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Verbindung zwischen Musikern und Publikum

Live-Musik löst stärkere Emotionen aus als Tonaufnahmen

Spezial/Schwerpunkt von Backstage PRO
veröffentlicht am 08.03.2024

liveszene

Live-Musik löst stärkere Emotionen aus als Tonaufnahmen

© Wendy Wei via pexels.com

Eine Studie der Universität Zürich hat ergeben, dass Hirnregionen unterschiedlich auf Musik reagieren, abhängig davon, ob die Musik live oder als Tonaufnahme gehört wird. Daraus ergibt sich laut Studie, dass Live-Konzerte Menschen emotional gesehen stärker berühren als gestreamte oder auf Tonträgern konsumierte Musik.

Aktueller Stand des Forschungsgebiets war bislang, dass Emotionen, die durch Musik hervorgerufen werden, Prozesse in den Nerven des Hörsystems auslösen. Insbesondere die Amygdala, das Zentrum des affektiven Systems im Gehirn, reagiert auf musikalische Stimuli. 

Dabei kann die Amygdala beispielsweise spezifisch auf positive und negative Emotionen durch Musik antworten oder plötzliche Veränderungen innerhalb der Musik erkennen. 

Unterschiedliche Verarbeitung

Jedoch waren in bisherigen Studien die Ergebnisse der affektiven (d.h. gefühlsorientierten) Hirnprozesse in Verbindung zu gestreamter Musik eher inkonsistent. Auch die Wahrscheinlichkeit einer signifikanten Reaktion auf Musik in der Amygdala liegt nur bei 50 Prozent. 

Unter der Leitung von Sascha Frühholz, Professor für kognitive und affektive Neurowissenschaften an der Universität Zürich, untersuchten die Forscher*innen, ob und inwiefern Live-Musik und aufgezeichnete Musik vom menschlichen Gehirn unterschiedlich verarbeitet werden.

Zweiteiliges Experiment

Im ersten Teil des Versuchs ließ das Forschungsteam 27 Teilnehmer*innen 12 kurze Klavierspiele als aufgenommene Musikstücke hören. Im zweiten Teil spielten wiederum zwei Pianist*innen dieselben Klavierstücke live. Dabei wurden die Gehirnaktivität der Teilnehmenden durch ein MRI (Magnetresonanztomographie) gemessen. 

Die Ergebnisse des MRI wurden daraufhin der jeweiligen Pianist*in in Echtzeit angezeigt, damit diese*r sein Spiel anpassen und die Emotionen der Hörer*innen darauf intensivieren konnte. Ziel war es, dementsprechend die emotionale Reaktion in der Amygdala zu steigern und die unterschiedliche Dynamik der Nerven im Gehirn zu untersuchen. 

Stärkere Emotionen durch Live-Musik

Das Ergebnis des Versuchs zeigte nach Ansicht der Forscher eindeutig, dass Live-Musik zu einer starken Emotionsverarbeitung auf affektiver und kognitiver Gehirnebene führt. 

Live-Musik ist beispielsweise in der Lage, konkrete positive oder negative Gefühle wie Trauer oder Freude hervorzurufen. Diese Emotionen bringen wiederum höhere Aktivität in der Amygdala hervor als die von aufgezeichneter Musik erzeugten Emotionen. 

Sowohl bei angenehm als auch bei unangenehm konnotierter Musik war die funktionelle Verbindung zwischen vielen Regionen des Gehirnnetzwerks während der Live-Aufführung im Vergleich zur Anhören einer vorher aufgezeichneten Tonaufnahme deutlich höher.

Studienleiter Sascha Frühholz fasst das Ergebnis folgendermaßen zusammen:

"Unser Versuch zeigte, dass angenehme und unangenehme Emotionen, die in Live-Musik dargestellt wurden, eine viel höhere und konsistentere Aktivität in der Amygdala hervorriefen als aufgezeichnete Musik. Die Live-Performance stimulierte zudem einen regeren Informationsaustausch im gesamten Gehirn, was auf eine starke Emotionsverarbeitung auf den affektiven und kognitiven Hirnebenen hindeutet."

Synchronisation zwischen Live-Musik und Gehirnaktivität

Das Forschungsteam analysierte zudem, wie sich das Klavierspiel mit der Gehirnaktivität der Zuhörenden abstimmte und synchronisierte. Die Studie [Link zum PDF] zeigte: Nur Live-Musik rief beim Publikum eine starke Synchronisation zwischen dem subjektiven emotionalen Erleben und dem auditorischen Gehirnsystem hervor, das die Musik nach ihrer akustischen Qualität bewertet. 

Nur bei Live-Musik stimmten zudem die Merkmale der musikalischen Darbietung stark mit der Hirnaktivität der Hörenden überein – es kam laut Studie zu einer Art Koppelung zwischen dem Publikum und den Musizierenden.

Wunsch nach Interaktion

Als möglicher Grund für dieses Ergebnis gab die Studie an, dass Menschen einen Wunsch nach der emotionalen Erfahrung von Live-Musik verspüren. Aufgezeichnete Versionen eines Musikstücks können sich nicht dynamisch und auf individueller Ebene auf die Zuhörer*innen anpassen. 

Ein Live-Konzert hingegen, ermöglicht es Musiker*innen, die emotionale Reaktion des Publikums wahrzunehmen und entsprechend zu verstärken, beziehungsweise die Musik mit der Publikumsreaktion abzugleichen. 

Aus diesem Grund berühren Live-Konzerte und Live-Musik die Menschen emotional stärker als gestreamte Musik, so die Studie. Sie liefert damit einen wissenschaftlichen Beleg für ein Phänomen, das allen Live-Musiker*innen vertraut ist, nämlich die Bedeutung der Interaktion zwischen Publikum und Musizierenden auf der Bühne. Sascha Frühholz erklärt dazu: 

"Selbst heute, wo es Musik-Streaming-Dienste und hochwertige Lautsprecher oder Kopfhörer gibt, ist das soziale Erlebnis von Live-Konzerten unersetzbar. Das lässt sich vielleicht auf die evolutionären Wurzeln der Musik zurückführen. Der Mensch sehnt sich nach der emotionalen Erfahrung von Live-Musik. Wir wollen, dass Musiker uns mit ihrer Darbietung auf eine emotionale Reise mitnehmen."

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