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"Labels müssen heute viel flexibler sein"

Musikvermarktung in der heutigen Zeit: DIY oder Plattenvertrag?

Interview von David Timsit
veröffentlicht am 31.05.2017

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Musikvermarktung in der heutigen Zeit: DIY oder Plattenvertrag?

Unsere Gesprächspartner Torsten von Dr. Music und Jörg von Bob Media. © David Timsit

Selten war die Wahlfreiheit hinsichtlich der Vertriebswege und Formate von Veröffentlichungen so groß wie heute. Angesichts der leichten Zugänglichkeit von Informationen und Kontakten fragen sich viele Musiker zurecht, ob ihnen ein Label im zunehmend digital dominierten Markt wirklich weiterhelfen kann. Wir haben mit zwei erfahrenen Geschäftsführern aus der Branche über die Chancen und Risiken eines Deals gesprochen.

Nun haben Labels ihrerseits natürlich reagiert und bieten oftmals ein breiteres Spektrum an Leistungen, teils auf modularer Basis an. Ein solches Geschäftsmodell bietet Musikern mehr Freiheit und den Plattenfirmen mehr Sicherheit.

Allerdings bleibt die Investitionslast oft vollumfänglich beim Musiker. Da stellt sich natürlich häufig die Frage: Warum nicht gleich selbst machen?

Neue Strukturen, klassische Aufgaben

Natürlich muss es einen Unterschied zwischen der Reichweite sich selbst vermarktender Künstler und Unternehmen geben, deren tägliche Kernaufgabe es ist Musik im Dickicht zahlreicher Veröffentlichungen wahrnehmbar zu machen. Doch was machen Profis genau anders und wo liegen heute die Schwerpunkte in der Vermarktung?

Jörg Tochtenhagen (Bob Media) ist Geschäftsführer von drei Labels und Inhaber einer Videoproduktionsfirma. An den Kernaufgaben einer Plattenfirma hat sich aus seiner Perspektive heraus wenig Grundsätzliches geändert:

"Das Arbeitsfeld und die Medien sowie Technologien haben das Arbeitsspektrum erweitert, aber im Zentrum steht immer noch die profitable Vermarktung des Tonträgers bzw. der Musik. Durch moderne Technologien und vor allem das sich sehr stark veränderte Konsumentenverhalten sind Labels aber mehr denn je dazu angehalten neue Wege der Vermarktung einzuschlagen und neben traditionellen Betätigungsfeldern auch permanent technologische Entwicklungen voraus zu sehen und zu nutzen. Man muss als Label heute viel flexibler sein, in allen Bereichen."

Torsten Wohlgemuth (Dr. Music Promotion) sieht vor allem Big Player in der Pflicht, bewährte Geschäftsmodelle aufrechtzuerhalten:

"Ein Label, das traditionell agiert, sollte über die finanziellen und personellen Mittel verfügen, um einen Künstler oder eine Band langfristig und zielstrebig aufzubauen. Neben den klassischen PR-Tools (Print, Online, Radio, TV und Club) sollte es vor allem gute Möglichkeiten im digitalen Bereich (Social Media und Streaming) haben und auch kreative Strategien und Kampagnen entwickeln."

© Pixabay

Welches Label passt zu welchem Künstler?

Für Torsten stellt sich die Frage "Label – ja oder nein?" bei der Option einer Zusammenarbeit mit Majors und großen Indie-Plattenfirmen demnach auch nicht:

"Deals mit einem finanzstarken Label machen aus unserer Sicht sowohl für Bands als auch Einzel-Künstler immer Sinn. Bevor man jedoch bei einem kleinen Label unterschreibt, das am Ende nur ein paar Promos versendet und letztendlich nur wenige Tonträger verkauft bzw. Streams generiert, sollte man sich gut überlegen, ob das DIY- Modell in Zusammenarbeit mit einem Artist-Service-Label wie Dr. Music Records nicht sinnvoller ist."

DIY ist jedoch nicht jedem in die Wiege gelegt worden, wie Jörg richtigerweise ergänzt:

"Es fehlen oft Einblicke in die Struktur der Musikindustrie und der Überblick, was man auch als Band alles auf den Weg bringen muss, um sich überhaupt vermarkten zu können. Hier ist die beratende Tätigkeit eines Labels wichtiger denn je."

Natürlich gibt es aber auch Bands, die in ihrem Rahmen sehr gut als Selbstvermarkter funktionieren. Es käme vor allem darauf an, welchen Anspruch die Künstler in diesem Punkt haben.

Es gibt Bands, denen reiche die eigene Vermarktung über Online Medien wie Facebook und YouTube, im Live-Bereich sowie der Vertrieb über eigene Shops und digitalem Download völlig aus: "Viele Musiker sind dazu in der Lage und fahren sehr gut damit", so Jörg.

Warum modulare Dienstleistungen auf dem Vormarsch sind

Wie eingangs erwähnt, dürften die meisten aufstrebenden Musiker die Erfahrung gemacht haben, dass Bandübernahmeverträge inkl. Produktionsvorschuss ein Auslaufmodell sind.

Wer heute ein Label kontaktiert, kauft in den meisten Fällen Dienstleistungspakete ein. Laut Jörg ein Umstand, den der Zeitgeist erfordert, da es heute ein extremes Überangebot an Musik bei gleichzeitig weniger Zuhörerzeit gibt, und sich vor allem neue Bands nur selten aus dem Stand profitabel vermarkten ließen.

So seien die Labels vermehrt zu klassischen Dienstleistern geworden, denen es nicht mehr reicht ihre Kosten über Verkaufsbeteiligungen zu decken oder gar Gewinne zu erzielen. Doch der Wandel betrifft beide Seiten:

"Viele Musiker wiederum sind auch keine klassischen Künstler mehr, die von Ihrer Musik leben müssen, sondern haben eine ganz normale bezahlte Arbeit. So stehen hier auch meistens die finanziellen Mittel zur Verfügung, das Label für die Arbeit der Vermarktung auch in Geld statt Lizenzrechten zu bezahlen. Im Gegenzug bekommt die Band bzw. der Musiker dann auch den Löwenanteil von den Erträgen und muss keine Rechte abgeben."

Mit anderen Worten: Auch ambitionierte Musiker werden durch die Marktsituation in die Hobby-Position zurückgedrängt. Torsten findet ein solches Modell jedoch allemal fairer als einen klassischen Bandübernahmevertrag anzubieten und dann nicht abliefern zu können:

"Ein Artist-Service-Label ist natürlich ein reines Dienstleistungsmodell, aber eine gesunde Alternative zu einem Deal mit einer kleinen Plattenfirma mit begrenzten Möglichkeiten."

© Pixabay

Ist das Album ein Auslaufmodell?

Bei all den Überlegungen wie Alben heutzutage am sinnvollsten vermarktet werden können, bleibt die Überlegung oftmals außen vor, auf das Format Album gänzlich zu verzichten. Gerade Musiker aus dem elektronischen Bereich haben oftmals gute Erfahrungen damit gemacht Songs on-the-fly zu releasen. Jüngste Zahlen belegen diese Entwicklung.

Youtube-Stars erzielen ihre Erfolge mit einzeln releasten Videoclips. Auch eine Option für Rock-Bands? Torsten hält das für keine gute Idee:

"Speziell im Rock-, Alternative -und Metal-Bereich sehen wir das Album weiterhin ganz weit vorn. EPs und Singles werden in der Musikpresse fast gar nicht mehr besprochen. Ohne Album findest du praktisch nicht statt. EPs sind für den Start im Live-Bereich oder als erste Visitenkarte okay, wer etwas reißen möchte, kommt am Album aber nicht vorbei."

Jörg weist in diesem Zusammenhang außerdem auf den künstlerischen und kulturellen Stellenwert des Formats hin:

"Da ein Album immer ein Statement des kreativen Schaffens einer Band oder eines Musikers in einem gewissen Zeitraum darstellt, wird es auch so in den Medien und vom Kunden wahrgenommen. Es würde viel Spannung aus der Musik nehmen, wenn man die Entwicklung nur anhand von einzelnen Songs fließend wahrnehmen würde. Für die Promotion und die Vermarktung ist das Album ebenso wichtig, denn mediale Aufmerksamkeit in Form von Rezensionen oder Interviews bekommt man kaum mit Singles oder EPs."

So bleibt das Album weiterhin der Aufhänger, zumindest für Bands, die sich öffentlich vermarkten lassen. Für einen DIY-Musiker, der eine kleine, aber feine Fangemeinde braucht, sei das natürlich komplett egal, weil er von der Mechanik des Marktes entkoppelt sei, stellt Jörg noch heraus.

Wie ist das bei euch – DIY oder auf der Jagd nach dem Deal?

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