×

Zwischen Noob und Pro, Teil 3

Pay-to-Play im Reality Check: Was es bringt, was es mit uns macht

Tipps für Musiker und Bands von Doktor Nic
veröffentlicht am 10.08.2017

diy gage pay to play mindestticketabnahme bandwettbewerb booking musikbusiness selbstvermarktung

Pay-to-Play im Reality Check: Was es bringt, was es mit uns macht

Erst die Karte durchziehen, Kohle abbuchen lassen, dann auf die Bühne? Pay2Play ist ein Dorn im Auge vieler Musiker. © 36clicks / 123RF

Teil 3 unseres "Reality Checks" zum Musikerdasein zwischen Noob und Pro widmet sich einem Thema, das vielen DIY-Musikern ein Dorn im Auge ist, manchen Künstlern aber große Chancen bietet und für manche Veranstalter sogar die einzige Option ist, sich über Wasser zu halten. Pay-to-Play! Das beinhaltet alles vom Einkaufen in ein Line-Up gegen Bares über eine verpflichtende Ticketabnahme bis hin zu Contests und Vertragsabschlüssen mit Abschlag seitens des Künstlers.

→ Teil 1 verpasst? Kein Problem, dann starte hier: Reality Check – Indie-Strukturen, DIY und die Bands der Mittelschicht. Im zweiten Teil dieses Reality Checks zur Musik-Mittelschicht lassen wir einen erfahrenen Booker zu Wort kommen.

Es scheint der Traum für Bands der Mittelschicht: Erfolg + street credibility. Doch es gibt Probleme.

Es scheint der Traum für Bands der Mittelschicht: Erfolg + street credibility. Doch es gibt Probleme., © MKB 2017

Pay-to-Play – was ist es und wann ist es sinnvoll?

"Du musst Geld investieren, um welches zu verdienen"

Diesen Ratschlag erhältst du von professionellen Promoagenturen. Wer auch nur entfernt in der Wirtschaft tätig ist, weiß selbst, dass nichts umsonst ist. Gar nichts! Und ja, dazu gehört auch der Fame deiner Band.

Der Promo-Agent hat recht wenn er sagt, dass das Weiterkommen deiner Band dir auch finanziell etwas wert sein muss. Ich verstehe darunter, dass du…

  • …schöne Pressemappen erstellst,
  • …dir für Telefonate, Briefzustellungen, Kosten für Websites etc. nicht zu schade bist…
  • …und vor allem, dass du Geld in vernünftige Probebedingungen, Equipment und last but not least auch Unterricht investierst. Von guten Aufnahmen ganz zu schweigen!

Was der Agent allerdings meint ist, ihm Geld mindestens im vierstelligen Bereich zu überweisen, damit er dich im Internet und in seinem Netzwerk aus Labels, Veranstaltern, Promotern und Pressevertretern bekannt macht. Das ist ein Weg, den viele Künstler gehen, damit aber auch nicht immer Erfolg haben. Die Gründe dafür nenne ich im folgenden Kapitel.

Pay-to-Play fängt hier an und hört bei wörtlich zu nehmendem “Bezahle, um zu spielen!” auf:

Du willst Support spielen für eine Knallerband, die in einem großen Konzertsaal in deiner Stadt spielt oder willst eine Agentur davon überzeugen, dich auf die ganze Tour mitzubuchen? “Kein Problem”, sagt die Gegenseite, “da bekommen wir 150 Euro pro Gig von euch, das bekommt ihr locker wieder über den Merch rein und so viel Fanreach erreicht ihr in Eigenregie niemals”. Oder die Gegenseite sagt: “Gut, dann müsst ihr uns aber mindestens 50 Tickets abnehmen und diese weiterverkaufen, sonst wissen wir ja gar nicht, ob ihr genug Leute zieht.”

Ich nenne euch ein paar der Vor- und Nachteile, die ich aus Erfahrungen zusammen getragen habe und die euch erwarten, wenn ihr solche “Angebote” wahrnehmt.

Die Vorteile

"Manche Bands wurden mit ein bisschen Kohle-Ausgeben richtig berühmt!"

Du wärest überrascht, wie viele Bands, die du eigentlich cool und true findest, schamlos vermarktet worden sind beziehungsweise sich selbst schamlos vermarktet haben, um dort zu stehen, wo sie jetzt sind.

Hast du dich schonmal gefragt, wer diese Punkrock-Band ist, die mit keinen tausend Likes auf Facebook vor einer Kapelle wie Rammstein plötzlich den Opener macht? So eine kleine Band, schon ganz gut, aber auch ein völlig anderer Musikstil? Nun, die Regel ist das jetzt nicht, denn es gibt ja zahlreiche Gründe für ein Booking – die Vermutung liegt aber nahe, dass sich diese Band aufs Line-Up gekauft hat oder draufgekauft wurde.

Für viele funktioniert das auch richtig gut: “Wir investieren jetzt mal 150 Euro aus unserer Bandkasse für diesen Gig” – und siehe da: für 1000 Euro Merch verkauft, der Gig katapultiert euch auf einmal ganz nach oben, ein Agent wartet Backstage und nimmt euch unter Vertrag. Da haben sich die 150 Euro doch mal doppelt und dreifach gelohnt!

Nächstes Beispiel: Da ist dieser Bandcontest in town und die verlangen Startgebühr und Ticketabnahme – damit finanzieren sich die Veranstalter die ausgeschriebenen Preise! Du hast viele Freunde in der Region, sodass du 50 Tickets verkaufst und die paar Euro Startgebühr locker aus der Kaffeekasse bezahlst. Du gewinnst das Ding, weil du eben so viele Freunde mitgeschleppt und jedem einen Kasten Bier in den Fanbus gestellt hast, dass die anderen Bands niedergebrüllt werden. Als Preis und nimmst du einen Gutschein über 3000 Euro für ein professionelles Tonstudio mit nach Hause!

Letztes Beispiel: Social Media und überhaupt diese ganze Vermarktungssache ist überhaupt nicht deins. Du willst Mucker sein, beruflich, und nichts anderes. Also kratzt du dein letztes Geld zusammen und gibst es einem Agenten, der sich fortan um deine Belange kümmert. Er networkt für dich, bucht dich und bringt dich binnen eines Jahres bis an die Spitze. Du trittst im TV auf, auf großen Festivals, du hast Chartplatzierung, kannst dein Glück kaum fassen.

Ist das Märchen hier zu Ende?

Die Vorteile für die “anderen”: Auch für die ist nichts umsonst!

"Es gibt immer irgendjemand, der sich darauf einlässt"

Bevor sich einige Leser schon anfangen zu ärgern und bevor ich zu den Nachteilen des Pay-to-Play komme, hier noch ein paar kurze Schilderungen aus Sicht der Marktmenschen:

Als Veranstalter einer großen Show bist du immer in Sorge, nicht genug Geld zu verdienen. Im ersten Reality Check zu DIY-Szenen habe ich bereits angesprochen, dass jeder Veranstalter bangen muss: Vor überdimensionierten Gagen sogenannter Stars, vor Konkurrenzveranstaltungen. Sicherheit, Hallenmiete, Personal, Getränke, Catering, Hotels und…und…und… – das kommt alles zurück auf dich und deine Agentur, wenn irgendwas schief läuft! Jetzt hast du weder Zeit noch Lust noch Knete, um die tausend kleineren Bands glücklich zu machen, die sich selbst für den optimalen Support der Veranstaltung halten.

Also machst du etwas, was du selbst in den meisten Fällen gar nicht gerne tust: Du machst den Slot zum großen Los im Lotto, du betreibst ein Voting, welches das Augenmerk vieler Leute auf deine Show lenkt, oder du lässt die Vorband von Anfang an selbst bezahlen. Denn es gibt immer irgendjemand, der sich darauf einlässt. Es wird immer die Band geben, die umsonst spielt. Und es wird immer jene Agentur geben, die ihren jüngsten Schützling auf deine Veranstaltung einkauft, um das eigene Geschäft zu pushen.

Noch ein Beispiel: Stell dir vor, du bist Agent und gibst dein Wissen mit Vergnügen weiter, um Künstlern zu helfen. Doch bezahlt dir das leider nicht die Rechnungen. Es kann viel Zeit und Nerven in Anspruch nehmen, die Leute von der Qualität eines Künstlers zu überzeugen... mal abgesehen von der ganzen Arbeit, die es dich gekostet hat, deine ganzen Kontakte aufzubauen und zu pflegen. Also kannst du nicht anders, als dein Geschäft lukrativer zu machen. Du musst ja schließlich was essen und leider bist du als Teil der Musikbranche auch Teil der Marktwirtschaft und da geht es um Kohle und um nichts anderes. Also verlangst du Geld von den Künstlern, denn auch hier wird es immer diejenigen geben, denen der Ruhm es wert ist, dich zu bezahlen.

Die Nachteile: es ist nicht alles Gold was glänzt

"Dann stehst du da und bezahlst noch mehr"

Nun komme ich wie versprochen zu den Nachteilen und diese sind auf ethischer und wirtschaftlicher Weise zahlreich. Wirtschaftlich gesprochen ist Pay-to-Play, egal in welcher Form es auftritt, immer ein Risiko für dich.

Wir bleiben bei den genannten drei Beispielen: Gig, Bandcontest und Promoagentur.

G I G

Nur weil du dich für auf eine Bühne einkaufst, muss das nicht zwingend von Erfolg gekrönt sein. Du wirst womöglich schon um 19.00 Uhr auf die Bühne geschickt. Mitten im Sommer. Keine Fans gehen jetzt schon in die Konzerthalle, sondern trinken draußen ihr Bier. Dann hast du niemanden erreicht. Merch verkaufst du doch nicht, weil dein Merchtisch in eine ganze andere Ecke gestellt wird, als jener der Hauptband (alles schon erlebt!) oder der Laden erhält unerwarteter Weise nochmal 25% deiner Mercheinnahmen. Mit dem Gig-Einkauf habe das nichts zu tun, das wird von ganz anderen Leuten organisiert, sagen sie dir. Dann stehst du da und bezahlst noch mehr.

Oder schlichtweg: die Fans finden dich nicht geil. Schonmal daran gedacht? Wie oft hab ich viel zu poppige Acts vor harten Metal-Bands spielen sehen, wie oft abgefahrenen Punkrock vor Schmuserock. Fans, die auf große Konzerte gehen, gehen auch oft sehr streng mit der Vorband ins Gericht. Wo die Hälfte der Zuschauer sagt “Geil, nochmal ne neue Band kennengelernt”, sagt nicht selten die andere Hälfte “da hab ich mir lieber ein Bier geholt”. Das kann dir überall passieren. Nur hast du als bewusst gebuchte Band deine Daseinsberechtigung und das Vertrauen zumindest des Veranstalters. Wenn du aber in diesem Szenario auf der Bühne stehst, wurdest du nicht eingeladen. Du hast bezahlt, um dort sein zu dürfen.

C O N T E S T

Genauso wie nicht jeder Pay-to-Play Gig gut laufen muss, muss nicht jeder Bandcontest gut laufen. Contest bedeutet Wettkampf. Du spielst, egal wie gut ihr Bands euch untereinander versteht, nicht mit den Bands zusammen, sondern gegeneinander. Jeder will den Preis gewinnen, deshalb bringt jeder seine grölenden Fans mit. Wer mehr grölende Fans hat, hat meist gewonnen. Oft gibt es eine Jury. Es gibt aber auch immer eine Band, die ein Jurymitglied persönlich kennt und deshalb überhaupt erst mitmacht. Rechnest du dir die ausgeschriebenen Preise aus und deren Wert, kommst du oft selbst auf den Trichter, dass alle anwesenden – Fans, Bands, du selbst – den Preis mitfanziert haben. Das Backdrop als dritter Preis wird wahrscheinlich vom lokalen Sponsor gedruckt, dank der Werbung kostet den das gar nichts. Den zweite Preis, ein Einkaufsgutschein für einen Musikhandel, gibt es wahrscheinlich ebenfalls von einem Sponsor; der erste Preis, die Tonstudioaufnahme, ist im Zweifel vom Produzenten, der mit in der Jury sitzt und dem das ganze sowieso sonstwo vorbeigeht. Die ganze Orga wird durch die Tickets, die du verkaufst, finanziert.

A G E N T U R

Und schließlich die Agenturen. Ich hab selbst bei sowas mitgewirkt, ich mache das selbst so ein bisschen im Nebenberuf. Vor allem aber habe ich schon viele Schaumschläger kennengelernt, weshalb ich nur sagen kann: mit sogenannten Promotern und Bookern ist die meiste Vorsicht geboten und eingehende Recherche und Erfahrungsberichte anderer Künstler ein Muss!

Denn so viele sich auch anstrengen, guten Bands eine echte Chance zu geben, mindestens genauso so viele gibt es, die dich gnadenlos über den Tisch ziehen wollen. Wenn dir jemand sagt, er bekäme rund 3000 Euro für bezahlte Facebookposts, Presseauftritte, Spotifywerbung und so weiter, dann lasse dir eine genaue Aufstellung geben. Es gibt Abzocker in der Branche, die verwenden nichtmal 300 deiner 3000 Euro auf dich! Was sie bürokratischen Aufwand nennen, ist die Faulheit, sich an den Rechner zu setzen und loszulegen.

Vor allem ist hier aber auch kein Erfolg garantiert. Ist dir wirklich geholfen, wenn du dein Erspartes für Promo auf den Kopf gehauen hast, jede Menge Klicks im Internet erzielst, aber nichts mehr auf Merch, Website, Tourvan etc. ausgeben kannst?

Ebenso vorsichtig musst du mit Verträgen sein, die beinhalten, dass du die Rechte an deinem Material abtrittst. Das machst du zum Teil bei Plattenlabels sowieso, die brauchen deine Vermarktungsrechte. Promoagenturen wollen allerdings häufig die Rechte an deinen Videos und Fotos und deiner ganzen Internetpräsenz. Steigst du dann vor Vertragsende aus, weil dir seine ganze Arbeit überhaupt keine tollen Gigs verschafft, darf der Typ im Einzelfall einfach deine ganzen Videos aus dem Netz nehmen. Trittst du zu viele Rechte an Agenten ab, können diese dich aufbauen oder vernichten. Und die Entscheidung darüber liegt oft nicht ein bisschen bei dir.

Die ethischen Nachteile

"Es ist nicht verwerflich, sein hart verdientes Geld für eine Leidenschaft auszugeben"

Noch ein kurzer Abriss darüber, was der Schritt, dich für Pay-to-Play zu entscheiden, für deine Zukunft bedeutet. Ich rede dir jetzt ungern ins Gewissen wie true to the scene du sein sollst. Jeder muss wissen was er erreichen will und wie er das erreichen will.

Entscheidest du dich für Pay-to-Play muss dir allerdings klar sein, dass dies selten in Verborgenheit bleibt. Und so kannst du auch einige Fans einbüßen. Ich rede nicht von den Leuten, die dich weniger cool finden, weil du Geld bezahlst, um irgendwo auf die Bühne zu dürfen. Ich rede hier nicht aus Sicht des Szeneschnösels, dem du dann nicht true genug bist. Ich rede hier aus der Sicht einer Musikergemeinde, die ein Problem bekämpfen möchte, dessen Teil du geworden bist.

Jeder gönnt dir den Erfolg, wenn du ihn dir mit geiler Musik, harter Arbeit an deiner Vermarktung, eigenständigem Networking, Fanarbeit und ja, auch ein bisschen Glück verdient hast. Kommt irgendwann der Schritt, an dem Agenten, Manager, Labelbosse die meisten Entscheidungen für dich treffen, kannst du an eine Karriere voller harter Arbeit zurück denken, die dich an diesen Punkt gebracht hat. Du begreifst wie das Business läuft und das gibt dir einen Vorteil. Du sparst dein Geld, weil du dein Ziel unbedingt erreichen willst.

Wie eingangs formuliert: Nichts auf der Welt ist umsonst. Und ich finde das gar nicht verwerflich, dein hart verdientes Geld für deine Leidenschaft auszugeben. Auch für Promo nicht. Booker bekommen 10-20% deiner Gagen für ihre Arbeit. Designer für Web und Merch müssen bezahlt werden. Es sind alles Räder, die sich in einer Maschine drehen, die aus Kunst ein vermarktbares Produkt macht. Fakt.

Unterstützt du allerdings, dass nur jene mit der meisten Kohle auch an die meisten Fans kommen, unterstützt du etwas, das viele Künstler, die auch gut sind, nicht weiterkommen lässt.

Wir philosophieren hier nicht zu sehr herum, okay? Sei dir einfach bewusst, dass es nach Pay-to-Play schnell keinen Weg zurück gibt. Oder Ist das zu hart formuliert?

Was denkt ihr darüber, wie weit sollte man als ambitionierter Künstler gehen, um seinen Traum zu leben?

Ähnliche Themen

Konzertgagen im Reality Check: Sechs Tipps, um einen passenden Deal auszuhandeln

Non-Profi(t) = Non-Commercial?

Konzertgagen im Reality Check: Sechs Tipps, um einen passenden Deal auszuhandeln

veröffentlicht am 01.10.2019   44

Festgage, Door-Deal, After Break und Co: Typische Deals für Bands im Überblick

Wer bekommt wann was und warum?

Festgage, Door-Deal, After Break und Co: Typische Deals für Bands im Überblick

veröffentlicht am 16.07.2019   68

Zwischen Idealismus und Nachhaltigkeit: Interview mit Robin Müller vom SPH Bandcontest

"Wir wollen möglichst viel an die Bands zurückgeben"

Zwischen Idealismus und Nachhaltigkeit: Interview mit Robin Müller vom SPH Bandcontest

veröffentlicht am 13.02.2018   7

Einen Gig um jeden Preis spielen? Unter diesen Umständen solltest du lieber absagen!

Wenn Nein sagen die beste Option ist

Einen Gig um jeden Preis spielen? Unter diesen Umständen solltest du lieber absagen!

veröffentlicht am 06.12.2017   18

Win-Win durch Mindestticketabnahme: Psycho Village über ihre erfolgreiche Tour mit Local Supports

Gemeinsam die Locations füllen

Win-Win durch Mindestticketabnahme: Psycho Village über ihre erfolgreiche Tour mit Local Supports

veröffentlicht am 09.11.2017   30

Newsletter

Abonniere den Backstage PRO-Newsletter und bleibe zu diesem und anderen Themen auf dem Laufenden!