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Viele Krokodilstränen

Falsche Angaben der Städte? GEMA kritisiert Debatte um Gebühren für Weihnachtsmärkte

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 07.12.2023

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Falsche Angaben der Städte? GEMA kritisiert Debatte um Gebühren für Weihnachtsmärkte

Der Weihnachtsmarkt in Leipzig. © Christian Grube

Was ist dran an den zahlreichen Klagen von Städten über massiv gestiegene GEMA-Gebühren für Weihnachtsmärkte? Die GEMA erklärt, die höheren Kosten seien nicht die Folge von Gebührenerhöhungen, sondern von falschen Angaben der Städte zur Größe der Märkte.

Seit Monaten berichten zahlreiche Medien, darunter auch wir, über Streit über deutlich gestiegene GEMA-Gebühren für Weihnachtsmärkte.

Die GEMA erhebt diese Gebühren für den Einsatz von Musik, egal ob es sich um Live-Musik oder um Musik von Tonträgern oder aus digitalen Quellen handelt.

Einige Beispiele:

  • In Bayreuth stiegen die Kosten der GEMA-Gebühren für den Weihnachtsmarkt von 493 Euro (2019) auf 40.000 Euro (2022)
  • In Regensburg erhöhte sich die GEMA-Rechnung von 2.500 Euro auf 16.000 Euro
  • Hannover soll statt 9.500 Euro nun 45.000 Euro bezahlen
  • Die GEMA-Gebühren in Braunschweig stiegen "um 18.000 Euro"
  • In Leipzig sollte die Stadt 38.000 Euro bezahlen, "zehnmal soviel wie zuvor"

Die Städte zogen unterschiedliche Konsequenzen. In Bayreuth einigten sich GEMA und Stadt auf reduzierte Gebühren von 6.645 Euro. Ebenfalls zu einer Einigung kam es in Leipzig, das nun 20.000 Euro zahlen muss, 18.000 Euro weniger als ursprünglich befürchtet.

Still, laut und ein bisschen unehrlich

Trotz der Einigung fand in Leipzig ebenso wie in vielen anderen Städten in Nord- und Ostdeutschland am 4. Dezember ein "Tag der Stille" als Protest gegen die gestiegenen Gebühren statt. Praktischerweise hat sich das Marktamt der Stadt dafür einen Montag ausgesucht, wenn sich das Besucheraufkommen sowieso in Grenzen halten sollte. 

In Regensburg zog die Stadt die Konsequenz, auf dem diesjährigen Weihnachtsmarkt überhaupt keine Musik zu spielen. Andere Städte wollen sich mit GEMA-freier Musik behelfen. In Braunschweig traf man die besonders künstlerfeindliche Entscheidung, auf den Auftritt von Chören und Musikgruppen zu verzichten.

Die GEMA antwortet

Die GEMA kann die Aufregung hingegen nicht nachvollziehen und kritisiert in einer ausführlichen Stellungnahme sowohl die Städte wie die mediale Berichterstattung. 

Es sei korrekt, dass es "in den vergangenen Wochen vereinzelt zu Reklamationen aufgrund signifikant gestiegener Lizenzkosten bei Weihnachtsmärkten mit großen Veranstaltungsflächen" gekommen sei.

Steigerung durch Nachberechnungen

Der Grund seien aber nicht gestiegene Gebühren. Stattdessen verlasse sich die GEMA nicht mehr auf die von Kundinnen und Kunden gemeldeten Nutzungsflächen, sondern führe Nachberechnungen der Gesamtfläche durch.

Da die GEMA dabei deutliche Diskrepanzen feststellte, habe sie diese "bei der Berechnung der Lizenzhöhe berücksichtigt", weshalb es in Einzelfällen zu höheren GEMA-Gebühren gekommen sei. 

Die GEMA gesteht dabei Fehler in der Kommunikation ein: "Dies hätten wir umfassend kommunizieren müssen. Das ist nicht in dem gewohnten Maße erfolgt und das bedauern wir."

Tarif seit 2018 unverändert

Der für Weihnachtsmärkte einschlägige Tarif für Stadtfeste U-ST sei zuletzt 2018 mit der Bundesvereinigung der Musikveranstalter (BVMV) verhandelt worden, wozu auch der Deutsche Städtetag zähle. Der Tarif U-ST werde von "Branchenverbänden sowie von Kundinnen und Kunden seit Jahren als angemessen anerkannt und erfolgreich in der Praxis umgesetzt."

Seitdem seien übliche jährlich "preisliche Tarifanpassungen" im Bereich von 2 bis 6 Prozent vorgenommen worden, die der allgemeinen Teuerungsquote folgten. Der Tarif gilt übrigens nur für eine "Mischnutzung" von Live-Musik und Musik von Tonträgern bzw. digitalen Quellen. Wird nur Musik aus der Konserve abgespielt, gelten andere Tarife.

Die gesamte Fläche zählt

Wie aber kommt es zu den Steigerungen, wenn eine Gebührenerhöhung nicht der Grund ist? Als Berechnungsgrundlage für die GEMA-Gebühren dient die gesamte Fläche des Weihnachtsmarktes und nicht etwa nur der Bereich der Bühne.

Das hat die GEMA im Jahr 2011 durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) erstritten, bei dem die GEMA einen Veranstalter u.a. eines Weihnachtsmarktes auf Zahlung von Lizenzgebühren verklagte .

Der BGH urteilte damals "zur Berechnung der angemessenen Vergütung sei nicht nur auf den von den Bühnen mit Musikdarbietungen beschallten Bereich, sondern auf die gesamte Veranstaltungsfläche abzustellen." Diese berechnet sich "vom ersten bis zum letzten Stand und von Häuserwand zu Häuserwand".

Die Musik auf den Bühnen präge bei solchen Festen die gesamte Veranstaltung. Weiter erklärt der BGH: "Die Musikdarbietungen richten sich an alle Besucher auf der gesamten Veranstaltungsfläche. Da das Publikum vor den Musikbühnen ständig wechselt, hören im Laufe der Zeit in der Summe mehr Zuhörer die Musik, als vor der Bühne Platz fänden."

Es sei zudem "nicht ohne weiteres möglich, ausgehend von der jeweiligen Bühne den physikalisch relevanten Beschallungsbereich zu ermitteln". Dieser hänge von den örtlichen Gegebenheiten und der Lautstärke der Musik ab und sei in der Regel nur von Sachverständigen festzustellen. Der GEMA sei nicht zuzumuten "bei jeder Musikaufführung im Freien einen Sachverständigen mit der Ermittlung des Beschallungsbereichs zu beauftragen."

Insofern dürften Drohungen einiger Städte mit Klagen gegen die GEMA sich vermutlich im Sande verlaufen. Die Sache ist höchstrichterlich entschieden und wird sich vorerst nicht ändern.

Tricks der Städte

Der Grund der Steigerung der GEMA-Lizenzgebühren bei einer kleinen Zahl von Weihnachtsmärkten liege nicht an höheren Tarifen oder einer neuen Berechnungsgrundlage, sondern an falschen Angaben der Städte, so die GEMA.

Besonders Städte mit großen, umsatzstarken Weihnachtsmärkten hätten falsche Angaben zur Gesamtfläche des Weihnachtsmarkts gemacht. Da außerdem viele Städte ihre Weihnachtsmärkte vergrößert oder die Öffnungszeiten verlängert hätten, seien die Gebühren in manchen Fällen stark gestiegen.

Diese hohen Steigerungen seien aber selten. Für das Jahr 2022 habe die GEMA "rund 3.350 Rechnungen für Weihnachtsmärkte versendet, die nach Tarif U-ST lizenziert wurden. Davon haben rund 135 Kundinnen und Kunden aufgrund signifikanter Preissteigerungen reklamiert. In nur etwa 35 dieser Fälle handelt es sich um Steigerungen im fünfstelligen Bereich."

Mit den meisten betroffenen Städten habe die GEMA "Gespräche aufgenommen" und "gute Lösungen gefunden". Diese Möglichkeit bestehe auch weiterhin.

Gleichzeitig wirft die GEMA den Städten vor, "die Informationen ihrer Verbände über die Anwendung des GEMA Tarifs schlichtweg ignoriert zu haben". Allerdings gab die GEMA ja bekanntermaßen zu, dass ihre Informationspolitik ebenfalls verbesserungswürdig sei.

Kein karitatives Event

Völlig zurecht weist die GEMA aber darauf hin, dass Weihnachtsmärkte kommerzielle Veranstaltungen sind, die für Städte und Gemeinden kräftige Einnahmen generieren.

Wenn also der Leipziger Marktamtsleiter Walter Ebert den Weihnachtsmarkt als "sozio-kulturelle Veranstaltung" charakterisiert, wirkt es so, als spräche er von einem "Fest der Kulturen" und nicht von einer durch und durch gewinnorientierten Veranstaltung.

Unverständnis bei der GEMA

GEMA-Vorstandsmitglied Georg Oeller äußert sich zur Kontroverse und spart darin nicht mit Kritik an den Medien, den Städten und dem Deutschen Städtetag

Ich verstehe die mediale Aufregung nicht. Wir wissen, dass einzelne Weihnachtsmärkte falsche Angaben gemacht haben. Einige große, umsatzstarke Märkte haben uns deutlich zu kleine Flächen gemeldet. Uns geht es im Sinne einer angemessenen Vergütung der Musikautorinnen und -autoren um die korrekte Anwendung eines Tarifs. Welche Informationen dafür angegeben werden müssen, kennen die Mitglieder des Deutschen Städtetags seit Jahren. Die meisten wenden den Tarif auch korrekt an. Als Mitglied des Deutschen Städtetags erhalten sie einen Nachlass in Höhe von 20 Prozent. Im Hinblick auf die Weihnachtsmärkte ist der Verband seiner Aufgabe, noch deutlicher über die Anwendung des Tarifs zu informieren, offensichtlich nicht ausreichend nachgekommen. Anders können wir es uns nicht erklären, dass seit Wochen Meldungen über flächendeckend still bleibende Weihnachtsmärkte kursieren, die schlichtweg falsch sind. Kein Weihnachtsmarkt muss auf Musik verzichten, nur weil diese Musik durch die GEMA lizenziert wird."

GEMA sorgt für Verwirrung

Zur Verwirrung hat die GEMA aber selbst beigetragen, indem sie vor Monaten gegenüber dem BR erklärte, der entsprechende Tarif sei vor der Corona-Pandemie mit dem BVMV ausgehandelt worden, würde aber jetzt erst umgesetzt. 

Diese Aussage widerspricht den aktuellen Äußerungen der GEMA gleich in zweifacher Hinsicht. Da der Tarif schon 2018 ausgehandelt wurde, muss es eigentlich mindestens ein pandemiefreies Jahr gegeben haben, indem er schon voll angewandt wurde, und zwar 2019.

Außerdem widerspricht die Aussage, der Tarif würde erst jetzt angewendet, dem Statement der GEMA, sie habe durch Berechnungen herausgefunden, dass einzelne Städte als Betreiber der Weihnachtsmärkte bei den Flächenangaben falsche Angaben gemacht hätten. 

Angesichts des früheren Statements der GEMA ist es keineswegs überraschend, dass viele Medien, darunter auch Backstage PRO, über gestiegene Tarife für Weihnachtsmärkte berichteten. Das Erstaunen der GEMA ist in dieser Hinsicht ein wenig verwunderlich.

Städte bekleckern sich nicht mit Ruhm

Gleichzeitig wirkt das Verhalten mancher Städte durchaus problematisch. Anstatt das Gesprächsangebot der GEMA anzunehmen wie Bayreuth oder Leipzig, verzichten sie ganz oder teilweise auf Musik. Besonders das Verhalten der Stadt Braunschweig, auf Live-Musik zu verzichten, sendet ein ganz schlechtes Beispiel.

Auch der Leipziger Marktamtsleiter Walter Ebert erklärte, dass dies insbesondere Kleinkünstler, regionale Musiker, Chöre und Vereine um ihre Auftritte bangen müssten. Diese Haltung ist deshalb verheerend, weil die Künstlerinnen und Künstler die schwächsten Glieder der Kette sind, während sich Städte und GEMA den schwarzen Peter hin- und herschieben.

Alles unbefriedigend

Wir sehen die Schuld mehr bei den Städten und weniger bei der GEMA, und das nicht zuletzt deshalb, da die GEMA zu beträchtlichen Nachlässen bereit war. Stattdessen haben einige Städte schlichtweg überreagiert, teilweise sachliche falsche Aussagen getroffen und vermutlich auch bei der Berechnung der Flächen der Weihnachtsmärkte großzügig zu ihren Gunsten geirrt.

Unbefriedigend bleibt aber, dass die Mehreinnahmen der GEMA keineswegs den Musiker zugutekommen, die auf den Weihnachtsmärkten auftreten. Stattdessen fließen sie in den allgemeinen Tantiemenpool, von dem natürlich diejenigen profitieren, die sowieso schon hohe GEMA-Einnahmen erzielen.

Aber auch uns fehlt die Phantasie, wie man bei Weihnachtsmärkten, Volks- Stadt- und Straßenfesten eine songgenaue Abrechnung durchführen soll. 

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