Neue Studie des CNM
Frankreich: 1 bis 3 Prozent aller Streams sind fake – höhere Dunkelziffer wahrscheinlich
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© Sora Shimazaki via Pexels
Dass Streamingzahlen gefälscht werden können, ist keine neue Erkenntnis. 2019 sorgte der Reporter Ilhan Coskun vom Y-Kollektiv für Aufsehen, als er im Rahmen einer Dokumentation mit einem eigenen Song bewies, dass es möglich ist, durch Manipulation hohe Streamingzahlen auf verschiedenen Plattformen zu generieren.
Umfassende Studie
In Frankreich hat das Centre National de Musique (CNM), eine Einrichtung, die dem Kultur- und Kommunikationsministerium des Landes untersteht, nun eine Studie (PDF) durchgeführt, die die Ausmaße des Fake-Streamings in der hiesigen Musikindustrie mit Zahlen unterfüttern soll.
Dafür hat das CNM auf Daten aus dem Jahr 2021 zurückgegriffen, die dem Zentrum von den Streamingdiensten Spotify, Deezer und Qobuz zur Verfügung gestellt wurden. Auch einige große Musikunternehmen aus den Bereichen Label- und Verlagsarbeit teilten ihre eigenen Erhebungen mit dem CNM, so unter anderem Universal, Sony und Warner sowie die französischen Labels Believe und Wagram.
Hohe Dunkelziffer
Das Ergebnis: Mindestens 1 bis 3 Prozent aller betrachteten Streams in Frankreich waren "Fake Streams" – per Definition der Studie also alle Streams, die von Bots oder real existierenden Personen gegen Bezahlung künstlich generiert wurden, sowie gefälschte Songs, die auf bestimmten Artistpages erscheinen und illegale Uploads unveröffentlichter Musik.
Zwischen einer und drei Milliarden Abrufe seien 2021 so definitiv über illegale Methoden zustande gekommen. Da jedoch nur diejenigen "Fake-Streams" ausgewertet wurden, die den Streamingdiensten auffielen und folgerichtig sanktioniert wurden, dürfte die Dunkelziffer laut CNM wesentlich größer ausfallen.
Wichtige Streamingdienste fehlen
Alle Streams, die gekauft oder von Algorithmen wiederholt abgespielt wurden, aber den betreffenden Streamingplattformen nicht als verdächtig auffielen, sind nicht Teil der Studie. Womöglich könnte der ohnehin schon große Anteil der gefälschten Streams an der Gesamtsumme aller Abrufe also deutlich über 3 Prozent liegen.
Eine weitere Schwäche der Erhebung: Weil Industrie-Schwergewichte wie Amazon Music, YouTube oder Apple Music ihre entsprechenden Daten nicht bereitgestellt haben, bleibt die Studie notwendig unvollständig.
Häufige Manipulationen im Hip-Hop
Innerhalb der 10.000 meistgehörten Songs auf Spotify war das am häufigsten von Betrug betroffene Genre übrigens Hip-Hop/Rap. 84,5 Prozent aller irregulär abgerufenen Streams waren hier 2021 der auch in Deutschland populären Musikrichtung zuzuordnen. Das CNM weist aber darauf hin, dass sich in der Gesamtbetrachtung ein anderes Bild ergebe.
Schaue man sich alle Streams aus dem Bereich Hip-Hop an, also nicht nur die erfolgreichsten Rapsongs in den Top 10.000, seien auf Spotify nur 0,4 Prozent der Aufrufe auf unnatürlichem Weg zustande gekommen. Backgroundmusik (4,8 Prozent) und "nicht-musikalische Titel" (3,5 Prozent) seien hingegen viel stärker betroffen.
Industrie entgehen Einnahmen
Selbst wenn die Dunkelziffer weitaus höher liegen dürfte, entsteht der Musikindustrie allein schon durch die bekannten Täuschungsversuche ein beträchtlicher finanzieller Schaden.
Wie das britische Portal Music Business Worldwide berechnete, hätte ein tatsächlicher "Fake-Stream"-Anteil von 1 bis 3 Prozent im Jahr 2021 einen Schaden von 4,92 Millionen bis 14,76 Millionen Euro in der französischen Musikindustrie verursacht. Immerhin erwirtschaftete die Sparte im betreffenden Jahr 492 Millionen Euro.
Global betrachtet hätte ein genereller Betrugsanteil von 1 bis 3 Prozent ebenfalls große Auswirkungen: 2021 nahmen Streamingdienste weltweit 16,9 Milliarden US-Dollar ein. Ein Prozent davon wären immerhin schon 169 Millionen US-Dollar. Ein "Fake-Stream"-Anteil von drei Prozent würde demnach 2021 einen Schaden von 507 Millionen US-Dollar bedeuten.
Spotify meldet sich zu Wort
Dass die Streamingdienste mittlerweile selbst ein Interesse daran haben, gekaufte und anderweitig irreguläre Streams zu bekämpfen, zeigt ein Statement von Spotify zu der Studie. So sagte ein Sprecher des Unternehmens in der Stellungnahme:
"Spotify nimmt die Manipulation von Streaming-Angeboten sehr ernst, und wir verfügen seit langem über Maßnahmen und Ressourcen zur Verhinderung, Aufdeckung und Eindämmung solcher Aktivitäten, die zu greifbaren Ergebnissen geführt haben. Deshalb war es für uns wichtig, an der Studie des CNM zu diesem Thema teilzunehmen".
Gleichzeitig betonte der schwedische Streamingriese die eigenen Erfolge in der Sache: Bei den Top-10.000-Streams auf Spotify hätte der Anteil der Manipulation laut eigener Zahlen nur 0,23 Prozent betragen, bei dem Gesamtkatalog des Anbieters nur 1,14 Prozent – Spotify läge demnach also deutlich unter dem vom CNM errechneten Prozentsatz.
Dies sei laut eigener Aussage ein Zeichen dafür, dass das Unternehmen die Auswirkungen von "Fake Streams" erfolgreich abgemildert habe, wodurch diese keinen Einfluss auf Künstlerauszahlungen oder Charts hätten.
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