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Keine Entspannung

"Die Branche steht unter enormem Druck": Niko Strnad von Bang Bang! Concerts über die Lage der Event-Szene in München

Interview von Michael Erle
veröffentlicht am 12.08.2022

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"Die Branche steht unter enormem Druck": Niko Strnad von Bang Bang! Concerts über die Lage der Event-Szene in München

Niko Strnad ist in München vielfältig als Veranstalterin tätig. © Bang Bang! Concerts

Niko Strnad ist Inhaberin von Bang Bang! Concerts und eine der Größen in der Münchner Veranstaltungsszene. Kurz nach einem der großen lokalen Events, dem Tollwood Festival, haben wir mit ihr über die aktuelle Situation und die Aussicht auf den Winter 2022/23 gesprochen.

Backstage PRO: Wie lange arbeiten Sie schon in der Veranstaltungsbranche und was haben Sie davor gemacht?

Niko Strnad: Ich arbeite seit 2001 als Konzertveranstalterin und Bookerin und betreibe seit 2005 meine eigene Agentur Bang Bang! Concerts in München. Davor habe ich Geschichte und Politik an der LMU München studiert.

Backstage PRO: Mit welchen Projekten haben Sie sich in den letzten Monaten beschäftigt?

Niko Strnad: Die letzten sechs Wochen habe ich zusammen mit meinem Partner die FassBar auf dem Tollwood Sommerfestival betrieben. Dank des konstant guten Wetters und auch der wiedergekehrten Ausgehfreude der Besucherinnen und Besucher war so viel los, dass nebenbei kaum Zeit für die Vorbereitung anderer Projekte blieb. 

Backstage PRO: Womit haben Sie sich in den letzten Monaten ansonsten beschäftigt?

Niko Strnad: Vorher habe ich einige Nachholveranstaltungen u.a. für das Kulturreferat der Stadt München durchgeführt, die Veranstaltungsreihe Munich Rocks! mit Münchner Musikerinnen und Musikern weitergeführt, die lokale Promotion für das Augsburger Open Air-Festival "Sommer am Kiez" übernommen und diverse Konzert-Veranstaltungen für den Herbst vorbereitet. Auch mit dem Hexenkessel auf dem Tollwood Winterfestival gehen wir jetzt schon wieder optimistisch in die Vorbereitung.

Backstage PRO: Wie haben Sie die Corona-Zeit überbrückt? Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hatte sie für Sie?

Niko Strnad: Die Corona-Zeit war für mich alles andere als langweilig. Ich war mit Absagen und Verschieben der bereits geplanten Veranstaltungen sowie mit Erstellen von neuen Konzepten beschäftigt. Eine ertraglose Arbeit. Zum Glück haben die staatlichen Wirtschaftshilfen bei mir gegriffen, spannend wird allerdings ob und wenn ja in welcher Höhe Rückzahlungen der Hilfen anfallen werden. Auch privat war ich sehr eingespannt.

Eine positive Entwicklung gab es in Punkto Vernetzung, wir haben uns in München in regelmäßigen Zoommeetings mit dem Verband der Münchener Kulturveranstalter (VdMK) ausgetauscht.

Backstage PRO: Wie wirkt sich die verbesserte Vernetzung der Kulturbranche aktuell aus? Ist das wieder im Alltagsgeschäft untergegangen, oder ist das ein Game-Changer in der Arbeit geworden, so wie z.B. das Home-Office in vielen Branchen die Arbeitswelt umgekrempelt hat?

Niko Strnad: Die bessere Vernetzung macht sich vor allem durch den schnellen und konstruktiven Austausch hinsichtlich der aktuellen pandemiebedingten Entwicklungen bzw. Änderungen bemerkbar. Und das Netzwerk ist eine große Hilfe bei der Suche nach Antworten im Antrags-Dschungel. Auf alle Fälle hat dieses beispiellose Zusammenfinden der sonst eher autark arbeitenden Branchenvertreterinnen und -Vertreter zu einem besseren gegenseitigen Kennenlernen und somit auch zu neuen Symbiosen geführt. 

Backstage PRO: Glauben Sie, dass diese Entwicklung nachhaltig ist?

Niko Strnad: In diesem intensiven Live-Sommer merkt man natürlich, dass alle extrem eingespannt und somit der Kontakt deutlich weniger geworden ist, was jedoch völlig nachvollziehbar ist, wenn man bedenkt, dass nicht nur die enorme Summe an Nachholproduktionen gefahren werden muss, sondern ja auch das Damoklesschwert des bevorstehenden Herbst/Winters über uns hängt, in dem ja wieder mit hohen Verdienstausfällen zu rechnen ist!

Backstage PRO: Wie hat sich die Kultur- und Eventszene Ihrer Meinung seit Anfang 2020 verändert? 

Niko Strnad: Es ist alles sehr kurzfristig geworden. Tickets werden nicht mehr im Vorverkauf gekauft, durch die vielen Nachholveranstaltungen ist ein enormes Überangebot entstanden, das den Markt verzerrt. Personalengpässe und -ausfälle in nahezu allen Bereichen der Branche führen zu kurzfristigen Absagen, die ähnliche Situation im Transportwesen tut ihr Übriges in Bezug auf internationale Produktionen. Die Musikbranche steht unter enormen Druck, fast schlimmer als in den vergangenen zwei Jahren.

Backstage PRO: Erwartest Du, dass der Druck in der Branche jetzt zu einer Welle von Pleiten, Konsolidierungen oder ähnlichem führt? Hast Du das im eigenen Netzwerk beobachtet? Glaubst Du, dass manche Unternehmer mit dem Gedanken spielen, aufzugeben?

Niko Strnad: Leider muss ich alle drei Fragen bejahen. Und wenn ich das richtig verstanden habe, sind keine weiteren Hilfen für die Veranstaltungsbranche von Seiten der Politik geplant. Das hätte sicherlich fatale Folgen für uns und für alle Menschen, die gerne auf Livekonzerte gehen!

Backstage PRO: Wie unterscheidet sich München spezifisch als Veranstaltungsort von vergleichbaren Städten? 

Niko Strnad: Meine Veranstaltungen finden zu 90 Prozent in München bzw. Bayern statt, daher kann ich die Frage nicht wirklich beantworten. Aus der Entfernung sehe ich keinen großen Unterschied.

Backstage PRO: Auf welches Projekt freuen Sie sich aktuell ganz besonders?

Niko Strnad: Leider mussten wir die Neuhauser Musiknacht – ein Livemusik-Kneipenfestival mit jährlich rund 8000 Besucherinnen und Besuchern – auch in diesem Jahr aussetzen; das finanzielle Risiko die Veranstaltung drei Wochen nach der Wiesn dann kurzfristig absagen zu müssen ist zu hoch. Auf die Musiknacht im kommenden Jahr freue ich mich dafür umso mehr!

Und auch sonst freue ich mich auf eigentlich alle Veranstaltungen, die geplant sind und dann auch stattfinden können. Die Erfahrung zeigt, dass das Publikum mit Begeisterung und ohne große Abstriche zum vorpandemischen Livekonzertverhalten am Start ist!

Backstage PRO: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Strnad!

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