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Viele Unklarheiten

Das neue Infektionsschutzgesetz könnte Musikschaffende und Veranstalter vor Probleme stellen

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 09.08.2022

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Das neue Infektionsschutzgesetz könnte Musikschaffende und Veranstalter vor Probleme stellen

Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach. © BMG / Thomas Ecke

Das neue Infektionsschutzgesetz sieht keine Masken-, aber eine Testpflicht für Veranstaltungen im Herbst/Winter 2022/23 vor. Bundeseinheitliche Regelungen für Veranstaltungen wird es hingegen nicht geben. Auf Veranstalterinnen und Veranstalter könnten schwere Zeiten zukommen.

Vor wenigen Tagen kündigte die Bundesregierung eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes an, die vom 1. Oktober 2022 bis Ostern 2023 gelten soll. Sie sieht vor, dass die Bundesländer verschiedene pandemische Maßnahmen für Veranstaltungen erlassen können.

Die Betonung liegt dabei auf "können": Wie in den vergangenen Jahren ermächtigt die Bundesregierung die Länder nur dazu, Maßnahmen zu ergreifen, aber sie zwingt sie nicht. Damit ist klar: Die bundeseinheitlichen Regeln für Veranstaltungen, die viele Veranstaltende und Kulturschaffende immer wieder gefordert haben, wird es auch im dritten Pandemiejahr nicht geben.

Die Länder machen die Regeln

Dabei könnte der Bund nach Art. 74 Nr. 19 Grundgesetz sehr wohl tätig werden, da er im Hinblick auf "Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren" das Recht der konkurrierenden Gesetzgebung besitzt. 

Das bedeutet, dass die Länder nur tätig werden können, wenn der Bund nicht tätig wird. Genau das ist jedoch der Fall: Der Bund überlässt es den Ländern, Regeln für Veranstaltungen innerhalb eines mehrstufigen Systems aufzustellen.

Strenge Regeln – möglicherweise

Für die Ausgestaltung und Umsetzung von Regeln innerhalb dieses mehrstufigen Systems sind also die Länder zuständig. Das Infektionsschutzgesetz ermächtigt die Länder in der 1. Stufe dazu, "zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems" spezifische Regeln für Veranstaltungen aufzustellen. Die Länder können beispielsweise eine zwingende FFP2-Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Innenräumen beschließen.

Zwingende Ausnahmen von der Maskenpflicht sind für Freizeit-, Kultur- oder Sportveranstaltungen, in Freizeit- und Kultureinrichtungen sowie in gastronomischen Einrichtungen und bei der Sportausübung für Personen vorgesehen, die einen aktuellen Test vorweisen oder frisch geimpft oder genesen sind (d.h. Impfung oder Infektion liegen weniger als drei Monate zurück).

Keine Ausnahmen für Business-Events?

Zwei Aspekte erstaunen bei den Regelungen der 1. Stufe: Business-Veranstaltungen wie Messen oder Kongresse werden nicht eigens erwähnt, das heißt nach aktuellem Stand gilt dort stets die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske.

Außerdem sieht der Gesetzentwurf keine Regelungen für nicht-öffentlich zugängliche Räume zu. Veranstaltungen in Privaträumen unterliegen daher nach jetzigem Stand keinerlei Beschränkungen. Allerdings sind diese naturgemäß sowieso sehr schwer zu kontrollieren. Auch Veranstaltungen im Freien können nach dem Entwurf ohne jede Einschränkung stattfinden.

Verschärfung bei kritischer Lage

Bei konkreter Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems können in der 2. Stufe die Maßnahmen verschärft werden. Wenn ein Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten werden kann, soll auch bei Veranstaltungen im Außenbereich eine FFP2-Maskenpflicht gelten.

Bei Veranstaltungen in öffentlich zugänglichen Innenräumen können die Länder nach Beschluss des jeweiligen Landesparlaments die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske beschließen. Ausnahmeregeln für genesene, frisch geimpfte oder getestete Personen sollen dann nicht mehr gelten. 

Die Länder können darüber hinaus Personenobergrenzen für Veranstaltungen in öffentlich zugänglichen Innenräumen festlegen. In nicht-öffentlich zugänglichen Innenräumen gelten wiederum keine Einschränkungen.

Keine klaren Grenzen

Während das Statement des Bundesgesundheitsministeriums die Regeln der 2. Stufe "anhand gesetzlich geregelter Indikatoren" bemessen will, ist das bei den Regeln der 1. Stufe offensichtlich nicht vorgesehen. Wann die 1. Stufe demnach in Kraft tritt, ist nach den aktuellen Plänen eine reine Länderentscheidung. 

An diesem Punkt entzündet sich auch ein Großteil der Kritik am neuen Infektionsschutzgesetz. Die Bundesregierung sollte an dieser Stelle noch einmal nacharbeiten und klare Kriterien festlegen, wann die Länder Maßnahmen verhängen können.

Lieber Tests als Masken

Die meisten Veranstaltenden dürften der Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes mit Sorge entgegenblicken: Das Fehlen bundeseinheitlicher Regelungen ist vor allem für Tourneen ein großes Problem. Tourneen sind als Gesamtpaket konzipiert und wenn einzelne Termine, etwa wegen der spezifischen Regelungen in einem Bundesland, nicht stattfinden können, steht die Finanzierbarkeit der gesamten Tour in Frage.

Hinsichtlich der Regeln bezüglich der Masken- und Testpflicht dürften Veranstalterinnen und Veranstalter es begrüßen, dass in der 1. Stufe Ausnahmen für Kultur- und Freizeitveranstaltungen vorgesehen sind. Schließlich ist ein regulärer Club- und Disko-Betrieb mit allgemeiner Maskenpflicht nur schwer vorstellbar. Die meisten Veranstaltenden können daher mit einer allgemeinen Testpflicht sehr viel besser leben als mit einer Maskenpflicht.

Die kostenfreien Bürgertests wurden aber bekanntlich abgeschafft – damit bleibt die Frage offen, wer im Winter die Kosten für die anfallenden Tests tragen soll. 

Geimpft und genesen – nur für drei Monate

Bemerkenswert ist die kurze Zeit, in der Betroffene als geimpft oder genesen gelten. Das mag epidemiologisch begründet sein, sorgt aber dafür, dass die Ausnahmen beim Besuch von Veranstaltungen nur für einen vergleichsweise kleinen Personenkreis gelten werden.

Außerdem existiert aktuell für unter 70-jährige keine generelle Empfehlung der Stiko für eine 2. Auffrischungsimpfung (4. Impfung insgesamt). Wer sich im Oktober impfen lassen würde, gälte auch nur bis Januar als "geimpft", also nicht einmal für den gesamten Geltungsbereich des neu erlassenen Infektionsschutzgesetzes. 

Wenn die Stiko ihre Empfehlung nicht anpasst, wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach fordert, dürften die Anreize, sich impfen zu lassen, weiter sinken.

Keine 3G/2G-Regelungen

Es ist folgerichtig, dass das Infektionsschutzgesetz keine 2G oder 3G-Regeln vorsieht. Die Impfung, so effektiv sie auch schwere Fälle verhindert, schützt kaum vor Infektionen mit den aktuell kursierenden Omikron-Varianten. Auch Genesene können sich nach wenigen Monaten erneut infizieren.

Die mit großen Hoffnungen gestartete 2G oder 3G-Regeln haben sich damit erledigt, da das neue Infektionsschutzgesetz ihre Verwendung nicht vorsieht. Bundesjustizminister Buschmann erklärt dazu:

"In Kultur, Freizeit, Sport und Gastronomie muss es allerdings Ausnahmen für getestete, frischgeimpfte und frischgenesene Personen geben. In diesen sozialen Bereichen ist es richtig, mehr auf die Eigenverantwortung der Zivilgesellschaft zu setzen – so wie es auch die meisten anderen europäischen Staaten tun."

Was machen die Länder?

Das neue Infektionsschutzgesetz ist weder vom Bundeskabinett beschlossen, noch vom Parlament verabschiedet. Während die Bundesregierung den Gesetzentwurf noch im August beraten wird, wird der Bundestag das Gesetz erst nach der parlamentarischen Sommerpause im September behandeln.

Wenn es so umgesetzt wird, wie es derzeit geplant ist, dann stellt sich natürlich die Frage, wie die Länder die neuen Möglichkeiten einsetzen werden. Reagieren sie vorsichtig und setzen die Maßnahmen streng um oder agieren sie zurückhaltend? Der letzte Winter legt eher die zweite Möglichkeit nahe. Schon damals machten die Länder von ihren gesetzlichen Möglichkeiten kaum Gebrauch. 

Schlimmer als früher

Wenn sich das im kommenden Winter anders verhalten sollte, stellt sich die Frage nach erneuten Hilfen für die Kultur- und Veranstaltungsbranche. Die Bundesregierung ist allerdings entgegen ihrer Versprechen bislang kaum auf Gesprächsangebote der Branche eingegangen. Diese Verweigerungshaltung ist außerordentlich besorgniserregend und angesichts der Hilfen der letzten Jahre kaum verständlich.

Ebensowenig verständlich ist auch die verhältnismäßig kurzfristige Periode zwischen dem vorraussichtlichen Beschluss des neuen Infektionsschutzgesetzes und dessen Geltungszeitraum: Veranstaltende, Clubbetreiber/innen und weitere von den neuen Regelungen betroffene Personengruppen werden wohl weniger als einen Monat Zeit für die notwendigen Anpassungen haben.

Forderungen nach einem frühzeitiges Update der Regelungen für den Winter gab es wiederum bereits seit Mitte Juni 2022 – auch mit Verweisen darauf, dass insbesondere die Planungen für den Tour- und Konzertbetrieb häufig eine lange Vorlaufzeit benötigen. 

Alarmstufe Rot sieht rot

Bemerkenswerterweise haben sich die meisten Veranstalterverbände noch nicht zu den Plänen der Bundesregierung geäußert. Lediglich Alarmstufe Rot erklärte in einem Facebook-Post:

"Der Entwurf zum Infektionsschutzgesetz macht Großveranstaltungen unplanbar. Kein Veranstalter kann sich auf solch unkalkulierbare, unwirtschaftliche Unberechenbarkeit einlassen. Die Folge werden auch Veranstaltungsabwanderungen ins Ausland sein und der Verlust weiterer Fachkräfte."

Wie reagiert das Publikum?

Im Gegensatz zur Aussage von Alarmstufe Rot betrifft die Schwierigkeit, Veranstaltungen im Herbst/Winter 2022/23  zu planen, nicht nur Großveranstaltungen, sondern eigentlich jede Art von Veranstaltung. Ab dem 1. Oktober besteht die Möglichkeit zur Einführung pandemischer Maßnahmen, ohne dass endgültig geklärt ist, wann die Länder diese Maßnahmen ergreifen werden dürfen.

Eine weitere Frage ist, wie das Publikum darauf reagiert. Damit ist nicht nur gemeint, dass Menschen aus Ablehnung der pandemischen Maßnahmen den Besuch von Veranstaltungen verweigern könnten, sondern auch, dass viele Menschen angesichts einer möglicherweise verschärften pandemischen Lage lieber gleich zu Hause bleiben.

Das würde viele Veranstaltungen unwirtschaftlich machen – und die gänzliche Abwesenheit pandemischer Maßnahmen würde daran vermutlich kaum etwas ändern. Die Veranstaltungswirtschaft steckt in einem schwer zu lösenden Dilemma.

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