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"Die negativen Stimmen waren sehr erdrückend"

Realist mit Ambitionen: Andreas Kümmert über Medien, die Musikbranche und seine Karriere

Interview von Daniel Schmitt
veröffentlicht am 03.05.2017

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Realist mit Ambitionen: Andreas Kümmert über Medien, die Musikbranche und seine Karriere

"The Voice of Germany war für mich persönlich auf jeden Fall ein Durchbruch", blickt Andreas Kümmert in unserem Gespräch zurück. © Ben Wolf, Universal Music

Der Blues- und Soulmusiker Andreas Kümmert ist dem deutschen Fernsehpublikum als Sieger der Casting-Show "The Voice of Germany" im Jahr 2013 bekannt. Für Aufregung sorgte er zwei Jahre später mit seiner Absage an den Eurovision Song Contest. Wir trafen den Vollblutmusiker vor einem Konzert in Heidelberg zum Interview und sprachen mit ihm über das Leben als Musiker, die Medien und vieles mehr.

Backstage PRO: Hallo Andreas, du warst schon vor deiner Teilnahme bei "The Voice of Germany"  als Profimusiker unterwegs, da du schon immer von der Musik leben wolltest. War das auch ein Teil deiner Motivation, um dich beim Casting zu bewerben?

Andreas Kümmert: Ja, natürlich. Ich habe zwar auch vor dem Casting schon von der Musik gelebt – und das nicht unbedingt schlecht. Ich habe damals sehr viel gespielt, zwischen 150 und 170 Shows im Jahr. Der Hauptgrund für die Casting-Teilnahme bestand darin, meine Musik bekannter zu machen.

Backstage PRO: Wie viel Publicity hast du dir von dem Wettbewerb versprochen? Hast du dir ausgerechnet, dadurch richtig groß rauszukommen?

Andreas Kümmert: Der Plan war ursprünglich der, dass wir bis zu den Battles kommen, der zweiten Runde des Castings – und dort rausfliegen. Das war der größte Erfolg, den ich mir vorher ausgemalt habe. Darauf wollte ich dann aufbauen. Aber am Ende kam es anders als erwartet – im positiven Sinne.

Backstage PRO: Du sagst "positiv". Würdest du es aufstrebenden Musikern denn weiterempfehlen, an einer Casting-Show teilzunehmen?

Andreas Kümmert: Wenn, dann bei "The Voice of Germany".

"Ihr müsst sehr viel live spielen und immer dranbleiben"

Backstage PRO: Du kennst Backstage PRO. Hier sind viele Musiker aktiv, die ebenfalls den Traum haben, von ihrer Musik zu leben. Welchen Tipp würdest du aus heutiger Sicht anderen Nachwuchsmusikern geben, die noch ganz am Anfang stehen?

Andreas Kümmert: Sehr viel live spielen und immer dranbleiben! Man sollte sich überall bewerben, in allen möglichen Pubs und Clubs in der jeweiligen Umgebung. Außerdem Mitglied bei der GEMA werden und seine Stücke dort melden.

Backstage PRO: Du hast gesagt, du hast früher schon sehr viele Shows gespielt. Oft auch in kleinerem Umfang in Clubs und Bars. Unterhältst du bis heute noch viele Kontakte zu deren Betreibern?

Andreas Kümmert: Ja, natürlich. Ich habe heute noch Kontakt zu sehr vielen Pub-Besitzern und -Pächtern. Manche mussten leider inzwischen schließen. Aber Kontakt besteht da nach wie vor.

Backstage PRO: Spielst du auch selbst gerne noch kleinere Shows?

Andreas Kümmert: Wir spielen sowohl kleine als auch größere Shows. Das Ziel ist im Moment aber schon, wieder etwas größer zu werden und unsere Musik besser zu platzieren, eine gute Platte zu schreiben et cetera...

Backstage PRO: Was ist dir denn persönlich lieber und was macht dir mehr Spaß – größere oder kleinere Shows?

Andreas Kümmert: Beide. Es gibt nur den kleinen Unterschied, dass bei großen Konzerten das Publikum weiter weg ist. Nicht immer, aber manchmal geht durch die Distanz der Kontakt etwas verloren. Wenn man dagegen in kleineren Läden spielt – wir waren auf dieser Tour zum Beispiel im Hot Jazz Club in Münster – ist man direkt am Publikum. Dann springt der Funke einfach besser über.

Backstage PRO: Nachdem du bei der Casting-Show gewonnen hast und mit dem Album "Here I Am" auf Tour gegangen bist, war es da für dich eine große Umstellung, vor größerem Publikum zu spielen?

Andreas Kümmert: Ich hatte vorher auch schon vor vielen Leuten auf Festivals gespielt – auch wenn die oft eher auf die Band gewartet haben, die nach mir gespielt hat. (lacht). Eine allzu große Umstellung war es daher nicht, abgesehen von den Ansagen und der Unterhaltung zwischen den Songs. Das musste ich von Grund auf neu lernen.

In Pubs und Kneipen interessiert es eigentlich niemanden, was man so erzählt. Da ging es nur darum, dass jemand auf der Bühne steht und stundenlang Musik macht.

Backstage PRO: Und auf einmal musstest du aufpassen, was du sagst, weil es schnell und viel weiter verbreitet wurde.

Andreas Kümmert: Ja, genau.

© Ben Wolf, Universal Music

"Es hat mich verängstigt, welche Kraft das Medium hat"

Backstage PRO: Kann man bei deinem Erfolg bei "The Voice of Germany" also von einem echten Durchbruch sprechen?

Andreas Kümmert: Für mich persönlich war es auf jeden Fall ein Durchbruch. Innerhalb von etwa zwei Wochen stiegen die Likes auf meiner Facebook-Seite von etwa 2.000 auf über 100.000. Das war schon so etwas wie ein viraler Erfolg.

Backstage PRO: Hattest du das Gefühl, plötzlich viel mehr in der Öffentlichkeit zu stehen?

Andreas Kümmert: Auf jeden Fall. Ich komme aus Gemünden am Main, einer kleinen Stadt. Da hat mich auf einmal jeder erkannt und angesprochen. Das war ein bisschen befremdlich.

Backstage PRO: War dir das unangenehm?

Andreas Kümmert: Es hat mich verängstigt, welche Kraft das Medium hat, insbesondere die Bedeutung, die es für Menschen hat, wenn sie jemanden aus dem Fernsehen kennen.

Backstage PRO: Als nächstes kam für dich dein Sieg beim Vorentscheid zum Eurovision Song Contest und dein Rückzug von der Teilnahme. Im Anschluss wurde bei dir eine Angststörung zusammen mit einer leichten Depression diagnostiziert. Hattest du die Symptome schon vorher, oder kamen sie erst mit der Popularität und dem ganzen Medienrummel?

Andreas Kümmert: Richtige Panikattacken hatte ich vorher nicht. Die bekam ich erst Anfang 2015 während der Vorbereitung auf den ESC. Da hat alles angefangen, mich immer mehr zu erdrücken. Es war komisch, dass die Leute immer meinten: "Das hätte er doch vorher wissen können."

Aber man kann es eben nicht wissen. Besonders, wie mächtig diese ganze Maschinerie sein kann, war mir vorher nicht klar. Natürlich kann man mir vorwerfen, dass ich aus dem vorherigen Casting schon wusste, wie das Fernsehen an sich funktioniert. Aber der ESC spielt in einer ganz anderen Liga.

"Mir hat jemand den Tod gewünscht"

Backstage PRO: Außerdem weiß man ja nie, wann solche Gefühle kommen und einen plötzlich übermannen...

Andreas Kümmert: Eben, genau. Bei mir war es zudem so, dass meine Teilnahme am Vorentscheid in den sozialen Netzwerken sehr viel Hass ausgelöst hat. Viele Leute schrieben, "der Typ kann doch nichts" und dass ich dort nichts zu suchen hätte. Dann fängt man an, sich das zu Herzen zu nehmen, selbst wenn vielleicht neunzig Prozent positive Stimmen und nur zehn Prozent Hass sind. Aber allein diese zehn Prozent waren für mich sehr erdrückend. Das hat sicher auch zum Ausbruch meiner Ängste beigetragen. Mir hat sogar mal jemand in einer persönlichen Facebook-Nachricht den Tod gewünscht.

Backstage PRO: Glaubst du – aus heutiger Sicht und mit mehr Erfahrung – dass es allen Leuten, die in irgendeiner Form im Rampenlicht stehen, so geht, dass sie sich einer solchen Masse an negativen Gefühlen gegenüber sehen?

Andreas Kümmert: Absolut. Ich glaube, dass jedem in einem gewissen Rahmen Hass entgegen gebracht wird, ganz besonders aber im Internet, wo große Anonymität herrscht. Mir hat leider das richtige Werkzeug gefehlt, um damit umzugehen. Klar gab es Leute, die mich persönlich gestützt haben, auch seitens der Plattenfirma. Aber ich hätte wahrscheinlich von Anfang an auch professionellen Beistand gebraucht.

Ich glaube nicht, dass Weltstars wie zum Beispiel Justin Bieber, der ja auch unheimlich polarisiert, sich hinsetzen und sich Millionen Kommentare durchlesen. Ich dagegen habe den Fehler gemacht und mir ganz viel durchgelesen und habe das an mich herangelassen.

© (c) Olaf Heine / Universal Music

"Ich persönlich mag es nicht, mich an Zeiten zu halten"

Backstage PRO: Authentizität ist dir sehr wichtig, wie du oft betonst. Bei deiner Produktion von "Here I Am" hast du dich über fehlendes Mitspracherecht beklagt. Welchen Stellenwert hat für dich künstlerische Freiheit?

Andreas Kümmert: Künstlerische Freiheit hat für mich einen hohen Stellenwert. Bei dem Album hatte ich wie gesagt wenig Mitspracherecht und habe kaum an den Songs mitgeschrieben, was diverse Gründe hatte. Es gab einen Zeitplan, der eingehalten werden musste. Für meine vorproduzierten Demos war keine Zeit und kein Platz. Bei der letzten Platte war das allerdings anders. Da konnte ich mich wieder viel mehr ausleben. Auch da gab es natürlich einen Produzenten, der immer wieder Anregungen für Überarbeitungen gegeben hat. Aber das sind nur Tipps, keine Zwänge.

Backstage PRO: Manche deiner früheren Alben hingegen hast du ganz allein aufgenommen. Wie wichtig ist es dir, im Studio selbst die Kontrolle zu haben?

Andreas Kümmert: Das funktioniert eigentlich nicht, wenn man einen Major-Deal hat. Bei einem Indie-Label kann man entscheiden, die Kontrolle zu übernehmen und sein Album selbst zu produzieren. Wenn man mit einem Produzenten arbeitet, hält man sich aber an Abmachungen und Zeitpläne.

Ich persönlich mag es nicht, mich an Zeiten zu halten, darum habe ich mein eigenes Studio zu Hause, in dem ich meine Aufnahmen vorproduziere. Im Studio des Labels arbeite ich mit meinem Produzenten und der hat das Zepter in der Hand, auch wenn es um meine Songs geht.

Backstage PRO: Findest du das schwierig?

Andreas Kümmert: Das kommt darauf an, wo man arbeitet. Ich habe die letzten Jahre mit Christian Neander (von der Band Selig) gearbeitet und da positive Erfahrungen gemacht. Natürlich gerät man auch mal aneinander, aber das ist ja in einem Arbeitsverhältnis normal.

Backstage PRO: Das Songwriting ist aber allein deine Sache?

Andreas Kümmert: Wir schreiben manches zusammen. Die Texte sind zu hundert Prozent von mir. Es kommt oft vor, dass wir Demos von mir haben, die wir weiter ausarbeiten.

"Ich spiele lieber live als viel Zeit im Studio zu verbringen"

Backstage PRO: Es gibt Künstler, die sehr viel Wert auf die Musik an sich, den künstlerischen Selbstausdruck und das Songwriting legen. Andere tendieren dazu, das Live-Spielen in den Mittelpunkt zu stellen. Wofür hegst du die größere Begeisterung?

Andreas Kümmert: Eigentlich für den Live-Bereich. Ich spiele lieber live als viel Zeit im Studio zu verbringen. Das hängt aber auch davon ab, zu welchem Zweck ich im Studio bin und davon, ob ich da alleine bin oder mit Produzent und Tontechniker arbeite und es gilt, einen Zeitplan einzuhalten. Ich bin sehr gern in meinem eigenen Studio und experimentiere – das würde ich mit der Liebe zur Bühne sogar gleichsetzen. Aber das Live-Spielen überwiegt. Das gilt auch für CDs: Wenn ich Platten höre, dann am liebsten gute Live-Aufnahmen.

Backstage PRO: Musikalisch bist du stark geprägt von den 60er Jahren, insbesondere von Blues, Soul und Rhythm' and Blues. Aus deiner Perspektive als aktiver Musiker: Wie groß, glaubst du, ist die Nachfrage nach diesen Genres? Denkst du, dass diese Art von Musik noch eine Zukunft hat?

Andreas Kümmert: Das kommt darauf an. Ich glaube nicht, dass es in der Geldmaschinerie der Popkultur und im Radio eine Zukunft für diese Art von Musik gibt, aber im Live-Bereich schon. Das beweisen Musiker wie Joe Bonamassa, die unglaublich viel Output haben und mit ihren Liveshows weltweit Hallen füllen.

Backstage PRO: Und du glaubst, das wird auch weiterhin so sein?

Andreas Kümmert: Ich denke schon, ja. Qualität geht schließlich doch noch immer vor bloßer Quantität und Plastik.

Backstage PRO: Danke für deine Zeit und das Gespräch, Andreas. Weiterhin viel Erfolg!

Artists

Andreas Kümmert

soul / blues / rock etc. aus gemünden am main

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