Julian Casablancas
"Phrazes For The Young" (2009)

Julian Casablancas "Phrazes For The Young" (2009) © Sony Music

Gleich drei Soloprojekte gibt es in diesem Monat: Julian Casablancas und Hello=Fire sind erst kürzlich zu Einzelgängern geworden, Charlotte Heatherley dagegen kann schon mit ihrem dritten Soloalbum aufwarten. Ösis und Aussies sind in dieser Ausgabe auch vertreten, erstere gleich zu Beginn mit den Waxolutionists, gefolgt von Clara Luzia. Die australische Sparte wird hier von Deep Street Soul bedient, Irland wird durch Director vertreten. Eine wilde Mixtur an neuen Platten.

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Julian Casablancas — Phrazes For The Young | RCA Int./Sony Music

{image}Die Band The Strokes macht gerade eine lange Pause, doch ihr Sänger Julian Casablancas scheint sich selbst nicht ausruhen zu wollen. Stattdessen veröffentlicht der aus New York stammende Musiker mit Phrazes For The Young nun sein erstes Soloalbum und folgt damit in gewisser Weise den Ambitionen seines Bandkollegen Albert Hammond Jr., der schon seit längerer Zeit als Solokünstler aktiv ist. Zu bieten hat Julian Casablancas auf seiner Platte acht, jeweils um die fünf Minuten lange Songs, die dabei alle sehr fröhlich, gut gelaunt und mit einer ähnlich schwelgerischen Euphorie daherkommen, wie man dies auch von den Songs der Strokes kennt. Jedoch stellt man fest, dass vor allem die ersten drei Titel von dem wirbelnd-euphorischen Out Of The Blue (einer der Highlights) über Left & Right In The Dark und 11th Dimension viel mehr von 80er-Synthies durchzogen sind, als dies bei den Liedern der Strokes der Fall ist. Und angenommen, man würde die Songs mit dem Sound seiner Hauptband vergleichen, dann käme das raffinierte River Of Brakelights diesem wohl am nächsten. Dazu bietet Julian Casablancas mit 4 Chords Of The Apocalypse allen Hörern dann noch eine soulige Nummer an, während er im Country-Wild-Western-Walzer Ludlow St. schließlich mit einem gelungenen Banjo-Solo für Aufmerksamkeit sorgt. Insgesamt ist es jedoch vor allem die erste Hälfte des Albums, in der Julian Casablancas mit seiner verschlafen-träumerisch-nuschelnden Stimme mitreißen kann. Und so ist das Album insgesamt zwar gut, aber nicht besser oder schlechter, als ein gewöhnliches The Strokes Album.

Ganz nett ist übrigens auch die Gestaltung des Booklets. Hier wird jeder Song mit einer bestimmten Weisheit beschrieben. Denn wie schon der Albumtitel verrät, lautet das Motto des Longplayers: Phrazes For The Young!

Wertung: +++½ (Daniel Voigt)

 

Waxolutionists — We Paint Colors | Sunshine

{image}Fünf lange Jahre ist es her, seit das Wiener Waxolutionists-Trio zuletzt in Albumlänge von sich hören ließ. Farbenfroh melden sich die Ösis nun mit We Paint Colors zurück, denn die Produktionen von DJ Buzz, DJ Zuzee und Bionic Kid sind sehr verspielt und extrem facettenreich. So reicht der experimentierfreudige Sound von elektronisch bis verjazzt, ist aber dennoch von der Geschwindigkeit überwiegend im Downtempo gehalten. Bunt gemischt ist auch die Palette an Gästen, mit der die Waxos dick mit Untergrundrap auftragen. Erster in der langen Reihe ist das Soul-Rap Projekt Hygher Baby aus Stockholm. Mit harmonischen Rhymes setzt besonders Rapper Pure P ein Ausrufezeichen auf die smooth arrangierte Synthie-Komposition Flashlight. Westcoast Soulvibes gibt es anschließend mit Steel Remains und dem kalifornischen Rapper Blu. Selbst mit den zunehmend druckvolleren Boom-Bap Bässen, die Frank Nitty aus Detroit mit On!!! und die auf dem Albumeinzigen deutschsprachigen Vertreter Manuva, Flowin’ Immo und Roger (Blumentopf) mit Showbiz serviert bekommen, bleibt das musikalische Klima stets zurückgelehnt. Das reimende Trio Mystic, Dave Ghetto & Hezekiah darf mit den bouncend dahin fließenden Drums von Dance With Me und dem stampfig-auftreibendem Feet Don’t Fail Me gleich zweimal zu den Mikros greifen. Neben jeder Menge Skits und Scratches sind auf We Paint Colors selbstverständlich auch reine Instrumentaltracks vertreten. Direkt von der dunklen Seite des Mondes scheinen die Nachtschattengewächse den düsteren Basslauf von Eos eingefangen zu haben, mit dem sie hier eine Jazztrompete einhüllen. Am Ende fährt das Produzenten- und DJ-Team zusammen mit dem russischen Beatzaren DJ Vadim noch den Drum'n'Bass unterlaufenen Grime-Track Kill Kill Kill auf, der durch den abgedrehten französischen Rap von Big Red vollendet wird. Insgesamt liefern die Waxos eine unterhaltsame Stunde feinster Underground-Tunes ab.

Wertung: ++++ (Andreas Margara)

 

Hello=Fire — Hello=Fire | Schnitzel Records

{image}Er ist ein guter Freund von Brendan Benson, tourte als Frontmann lange Zeit mit den Waxwings, begleitete The Raconteurs und Queens Of The Stone Age als Keyboarder und Gitarrist und ist seit kurzem ebenfalls Gitarrist bei der von dem White-Stripes-Sänger Jack White gegründeten Band Dead Weathers. Unter dem Namen Hello=Fire veröffentlicht Dean Fertita nun auch noch sein gleichnamiges, erstes Soloalbum. Geprägt ist dieses von herumkreischenden und herumzischenden Gitarren, knackigen und knisternden Rocksounds und dem zwischen rauchigem, lässigem, wirbelndem, unbekümmertem und stöhnendem, ständig wechselnden Gesang Dean Fertitas. Dazu werden Tamburine im Song She's Mine In Sorrow eingesetzt, leise Akustikballadenklänge ertönen bei Nature Of Our Minds und mit Parallel erklingen schließlich auch mystische und sphärische Klänge. Dean Fertita ist hier ein rundum abwechslungsreiches Soloalbum gelungen. Man darf sich fragen, warum dieser Musiker in seiner Vielfalt erst jetzt zu Bekanntheit gelangt.

Wertung: ++++ (Daniel Voigt)

 

Charlotte Heatherley — New Worlds | Little Sister

{image}Charlotte Heatherley kennt man vor allem als ehemaliges Mitglied von Ash. Doch auch als Solokünstlerin ist sie erfolgreich und veröffentlichte in dieser Funktion vor wenigen Wochen schon ihr drittes Studioalbum New Worlds. Auf diesem Album spielt die Sängerin vor allem mit ihrer eigenen Stimme. Von berührend-seicht über betörend-verführerisch, seicht-bedächtig, rebellisch-aufmüpfig, verspielt-hysterisch und einfühlsam-zart erklingt ihr Gesang sehr wandlungsfähig. Ähnlich ergeht es den Songs, die von schnell-staksigen Rhythmen wie in New Worlds über rockigeren Melodien wie in Full Circle zu eher seicht-bedächtigen Harmonien wie in Cinnabar oder zu mit einem einprägsamen Refrain ausgestatteten Song wie Alexander wechseln. Charlotte Heatherley hat damit ein weiteres Mal bewiesen, dass sie auch als Solokünstlerin bestehen kann. Mit New Worlds ist ihr ein nettes und liebliches Album gelungen.

Wertung: +++½ (Daniel Voigt)

 

Clara Luzia — The Ground Below | Asinella Records

{image}2008 gewann sie den Amadeus Austrian Music Award, nun veröffentlicht die österreichische Songwriterin Clara Luzia ihr neues Studioalbum The Ground Below. Was sie dem Hörer auf dieser Platte bietet sind größtenteils seichte, melodische Folksongs, die von Clara Luzias zarter betörend-verführerischer Stimme unterlegt sind und entweder von einer Akustikgitarre oder von Klavierakkorden begleitet werden. Gelegentlich tauchen auch Cellos und Banjos auf und bilden mit Clara Luzias Stimme eine licht-melancholische Atmosphäre. Es klingt nach winterlicher Kaminfeuermusik, die man sich am besten vom heimischen Sessel unter Kerzenschein und einem guten Glas Wein im beheizten Wohnzimmer anhört. Musik, die Melancholie und Sentimentalitäten auslöst. Schade nur, dass die Songs aufgrund ihrer in immer gleicher Form aufgebauten Eintönigkeit dann auf die Dauer aber doch langweilt. Seichte Herzen wird das aber nicht stören.

Wertung: ++½ (Daniel Voigt)

 

Gliss — Devotion Implosion | Cordless/ADA/Warner

{image}Mit Devotion Implosion veröffentlicht die in Los Angeles beheimatete Krautrock-Garage-Shoegazer-Band Gliss ihr zweites Studioalbum. Es ist von einem unscharfen und verschwommenen Sound geprägt, in dem sich der oftmals verträumte, verschlafene und schwelgerische Gesang mit den rauen und psychedelischen Klängen der verzerrten und ineinander vertrackten Gitarrenmelodien verbindet und dort ein homogenes Ganzes aus Hall-, Gitarren- und Feedbackwänden bildet, die wiederum aus einer zerstörten Struktur neue sphärische Melodien kreieren. Dabei wirkt der Sound auf den Hörer meistens beschwörend-hypnotisch und lässt durch seine verschwommenen und vertrackten Strukturen sowie seine lang ausufernden, tragenden und mystischen Melodien Klangbilder und Erinnerungen neu auferstehen. Devotion Implosion ist ein Album, das vor allem eines ist: Kompliziert und vertrackt, aber dennoch auch eingängig und melodisch.

Wertung: ++++ (Daniel Voigt)

 

Director — I’ll Wait For Sound l Mercury

{image}Das Debütalbum We Thrive On Big Cities schaffte es in die irischen Charts und brachte Director in ihrer Heimat viel Anerkennung ein. Mit dem größtenteils live eingespielten I’ll Wait For Sound veröffentlicht die Band nun ihren zweiten Longplayer und präsentiert sich dort zwar mit solidem, melodischem Alternative-Rock, bedient sich in ihrem Sound dabei aber auch oftmals an der Musik von anderen Künstlern. So hätten pathetische und majestätische Teile einzelner Songs genauso gut auch von den Editors oder Muse stammen können. Und auch die Songstrukturen sind allesamt sehr ähnlich gestaltet. Mal wird die Musik vorangetrieben, mal wird es auf die leise Tour versucht, hier werden mal ein paar Klavierakkorde eingebracht, dort ertönen wieder Gitarrenakkorde. Einen eigenständigen Sound muss Director noch finden. Wenn sie das denn wollen. Zu wünschen wäre es ihnen.

Wertung: ++½ (Daniel Voigt)

 

Sumocide — Sumocide | Eigenvertrieb

{image}Nach drei Rap-Alben kehrt Mitchman unter alias Sumocide nun musikalisch dorthin zurück, womit bei ihm eigentlich alles begann: Indie und Alternative. Schon beim ersten Stück seines neuen Silberlings geht es deshalb rockig à la Such a Surge und Dog Eat Dog los. Die Texte sind zwar weiterhin auf deutsch und im rap-üblichem Versmaß gehalten, doch sorgt die gitarrenlastige Crossover-Soundkulisse mit hauseigener Band für deutlich mehr Druck. Sinnbildlich steht Ich bin gleich für das inhaltliche Konzept des Albums, denn Sumocide ist ein musikalischer Selbstfindungstrip. Existentielle Fragen, die Philosophie des Seins und schlichtweg Systemkritik bilden den anspruchsvollen Leitfaden von Songs wie Der Mensch, Grenzen und Zeitgeist. Auf ironische Weise und mit einer gesunden Prise Zynismus prangert Sumocide auf Lebensmotto zum Beispiel den Druck und die Gier in der Fleiß- und Leistungsgesellschaft an. Ähnlich wie die letzten Alben ist Sumocide ein sehr persönliches und nachdenkliches Werk, das fast ohne Features auskommt. Wie schon das aufwendig gestaltete schwarzweiß Artwork der CD andeutet, zeichnet der Interpret diesmal weitaus dunklere Bilder, die ernster und weniger humoristisch wirken. Bis auf das gefühlvolle Traumfrau sind die Tracks mindermelodiös und vielmehr geprägt von berstenden Klampfenriffs. Neben der tonangebenden Gitarre lebt der Sound von selbst eingespielten Drums, im Titelthema kommt sogar eine Geige zum Einsatz. Ein echtes Highlight hat Sumocide zum Schluss als Hidden Track nach Genug gesagt untergebracht: im Vergleich zu den vorigen Stücken gibt es hier inhaltsleichte Kost in Form einer Sauforgie. Wer Such a Surge-Zeiten nachtrauert und ehrliche Texte zu schätzen weiß, dem sei Sumocide empfohlen.     

Wertung: +++ (Andreas Margara)

 

Deep Street Soul — Deep Street Soul | Freestyle Records

{image}Mit dem australischen Quartett Deep Street Soul hat sich das etablierte Londoner Funk- und Soullabel Freestyle Records nach Cookin On 3 Burners und Randa & the Soul Kingdom erneut Verstärkung aus Down Under für seinen Künstlerkreis geholt. Und Deep Street Soul ist nicht nur Name, sondern auch Programm: mit rau bis schmutzigen Rhythmuseinheiten und äußerst schnell gespieltem Heavy Soul hauen die vier Instrumentalisten ihre Hörerschaft ordentlich aus den Socken. Tonangebend ist dabei Monique "Mon Cherie" Boggia an der Hammond Orgel – Unterstützung bekommt sie von Agostino "Sol Loco" Soldati an den Drums und Papa "J" Hunter am Bass. Gitarrist Matt Green macht aus seiner Vorliebe für die Arrangements der Rhythm & Blues Legende Steve Cropper keinen Hehl und so ist sein Spiel und der Sound von Deep Street Soul stark an den Southern-Flavor des 60er Jahre Outputs von Stax Records, insbesondere aber an Booker T. und seine M.G.'s, angelehnt. Neben der dynamischen Neuinterpretation des Protopunkstückes Kick Out The Jams von MC5, bei dem die Aussies die New Yorker Sängerin Tia Hunter mit einspannen, besticht besonders Greenbacks mit einer überaus charismatischen Shirley Davis am Mikrofon. Die Stücke sind alle sehr kurz gehalten, dafür intensiv und von vielen Breaks durchzogen. Hier geht definitiv der Funk ab! Beeinflusst von Osaka Monaurail aus Japan und den australischen Vorreitern The Bamboos schwimmen Deep Street Soul nach der Nu-Funk-Welle und dem Retro-Soul-Tsunami in Europa und den Staaten definitiv vorne mit im asiatisch-australischen Raum.

Wertung: +++1/2 (Andreas Margara)

 

Murs & Slug — Felt 3: A Tribute To Rosie Perez | Rhymesayers

{image}Aus der albernen Tourbuswette, wer wohl zuerst die Schauspielerin Christina Ricci aufgrund seiner Wortgewandtheit in die Kiste bekommt, entstand 2002 das spontane Albumprojekt Felt: A Tribute To Christina Ricci. Murs aus dem Kreis der Living Legends und Slug von Atmosphere waren die beiden Akteure, die sich dieser Herausforderung stellten – zu Gesicht bekam Christina am Ende jedoch keiner. Auf ging es also mit dem nächsten Wortgefecht um die Gunst eines Hollywood-Starlets: Felt 2 und das Tribut an Lenny Kravitz' Ex, Lisa Bonet, war geboren. Mit einer Hommage an Rosie Perez geht die Kultserie nun in die dritte Runde. Diesmal hat sich kein Geringerer als Aesop Rock vom Definitive Jux Label den Produktionen angenommen. Nachdem mit dem Opener Protagonists besonders DJ Big Wiz durch erquickende Cuts auf sich aufmerksam macht, treibt Rock die zwei reimenden Wettstreiter anschließend mit seinem komplexen Bassmonstrum Felt Chewed Up zu ersten Höchstleistungen an. Abstrakt, verschachtelt oder einfach nur grotesk, ein Zugang zu Aesop Rocks vielschichtigen Beats lässt sich meist erst nach mehrfachen Hörgängen erschließen. Like You, bei dem Aesop die Hookline gleich selbst einrappt, schmiegt sich mit sehr eingängigem Thema hingegen direkt ins Ohr. Anders als die Vorgängeralben, die Ant und The Grouch produziert haben, trägt die Rosie Perez Widmung eine weitaus finsterere Handschrift, wie die düster komponierten Tracks Permanent Standby oder Ghost Dance Deluxe verdeutlichen. Mit brachialen Bässen sorgt Aes für mächtig viel Druck und ergänzt das bestens miteinander eingestimmte Felt-Team perfekt. Im Back-to-back sorgen Murs und Slug für ein ausgewogenes Zusammenspiel an Rapzeilen und überzeugen einmal mehr mit Wortwitz und ausgefeilten Lyrics. Neben ihrem Faible für weibliche B-Promis der amerikanischen Filmlandschaft zollt das Independent-Rap-Duo auch Respekt an seine musikalischen Wegbereiter wie EPMD oder Run DMC. So liefern sie mit We Have You Surrounded einen postmodernen Ansatz einer Neuinterpretation des Klassikers Sucker MC's. Murs und Slug in bestechender Form, unergründliche Beats von Aesop Rock und jede Menge Scratcheinlagen von Big Wiz machen Felt 3 zu einem innovativem Gesamtkunstwerk. Für den Fall, dass es diesmal mit Rosie wieder nicht klappen sollte, hat Slug vorsorglich einen vierten Teil von Felt angekündigt, bei dem bereits das in Hollywood-Kreisen umtriebige Callgirl Heidi Fleiss in der engeren Auswahl steht.

Wertung: ++++ (Andreas Margara)

 


So werten wir:

+

schnell auf ebay damit, bevor es jemand merkt

++

hier mangelt es an so einigen Ecken und Enden

+++

das kann sich wirklich hören lassen

++++

ein TOP-Album

+++++

definitiv ein "must have"