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Ihr wolltet Spass

Ihr wolltet Spass

Release von Tanzwut

: 2004
Produktion: DIY
Label: Selbstvertrieb

Bezug über

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Details

Jede Band behauptet von sich, etwas Besonderes zu sein - schön wärs, kann man da nur sagen. Im Fall von Tanzwut besteht daran jedoch keinerlei Zweifel, die Berliner sind eine echte Ausnahmeerscheinung. Welche andere Band kann von sich behaupten, den Teufel in ihren Reihen zu haben? Hier fungiert er als Sänger, Spaßmacher, Charmeur und manchmal auch als Provokateur. Dabei ist der Teufel genau genommen ein Mensch wie du und ich. Er hat mal gute und mal schlechte Laune, mag lustige Witze, hasst Aufschneider und Dummquatscher und liebt Wein, Weib und (vor allem) Gesang. Über Satanismus kann er dagegen nur den Kopf schütteln, er hat besseres zu tun, schließlich ist er Mitglied bei Tanzwut.

Ihren Namen wählten die Mannen vom Prenzlauer Berg mit Bedacht, er stammt aus der Zeit des Mittelalters. Zwischen 1350 und ´52 wütete die Pest in Europa. Die Spielleute trugen die Nachricht von der drohenden Katastrophe von Stadt zu Stadt. Angesichts des bevorstehenden Armageddons rieten sie den Leuten, sich in den Rausch des Tanzes zu stürzen. Tausende Menschen folgten dieser Aufforderung, verscherbelten ihr Hab und Gut und vergnügten sich im Hier und Jetzt. Siebzig Prozent von ihnen waren Frauen, das müssen himmlische Zustände gewesen sein, vermutet Castus, bei den Hauptstädtern für das Dudelsackblasen zuständig.

Zurück in die Gegenwart, wo der Anblick von Menschen im Tanzrausch für die verschworenen Sieben eher die Regel als Ausnahme ist. Von der Bühne aus erlebten sie hyperventilierende Teenie-Girls, Rocker, die sich im Schlamm wälzten und erhitzte Fanmassen, die bullige Security-Männer durch die Luft fliegen ließen. Nicht selten warfen entzückte Anhängerinnen auch mit Unterwäsche. Die gesammelten Trophäen sind übrigens zu besichtigen, sie hängen über der Tür zu ihrem Proberaum. Für uns als Musiker ist diese Art von Ekstase total wichtig, verrät Basser Wim.

Nach drei Jahren gibt es jetzt endlich wieder ein neues Album. Es trägt den doppelbödigen Titel Ihr wolltet Spaß und steht ganz im Zeichen künstlerischer Freiheit. Für die beiden Vorgängeralben Tanzwut (1999) und Im Labyrinth der Sinne (2000) kombinierten die findigen Musiker die Genres Elektro, Rock und Mittelalter, für die aktuelle Scheibe lautete die Devise: Alles geht. Es gab keine Tabus, bestätigt Wim, wir haben das gemacht, worauf wir Lust hatten. Wichtig war uns nur, alle sieben mussten die Songs geil finden. Auf diese Weise gelangen Tanzwut krachende Rocker wie etwa der Opener Wieder da, zu dem man vorm geistigen Auge die begeisterten Anhänger wogen und toben sehen kann. Gnade ist eine schnelle Nummer, bei der Dudelsäcke und Gitarre sich ein spannendes Duell liefern. Vagorum kombiniert Beethovens Fünfte, die Vagantenbeichte aus der Carmina Burana, einen Text von Hildegard von Bingen mit krachendem Thrash Metal.

Zum frischen und variantenreichen Sound des Septetts haben sicher auch die neuen Mitglieder beigetragen. An der Sechssaitigen steht mit Patrick jetzt ein blutjunger Könner, der eine klassische Gitarristenausbildung absolviert hat. Am Schlagzeug sitzt mit Norri ebenfalls ein Spitzenmann, der bereits bei Depressive Age, K.d.A. und Dance Or Die die Felle gegerbt hat. Neben den Neuen stoßen Kollege A und Castus in die Dudelsäcke, Wim zupft den Bass, Tec bedient die Keyboards und Teufel - wir sagten es bereits - hat das Mikrophon fest im Griff.

Schon einmal hatten Tanzwut Klassiker frisiert, als sie eine Dudelsackversion von Beethovens Freude schöner Götterfunken mit Mephisto-Zitaten aus Goethes Faust vermählten. Dieser Song ist bis heute ein Höhepunkt ihrer Show, mit der sie sich zu Hause und im europäischen Ausland viele Freunde gemacht haben. Allein für Labyrinth der Sinne stiegen sie über zweihundertmal auf die Bretter, die für sie die Welt bedeuten. Die märkischen Spielleute sind süchtig nach der Straße, neben Tanzwut musizieren alle Sieben auch noch bei Corvus Corax. Hier domineren Dudelsäcke und Perkussionsinstrumente, während ihre Lieder auf historischen Notationen und alten Sprachen beruhen.

Bei Tanzwut singt der Teufel hauptsächlich in seiner Muttersprache, damit kann man sich in unseren Breiten immer noch am klarsten verständlich machen. Auf Deutsch kommen auch seine Scherze am besten. Für Zaubern etwa betrachtet er sich den Zustand von Mensch und Natur im Jahr 2003 und sinniert: Vielleicht bin ich zu sehr befangen / doch so weit wär ich nie gegangen. Im Titelsong widmet er sich, mit einer gehörigen Portion Sarkasmus, unserer Fit-for-Fun-Gesellschaft: Ihr wolltet Spaß
Den sollt Ihr haben / Ihr kennt wohl nicht mehr meinen Namen. Man sieht, der Teufel lacht gut und gerne, sogar über sich selbst, doch eines sollte man nie vergessen: In dem gehörnten Charmeur steckt immer auch ein Provokateur...

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