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Ein Hoffnungsschimmer für die Livemusik?

Studie: So könnte die Festival-Saison 2022 unter Corona-Bedingungen aussehen

Spezial/Schwerpunkt von Antonia Freienstein
veröffentlicht am 28.01.2022

veranstaltungskonzepte nation of godwana zurück zu den wurzeln

Studie: So könnte die Festival-Saison 2022 unter Corona-Bedingungen aussehen

© Joey Thompson via Unsplash

Eine neue Studie hat anhand zweier Modellprojekte im Jahr 2021 die Durchführbarkeit von Festivals unter Corona-Bedingungen getestet – und sieht darin eine Möglichkeit, auch 2022 Open-Air-Festivals durchzuführen. Doch mit Omikron könnte alles ganz anders werden.

Die Studie "Die Tür im Freien" (PDF) des Harding-Zentrums für Risikokompetenz und der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane hat zwei Open-Air-Festivals wissenschaftlich begleitet, um eine Perspektive für Festivals im Jahr 2022 zu entwickeln. 

Bei den von der Studie betrachteten Open-Air-Festivals handelte es sich um das "Nation of Gondwana" (16. bis 18.07 und 23. bis 25.07.2021) und das "Zurück zu den Wurzeln" (29.07. bis 1.8. und 13. bis 15.08.2021) – Festivals mit bis zu 6.000 Teilnehmenden, die vornehmlich im Bereich der elektronischen Musik angesiedelt sind. 

Die "harte Tür" im Freien

Ziel der Studie, die in Zusammenarbeit mit dem Brandenburger Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie entstanden ist, war es, die Umsetzbarkeit von Corona-Maßnahmen, die Akzeptanz dieser Maßnahmen unter den Festivalgästen sowie die Wirksamkeit des Veranstaltungskonzepts der sogenannten "harten Tür" zu bestimmen. 

Dieses Konzept bezeichnet die Zugangsbeschränkung eines Events durch eine konsequente Teststrategie, sodass die Sicherheitsvorkehrungen auf dem Festivalgelände selbst entsprechend geringer ausfallen können. 

Keine Kompromisse

Um ein Ticket für das Nation of Gondwana-Festival kaufen zu können, mussten Interessenten entweder einen Geimpft-/Genesenen-Nachweis vorweisen können, oder mindestens 24 Stunden vor dem Einlass auf das Festivalgelände einen PCR-Test machen. 

Die Anreise zum Festivalgelände musste im eigenen Auto oder einem der gestellten Busse erfolgen, wobei die Plätze pro Bus auf acht Personen beschränkt waren. Außerdem war vor dem Betreten des Festivalgeländes die Durchführung eines weitereren, gepoolten Antigentests erforderlich.

Schlug dieser Antigentest positiv aus, wurden die betroffene Person und ihre Mitfahrenden erneut PCR-getestet; die Auswertung des PCR-Testes dauerte dabei etwa eine Stunde. Fielen die Testergebnisse der Gruppe negativ aus, durfte diese das Festivalgelände betreten; wurde eine Person der Gruppe positiv getestet, führte dies zum Festivalausschluss der gesamten Gruppe. 

Ansehnliche Ergebnisse

Für die Gäste der Nation of Gondwana galt zudem Maskenpflicht in Warteschlangen und geschlossenen Räumen, während in Schlangen ein Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden musste. Das Festival stellte nach eigenen Angaben außerdem genug Waschbecken und Desinfektionsmittel bereit, und forderte die Gäste auf, diese regelnmäßig zu verwenden. 

Laut den Autor/innen der "Tür im Freien"-Studie liegt bei Festivals, die ein ähnliches Sicherheitskonzept wie das der Nation of Gondwana verfolgen, die Wahrscheinlichkeit, bei einer bundesweiten Inzidenz von 50 einen Infizierten pro 10.000 Gäste auf das Gelände zu lassen, bei gut 18 Prozent.

Das Risiko, eine infektiöse Person einzulassen – also eine Person, die sich nicht nur angesteckt hat, sondern das Virus auch tatsächlich weitergeben kann –, liegt dahingegen bei nur gut sieben Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Person daraufhin einen weiteren Gast infiziert, ist mit 0,2 Prozent sogar noch wesentlich geringer.  

Entspannte Regeln ...

Beim Zurück zu den Wurzeln-Festival waren alle Gäste beim Einlass dazu verpflichtet, ein negatives Antigen-Test-Ergebnis vorzuweisen. Um Zugang zum gesamten Festivalgelände zu erhalten, musste auch das Ergebnis eines weiteren Antigen-Schnelltests negativ ausfallen.

Zudem wurde ein 25er-PCR-Pooling aller Gäste durchgeführt. Fiel es positiv aus, wurde nachträglich untersucht, welche der untersuchten Proben eine hohe Viruslast aufwiesen. Die betroffenen Personen wurden anschließend kontaktiert und mussten gemeinsam mit ihrer Anreisegruppe das Festivalgelände verlassen. 

Während des Einlasses sowie der Testkontrollen und -durchführungen mussten Gäste Mindestabstände einhalten und eine medizinische Maske tragen. Nachdem diese Stationen passiert waren, mussten, im Gegensatz zum Gondwana-Festival, keine weiteren Maßnahmen beachtet werden. Gäste wurden lediglich zum regelmäßigen Händewaschen und Desinfizieren angehalten.

... mit Konsequenzen

Festivals, die wie das Zurück zu den Wurzeln-Festival organisiert sind, weisen laut der vorliegenden Studie eine 27-prozentige Wahrscheinlichkeit dafür auf, dass sich mindestens eine infizierte Person unter 10.000 Gästen auf dem Gelände befindet und eine sechsprozentige Wahrscheinlichkeit, dass diese auch dort bleibt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens eine infektiöse Person unter 10.000 Gästen befindet, liegt den Berechnungen zufolge bei 4 Prozent; die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf dem Gelände bleibt, bei 0,4 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die infektiöse Person mindestens eine weitere Person unter den 10.000 Gästen ansteckt, liegt bei 0,1 Prozent.

Ein positiver Ausblick

Aufgrund der Risikobestimmung kam die Studie zu dem Ergebnis, dass es sich bei den untersuchten Festivals um keine Infektionstreiber gehandelt hat. Das Risiko, sich auf dem Festival anzustecken, war für die Besuchenden nicht höher als das Risiko für Mitglieder der Allgemeinbevölkerung. Weiterhin konnten keine Infektionsauswirkungen auf die Haushaltsmitglieder der Gäste festgestellt werden. 

Insgesamt gilt, dass die geschätzte Wahrscheinlichkeit, dass ein Infizierter trotz Testkonzept in die Veranstaltung gelangt, zu groß ist, um vernachlässigbar zu sein. Gleichzeitig ist jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass ein fälschlicherweise eingelassene Gast andere Gäste infiziert, sehr gering.

Umfrage unter den Teilnehmenden

Ein weiteres Instrument der "Tür im Freien"-Studie bestand in vier freiwilligen Querschnitt-Umfragen unter den Festivalteilnehmenden. In diesen Umfrage sollten die Gäste der Festivals verschiedene Einschätzungen zu ihrem Aufenthalt auf dem Festival abgeben. Bei diesen Umfragen wurde deutlich, dass die Befragten eine gute Wahrnehmung der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen haben, da zwei Drittel der Studienteilnehmenden sie richtig einschätzten.

Gleichzeitig schätzten nur ca. ein Drittel der Teilnehmenden das Grundrisiko eines Festivals korrekt ein, der Rest überschätzte dieses Risiko stark – so, wie auch ein Großteil der Befragten die Zuverlässigkeit von Antigen-Tests überschätzten.

Als die Gäste innerhalb der Umfrage angeben mussten, welche Maßnahmen sie im Zusammenhang mit einer von den Studienleitenden angegebenen Inzidenz als für richtig erachteten, war ein Großteil der Teilnehmenden ab einer Inzidenz von 625 der Meinung, dass keines der untersuchten Maßnahmenpakete mehr genug wäre.

Umfrage zur Einhaltung der Regeln

Teil der Studie war auch eine Umfrage unter den Gästen. Diese wurden u.a. gefragt, wie sie die Bereitschaft wahrgenommen anderer wahrgenommen haben, die Maßnahmen zu akzeptieren. Demnach hielten sich etwa vier von fünf teilnehmenden Personen bis zur letzten "Schleuse" konsequent an die vom Festival festgelegten Regeln.

Auf dem Festivalgelände selbst nahm das (freiwillige) Schutzverhalten dann stark ab. Beispielsweise verwendete ein großer Teil der Befragten eine Corona-Warn-App; nur ein kleiner Prozentsatz hatte diese jedoch während des Festivals aktiviert. Darüber hinaus reagierten nur etwa die Hälfte der Personen, die nach dem Festival eine Warnung in der App erhielten, mit Vorkehrungen wie dem Durchführen eines Antigen- oder PCR-Tests oder einer Selbstquarantäne.

Verbesserungsvorschläge

Im Allgemeinen wurden die vorhandenen Test- und Sicherheitskonzepte von den Festivalteilnehmern positiv aufgefasst. Immer wieder wiesen die Teilnehmenden die Veranstaltenden jedoch auch auf Verbesserungsmöglichkeiten hin, die diese direkt umsetzten.

Als problematisch erkannten die Gäste u.a. das Verhalten der anderen Gäste, also dass etwa Masken- und Abstandsregeln nicht von allen konsequent eingehalten wurden. Auch bemängelten sie, dass die Menge an Seifen und Desinfektionsmitteln teilweise nicht ausreichend war; gleichsam wurde auch die Testsituation vor Ort kritisiert (Durchmischung von Ungetesteten und Getesteten).

Auch wurde beispielsweise darauf hingewiesen, dass Abstände nicht überall einhaltbar waren (z.B. auf der Tanzfläche) und durch Maskenpflichten ersetzt werden sollten, sowie, dass insgesamt mehr auf geltende Regelungen hingewiesen werden sollte. 

Aufklärung gefordert

Die Studie verdeutlicht, dass es einem Großteil der Menschen schwer fällt, Coronarisiken richtig einzuschätzen. Falschen Einschätzungen könnten jedoch dazu führen, dass die Bereitschaft zum Besuch von Festivals sinkt.

Das Vorhandensein von Test- und Sicherheitskonzepten reicht von daher nicht aus um die Zukunft von Festivals zu sichern. Wichtig ist zudem, potentielle Interessenten nicht nur über die Risiken aufzuklären, sondern auch die verschiedenen Sicherheitsmaßnahmen auf dem Festival verständlich zu machen. 

Ausblick auf die Festivalsaison

Im Großen und Ganzen bietet die Studie "Die Tür im Freien" einen positiven Ausblick für den Festivalsommer 2022. Die Durchführung und Analyse der Modelprojekte Nation of Godwana und Zurück zu den Wurzeln zeigt, dass Festivals unter Berücksichtigung gewisser Hygienemaßnahmen keine Infektionstreiber sind. 

Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, ob die Ergebnisse der Studie unter den aktuellen Bedingungen – insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Verbreitung der besonders ansteckende Omikron-Variante – noch immer gültig sind.

Wie aus der Studie hervorgeht, steht die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine (unbemerkt) infizierte oder infektiöse Person auf dem Gelände befindet, in engem Zusammenhang mit der Inzidenz – je höher die Inzidenz, desto höher auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Infizierter Einlass zum Festival erhält. Wie sich die Inzidenz in Deutschland im Sommer 2022 darstellt, weiß aber aktuell niemand.

Allerdings bedeutet die Tatsache, dass sich ein Infizierter auf dem Festival aufhält nicht, dass er auch infektiös ist – und auch nicht, dass er zwangsläufig andere infiziert. Diese wichtige Unterscheidung wird dank der Studie nicht nur verständlich, sondern auch quantifizierbar. 

Streng am Einlass, locker auf dem Gelände

Die Studie eröffnet darüber hinaus eine wichtige Antwort auf die Frage, wie Veranstalter von Festivals ihre Sicherheitsmaßnahmen gestalten sollten: Strenge Zugangsbeschränkungen ermöglichen einen vergleichsweise entspannten Umgang mit der Pandemie auf dem Festivalgelände.

Das gilt jedenfalls, solange die Organisatoren nicht hunderte oder tausende Besucher wegen positiver Tests abweisen müssen. Bleibt zu wünschen, dass die pandemische Lage im Sommer 2022 die Durchführung auch großer Festivals unter entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen erlaubt. Für diesen Fall finden Organisatoren in der Brandenburger Studie viele wichtige Anregungen.

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