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"Fehler muss man kultivieren"

Spielt Licht wie ein Instrument: Interview mit Lichtdesigner Bertil Mark (Rammstein, Adel Tawil u.a.)

Interview von Jan Paersch
veröffentlicht am 29.12.2017

bertil mark bühnenlicht image berufswelt

Spielt Licht wie ein Instrument: Interview mit Lichtdesigner Bertil Mark (Rammstein, Adel Tawil u.a.)

Bertil Mark. © Paul Gärtner

Bertil Mark nennt sich selbst "Lichtspieler". Er ist für das Lichtdesign des Baltic Sea Philharmonic zuständig, eine nicht alltägliche Aufgabe für jemanden, der sonst für Rammstein, Die Beginner, Tokio Hotel, The Notwist, Farin Urlaub, Sarah Connor und viele andere arbeitet. Entspannt plaudert der gebürtige Mainzer über seine Technik, Tätigkeiten als Produktionsdesigner und Lighting Director und wie es ist, backstage mit Rammstein abzuhängen.

In der warmen Spätsommersonne sitzt Bertil Mark, geboren 1976, vor der Turbinenhalle, die Beine mit den zwei verschiedenen Turnschuhen übereinander geschlagen. Hier, im letzten erhaltenen Gebäude der ehemaligen Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf der Insel Usedom, proben gerade 70 Musiker unter Dirigent Kristjan Järvi für ihren abendlichen Auftritt.

Backstage PRO: Bertil, dass du beruflich im Bereich Musik arbeitest, hat auch mit Thomas D von den Fantastischen Vier zu tun. Richtig?

Bertil: Nicht unbedingt. Richtig ist, dass ich Thomas durch das Arbeiten in der Branche kenne, und dass wir seit fast zwanzig Jahren zusammen auf einem Bauernhof in der Eifel leben. Wir teilen uns dort ein Studio. Ich bin Soundbastler und Schlagzeuger, war zehn Jahre lang in der Band von Gentleman und spielte mit Thomas in unserer gemeinsamen Punk-Band Son Goku. Parallel habe ich dann auch schon Licht gespielt, und durch internationale Touren ist das dann umgeschlagen.

Backstage PRO: Eure Kommune von Künstlern und Gleichgesinnten nennt sich M.A.R.S. – "Moderne Anstalt Rigoroser Spakker". Wie darf man sich das Leben dort auf einem ehemaligen Pferdehof vorstellen?

Bertil: Es ist auch nach all der Zeit noch immer großartig und einzigartig. Die Umgebung hat großen Einfluss auf das kreative Schaffen. In der Eifel passiert erstmal nichts, wenn man es selbst nicht anleiert, das ist Freud und Leid zugleich. Der M.A.R.S. ist ein friedvoller Platz, an dem man sehr harmonisch schaffen kann.

"Ich versuche, die Technik zum Leben zu erwecken"

Backstage PRO: Reden wir über deinen Werdegang. Schlagzeug und Licht, wie geht das zusammen?

Bertil: Taktgefühl braucht man für beides. Wenn man auf der Bühne gestanden hat, schon einmal Musik produziert hat und dann auch noch eine Leidenschaft für Fotografie mitbringt, ergibt sich ein Interesse an Bühnen-, Licht- und Video-Gestaltung von alleine.

Bertil Mark

Bertil Mark, © Photogroove

Ich bin ein Lichtspieler. Ich habe kein normales Pult, sondern ich habe mir aus Midi-Controllern ein eigenes Instrument gebaut und performe während eines Konzertes mit. Das passiert alles live, da ist nichts vorprogrammiert. So wie Console bei The Notwist seine organischen Elektronik-Elemente hineinbringt, versuche ich, der Musik zu folgen und Akzente zu setzen. Obwohl ich nur mit Technik arbeite, versuche ich, sie emotional werden zu lassen. Sie zum Leben zu erwecken.

Backstage PRO: Du bist Autodidakt?

Bertil: Total. Als ich mit 15 Jahren begonnen habe, überregional Schlagzeug zu spielen, habe ich bereits Licht gemacht. War mit befreundeten Bands auf Europa-Tour. Das war eher learning by doing. Es gibt wahnsinnig viele unterschiedliche Modelle und Lichtpulte, aber dadurch, dass ich genau weiß, was ich machen möchte, kann ich mit jeder Technik arbeiten. Ich habe meine Präferenzen, aber wenn‘s hart auf hart kommt, ist es auch egal.

Backstage PRO: Was genau möchtest du denn machen?

Bertil: Ich habe eine exakte Vorstellung von dem, was ich gestalten will, wenn ich die Musik höre, auch wenn das oft erst im Moment geschieht. Ich bin da ganz frei, ich brauche nicht die neueste Technik. Die junge Generation ist anders, da gibt es Lichtprogrammierer, die sich wahnsinnig gut mit den Pulten auskennen. Aber ihnen fehlt oft noch die Gestaltungsebene. Ich habe immer schon einen eher künstlerischen Zugang zur Technik gehabt. Ich lerne das, was ich gerade brauche oder bastele mir etwas.

Backstage PRO: Erzähle bitte etwas über deine Technik.

Bertil: Ich habe mir aus DJ-Midi-Controllern ein Lichtpult-Instrument gebaut. Danke kreativer Programmierer, die kleine Übersetzungsprogramme für mich basteln, hilft es meiner Kreativität auch, auf Bedienoberflächen zu tappen, die erstmal nicht dafür gedacht waren. Das Setup hat sich sehr bewährt im Laufe der Jahre, ändert sich aber ständig.

Ich benutze keine Custom-Controller mehr. Seitdem ich weltweit toure und oftmals schnell Ersatz brauche ist es einfacher, mit Marken-Geräten zu arbeiten.

"Es darf nicht ständig alles blinken"

Backstage PRO: Was ist dein Ziel als Lichtspieler?

Bertil: Die Musik zu unterstützen. Viele vergessen manchmal, wofür sie da sind. Das, was man beleuchtet, sollte man auf eine andere Ebene bringen. Man darf es nicht überladen, es darf nicht ständig alles blinken. Wenn man dann z.B. mit einem klassischen Ensemble arbeitet, kommt man wieder zurück zur Basis. Feine, wenige Dinge tun, um den einen, großen Ausbruch des Orchesters auch mitzubekommen. Das ist sehr emotional. Aber was ich genau möchte, kann ich nicht sagen. Das funktioniert nur im Zusammenspiel. Ich versuche meine Palette so zu gestalten, dass ich mitfließe.

Backstage PRO: Was sind deine Aufgaben?

Bertil: Es gibt da unterschiedliche Bereiche: ich arbeite einerseits als Licht –und Produktions-Designer, da erschaffe ich Inhalte und die ganze Bühne und, andererseits als Lighting Director. So beispielsweise bei Rammstein, da setzen wir die langjährig entwickelte Show der Band mit ihren Production Designern live um und reagieren auf Änderungen und Wünsche. Wir führen die Show Tag für Tag weiter. Egal mit welchen Künstlern ich arbeite: es gibt immer ein Grundgefühl, das es umzusetzen bedarf. Mittlerweile ist es aber schon so, dass meine Ideen auf die Musik sehr erwünscht sind und ich sehr freie Hand in der Umsetzung habe. Eine schöne Teamwork-Arbeit.

"Ich bin das Jazz-Instrument, das den Rest begleitet."

Backstage PRO: Bist du schon vorab kreativ tätig?

Bertil: Ich habe natürlich Konzeptionen, die ich zu adaptieren versuche. Ich habe Content-Designer, die Inhalte für mich gestalten und programmieren. Bei Sunbeam Productions arbeite ich eng mit dem Projektionskünstler Philip Geist zusammen. Ich selbst komme von der Fotografie, binde also real footage mit ein. Man probiert am Tag sehr viel und bereitet meist viel mehr vor, als man einsetzt. Das gehört dazu, wenn man den Raum kennenlernt.

Oft sind die schönsten Sachen am Tag die Dinge, die schieflaufen. Die Lampe geht irgendwohin, und dann entdeckt man eine Reflektion. So etwas kultiviert man. Das sind die schönsten Momente am kreativen Schaffen. Ich bin quasi das Jazz-Instrument, das den Rest begleitet.

Backstage PRO: Ein Orchester wie das Baltic Sea Philharmonic fällt schon heraus aus deinem üblichen Portfolio zwischen The Notwist und Rammstein.

Bertil: Sicher. Ich bin eingeladen worden und bringe die Popkultur in diese Welt mit hinein. Das ist gewollt. Es gibt aber viele Faktoren, die man bedenken muss. Ich war lange Jahre mit der Jazzsängerin Melody Gardot unterwegs, da war es ähnlich. Beim Publikum geht es los, die sind es gar nicht gewohnt, ein Teil des Raums zu sein und auch einmal geblendet zu werden. Da gibt es Auseinandersetzungen, gerade mit dem älteren Publikum.

Es ist schon der Wahnsinn, mit dem Orchester in diesen traditionellen, konservativen Konzerthäusern dieser Welt zu sein. Diese Orte, die man erst in die heutige Welt bringen muss, sind mir weniger vertraut als industrielle Venues wie das Kraftwerk Peenemünde.

Backstage PRO: Wie ist die Zusammenarbeit mit klassischen Konzertsälen?

Bertil: Es ist klassischen Häusern oftmals total fremd, dass ein Orchester seine eigene Produktion mitbringt, Stromanforderungen hat, Aufbauhelfer benötigt. Da gibt es großen Widerstand, die verstehen es oft erst nach dem Konzert. Das ist ein positiver Kampf, den ich da mit Sunbeam Productions begonnen habe. Dirigent Kristjan Järvi möchte Klassik auch visuell aufbereiten, emotionaler gestalten und jüngere Zuhörer dafür gewinnen. Das ist eine total trippige-sphärische Show. Hell erleuchtete, cleane Säle passen da nicht.

Backstage PRO: Die Elbphilharmonie in Hamburg ist noch immer in aller Munde. Wie ist es bei denen?

Bertil: Ein sehr beeindruckender Raum. Aber für das, was wir machen wollen, ist das eigentlich zu starr. Die machen gute Arbeit. Aber die veranstalten so viele Konzerte, dass sie kaum Möglichkeiten haben, auf individuelle Bedürfnisse einzugehen.

Backstage PRO: Wie kommen Künstler aus der Klassik mit deiner Arbeit zurecht?

Bertil: Für viele Orchester-Musiker ist das eine totale Überforderung. Einige finden es großartig, andere sind nur geblendet und versuchen, ihren Weg zu finden. Das macht schon Spaß, das zusammenzubringen. Auf dem letzten Tourblock hatte ich ein Lichtbild mit Gobos, die Projektion kleiner Texturen, die sich schnell drehen. Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht, dass die weißen Punkte auf den Notenblättern es den Musikern unmöglich machen, die Noten zu lesen.(lacht) Kristjan Järvi dagegen fand es super, im Lichtkegel zu stehen. Für die klassische Welt ist meine Arbeit schon total pompös, dabei habe ich hier ein minimales Licht-Setup. Kein Vergleich mit Rammstein.

Backstage PRO: Bei denen ist alles komplett durchgetaktet, oder?

Bertil: Rammstein machen ja Musiktheater. Da ist auch Raum für Improvisationen, wir sind schon frei, aber die lieben es, so etwas wie ein Lichtmetronom zu haben, auf das sie sich setzen können. Die spüren das, wie diese Beams einschlagen.

"Im besten Fall wird Musik und Licht ein großes emotionales Ganzes"

Backstage PRO: Bekommst du eigentlich Anerkennung für deine Arbeit?

Bertil: Im besten Fall wird nach Konzerten der Sound oder das Licht gar nicht erwähnt. Es kommt nur zur Sprache, wenn es unpassend war. Oder wenn die Band nicht so gut war, und dafür das Drumherum krass. Im besten Fall wird es ein großes emotionales Ganzes. Ich bekomme eigentlich gar nichts mit vom Gig. Wir hatten mit dem Orchester gerade ein Konzert in Berlin, dass gleichzeitig von ARTE gestreamt wurde. Da musste ich dann auch die Monitore im Blick haben, damit es auf den Kameras gut aussah.

Backstage PRO: Das Live-Business hat sich sehr verändert, seitdem du angefangen hast.

Bertil: Wir haben so viele Festivals mittlerweile in Europa, der Markt ist total gesättigt. Der Zuschauer wird permanent überfordert, da haben sich die Sehgewohnheiten auch verändert. Man geht selbstverständlich davon aus, dass eine Band eine große Videoleinwand dabei hat und dieses Level an Entertainment bedient. In unserem Kulturkreis haben wir aber, im Verhältnis zu den international tourenden Größen, sehr überschaubare Mittel. Wahrscheinlich sind unsere großen Shows für die minimalistisch. Wir reden hier von Künstlern, die Maßstäbe gesetzt haben und noch immer setzen. Zum Beispiel U2, Nine Inch Nails, Massive Attack, Robbie Williams, Woodkid, Rammstein, Radiohead , Ed Sheeran. Da sind schon großartige Installationen dabei.

Backstage PRO: Wie ist es eigentlich backstage mit Rammstein?

Bertil: Rammstein wollen sich nach dem Konzert vor allem entspannen. Sie sorgen für gute Vibes, lassen Freunde auflegen und laden Leute dazu, die sie tagsüber kennengelernt haben.

Backstage PRO: Danke dir für deine Zeit und weiterhin viel Erfolg, Bertil!

Video von Stefan Stark über Bertil Mark

ABOUT MY WORK from bertil mark on Vimeo.

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