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Komplexe Zusammenhänge

Musiker/innen haben leicht erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 14.03.2023

gesundheit depressionen berufswelt

Musiker/innen haben leicht erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen

Musiker haben ein leicht erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen. © Clam Lo via pexels.com

Der Zusammenhang zwischen Musikalität und psychischer Gesundheit ist komplex. Häufig wird angenommen, dass die Beschäftigung mit Musik positive Auswirkungen auf die geistige Gesundheit habe. Auf der anderen Seite legen verschiedene Studien nahe, dass Musiker/innen ein erhöhtes Risiko für Depressionen oder Angststörungen haben. Eine neue Studie hat jetzt die genetischen Hintergründe untersucht.

Die unter Mitwirkung von Forschenden des Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik (MPIEA) entstandene Studie basiert auf den Daten von 5648 schwedischen Zwillingen. Diese wurden sowohl in Hinblick auf kreative Leistungen, Engagement in den Bereichen Musik, Sport und Wissenschaft, als auch in Hinblick auf ihre psychische Gesundheit befragt. 

Es handelt sich übrigens um dieselbe Studiengruppe, die schon zur Untersuchung genetischer Einflüsse auf die Musikalität von Personen, herangezogen wurde.

Dazu wurden einerseits Selbstauskünfte, aber auch psychiatrische Diagnosen herangezogen, die auf landesweiten (schwedischen) Patientenregistern basieren. Die Forscher entwickelten auf dieser Basis "polygene Scores" (also polygenetische Werte) für Depressionen, bipolare Störungen, Schizophrenie, Neurotizismus, Sensibilität für Umweltstress, depressive Symptome und allgemeine Musikalität.

Erhöhte Wahrscheinlichkeit für Depressionen

Dabei stießen die Forscher auf folgenden Zusammenhang: Personen mit höheren polygenetischen Werten für Depressionen und bipolare Störungen spielten mit höherer Wahrscheinlichkeit Instrumente, übten häufiger und erreichten ein höheres künstlerisches Niveau. Eine höhere genetische Veranlagung für allgemeine Musikalität stand hingegen nur in einem schwachen Zusammenhang mit einem höheren Risiko für Depressionen.

Der polygenetische Wert wies sogar dann einen Zusammenhang zwischen dem Musizieren auf der einen und der Veranlagung für Depressionen und bipolaren Störungen auf der anderen Seite aus, wenn man Personen mit psychischen Erkrankungen aus der Analyse ausschloss. Auch der Zusammenhang zwischen allgemeiner Musikalität und Depressionen bestand fort, egal wie viel diese Personen musizierten.

Einfluss derselben Gene

Da der Studie die Daten von Zwillingen zugrunde lagen, die über vollständig oder weitgehend übereinstimmende Gene verfügen (je nachdem ob es sich um eineiige oder zweieiige Zwillinge handelt), schlossen die Forscher Umwelteinflüsse als Ursache aus. Es ist nach ihrer Ansicht also nicht so, dass Menschen den Beruf des Musikers wählen, um mehr zu musizieren und damit ihre psychischen Probleme in den Griff zu bekommen.  

Stattdessen interpretieren sie ihre Daten so, dass zumindest teilweise dieselben Gene die allgemeine Musikalität eines Menschen und seine Anfälligkeit für psychische Erkrankungen beeinflussen. Der Fachbegriff dafür lautet "horizontal pleiotropy". Der Einfluss genetischer Faktoren auf die geistige Gesundheit bzw. die Musikalität sei jeweils für sich wissenschaftlich belegt. 

Kein kausaler Zusammenhang

Forscherin Laura Wesseldijk vom MPIEA erklärt dazu: "Menschen machen also nicht Musik als Reaktion auf ihre psychischen Probleme oder andersherum. Vielmehr ist der Zusammenhang sowohl gemeinsamen genetischen Faktoren als auch Einflüssen des familiären Umfelds zuzuschreiben."

Es ließe sich aber nicht völlig ausschließen, dass nicht genetisch bedingte psychische Erkrankungen einen Einfluss auf musikalisches Engagement besäßen. 

Die Forschenden stellten aber keinen Kausalzusammenhang zwischen musikalischem Engagement und geistiger Gesundheit fest. Außerdem erklären sie, dass die positiven psychischen Auswirkungen des Musizierens von ihren Ergebnissen keinesfalls widerlegt würden.

Musiker sind anfälliger

Ein besonders interessanter Zusammenhang ergibt sich durch den Vergleich von künstlerisch tätigen Menschen mit Sportlern und Wissenschaftlern. 

Nur bei künstlerisch tätigen Menschen zeigte sich ein erhöhtes Risiko für Depressionen und Psychosen in Form eines erhöhten polygenetischen Wertes. Besonders ausgeprägt ist der Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und künstlerischen Leistungen bei Schriftstellern.

Stattdessen zeigten sowohl Wissenschaftler wie Sportler eine niedrigere genetische Anfälligkeit für Depressionen und andere psychische Erkrankungen.

Weitere Forschung nötig

Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass aufgrund der komplizierten Gesamtthematik weitere wissenschaftliche Untersuchungen nötig sind, um den Zusammenhang zwischen Musikalität und geistiger Gesundheit zu erforschen. Miriam Mosing vom MPIEA erklärt dazu:

"Der Zusammenhang zwischen Musikmachen und psychischer Gesundheit ist insgesamt also sehr komplex: Familiäre und genetische Faktoren können sowohl die Musikalität als auch die psychische Gesundheit beeinflussen. Darüber hinaus haben Musiker:innen offensichtlich im Durchschnitt ein leicht höheres genetisches Risiko für bestimmte psychische Erkrankungen".

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