The Twiolins

The Twiolins © The Twiolins

Für ihren Crossover Composition Award suchen die Twiolins "Musik, die unter die Haut geht". Wir haben uns gefragt, was es damit auf sich hat und uns bei molligen Temperaturen von knapp 40 Grad mit dem Geigenduo getroffen. Welches Ziel die Geschwister Marie-Luise und Christoph Dingler verfolgen, war nach kurzer Zeit klar: das Publikum zu begeistern.

Beim Finale des Crossover Composition Award am 25. September im Anna-Reiss-Saal der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim werden die Preisträger deswegen auch per Publikumsentscheid gewählt. Es geht dabei um Emotionalität, um Musik, die Grenzen überschreitet und um neue Ideen, das Publikum in den klassischen Konzertraum zu integrieren.

regioactive.de: The Twiolins gibt es seit 2010, aber ihr habt bereits in eurer Jugend angefangen, zusammen Geige zu spielen. Für Geschwister eine ziemlich ungewöhnliche Idee. Wie kam es dazu?

Marie-Luise Dingler: Das kam durch "Jugend musiziert". Dort kann man solo mitmachen oder als Ensemble. Und als wir elf, zwölf Jahre alt waren, gab es die Kategorie "Streichensemble gleiches Instrument". Da haben wir dann in der Besetzung Violinduo mitgemacht.

Christoph Dingler: Während des Studiums haben wir bereits erste Auftritte selbst organisiert und Konzerte gespielt, was wir dann immer weiter ausgebaut haben.

regioactive.de: 2009 habt ihr dann den Crossover Composition Award ins Leben gerufen, der dieses Jahr zum dritten Mal stattfindet. In eurer Ausschreibung heißt es, ihr wollt das Repertoire an Werken für zwei Violinen erweitern. Welcher Gedanke steckt dahinter? Hattet ihr irgendwann nichts mehr zu spielen?

Christoph Dingler: Das ist ein bisschen schwierig zu beschreiben. Es gibt sehr viel Repertoire aus vergangenen Epochen, aber es sind keine großen Komponistennamen dabei – kein Mozart, Brahms oder Beethoven. Zum Teil zwar tolle Stücke, aber keine bekannten Namen, was aber für Konzertveranstalter oft sehr wichtig ist. Die Stücke aus den vergangenen Epochen sind höllisch schwer, aber das Publikum klatscht danach nur mäßig, weil der Effekt der Stücke unverhältnismäßig zur damit verbundenen Arbeit ist. Und die ganz moderne Musik hat sich in den Konzerten leider nicht bewährt. So kamen wir 2009 auf die Idee, einen Wettbewerb auszuschreiben und den Komponisten zu sagen, dass wir Stücke brauchen, die das Publikum begeistern.

Marie-Luise Dingler: Es war alles ein bisschen intuitiv, sowohl die Idee als auch die Durchführung. Wenn man in einer Ausschreibung Werke fordert, die den Leuten gefallen, kann am Ende alles und nichts herauskommen. Es hätte auch schief gehen können.

regioactive.de:  Es ist aber offensichtlich nicht schief gegangen.

Marie-Luise Dingler: Nein, wir haben damit offensichtlich einen Nerv getroffen und am Ende tolle Stücke erhalten. Beim ersten Wettbewerb hatten wir etwa 90 Einsendungen. Dieses Jahr waren es bereits mehr als 350.

regioactive.de: War den Komponisten bei eurer ersten Ausschreibung direkt klar, welche Art von Musik ihr sucht?

Christoph Dingler: Unser Motto lautet "Schreib den Superhit". Das ist natürlich ein wenig plakativ.

Marie-Luise Dingler: Wir haben uns damit schon bewusst an Herrn Bohlen und die Castingshows angelehnt. In der Klassik gibt es solche Formate nämlich nicht und wir wollten da einfach mal ein bisschen kitzeln. Die Gewinner haben einfach intuitiv das Richtige geschrieben. Natürlich gab es auch Komponisten, die das gerade nicht erfüllt haben.

regioactive.de: Waren die zu zeitgenössisch, zu avantgardistisch für eure Kriterien?

Christoph Dingler: Zum Teil lag es einfach an den Formalien. Die Stücke waren zu lang oder für die falsche Besetzung. Wir spielen alle Stücke, die eingereicht werden durch, auch die ganz modernen, die keineswegs ausgeschlossen sind. Letztes Mal hat sogar ein zeitgenössisches Werk, das Sonnet Nr. 5, einen Preis gewonnen. "Neue Musik" nennt man das, wenn experimentelle Spieltechniken verwendet werden und die Stücke atonal sind. Solche Werke können bei uns auch gewinnen, solange die Komponisten das Publikum im Hinterkopf behalten.

regioactive.de: Werden bei euch denn andere Kompositionen eingereicht als bei anderen Wettbewerben?

Marie-Luise Dingler: Der Komponist muss sich einfach überlegen, dass im Publikum Leute sitzen, die gerne klassische Musik hören, aber auch ganz viele, die wenig Erfahrung mit Klassik haben. Das sind andere Hörgewohnheiten. Es ist schwierig, das in Worte zu fassen.

Christoph Dingler: Ich denke ein Komponist schreibt anders, wenn er für eine Fachjury komponiert. Bei uns werden die Stücke aufgeführt und entweder es gefällt dem Zuhörer oder nicht. Da spielt Subjektivität eine ganz andere Rolle, als nach irgendwelchen Regeln zu schauen.

Marie-Luise Dingler: Ein Musikprofessor schaut natürlich nach vielen Formalitäten, die ein Musiklaie überhaupt nicht kennt und nicht beurteilen kann. Der entscheidet danach, ob ihm etwas gefällt oder nicht. Uns geht es um diese pure Emotionalität. Werde ich von der Musik verführt? Packt sie mich oder nicht? Und für die Komponisten ist das viel spannender. Die sind alle beim Finale anwesend und erleben die Reaktionen der Zuschauer live mit.

regioactive.de: Im Grunde geht es also darum, beim Komponieren die Zielgruppe nicht aus den Augen zu verlieren. Aber nach welchen Kriterien wählt ihr die Stücke für das Finale aus?

Christoph Dingler: Wir beide machen eine ganz grobe Vorsortierung nach formalen Kriterien. Das ist aber nur ein kleiner Prozentsatz. Anschließend sortieren wir nach Musikalität, also was unserem Kriterium der Publikumsnähe entspricht.

Marie-Luise Dingler: Man kann dann ganz grob sortieren, ob ein Stück das Publikum begeistern wird oder nicht. Am Ende bleiben vielleicht ungefähr zwölf Stücke übrig.

Christoph Dingler: Nein, es waren mehr, es waren 20 letztes Mal.

Marie-Luise Dingler: So viele? Na gut, also zwölf bis zwanzig Stücke, bei denen wir das Potenzial sehen, dass das Stück in die Endrunde kommen kann. Und dann treffen wir uns mit einer professionellen Jury und zeigen denen die Stücke, beraten uns, jeder vergibt Punkte bis wir am Ende zu einem Mehrheitsbeschluss kommen.

regioactive.de: Stellt ihr die Jury zusammen?

Marie-Luise Dingler: Wir fragen gezielt Leute an, die einen geeigneten Background haben. Christoph Poppen beispielsweise ist Geigenprofessor und Dirigent und hat dadurch natürlich einen schnellen Zugang zu den Noten. Oder Aleksey Igudesman, ist selbst Geiger und hat schon ganz viele Stücke für Geigenduos komponiert hat. Das macht natürlich Sinn, so jemanden zu fragen. Der Gewinner des vergangenen Wettbewerbs darf auch immer mitentscheiden.

regioactive.de: Welche Preise erwarten den Gewinner?

Marie-Luise Dingler: Der erste Preis ist dieses Jahr erstmals von 3000 auf 5000 Euro gestiegen. Und dann geht es gestaffelt weiter bis zum sechsten Platz. Letztendlich ist aber egal, wer gewinnt, da sich alle sechs Stücke bereits gegen die anderen Einsendungen durchgesetzt haben.

Christoph Dingler: Die Stücke werden auch bei einem Verlag international verlegt und wir nehmen eine CD mit ihnen auf. Das ist fast noch mehr wert als das Preisgeld. Viele Komponisten haben schon gesagt, wie großartig sie diesen Wettbewerb finden. Normalerweise wird ein Stück für einen Wettbewerb komponiert, vielleicht einmal aufgeführt und verstaubt anschließend im Archiv. Wir haben die Absicht, die Stücke auch in unserem normalen Konzertprogramm immer zu spielen.

regioactive.de: Auf eurer Homepage führt ihr dieses Repertoire unter dem Begriff "Progressive Klassik" auf. Habt ihr den Terminus erfunden?

Christoph Dingler: Ja, im Grunde schon. Ich habe versucht einen Begriff für diese Musik zu finden. In der Rockmusik gibt es so viele verschiedene Richtungen; bei der Klassik hingegen nur starre Bezeichnungen wie "zeitgenössisch" oder "modern". Das war mir ein bisschen wenig und so habe ich angefangen die Beschreibungen der Musikstile zu lesen und zu vergleichen. "Progressiv" fand ich am Ende sehr passend, weil der Begriff alle Stilrichtungen quasi erweitert. Und "Klassik", weil es komponierte Stücke sind, die für klassische Konzerte gedacht sind.

regioactive.de: Wie soll sich der Wettbewerb zukünftig entwickeln?

Christoph Dingler: Im Großen und Ganzen wollen wir an dem Konzept festhalten. Wir werden sicher auch in drei Jahren noch Stücke brauchen, die das Publikum begeistern.

Crossover Composition Award 2015 in Mannheim