HipHop ist legal!
Kraftwerk vs. Moses Pelham: Das Bundesverfassungsgericht rettet das Sampling
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Kraftwerk (Pressebild, 2012). © 2012, Peter Boettcher/Kraftwerk/Sprüth Magers
Der Streit ging bereits durch alle Instanzen und wurde zuletzt beim Bundesgerichtshof zu Gunsten Kraftwerks entschieden. Pelham durfte das Sample also nicht verwenden und der Song durfte nicht mehr vertrieben werden.
Thema mit hoher Relevanz
Damit müsste die Sache eigentlich erledigt sein: der Bundesgerichtshof ist die letzte und oberste Instanz und was da beschlossen wird, das gilt. Allerdings hat man als Betroffener noch die Chance mit einer Verfassungsbeschwerde am Bundesverfassungsgericht gegen die dort getroffene Entscheidung vorzugehen. Das funktioniert aber nur, wenn ein Grundrecht durch die vorhergehende Entscheidung eingeschränkt wurde und das Thema von wirklich großer Bedeutung ist, also quasi die Säulen unserer Gesellschaft ins Wanken bringt.
Das Thema Sampling und der damit verbundene Umgang mit der Kunstfreiheit aus Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetz hatte also genug Gewicht, um unsere Hüter der Verfassung zu mobilisieren.
Die Kunstfreiheit obsiegt
Etliche Produzenten und Musiker haben sich Pelham angeschlossen, darunter Sarah Connor, Bushido und Gentleman. Bushido hatte ja auch schon ordentlich Stress, weil er aus Songs einer eher unbekannten französischen Gothic-Rock Band fleißig gesampelt hat.
Nun hat das Bundesverfassungsgericht entschieden:
Die Kunstfreiheit kann die Verwendung fremder Samples in Musikstücken und somit einen Eingriff in Urheber- und Leistungsschutzrechte rechtfertigen.
Sampling ist somit legal! Wie weit das im Detail reicht, muss allerdings noch durch weitere Gerichtsentscheidungen geklärt werden. Jedenfalls dürfen durch Sampling keine wirtschaftlichen Interessen des Urhebers beeinträchtigt werden.
Eine genaue Definition für den Rahmen des legalen Samplings fehlt noch. Damit muss dann im Einzelfall immer eine Abwägung gefällt werden. Kriterien dafür sind nun:
- Wie signifikant ist das Sample?
- Wie lang ist das Sample?
- Wie würde das Sample sonst kommerziell nutzbar sein?
HipHop – Samples als stilprägendes Element
Metall auf Metall von Kraftwerk
Kraftwerk ist übrigens die meist gesampelte deutsche Band. Die frühen elektronischen Sounds der Band waren wegweisend für HipHop. Das bekannteste Stück ist wohl "Planet Rock“ von Afrika Bambaataa & Soulsonic Force im dem der Kraftwerk-Song "Trans Europe Express“ gesampelt wurde.
Tatsächlich wurden die Sounds von Kraftwerk zu ihrer Zeit durch komplexe musiktechnische Geräte und Aufnahmemethoden geschaffen. Diesen umfangreichen Aufwand wollten sich Kraftwerk nicht einfach durch ein vergleichsweise simples Sampling wegnehmen lassen. Wenn man so will, ist der ganze Rechtsstreit auch der Streit zwischen zwei Generationen von Musikschaffenden und den damit verbundenen Philosophien.
Sampling war und ist gerade für HipHop, aber auch für weite Teile der elektronischen Musik ein stilprägendes Element. Drum'n'Bass, Techno und artverwandte Musikstile haben sich auch schon immer dem Sampling bedient. Ohne Samples würde es HipHop eigentlich gar nicht geben. Würde man das Urhebergesetz eng auslegen, so wie es bis jetzt die Gerichte auch getan haben, müsste also fast jeder Soundfetzen, den der Beatbastler aus einem anderen Stück entnommen hat mit dem eigentlichen Urheber umfangreich rechtlich geklärt werden. Fast jeder Soundfetzen, da bis jetzt galt, dass Samples jedoch nachgespielt werden durften.
Das kann nicht nur richtig viel Geld kosten und super umständlich sein, vor allem würde es die Art von Kreativität, die aus etwas Bestehendem etwas neues und einzigartiges erschafft quasi komplett unterbinden. Gerade diese Art von Kreativität hat vor allem den frühen HipHop ausgemacht und auch heute nutzen nicht wenige HipHop-Produzenten die Technik des kreativen Samplings.
Genau diese stilprägende Bedeutung von Sampling für HipHop erkannte auch das Bundesverfassungsgericht und sah die durch das Grundgesetz geschützte Kunstfreiheit bedroht. Dass sich das Bundesverfassungsgericht so sehr mit HipHop auseinander gesetzt hat ist definitiv ein starkes Stück und wäre vor ein paar Jahren sicher noch undenkbar gewesen.
Wie geht es weiter?
Nun muss der Bundesgerichtshof seine Entscheidung im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht gefassten Grundlagen überdenken und den Fall neu beurteilen. Auch kann noch europäisches Recht die Entscheidung beeinflussen und der Bundesgerichtshof kann die Sache dem Europäischen Gerichtshof vorlegen. Das letzte Wort in der Sache ist also noch nicht gesprochen.
Auch hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber die Option gelassen, für Sampling eine Vergütungspflicht einzufügen, mit der per Gesetz der Rahmen von Samples abgesteckt wird. Bis jetzt war das immer nur Verhandlungssache zwischen Verwender und Urheber.
Also werte Beatbastler, bevor ihr jetzt ungeniert alle Hits der Popgeschichte versampelt und ungefragt veröffentlicht, wartet lieber noch mal ein paar Monate wie die Rechtslage im Detail aussieht. Wir halten euch auf dem Laufenden.
Sicher jedoch ist, dass das Bundesverfassungsgericht jetzt ein wegweisendes Urteil gefällt hat und die Freiheit in der Kunstfreiheit so wieder ein Stückchen größer gemacht hat. Auch müssen wir uns bei Moses Pelham und bei Kraftwerk bedanken. Immerhin haben sich die beiden Streithähne sogar bis zum Bundesverfassungsgericht durch gekämpft um die Sache zu klären. Der durchschnittliche und mittellose Beatbastler könnte sich diesen Aufwand und die gewaltigen Kosten nicht leisten.
Was denkt ihr über das Urteil? Habt ihr jetzt Angst, eure Songs könnten zu HipHop-Beats werden und dass Bushido bald über Sampels euer Songs gewaltverherrlichende und frauenfeindliche Lyrics rappt, oder freut ihr euch darauf, selbst freier mit Samples umgehen zu können?
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