Freiberufler sind, können davon leben. Das wissen wir, weil wir jedes Jahr eine Telefonumfrage durchführen. Drei Bands, die Teilnehmer am diesjährigen Bundesvision Song Contest sind, bestehen aus Absolventen der Popakademie. Was den Businessbereich angeht, so arbeiten viele Absolventen in den großen Tonträgerfirmen oder sind als Manager oder Produzenten tätig.

Vielen Dank für das Gespräch!

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