Den Kollaps verhindern
Schutzschirme und Kleinstkonzerte: Positionen zur Zukunft der deutschen Live-Branche
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© Wendy Wei via Pexels
Nicht zuletzt durch das verlängerte Verbot von Großveranstaltungen fällt die Einschätzung der aktuellen Situation der deutschen Live-Branche durch Jens Michow, Präsident der Bundesverbandes der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV), gegenüber der MusikWoche äußerst pessimistisch aus:
"Den Veranstaltern brechen nicht nur seit Anfang März die Einnahmen weg. Sie haben in die nun abgesagten Veranstaltungen viel Geld für Hallenmieten, Werbung, Reise- und Personalkosten, Mieten für Ton- und Lichttechnik und so weiter investiert und bleiben auf diesen Kosten sitzen."
Die deutsche Kulturbranche steht damit trotz der von Bund und Ländern gestarteten Hilfsprogramme langfristig vor dem Kollaps. Dazu Michow:
"Selbst, wenn in einigen Wochen wieder Veranstaltungen stattfinden dürfen – was alles andere als sicher ist –, erwartet niemand, dass dann der große Live-Erlebnis-Nachholbedarf einsetzt. Das Geschäft wird – vor allem bei Veranstaltungen für die ältere Zielgruppe – erst mal zurückhaltend anlaufen, da die Ängste der Menschen sich nicht einfach in Luft auslösen."
Grütters verspricht Anpassungen
Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters verspricht, die Förderprogramme des Bundes stetig zu aktualisieren und an die veränderten Gegebenheiten anzupassen, um so die Kulturbranche zu konsequent zu fördern:
"Ich werde mich weiter mit aller Kraft dafür einsetzen, die einzigartige Kulturlandschaft in Deutschland in all ihrer Vielfalt zu erhalten. Dazu gehört natürlich auch, dass wir als Bundesregierung die bestehenden Hilfsmaßnahmen beständig überprüfen und gegebenenfalls auch nachjustieren."
Gleichzeitig verweist sie auf niedrigschwellige Angebote, die insbesondere solo-selbstständige Künstlerinnen und Künstler sowie Kreative jetzt in Anspruch nehmen können, so beispielsweise die Übernahme von Wohn- und Heizkosten.
Schutzschirm(e) gefordert
Kreativverbänden und Parteien gehen die bisherigen Maßnahmen noch nicht weit genug. So fordert etwa Katja Kippling (Linke) einen Schutzschirm für die freie Kulturszene. Kippling will, dass Ausfälle durch abgesagte Veranstaltungen analog zu den Regelungen des Kurzarbeitergeldes vom Staat übernommen werden.
Mit einem solchen Vorgehen erhielten Künstler/innen und Veranstalter/innen 60 Prozent – in Haushalten mit Kindern sogar 67 Prozent – des entgangenen Geldes vom Bund. Auch die Grünen schließen sich den Forderungen nach einem Rettungsschirm an; der Deutsche Kulturrat hatte die Idee bereits Ende März angestoßen.
Der Verband Eventkultur Rhein-Neckar sieht dabei nicht nur den Bund in der Verantwortung, und fordert auch die Kommunen auf, die Kreativszene zu unterstützen. Als positive Beispiele für einen kommunalen Rettungsschirm führt der Verband Berlin, Köln und Hamburg an.
Die Krise steht vor der Tür
Der deutsche Musikrat plädiert gar für ein geregeltes Hochfahren des Musiklebens in Deutschland, analog zu der beschlossenen Lockerung der Bestimmungen für kleinere Geschäfte, Bibliotheken, Friseure, etc. Hierzu Prof. Martin Maria Krüger, Präsident des Deutschen Musikrates:
"Der Deutsche Musikrat appeliert an Bund und Länder, überall dort, wo Hygiene- und Abstandsregeln eingehalten werden können, das Musikleben bald wieder zu ermöglichen. Auch wenn wir uns für eine Weile an neue Konzert-Etikette gewöhnen werden müssen: Ein Konzert mit verringerter Zuschauerzahl, mit Mundschutz und Abstandspflicht ist in jedem Fall besser als keins."
Fest steht, dass ohne ein weiteres Vorgehen von Bund und Ländern – seien es Schutzschirme oder die geforderte Vereinheitlichung der Hilfsprogramme auf Landesebene – die Vielfalt der deutschen Kreativ- und insbesondere der Livebranche empfindlich bedroht ist.
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