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"Von den Jobs ist so gut wie nichts mehr übrig"

Aussitzen oder aufgeben? Zwei Live-Tontechniker in der Corona-Pandemie

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 20.10.2020

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Aussitzen oder aufgeben? Zwei Live-Tontechniker in der Corona-Pandemie

Vor der Coronakrise: Malle Beßler hinter dem Mischpult bei einem Auftritt von Die höchste Eisenbahn beim Appletree Garden Festival. © Jan Peters

Seit Monaten liegt die Veranstaltungswirtschaft am Boden. Wie erleben das die Betroffenen? Wir sprachen mit den Live-Tontechnikern Malle Beßler und Dennis Metz über die finanziellen Folgen, Berharrungswillen und Gedanken an einen Berufswechsel.

Eigentlich stand Malle Beßler ein arbeitsreiches Jahr bevor. Der wichtigste Kunde des in Mannheim ansässigen Live-Tontechnikers sind AnnenMayKantereit, für deren Monitor-Sound er verantwortlich ist.

Mit der Kölner Band befand sich der seit 12 Jahren selbstständige Veranstaltungstechniker auf Tour, als die Coronakrise den Veranstaltungssektor zum Stillstand brachte. Dabei hatte er zunächst noch Glück im Unglück: Nur fünf Konzerte der AnnenMayKantereit-Tour fielen aus, der Rest fand planmäßig statt. 

Leere Terminkalender

Nach der Absage des am 10. März geplanten Konzerts in Freiburg war Beßlers Terminkalender erst einmal leer – und blieb es auch. Ersatzlos abgesagt wurden neben den im Sommer geplanten Festivalauftritten von AnnenMayKantereit, bei denen er als exklusiver Techniker der Band vorgesehen war, auch alle anderen Aufträge.

Ähnliches erlebte der in Berlin ansässige Live-Tontechniker Dennis Metz. Zu seinen wichtigsten Kunden zählen MIA., Anna Loos und Lena Meyer-Landrut. Mit MIA. wäre Metz als FOH-Techniker im Frühjahr und Herbst 2020 durch Deutschland getourt und für die inzwischen auf 2022 verschobene Tour von Lena war er als Monitor-Techniker eingeplant. Da auch Anna Loos einige Konzerte und Festivals geplant hatte, "wäre es nicht langweilig geworden", so Metz. 

Die Coronakrise traf beide unvorbereitet. "Von allen Jobs, die Anfang des Jahres im Kalender standen, ist quasi nichts mehr übrig", berichtet Metz. Seine Umsatzeinbußen belaufen sich auf über 85%. 

Während Metz noch das ein oder andere pandemiegerechte Konzert betreuen konnte, hatte Beßler in den folgenden sieben Monaten ganze drei Aufträge. Beßlers Trost war sein privates Glück: Er konnte dadurch sehr viel Zeit mit seiner im Dezember 2019 geborenen Tochter verbringen.

Zwischen Hilfen und Ersparnissen

"Es hat relativ lange gedauert, bis ich die Tragweite realisiert habe", erklärt Beßler. Er beantragte und erhielt die Corona-Soforthilfe, so dass sich seine finanzielle Situation kurzfristig entspannte. Beßler hoffte auf eine kurze Krise, aber schließlich ging die Soforthilfe zur Neige und war er gezwungen, immer stärker auf seine Ersparnisse zurückgreifen. 

Dennis Metz zögerte hingegen mit der Beantragung der Corona-Soforthilfe und ging daher leer aus. Er stellte fest, dass die Überbrückungshilfen dem Solo-Selbstständigen nichts nützen, da er nur geringe Betriebskosten hat. Nur für diese darf er aber die Überbrückungshilfen verwenden – ein Konstruktionsfehler, der verhindert, dass viele Akteure in der stark betroffenen Veranstaltungswirtschaft überhaupt nennenswerte staatliche Hilfen erhalten.

"Ich habe keine Kredite, kein Büro und keinen Firmenwagen – und selbst wenn ich sie hätte, spült mir das Geld ja noch kein Essen in den Kühlschrank" so Metz. Stattdessen lebt er im Augenblick hauptsächlich von seinen Ersparnissen.

Unternehmerlohn und Grundsicherung

Beßler hat im Vergleich noch Glück. Er beantragte Überbrückungshilfen, da er als Einwohner von Baden-Württemberg in der Lage ist, einen Unternehmerlohn von 1.180 Euro auf die Überbrückungshilfe anzurechnen. Wenn er in einem anderen Bundesland wohnen würde, hätte er wie so viele seiner Kollegen Grundsicherung (oft "Hartz-IV" genannt) beantragen müssen. Diesen Unternehmerlohn gibt es aber aktuell nur in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen.

Ein solcher Antrag wäre aber mit weiteren Problemen verbunden gewesen. Da Beßler mit seiner Freundin und seiner Tochter in einer "Bedarfsgemeinschaft" lebt, hätte er nach Berechnungen der zuständigen Stellen nur einen verschwindend geringen Betrag als Grundsicherung erhalten. 

Dennis Metz hat ebenfalls nicht daran gedacht, Grundsicherung zu beantragen, weil sie nicht auf die Situation der Kulturschaffenden passe. Teilweise müssten Kollegen Jobs ablehnen, weil sie ansonsten kein Geld mehr erhielten. Daher hat Metz nicht vor, diesen Weg zu beschreiten: "Ich habe nicht den Eindruck, dass die Grundsicherung mir weiterhilft. Hilfen, die einen Unternehmerlohn einschließen, wären weitaus sinnvoller und zielgerichteter."

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie stellt Metz keineswegs in Frage, aber er wirft die Frage auf, ob die unverschuldet in Not geratenen Kulturschaffenden und Solo-Selbstständigen nicht auch Hilfe verdienen: "Ich wünsche mir Hilfen, die ich ruhigen Gewissens in Anspruch nehmen kann, ohne damit rechnen zu müssen, dass am Ende ein Großteil wieder zurück gefordert wird", erklärt er.

Ungleichheiten je nach Wohnort

Auch Beßler sieht die finanziellen Hilfen mit gemischten Gefühlen. Einerseits zeigt er sich dankbar für die Corona-Hilfen und besonders den Unternehmerlohn des Landes Baden-Württemberg, da er ansonsten seine gesamten Ersparnisse aufgebraucht hätte. 

Allerdings sei es eine Schande, dass es den Unternehmerlohn nur in wenigen Bundesländern gebe und seine Kollegen in anderen Ländern vor dem Nichts stünden. "Sicherlich kann man nicht alle erreichen, aber ich habe den Eindruck, dass die Bundesregierung nicht verstanden hat, wie Solo-Selbstständige funktionieren."

Gedanken und Pläne für einen Berufswechsel

Malle Beßler hofft auf eine Verbesserung seiner Lage und Aufträge im Verlauf der nächsten Monate, aber er ist sich auch bewusst, dass die Krise noch länger dauern kann. Da er aktuell keine Aufträge hat, hat er im Mai eine berufliche Weiterbildung zum Technischen Redakteur begonnen.

So sehr Dennis Metz seinen Job liebt, auch er denkt an einen Karrierewechsel in den IT-Bereich: "Mit Künstlern unterwegs zu sein und sich um den Sound kümmern zu dürfen, ist der beste Job der Welt. Nichts wäre mir lieber als eine Rückkehr zur Normalität. Aber wenn die Krise noch einige Monate andauert, welche Künstler gibt es dann noch? In welchen Clubs sollen sie auftreten? Wie wird die Resonanz der Zuschauer aussehen? Auf diese Fragen habe ich aktuell keine Antworten."

Metz befürchtet, dass sehr viele Kulturschaffende sich beruflich neu orientieren werden, weil sie ohne Veranstaltungen ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können. Teilweise sei das sogar schon geschehen: Kollegen seien inzwischen als Dachdecker, Straßenarbeiter oder Altenpfleger tätig. 

Mehr Organisation der Kulturschaffenden

Beßler und Metz betrachten die Krise als Gelegenheit, eine bessere Organisation der im Kulturbetrieb tätigen Selbstständigen herbeizuführen und ihre Bedeutung für das kulturelle Leben stärker zu betonen. 

Metz hebt insbesondere das Bündnis #AlarmstufeRot hervor, an deren Demonstrationen in Berlin er sich beteiligt hat. Im Vergleich zu anderen Branchen sieht er aber in Hinblick auf Organisation und Lobbyarbeit großen Nachholbedarf. 

Beßler betont, auch die Selbstständigen seien gefordert, auf eine bessere Bezahlung zu drängen, beispielsweise indem sie Tagessätze aufriefen, die eine Vorsorge für Krisenzeiten oder das Alter ermöglichen. Wenn die Coronakrise in dieser Hinsicht Fortschritte bringt, dann hat sie immerhin einen positiven Effekt gehabt.

Personen

Dennis Metz

Tontechniker FOH und Monitor aus Berlin

Malle Beßler

Tontechniker aus Mannheim

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