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Ausbremsen, ablenken, aussitzen

Live Nation/Ticketmaster will Ticketing-Reformen in den USA ausbremsen

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 28.02.2023

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Live Nation/Ticketmaster will Ticketing-Reformen in den USA ausbremsen

Angesichts des boomenden Gewinns von Live Nation/Ticketmaster werden die Stimmen für Reformen immer lauter. © pixabay via pexels.com

Der Entertainmentkonzern Live Nation/Ticketmaster steht in den USA nicht erst seit dem Taylor Swift-Kartendeaster unter Druck. Nachdem sogar US-Präsident Biden erklärte, gegen die überhöhten Vorverkaufsgebühren vorzugehen, wiegelt Live Nation ab und verweigert konkrete Maßnahmen. Handlungsbedarf sieht das Unternehmen nur bei anderen.

Live Nation/Ticketmaster stehen vor allem an zwei Fronten in den USA unter Druck. Zum einen wird immer heftigere Kritik an der marktbeherrschenden Stellung des Unternehmens laut, zum anderen stehen unnötige Gebühren im Zusammenhang mit Kartenverkauf in der Kritik.

In einer offiziellen Bekanntmachung kündigte US-Präsident Joe Biden vor einigen Wochen an, gegen "junk fees" (dt. etwa unnötige, überflüssige Gebühren) vorzugehen. Biden hatte dabei keineswegs nur Konzertkarten im Visier. Sein Vorstoß richtete sich auch gegen überhöhte Gebühren für Sportevents, aber auch für Flug- und Hotelbuchungen sowie Bankgeschäfte.

Teure Karten, hohe Gebühren

Das Weiße Haus verweist in seinem Bericht auf eine Studie des United States Government Accountability Office aus dem Jahr 2018 [Link zum PDF]. Beim Kauf von Karten für Sport- und Musikevents fallen Gebühren in der Höhe von durchschnittlich 27 % an. Dabei schwankten die Gebühren im Einzelfall zwischen 13 und 58 (!) %.

Bei den Gebühren handelt es sich dabei um Service- und Bearbeitungsgebühren (service and processing fees), einige Anbieter erhoben aber auch "facility fees", also Gebühren für die Nutzung einer Einrichtung (wie beispielsweise eines Stadions oder einer Konzerthalle). 

Häufig wurden Käufer nicht oder unzureichend über die Gebühren informiert. Ohne das Unternehmen namentlich zu nennen, kritisierte der Report Ticketmaster für die späte Information über anfallende Gebühren im Kaufprozess, während andere Ticketanbieter Kunden frühzeitig auf Gebühren hinweisen.

Tricks zum Schaden der Kunden

Der Report benennt auch andere Tricks, mit denen Ticketmaster es Kunden erschwert, die Höhe der Gebühren einzuschätzen. Dazu zählt die Darstellung der Gebühren in kleinerer Schriftgröße, die Notwendigkeit sich durch mehrere Seiten durchzuklicken, sich einzuloggen, einen Sitzplatz auszuwählen oder einen Button mit dem Aufschrift "order details" anzuklicken.

Biden fordert daher den US-Kongress auf, Gesetze zu erlassen, die überhöhte Gebühren verbieten und sicherstellen, dass alle Gebühren im Ticketpreis ausgewiesen werden. Ebenso sollen Ticketanbieter alle Ticketrückstellungen offenlegen, die das verfügbare Angebot einschränken. Damit sind insbesondere spezielle Presales gemeint, die Ticketzweithändler nutzen, um sich mit Karten einzudecken.

Reformvorschläge mit Fallen

In seinem Jahresendbericht erklärt Live Nation/Ticketmaster dazu: "Wir sind davon überzeugt, dass eine größere Transparenz des gesamten Ticketing-Ökosystems die Branche verbessern wird, und wir haben uns bei politischen Entscheidungsträgern für Reformen eingesetzt."

Daher spricht sich Live Nation/Ticketmaster für die Verabschiedung des Fair Ticketing Acts aus, der folgende Punkte enthalten soll:

  • Die Künstler/innen sollen Regeln für den Weiterverkauf festlegen, um sicherzustellen, dass Tickets nur für ihren Nennwert weitergebeben werden, damit die Preise für die Fans niedrig bleiben und Ticketzweitverkäufer (engl. Scalper) davon abgehalten werden, die Fans auszunutzen.
  • Der Verkauf von Tickets zu Spekulationszwecken sollte illegal sein, damit  Ticketzweitverkäufer keine betrügerischen Taktiken anwenden können, um Fans dazu zu bringen, mehr Geld auszugeben oder Tickets zu kaufen, die der Verkäufer gar nicht hat.
  • Der Geltungsbereich des BOTS-Gesetzes muss erweitert und durchgesetzt werden, um diejenigen abzuschrecken, die das Gesetz brechen und dabei Künstler und Fans betrügen.
  • Ticketzweithändler, die erlauben, dass auf ihren Plattformen die von Künstlern (!) festgelegten Wiederverkaufsregeln gebrochen, sollten "echte Konsequenzen" in Form schärferer Gesetze zu spüren bekommen.
  • Es muss eine branchenweite Gesamtpreisgestaltung eingebführt werden, damit die Fans die vollen Kosten sehen, die sie im Voraus bezahlen.

Diese Vorschläge sind aber aus vielen Gründen problematisch, da sie von den tatsächlichen Problemen ablenken, die Verantwortung abwälzen oder eine Verzögerungstaktik darstellen. 

Ein starker Fokus liegt beispielsweise auf dem Ticketzweitmarkt, der für Live Nation/Ticketmaster ein Ärgernis ist. Das verdeutlicht die Aussage, die größte Herausforderung des Verkaufsprozesses von Konzertkarten bestünde darin, dass Fans keine Karten zum regulären Preis erhalten könnten, sondern sie nur zum fünffachen Preis bei Ticketzweithändlern erwerben könnten.

In Wirklichkeit ist das natürlich nur ein Problem unter vielen - und eines, das die Reformvorhaben vom primären, von Ticketmaster beherrschten Ticketmarkt ablenkt. Ein ähnliches Muster zeigen die übrigen Reformvorschläge.

Keine Eigeninitiative 

Eine "branchenweite Gesamtpreisgestaltung" setzt die Verabschiedung eines Gesetzes durch den US-Kongress voraus, was im besten Fall Monate, wahrscheinlich aber Jahre dauern wird. Live Nation/Ticketmaster erwähnen aber nicht, dass sie natürlich jederzeit selbst die Darstellung ihrer Preise ändern können. 

Die Forderung, den Verkauf von Tickets zu Spekulationszwecken zu verbieten, ist ein durchsichtiger Versuch, den Marktanteil des Zweitmarkts zu reduzieren. Das Anliegen Spekulation mit Konzertkarten zu unterbinden, mag berechtigt sein, aber der wirtschaftliche Nutzen für Live Nation/Ticketmaster liegt auf der Hand. 

Handlungsbedarf nur bei anderen

Besonders unbefriedigend wirkt der Versuch, die Verantwortung für Regeln zum Weiterverkauf von Tickets auf die Künstler abzuwälzen. Live Nation/Ticketmaster sind aber nicht unbeteiligte Marktplätze für Künstler, die dort ihre Tickets verkaufen, sondern agieren selbst als Veranstalter und Locationbetreiber. Der Einfluss des Unternehmens auf Weiterverkaufsregeln ist offensichtlich, aber die Bereitschaft sein Gewicht in die Wagschale zu werden, ist offensichtlich nicht vorhanden.

Das BOTS-Gesetz, das den Einfluss von Bots auf den Verkauf von Konzertkarten unterbinden soll, ist offensichtlich unzureichend. Aber auch in dieser Hinsicht wälzt Live Nation/Ticketmaster seine Verantwortung auf den US-Kongress ab. Natürlich könnte das Unternehmen selbst seine Maßnahmen gegen Bots verstärken, wenn es denn wollte.

Die Pläne von Live Nation/Ticketmaster gehen also ausschließlich dahin, anderen die Verantwortung für Reformen zuzuschieben und auf eigene Maßnahmen vollständig zu verzichten. Seiner Verantwortung wird der Konzern damit nicht im Mindesten gerecht.

Überparteiliche Kritik

Nicht nur US-Präsident Biden, sondern auch Senatoren beider großer Parteien kritisieren die immense Marktmarkt von Live Nation/Ticketmaster. In einem gemeinsamen Brief an den stellvertretenden Generalstaatsanwalt der Kartellabteilung im US-Justizministerium Jonathan Kanter fordern die Demokratin Amy Klobuchar und der Republikaner Mike Lee die Kartellbehörden zu Untersuchungen auf. Darin erklären sie:

"Zu lange haben Live Nation und Ticketmaster ihre Monopolmacht wettbewerbswidrig ausgeübt und damit Fans und Künstlern gleichermaßen geschadet. Wir haben vor kurzem eine parteiübergreifende Anhörung im Justizausschuss des Senats abgehalten, bei der jeder Zeuge bei unserer Anhörung, mit Ausnahme des Geschäftsführers von Live Nation, ausgesagt haben, dass Live Nation der amerikanischen Musikindustrie schadet.

Wir haben Live Nation sowohl bei der Anhörung als auch danach eine Reihe von Fragen zum Wettbewerb gestellt, aber Live Nation hat sie größtenteils nicht beantwortet. Die Antworten des Unternehmens laufen auf 'vertraut uns' hinaus. Wir glauben, dass das völlig unzureichend ist."

Der Druck nimmt zu

Wenig überraschend glaubt Live Nation/Ticketmaster keine Gesetzesverstöße begangen zu haben und verweist darauf, dass der Marktanteil von Ticketmaster seit der Fusion mit Live Nation gesunken sei. Wirklich überzeugend wirkt die Argumentation aber nicht, sofern man überhaupt von einer solchen sprechen kann.

Der politische Druck auf Livenation/Ticketmaster wächst unablässig. Dass sowohl Demokraten wie Republikaner bei diesem Thema ungeahnte Gemeinsamkeiten entdecken, zeigt die Verärgerung mit dem Geschäftsgebaren des Konzerns.

Auswirkungen auch auf Deutschland

Ob der US-Kongress aber wirklich Gesetze verabschieden wird, die die Marktmacht von Live Nation/Ticketmaster einschränken oder ob die Kartelluntersuchungen zu irgendeinem Ergebnis führen werden, ist aktuell noch völlig unklar.

Ähnliche Fragen hinsichtlich hoher Servicegebühren und anderer Tricks zur Gewinnoptimierung stellen sich auch in Deutschland bzw. der EU. Die Entwicklung der Situation in den USA wird daher mit Sicherheit auch den Ticketmarkt hierzulande beeinflussen.

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