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Konzerte auf dem Holodeck

Virtual Reality: Beginnt die Zukunft der Livemusik schon heute?

Spezial/Schwerpunkt von Josef M. Erl
veröffentlicht am 30.03.2021

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Virtual Reality: Beginnt die Zukunft der Livemusik schon heute?

© JESHOOTS.COM via Unsplash

Virtuelle Realität ist eine Chance für Musiker und Veranstalter, doch ist die Technologie für viele immer noch schwer greifbar. Was zeichnet also die virtuelle Realität aus? Wie können wir VR erleben und welche Plattformen eigenen sich für digitale Veranstaltungen?

Virtual Reality ist eine unglaubliche Erfahrung. Wer sich zum ersten Mal eine VR-Brille auf den Kopf setzt, staunt in der Regel nicht schlecht: Der Blick durch die Linsen schickt den Nutzer in eine andere Welt, in eine künstlich erzeugte Realität oder eine Simulation der Wirklichkeit, wie der Duden sagt.

Diese Erfahrung wird oft mit dem Holodeck aus Star Trek verglichen. Allerdings sind wir noch weit von der totalen Immersion entfernt, wie sie Picard und Co erleben. Dennoch bietet VR schon heute Erlebnisse, wie sie kein anderes Medium schafft.

Was macht VR so besonders?

Immersion ist das wichtigste Stichwort, wenn es um die Einzigartigkeit der VR-Erfahrung geht. Der Begriff bezeichnet das Gefühl, in eine virtuelle Welt einzutauchen. Wer beim Serien gucken schon mal ins Binge-Watching verfallen ist oder in die Geschichte eines Buchs gesogen wurde, kennt das vielleicht: Die erschaffene Welt zieht uns in ihren Bann.

Immersion wird verstärkt, umso glaubhafter diese Welt ist und desto mehr sie den Nutzer einbindet. Die Rolle des Lesers oder des Fernsehzuschauers ist klar passiv. Videospiele lassen zwar ein aktives Eingreifen in das Geschehen zu, es bleibt allerdings noch immer der Blick von außen über den Monitor.

Virtual Reality hat hingegen die Fähigkeit, Menschen in eine neue Umgebung zu versetzen und sie mit ihr interagieren zu lassen. Eine VR-Anwendung kann also das Gefühl vermitteln, an einem anderen Ort zu sein und dort tatsächlich etwas zu erleben.

VR-Brillen – das Tor zur virtuellen Realität

Um in die virtuelle Realität eintauchen zu können, braucht man eine VR-Brille. Als VR in den 80ern und 90ern ihren ersten Boom erlebte, kosteten die Geräte noch hohe fünfstellige Beträge. Sie waren klobig; die Leistung durch die technische Limitierung der damaligen Zeit stark begrenzt.

Mitte der Neunziger war dann erst mal Schluss; VR versank in der Bedeutungslosigkeit. Das änderte sich 2016, als Sony, Oculus und HTC (in Kooperation mit dem Softwareunternehmen Valve) neue Geräte auf den Markt brachten, die deutlich kompakter und leistungsstärker waren als ihre Vorfahren.

Autark und leistungsstark

Grundlegend unterscheidet man heute in zwei verschiedene Arten von VR-Brillen: autarke und nicht autarke Geräte. Letztere sind meist leistungsstärker, haben höher auflösende Displays und können aufwendigere Inhalte wiedergeben.

Dazu müssen sie allerdings per Kabel an einen Rechner angeschlossen werden. Zudem müssen meist externe Tracking-Sensoren installiert werden, die Bewegungen des Trägers erfassen. Das Setup ist also aufwendig und nichts für Technik-Laien.

Highend-VR-Brillen sind zwar weit von den fünfstelligen Beträgen der 80er entfernt, Schnäppchen sind sie aber noch lange nicht. Im Verbund mit einem leistungsstarken PC ist mit einem Anschaffungspreis im Bereich zwischen zwei- bis dreitausend Euro zu rechnen.

Einsteiger-Tipps

Für Einsteiger mit Gaming-Bezug eignet sich derzeit vor allem Sonys VR-Brille PlayStationVR. Sie ist technisch zwar nicht mehr auf dem neuesten Stand, dafür schon für unter 300 Euro zu haben. Allerdings benötigt auch sie mit Sonys Gaming-Konsolen PlayStation 4 oder 5 externe Rechenunterstützung.

Die derzeit flexibelste und günstigste Lösung hat Facebook mit Oculus Quest 1 und 2 im Angebot. Diese autarken VR-Brillen bieten ein hervorragendes VR-Erlebnis und benötigen weder PC noch Konsole. Die nötige Technik ist komplett in der VR-Brille verbaut, der Anschluss an einen Rechner optional. Preislich beginnt sie derzeit bei etwa 350 Euro.

Um Oculus-Geräte in Betrieb nehmen zu können, wird jedoch ein Facebook-Konto vorausgesetzt. Dadurch ist eine schnelle und einfache Verknüpfung der virtuellen Realität und dem sozialen Netzwerk möglich.

Welche Rolle spielen Musik und Kultur in VR?

In erster Linie verbindet man Gaming mit VR. Doch die virtuelle Welt kann viel mehr. In Business, Industrie und sogar der Medizin findet VR vor allem in Trainingssituationen Anwendung: Unternehmen bilden Angestellte in virtuellen Übungsräumen fort oder schulen sie in Sachen Sicherheit. Es gibt etwa Simulationen, die Mitarbeiter einer Bohrinsel in eine Unfallsituation versetzen oder in denen Studierende chirurgische Eingriffe üben.

Für die Veranstaltungsbranche und Künstler könnte VR gerade jetzt eine interessante Option werden. Beispiele für gute Konzepte gibt es auch hier in Deutschland: Das Staatstheater Augsburg experimentierte bereits vor Ausbruch der Pandemie mit VR. Für die Opern-Aufführung "Orfeo ed Euridice" war geplant, das Live-Publikum mit insgesamt 500 VR-Brillen auszustatten.

In drei Sequenzen sollte der Zuschauer zusätzlich zum Spiel auf der Bühne in animierten 360-Grad-Videos die Reise in die Unterwelt aus der Sicht des Orpheus erleben. Kurz vor der Uraufführung kam es zu den ersten Ausgangsbeschränkungen und Versammlungsverboten.

VR in Zeiten von Corona

Die Corona-Pandemie führte dazu, dass das Staatstheater Augsburg kreativ wurde und eine eigene VR-Sparte gründete. Dort werden Aufführungen eigens für die Virtual Reality konzipiert und produziert. Für alle, die keine eigene VR-Brille besitzen, bietet das Staatstheater einen VR-Lieferservice. Interessierte können sich unter Einhaltung der Hygieneregeln eine VR-Leih-Brille samt installierter VR-Oper liefern lassen.

Der traditionsreiche Kölner Club Bootshaus verlegt seine Events während der Pandemie vollständig in die Virtual Reality. Dazu wurden Hauptraum und Außenbereich maßstabsgetreu in VR nachgebaut. Mit einer VR-Brille können Gäste den Club während der Veranstaltungen betreten und zur Musik bekannter DJs tanzen.Die virtuelle Umgebung wird um visuelle Reize des Künstlers Okuda San Miguel erweitert. Als technische Grundlage für das VR-Bootshaus dient die Eventplattform Sansar.

Welche Möglichkeiten bietet VR für Musiker und Veranstalter?

Künstler und Veranstalter, die in der Virtual Reality auftreten oder selbst VR-Erlebnisse erstellen möchten, haben verschiedene Möglichkeiten. Es gibt beispielsweise spezielle Event-Plattformen, die sich auf virtuelle Konzerte spezialisiert haben. Wave XR digitalisiert Live-Darbietungen bekannter Größen wie John Legend, The Weeknd oder Star-Geigerin Lindsey Stirling. Die aufwendig produzierten Videos bieten eine völlig neue Art, Konzerte zu erleben.

VR für eine sichere Zukunft?

Sony-Chef Kenichiro Yoshida sieht in VR-Livekonzerten eine große Chance für das Musik-Business. Dort würde man noch länger mit den Pandemie-Nachwirkungen zu kämpfen haben als beim Film. Deshalb experimentiere man bereits ausführlich mit Konzert-Streaming in VR.

Ende des Jahres veranstaltet Sony Music Entertainment ein VR-Livekonzert mit Pop-Sternchen Madison Beer. Dabei trägt die Sängerin einen VR-Anzug und performt in einem Sony-Aufnahmestudio. Ihre Bewegungen übertragen die Spezialisten in Echtzeit auf einen realistischen 3-D-Avatar. Besucher des VR-Konzerts finden sich in einer digitalen Rekonstruktion der New Yorker Sony Hall wieder, auf deren Bühne Beer in Form ihres VR-Avatars dann auftritt.

Für alle Künstlerinnen und Künstler: Social-VR

VR-Konzerte bleiben allerdings nicht nur für Künstler mit großem Label im Rücken reserviert. Es gibt wie im "normalen" Web auch in der VR verschiedenen Plattformen, über die Künstler Musik verbreiten oder virtuelle Performances zeigen können. Dazu eignen sich vor allem sogenannte Social-VR-Apps.

Auf der bereits angesprochenen Social-3-D-Plattform Sansar lassen sich schon mit wenig Aufwand virtuelle Welten und Locations für das eigene Event erstellen. Von Open Mic Nights bis Dance-Events oder ganzen Konzertabenden ist vieles möglich. Für auftretende Künstler besonders interessant: Sansar bietet die Möglichkeit, virtuelle Merchandise-Stände in die Locations zu integrieren.

Altspace für Events und Networking

Auch Microsoft stellt eine eigene Social-Plattform für digitale Events zur Verfügung. Altspace VR bietet virtuelle Umgebungen für Veranstaltungen aller Art an. Beide Plattformen sind sowohl in VR als auch über PC, Smartphone oder Tablet erreichbar. Das erleichtert den Zugang und steigert die potenzielle Reichweite.

Altspace VR eignet sich zudem hervorragend für Networking. In regelmäßigen Meetups treffen sich Musiker, Veranstalter, Produzenten und jeder, der sich sonst noch in der Musikbranche bewegt, zum Austausch. Open Mic Nights gibt es ebenso wie spezielle Konzertabende und große VR-Veranstaltungen.

2020 fand hier beispielsweise die VR-Version des Burning Man-Festivals statt. Das Gelände wurde digital nachgebaut und bot verschiedene Areas für Künstler und Musiker. Neben Konzerten gab es auch Workshops, Vorträge und Diskussionsrunden zu besuchen.

YouTube zum Einstieg in die virtuelle Welt

Um seine Konzerte in die virtuelle Welt zu bringen, dürfte der leichteste Einstieg die allseits bekannte Video-Plattform YouTube sein. Unzählige Musiker veröffentlichen hier ohnehin schon verschiedenes Material vom Streaming-Konzert über intime Akustik-Sessions.

Was viele nicht wissen: Die Plattform tummelt sich auch in der Virtual Reality. VR-Nutzer können YouTube über eine entsprechende App direkt in der VR-Brille besuchen. Neben VR-Inhalten können dort auch normale Video-Inhalte konsumiert werden.

Wer bereits über das nötige Know-how in Sachen 360-Grad-Videos verfügt, kann VR-Nutzern allerdings ein besonders immersives Erlebnis ermöglichen, wie der YouTube-Channel The VR Sessions immer wieder zeigt. Im virtuellen Raum haben Fans die Möglichkeit, mit den Künstlern auf der Bühne zu stehen oder während einer Unplugged-Session direkt neben ihnen zu sitzen.

Locations

Theater

Theater Augsburg

Provinostraße 52, 86153 Augsburg

Bootshaus

Bootshaus

Auenweg 173, 51063 Köln

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