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Vielschichtiges Thema

Das Future Music Camp 2023 an der Popakademie diskutiert Chancen und Risiken von KI

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 31.05.2023

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Das Future Music Camp 2023 an der Popakademie diskutiert Chancen und Risiken von KI

Organisator David Stammer und Hanna Lukashevich vom Fraunhofer Institut beim Future Music Camp. © Capadol

Das Thema KI bewegt aktuell die Musikszene wie kein zweites. Auch beim Future Music Camp an der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim steht es im Mittelpunkt, wobei es sich als ebenso komplexes wie schwer vorherzusagendes Thema erweist.

Alle sind sich einig, dass Künstliche Intelligenz das Musikbusiness revolutionieren wird. Weitaus weniger klar ist, auf welche Weise das geschehen wird und wie die Folgen aussehen werden. Das Future Music Camp 2023 begibt sich auf die Suche nach Antworten in einem sich rasant verändernden Feld.

Valerio Velardo, der nicht nur einen Youtube Channel mit dem Namen The Sound of AI betreibt, sondern auch einen PhD in Musik & AI besitzt, sieht in der KI-Revolution vor allem eine Gelegenheit. Es sei zwecklos, den Wandel zu bekämpfen oder aufzuhalten versuchen – die Geschichte zeige, dass dies im Hinblick auf neue Technologien noch nie funktioniert habe. 

Ein vorbildlicher Weg?

Als Paradebeispiel stellt er die Sängerin Grimes vor, die in einem Tweet ihre Stimme für KI-generierte Songs zur Verfügung stellte, sofern sie 50 Prozent der Lizenzgebühren erhalte. Velardo sieht darin einen Weg, die Bekanntheit zu steigern, da zahllose Menschen ihre Stimme hören würden.

Im Verlauf des FMC wenden aber andere Sprecher dagegen ein, dass es für Grimes unmöglich sei, die Verwendung ihrer Stimme nachzuvollziehen und ihr Wunsch nach Erhalt von 50 Prozent der Lizenzgebühren nur vom Wohlwollen des Nutzers abhängig ist – bereits ein deutlicher Hinweis auf das immer wieder aufkommende Thema der Frage und Forderung nach (gesetzlicher) Regulierung Künstlicher Intelligenz.   

KI als Hilfsmittel für Künstler 

Velardo irrt aber sicher nicht, wenn er die unüberschaubaren Möglichkeiten betont, die KI Musikern nicht nur als Hilfsmittel, sondern auch als Inspirationsquelle bietet. 

Neben KI-gestütztem Mastering oder der KI-Produktion von Tracks, kann KI auch zur Erzeugung von Melodien, Beats oder Harmonien oder Sound Designs genutzt werden. Neben der Steigerung der Produktivität erleichtert KI die Kollaboration mit anderen Musikern. Velardo ruft daher Musiker dazu auf, sich mit KI zu beschäftigen, zu experimentieren und zu kollaborieren.

Nicht nur Künstler, sondern auch Nicht-Künstler könnten von KI profitieren, da die Technologie die Schwelle für das Musikmachen deutlich reduziert. Die aus textbasierten Beschreibungen erzeugte Musik sei allerdings häufig von schlechter Audio-Qualität und gestatte keine kreative Kontrolle. 

Die Grenzen von generativer KI

So betonte Hanna Lukashevich vom Fraunhofer Institut, dass auf Deep Learning basierende generative KIs stark dazu neigen, die Trainingsdaten zu kopieren. Dadurch erscheinen charakteristische Muster oder Motive, die in den Ausgangsdaten (Input) enthalten waren, auch im KI-erzeugten Endprodukt (Output).

Bei längeren KI-erzeugten Kompositionen träten darüber hinaus häufig Wiederholungen von Motiven auf, die auf menschliche Hörer befremdlich oder schnell ermüdend wirken. Es passiere zudem, dass KIs aus dem Takt gerieten, "falsche" oder ungewöhnliche Harmonien verwendeten oder Ähnliches.

Diese und weitere strukturelle Nachteile änderten laut Velardo aber nichts daran, dass die KI-Revolution neue Business-Modelle hervorrufen würde. Darunter versteht dieser beispielsweise die Erzeugung von stundenlanger Musik für Computerspiele oder von Musik zur Nutzung auf Social-Media-Kanälen. 

Wichtige rechtliche Bedenken

Gleichzeitig werfen gerade die strukturellen Schwierigkeiten von KI-Tools die bereits angesprochenen rechtlichen Fragen auf, so etwa, ob die Verwendung von urheberrechtlich geschützten Material zum Training von KI ohne Zustimmung der Rechteinhaber zulässig ist – und das, obwohl §44b UrhG Text- und Data Mining grundsätzlich erlaubt. 

Im US-Recht könnte das Training mit geschütztem Material problematisch sein, da es sich um eine kommerzielle Nutzung handelt, die möglicherweise nicht oder nicht in allen Fällen durch die Fair Use-Doktrin abgedeckt ist.

Kein Schutz für KI-Musik

Aufgrund der schwierigen rechtlichen Fragen stieß die Keynote von Prof. Hanno Fierdag über "Künstliche Intelligenz & Urheberrecht" auf besonderes Interesse. Ausschließlich von einer KI erzeugte Werke genießen nach aktuellem Urheberrecht keinen Schutz, weil es sich nicht um "persönliche geistige Schöpfungen" handelt. 

Um Urheberrechtsschutz zu genießen, muss der schöpferische Beitrag eines Menschen überwiegen. Die KI darf also nur als Werkzeug eingesetzt werden. Der entstehende Output stellt in der Regel keine Urheberrechtsverletzung dar.

Gefahrloser GEMA-Betrug?

Wer allerdings KI erzeugte Musik bei der GEMA anmeldet, um Tantiemen zu kassieren, könnte sich des Betrugs schuldig machen. Allerdings stellt sich die Frage, wie man KI-Tracks identifizieren kann. 

Aktuell besteht dazu keine Möglichkeit und Hanna Lukashevich vom Fraunhofer Institut zeigte sich skeptisch, dass diese Möglichkeit jemals existieren wird. Was das für Verwertungsgesellschaften wie die GEMA bedeutet, ist noch gänzlich unklar. Theoretisch könnten unzählige "Songwriter" dort KI-generiertes Material anmelden, ohne dass die GEMA eine Chance hätte, den Ursprung festzustellen.

Ein neues Leistungsschutzrecht?

Es ist zwar eigentlich nicht möglich, KI-erzeugte Tracks urheberrechtlich schützen zu lassen, aber ein Leistungsschutzrecht an den Aufnahmen besteht sehr wohl. Die Frage ist nur, bei wem es rechtlich zu verorten ist. Hanno Fierdag vertritt die Auffassung, dass es beim Hersteller der KI-Software liegt. 

Die rechtlichen Unklarheiten könnten aber dazu führen, ein neues Leistungsschutzrecht für KI-erzeugte Musik zu entwerfen. Fest steht, dass die in letzter Zeit viel diskutierten Fake Tracks bekannter Musiker wie Drake oder The Weeknd nach deutschem Recht eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstellen und auch nach US-Recht nicht erlaubt sind.

Hier gibt es mehr zum Thema Urheberrecht bzw. Copyright und KI in Deutschland und den USA.

KI als Tool der Musik- und Datenanalyse

In ihrer Keynote stellte Hanna Lukashevich verschiedene Möglichkeiten vor, KI zur Musikanalyse zu nutzen. Im Bereich der "Alltagsanalyse" lässt sich KI beispielsweise dazu verwenden, um Musikstücke einem Genre zuzuordnen, ähnlich strukturierte Musik zu identifizieren sowie mit einem Stück verbundene Emotionen und Stimmungen zu benennen. 

Technisch wesentlich anspruchsvoller ist die KI-gestützte Erkennung von Akkorden, Harmonien, Beats oder gar die Transkription eines Musikstücks. Die verlässliche Echtzeit-Transkription eines Musikstücks ist aktuell aber beispielsweise noch nicht möglich, da diese Aufgabe die KI-Technologie aktuell noch vor große Herausforderungen stellt. 

Das Problem mit den Empfehlungen

Julie Knibbe betonte in ihrer Keynote, dass die Bedeutung und Komplexität von Datenanalyse im Musikbusiness in den letzten Jahren stark gewachsen sei. Auch KI-gestützte Analyse-Tools haben inzwischen Einzug gehalten und dienen beispielsweise dazu, Artist-Profile zu überprüfen und mit denen anderer Künstler zu vergleichen. 

Gleichzeitig eröffnen sich auch hier neue Problemefelder, die in der spezifischen Funktionsweise von KI bzw. den zugrunde liegenden Algorithmen begründet sind: So berichtet Christine Bauer von der Universität Salzburg in ihrer Keynote zum Thema Empfehlungsalgorithmen von den Arten und Weisen, wie feedbackgestützte Systeme Verzerrungen in ihren "Empfehlungen" produzieren und perpetuieren können.   

KI, Streaming und die Zukunft der Kunst

Welche Folgen die KI-Revolution für Künstler hat, zeichnet sich nur ansatzweise ab, weshalb es zum jetzigen Zeitpunkt schwierig ist, konkrete Maßnahmen vorzuschlagen. Sollte es tatsächlich nicht möglich sein, KI-generierte Musik von üblicher Musik zu unterscheiden, sind die Optionen sowieso eingeschränkt.

Umso wichtiger erscheint es, die bestehenden Strukturen zu reformieren, insbesondere in Hinblick auf die Streaming-Einkünfte von Musikern. In seiner Keynote stellte Ryan Rauscher die Ergebnisse seiner Studie bezüglich der Auswirkungen der Einführung eines User-Centric-Payment-Systems vor. 

Dies hätte zur Folge, dass nicht mehr die reine Anzahl der Streams für die Berechnung der Einnahmen herangezogen würde. Aktuell erhalten bekanntlich Künstler eine prozentuale Ausschüttung basierend auf der Zahl ihrer Streams im Verhältnis zur Gesamtzahl aller Streams (Pro-Rata).

Massive Veränderungen durch UCPS

Unter einem UCPS-System würden die von einem Streaming-User erzeugten Einnahmen an die Künstler verteilt, die er tatsächlich hört. Damit wären massive Veränderungen in der Verteilung der Einnahmen verbunden. 

Mehr als 25 Prozent der Streaming-Einnahmen würden neu verteilt, wobei es Gewinner und Verlierer geben würde. Wer genau zu den Gewinnern bzw. den Verlierern zählt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die Ryan Rauscher uns im Interview näher erläutert hat. 

Grundsätzlich höhere Einnahmen könnten Künstler verbuchen, die für eine ältere Hörerschaft Musik machen, während diejenigen Einnahmeverluste verzeichnen müssten, die beispielsweise Naturgeräusche auf den Streaming-Services bereitstellen.

Die Umsetzung eines UCPS steht aber noch in den Sternen, da vor allem die Haltung der Labels dazu nicht eindeutig ist. Mehr zu diesem Thema findet ihr in unserem Interview mit Ryan Rauscher.

Viele offene Fragen

Insgesamt bot das Future Music Camp eine umfassende Beschäftigung mit dem komplexen und sich schnell verändernden Bereich der Künstlichen Intelligenz in Hinblick auf das Musikbusiness.

Welche Auswirkungen die KI-Revolution genau haben wird, steht in den Sternen, aber fest steht, dass sie alle Musikschaffenden betreffen werden.

Locations

Popakademie Baden-Württemberg

Popakademie Baden-Württemberg

Hafenstraße 33, 68159 Mannheim

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