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Bye bye, Music Library

Verschmähtes Geschenk von U2: Marketing-Fehlschlag deckt gewandeltes Konsumverhalten auf

News von Markus Biedermann
veröffentlicht am 16.09.2014

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Verschmähtes Geschenk von U2: Marketing-Fehlschlag deckt gewandeltes Konsumverhalten auf

Musik gibt's heute stets und überall, da will man sich nicht zwangsbeschenken lassen. © Warren Goldswain / Quelle: 123RF

Apples und U2s gemeinsame Aktion, das neue Album der irischen Band ungefragt, aber für lau auf die Rechner und Handys der User zu pushen, sorgte für mächtig Kritik. Dieses harsche Feeedback der Hörer ist ein guter Anlass, um den Status Quo des Business zu reflektieren: Welche Erkenntnisse ergeben sich für Musikschaffende?

Es kommt vor, dass man entsetzt erschreckt, weil man zum Geburtstag mal wieder nur hässliche Socken bekommt. Meistens macht man gute Mine zum bösen Spiel. Anders jene iTunes-Nutzer, die seit Tagen auf die Barrikaden gingen, weil Apple das neue Album von U2 in der Cloud abgelegt hat – wohlgemerkt in der persönlichen Cloud jedes Nutzers, was in der Tat einige Fragen darüber aufwirft, ob solch ein invasives Vorgehen überhaupt legitim ist.

(K)eine originelle Geschenkidee

(K)eine originelle Geschenkidee?!

(K)eine originelle Geschenkidee?!

Doch neben all der berechtigten Kritik: Dass man als schenkendes Unternehmen so sehr unter Druck gerät, nur eine Woche später schon ein Tool zur Verfügung stellen zu müssen, das "Songs of Innocence" wieder wegfegt, damit hat man in Cupertino wohl nicht gerechnet.

Auch ich habe damit nicht gerechnet. Um die Empörung nachvollziehen zu können, musste ich in iTunes' Einstellungen sogar zuerst anhaken, dass mir Titel, die über die Cloud verfügbar sind, in der Library überhaupt angezeigt werden. Denn ich zähle noch zu jenen iTunes-Nutzern, die ihre Musik-Bibliothek zu großen Teilen selbst gerippt haben. 150GB umfasst der Spaß, ist aber letzten Endes nur ein Teil der verfügbaren Musik im Haushalt. Ein paar Kilo Vinyl und Silberlinge fliegen auch noch herum.

Dieses Vorgehen und diese Denke stammen aus einer Zeit, die sich heute altertümlich anfühlt: Außer der gemafreien Fahrstuhlmusik im Kaufhaus war Musik kaum frei verfügbar, geschweige denn der Wunschtrack per Einfach-Klick aus einer "Cloud" abrufbar. Also baute man sich seine eigene Sammlung auf, um die Freiheit zu genießen, jederzeit auflegen zu können wonach der Sinn gerade steht.

Musik als Datenbalast

Entwicklung der iTunes Download Verkäufe

Entwicklung der iTunes Download Verkäufe, © Credit: Nielsen Soundscan

Heute schlägt man dem Formatradio viel leichter ein Schnippchen: Musik ist allgegenwärtig geworden. Selbst der iTunes Music Store erscheint nach nur einem Jahrzehnt der Existenz schon wie ein Dinosaurier.

9,99€ zahlen, auf den beendeten Download warten und ein Album, dass ich vielleicht zwei, drei oder viermal hören werde, dauerhaft als Datenbalast mit mir rumschleppen, wo ich gehe und stehe? Wozu? "Ich habe nicht mal genug Speicherplatz für ein Foto, wie kommt Apple darauf, dass ich das U2-Album brauche?", wird ein Nutzer bei Spon zitiert.

Anders gefragt: Warum sollte man sich über das Zwangsgeschenk von Tim und Bono freuen, wenn ich diese Titel in Kürze sowieso auch beim Streaminganbieter meiner Wahl durchzappen kann? Das Qualitätsargument zieht dabei längst nicht mehr: Verlustfreies Streaming ist für den HiFi-Hörer verfügbar.

Musik wird durch die Entwicklungen im digitalen Zeitalter als stets verfügbares Gut empfunden. Damit verliert sie allerdings auch etwas von der magischen Aura, die sie als Geschenk qualifizieren würde. Weniger geliebt wird sie dadurch glücklicherweise nicht. Aber aus der Sicht der Musikschaffenden ergeben sich durch den wachsenden Streaming-Anteil am Musikkonsum einige wirtschaftlich sehr relevante Fragen.

Streaming kannibalisiert Downloadgeschäft

Diese Chart aus dem IMS Business Report 2014 zeigt das Beispiel

Diese Chart aus dem IMS Business Report 2014 zeigt das Beispiel "Wake Up" von Avicii, © Credit: Kevin Watson

Die diesbezüglichen Fakten liegen vergleichsweise klar auf dem Tisch. Jüngere Marktforschungsstudien wie u.a. von Nielsen Soundscan weisen nach, wie sehr das Downloadgeschäft auf dem absteigenden Ast ist, während die Zahl der Streaming-Kunden stetig steigt.

Das Problem, dass die Einnahmen, die durch das Streaming erzielt werden, allerdings längst nicht auffangen, was durch fehlende Download-Zahlen eben nicht mehr erwirtschaftet wird, wird bereits seit längerem immer wieder eindringlich beschrieben und diskutiert.

Hierzu ein neueres Beispiel: Anfang des Jahres untersuchte Kevin Watson die Zahlen des meistgestreamten Tracks auf Spotify, zu dieser Zeit war dies "Wake me Up" von Avicii. Trotz der beeindruckenden Zahl von 200 Millionen Streams erzielte der Song dreimal soviel Einnahmen durch das Downloadgeschäft bei iTunes (PDF dieser Präsentation).

Untersuchungsergebnisse von MiDiA Research legen darüber hinaus nahe, dass heute ca. 30% aller Musikhörer Streamingangebote nutzen, ein Fünftel davon auch einen kostenpflichtigen Premium-Account. Ein knappes Viertel aller Streaming-Nutzer habe vormals mehr als ein Album pro Monat gekauft, tue dies nun aber nicht mehr.

Kaum schien der Schock über illegales P2P-Musiksharing ausgestanden und eine gangbare Zukunft an die Wand gemalt zu sein, da steht das Musikbusiness also vor dem nächsten großen Schreck:

Ersetzte man bisher den klassischen physischen Musikverkauf durch ein digitales Einkaufserlebnis, geht es den Konsumenten mittlerweile gar nicht mehr um Kauf und Besitz als solches. Bezahlt wird maximal eine Pauschale für die Dienstleistung, Musik in einer Cloud ständig verfügbar zu machen – und zwar auf möglichst einfachem Wege für den Nutzer.

Filesharing wird überflüssig

Den Wandel mit Berichten illustriert

Den Wandel mit Berichten illustriert, © Grafik von netzpolitik.org

Dass diese Entwicklung endgültig ein wahrhaft tiefgreifender Wandel ist, mehr als alle anderen Umwälzungen im Musikbusiness zuvor, liegt auf der Hand. Bereits 2012 beschrieben wir unter der Überschrift "Warum Streaming eine Chance und nicht das Hartz IV der Vergütungsmodelle ist", dass die ganz großen Sprünge erst noch kommen werden.

Man kann die Relevanz mit einem Gedankenexperiment belegen, das auch die humorvoll gemeinte Grafik eines aktuellen Beitrags von netzpolitik.org auf Facebook durchaus auf den Punkt bringt: Es wäre jedem einigermaßen versierten Computernutzer ein leichtes, Streaming Audio oder Video verlustfrei aufzuzeichnen, also lokal zu speichern und später in Raubkopierer-Manier zu verbreiten. Doch der Bedarf an dieser Art des jahrelang bekämpften "Home Taping is killing music"-Filesharing sinkt auf Seite der User – langsam aber stetig. Tauschbörsen sind nicht mehr das Schreckgespenst, sondern befinden sich auf demselben absteigenden Ast wie das Download-Geschäft.

Warum auch sollte man sich der Arbeit und noch dazu einem illegalen Vorgehen aussetzen, wenn quasi sowieso jederzeit alles zu haben ist?

Bedarf trifft Angebot

WiMP HiFi verspricht

WiMP HiFi verspricht "Soundqualität exakt der einer CD.", © Quelle: WiMP Presse

Somit ist Streaming wahrscheinlich jene Technik, weil sie den Bedarf der Nutzer mit dem Angebot des Musikbusiness am besten zusammenbringt, die symbolhaft das Erwachsenwerden der Digitalen Welt zu beschreiben vermag: Das Web entwickelt ureigene Geschäftsmodelle, die sich mehr und mehr vom Althergebrachten lösen. Dabei ist der ganz Bereich der Musik ja auch nur ein einzelner Aspekt – ebenfalls kontrovers diskutierte Dienste wie derzeit Uber im Taxi- und Fahrdienstbereich als Teil einer wachsenden "Sharing Economy" zeichnen all dies ebenfalls sehr ähnlich nach.

Schlagzeilen wie "Hörer wollen U2s Musik nichtmal geschenkt" bringen für den interessierten Konsumenten daher auch nur kurz und amüsant auf den Punkt, was sich in der Gegenwart am einzelnen hochprominenten Fall feststellen lässt. Für Musikschaffende bleiben im Kern aber ganz klassische Frage auf dem Zettel stehen: Wie kommt meine Musik an die Menschen und wie erwirtschafte ich mir mit meiner Kunst ein ausreichendes Einkommen? Die Antworten darauf werden ebenso ganz neue wie auch einige der alten im neuen Gewand sein.

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