Positives Bild – mit Einschränkungen
Zahlungen an Musiker haben sich verdoppelt, aber Investitionen sinken
© Bobby Hendry
Die vom Forschungsinstitut Oxford Economics im Auftrag des Bundesverbands Musikindustrie (BVMI) durchgeführte Studie [Link zum PDF] untersuchte das Investitions- und Zahlungsverhalten der größten deutschen Musiklabels, die insgesamt zwei Drittel des Musikmarktes abdecken.
Wie stark profitieren Musiker vom Wachstum der Musikindustrie?
Ziel der Studie war es herauszufinden, inwieweit deutsche Musiklabels Einnahmen im Rahmen der gestiegenen Zahlungen durch Streamingdienste an ihre Künstler*innen weitergeben oder zum Aufbau neuer Talente nutzen.
Zu diesem Zweck untersuchte die Studie direkte und indirekte Zahlungen an Künstler*innen durch Musiklabels und die Investitionen der Labels in Artists & Repertoire (A&R) und Marketing & Promotion (M&P).
Deutliches Wachstum der Zahlungen
Dabei stellte sich heraus, dass Musiker und Musikerinnen von den gestiegenen Einnahmen der Musikindustrie stark profitieren. Während Musiker*innen 2010 lediglich 21 Prozent der Einnahmen der Musikindustrie erhielten, stieg die Zahl bis 2022 auf 43 Prozent.
Wie die Studie feststellt, lag das nicht nur daran, dass die Labels eine größere Zahl von Künstlerinnen und Künstlern unter Vertrag nahmen. Auch die Zahlungen pro Artists stiegen in diesem Zeitraum um 74 Prozent.
Seit 2010 sind nach der Studie die Zahlungen an Artists damit um 132 Prozent gewachsen, während die Einnahmen der Labels im Vergleich zwischen 2010 und 2022 lediglich um 17 Prozent wuchsen.
Laut BVMI sind die Zahlungen an Musiker*innen deutlich gestiegen, © BVMI
Unterschiedliche Arten der Zahlungen
Die Studie unterscheidet hinsichtlich der Zahlungen an Künstler*innen zwischen direkten Zahlungen, beispielsweise über Vorschüsse oder Lizenzzahlungen einerseits und zwischen indirekten Zahlungen wie Investitionen in A&R und M&P.
In 2022 wurden etwa 62 Prozent der Einnahmen der gesamten Musikindustrie direkt oder indirekt für Künstler*innen verwendet. Dies zeigt zwar eine deutlichen Anstieg seit dem Jahr 2010, jedoch waren es im Jahr 2020 sogar 66 Prozent.
Anstieg bei Vorschüssen, Rückgang bei Marketing
Während der Anteil an Zahlungen an Musiker*innen durch Vorschüsse im Jahr 2010 nur bei 3 Prozent der Einnahmen der Musikindustrie lag, betrug er 2022 10 Prozent. 2020 und 2021 lag der Anteil der Vorschüsse sogar bei 15 Prozent der Gesamteinnahmen.
Eine gegenläufige Entwicklung vollzog sich bei den Ausgaben für Marketing & Promotion (M&P). Ihr Anteil an den Zahlungen an Artists stieg zwischen 2010 und 2014 erst von 20 auf 25 Prozent, bevor er bis 2022 auf 16 Prozent sank. In jüngster Zeit nehmen die Ausgaben für M&P aber wieder zu, dazu unten mehr.
Wachsende Bedeutung von Lizenzen
Den mit Abstand größten Anteil der Zahlungen an Musiker und Musikerinnen nehmen allerdings indirekte Zahlungen wie Lizenzzahlungen ein, die in der Studie als "anteilige Zahlungen für den Verkauf oder die Verwertung einer Musikaufnahme" definiert werden. Direkte Zahlungen von Verwertungsgesellschaften wie GEMA und GVL wurden nicht berücksichtigt.
Seit 2010 ist der Anteil von Lizenzen bei den Einnahmen für Künstler*innen von 18 Prozent auf 33 Prozent gestiegen. Allein zwischen 2021 und 2022 stieg der Lizenzanteil um 4 Prozent von 29 auf 33 Prozent.
Gestiegene Investitionen
Die Studie untersuchte zudem die Investitionen der Musikindustrie. Zwischen 2010 und 2022 stiegen die Gesamtinvestitionen der Musikindustrie von schätzungsweise 267 Mio. Euro im Jahr auf 342 Mio. Euro. Dies entspricht einem Anstieg von etwa 28,2 Prozent und einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 2,1 Prozent.
Besonders stark nahmen die Investitionen im Zeitraum zwischen 2019 und 2022 zu, als gestiegene Einnahmen der Musikindustrie größere finanzielle Spielräume eröffneten. Insgesamt investiert die Musikindustrie fast 30 Prozent ihrer Einnahmen in Artists und Repertoire (A&R) und Marketing und Promotion (M&P).
Starkes Wachstum von A&R-Investitionen
Von den 342 Mio. Euro, die die Labels im Jahr 2022 investierten, wurden 153 Mio. Euro für A&R genutzt. Die restlichen 189 Mio. Euro flossen in Marketing und Promotion M&P.
Das Verhältnis zwischen den Ausgaben für A&R und M&P hat sich jedoch stark verändert. Während die Ausgaben für M&P in den vergangenen 12 Jahren weitgehend stagnierten, stiegen die A&R-Investitionen auf mehr als das Doppelte des Wertes von 2010.
Hauptgrund für den hohen Anstieg der A&R-Investitionen war ein Anstieg der Vorschüsse um mehr als 270% zwischen 2010 und 2022, was einem jährlichen Wachstum von mehr als 7 Prozent entspricht.
Die Studie erklärt, Künstler*innen profitierten von den erhöhten Investitionen in A&R auf verschiedene Art und Weise. Neben einem Anstieg der Zahl der unter Vertrag stehenden Artists sorge der Anstieg der Vorschüsse für "eine gestiegene Absicherung und Planungssicherheit".
Die Entwicklung der direkten und indirekten Zahlungen in der Übersicht, © BVMI
Gegenläufige Trends
Im Jahr 2022 brachen allerdings die Vorschüsse um ein Drittel ein. Da die Studie auf die Gründe für den Rückgang nicht eingeht, ist unklar, ob es sich um einen einmaligen Effekt oder einen längerfristigen Trend handelt.
Leider macht die Studie auch keine Aussagen zu den möglichen Gründen. Kürzen Labels ihre Ausgaben für Vorschüsse, weil sie insgesamt sparen müssen? Machen sich hier erste Auswirkungen der KI-Revolution bemerkbar? Oder hängt der Rückgang mit der allgemeinen Wirtschaftslage einschließlich der Inflation zusammen?
Im Gegensatz dazu stiegen die Ausgaben für M&P stattdessen in den Jahren 2020 bis 2022. Grund dafür könnte der Wandel des (Online)-Marketings sein, das verstärkt auf hausinterne Daten-Analysen, SEO-Optimierung oder gezieltes Social Media-Marketing setzt.
Der zwischenzeitliche Rückgang der M&P-Ausgaben könnte darauf zurückzuführen sein, dass klassische Marketingaktivitäten wie Promo für Radio und Zeitschriften im Untersuchungszeitraum abgenommen und Social-Media-Marketing-Ausgaben, die man teilweise den Artists übertragen konnte, zugenommen haben.
Offene Fragen
Die Studie betont in ihrem Fazit, dass Musiker und Musikerinnen vom Wachstum der Musikindustrie in den letzten 10 Jahren profitiert haben. Dafür liefert sie tatsächlich verschiedene Belege, unter denen das starke Wachstum an Vorschüssen herausragt.
Auf der anderen Seite bleibt die Frage, ob der Rückgang eben dieser Vorschüsse zwischen 2021 und 2022 ein kurzfristiges Phänomen darstellt oder einen langfristigen Trend einleitet.
Neben dieser Frage bleibt die Verteilung der Streaming-Einnahmen ein ungelöstes Problem der Musikindustrie. Dieser Aspekt lag sicherlich außerhalb des Umfangs dieser Studie, aber dennoch stellt er sicherlich die größte Zukunftsherausforderung der Musikindustrie dar.
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