×

Alles eine Frage der Gene?

Genetische Einflüsse prägen Musikalität – aber die Umwelt spielt eine wichtige Rolle

Spezial/Schwerpunkt von Christoph Ohlwärther
veröffentlicht am 24.01.2023

musikalität

Genetische Einflüsse prägen Musikalität – aber die Umwelt spielt eine wichtige Rolle

Nach neuen Erkenntnissen bedingen sich Umwelt und Gene hinsichtlich der Musikalität gegenseitig. © Yan Krukau via pexels.com

Welche Rolle spielen Gene bei der musikalischen Veranlagung eines Menschen? Dieser Frage ist ein internationales Forscherteam in einer Studie nachgegangen. Die Ergebnisse zeigen: Gene können die musikalische Neigung teilweise vorhersagen.

Musikalische Veranlagung ist verschieden ausgeprägt: Manche üben täglich stundenlang am Instrument und erzielen nur häppchenweise Fortschritte. Andere betreiben deutlich weniger Aufwand und scheinen trotzdem schneller ihre Ziele zu erreichen. Was hat es sich mit Musikalität also auf sich?

Was ist die Quelle der Musikalität?

Forschende, u.a. vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik (MPIEA), hatten sich in einer Studie zum Ziel gesetzt, mehr Verständnis über das Verhältnis von musikalischer Veranlagung und Genen zu erlangen.

Dabei bezog sich der Begriff Musikalität auf eine Vorstudie, in der gut 600.000 Personen die einfache Frage beantworteten, ob diese es sich zutrauen, zu einem Beat klatschen zu können oder nicht. Anschließend wurde untersucht, inwiefern die jeweiligen Gene vorhersagen konnten, ob die Frage mit ja oder nein beantwortet wurde.

Für die Hauptstudie selbst wurden die Daten von 5648 Zwillingen aus Schweden auf verschiedene musikalische Parameter untersucht, etwa wie gut diese Rhythmen, Melodien und Tonhöhen zu unterscheiden wussten.

Bestimmung verschiedener Faktoren

Gefragt wurde dabei, ob die Teilnehmenden jemals ein Musikinstrument (einschließlich Gesang) gespielt und wenn ja, in welchem ​​Alter sie damit begonnen hätten. Von Interesse war auch, wie häufig die Befragten am Instrument geübt hatten, wie viel kreative musikalische Leistung sie erbracht hatten und in welchem Umfang sie Musik hörten.

Zusätzlich wurden Faktoren wie das familiäre Umfeld oder die allgemeine Intelligenz der Teilnehmenden untersucht. Im Anschluss verglichen die Forscher die aus den Fragen gewonnenen Erkenntnisse mit den jeweiligen genetischen Daten, die für die musikalische Neigung verantwortlich sind.

Der polygene Score

Die Forschenden entwickelten für die Studie den polygenen Score, der als PGSrhythm gekennzeichnet ist. Dessen Rolle beschreibt Miriam Mosing, Verhaltensgenetikerin am Frankfurter Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, die auch an der Studie beteiligt war, in einem Interview mit dem SWR wie folgt:

"Diesen genetischen Score haben wir dann benutzt, um auch zu schauen, ob er auch andere Dinge bezüglich der Musikalität voraussagt. Wir haben gemessen, wie gut die Teilnehmenden Tonhöhen, Melodien und Rhythmen auseinanderhalten können und wie gut sie ihren Finger zu einem Rhythmus bewegen können. Abgefragt wurde auch, ob und wie lange die Teilnehmenden Musik spielen, wann sie damit angefangen haben, Musik zu spielen, wie viel sie üben, und sogar, ob sie aktiv im Tanz sind."

Die Ergebnisse bestätigen, dass der polygene Score gewisse musikalische Phänotypen vorhersagen kann, was sich vor allem in der Analyse der Tonhöhen-, Rhythmik- oder Melodie-Unterscheidung zeigte.

Mit anderen Worten: Die genetische Zusammensetzung sagt voraus, wie hoch die Musikalität einer einzelnen Person ist. Dabei sollte jedoch laut Mosing beachtet werden, dass nicht mehrere bestimmte Gene, (geschweige ein spezielles Gen) für die musikalische Veranlagung verantwortlich sind:

"Früher hat man gedacht, dass es bestimmte Gene für komplexe Verhalten gibt. Das ist aber nicht so. Man findet Hunderttausende von Genen, die alle einen winzig kleinen Effekt haben. Das ist auch ein Grund, warum wir komplexe Verhalten sehr schwer basiert auf einem individuellen Level vorhersagen können."

Zusammenwirkung von Umwelt und Genen

Selbstverständlich sind es nicht nur die Gene, welche die musikalische Veranlagung ausmachen. Auch die Umwelt eines Menschen spielt eine signifikante Rolle. Wachsen Kinder in einer musikalischen Umgebung auf, naheliegend bei Eltern, welche selbst eine große Nähe zur Musik haben, so ist der musikalische Zugang für Kinder deutlich einfacher, wie zahlreiche ältere Studien belegen.

Was die jetzige Studie erstmals zeigen konnte, ist, dass Gene auch indirekt Auswirkungen auf das musikalische Umfeld haben können. Es gibt sozusagen eine Gen-Umwelt Korrelation. Laut Mosing heißt dass, "dass Kinder, die eine Neigung zur Musik haben, auch eine größere Wahrscheinlichkeit haben, in einer musikalischen Umgebung groß zu werden."

Der Grund liegt darin, "dass die Eltern auch diese genetische Veranlagung haben und diese weitergeben, aber auch dieses Umfeld für ihre Kinder schaffen." Eltern, deren polygener Score eine hohe musikalische Affinität mit sich bringt, bieten ihren Kindern mit höherer Wahrscheinlichkeit eine musikalische Umgebung an und erleichtern diesen eine frühkindliche musikalische Förderung.

Weitere Untersuchungen nötig

Trotzdem erhebt die Studie keinen Anspruch darauf, eine endgültige Antwort auf die Frage nach dem Sitz der Musikalität zu liefern. So betonen die Forschenden, dass noch nicht bekannt ist, welche genetischen Abschnitte welche Auswirkungen auf die musikalische Neigung haben.

Zum anderen sind noch weitere Untersuchungen notwendig sind, um genauere Erkenntnisse über die Gültigkeit der Ergebnisse für die Allgemeinbevölkerung zu gewinnen, denn die Ergebnisse der innerfamiliären Analyse basierten auf einer insgesamt kleinen Stichprobe von Zwillingspaaren.

Überschätzen sollte man den genetischen Score also nicht. Die Forscher sind dennoch davon überzeugt, dass PGSrhythm zuverlässig in der Forschung verwendet werden kann, um die genetischen Grundlagen individueller Unterschiede von Musikalität weiter zu entschlüsseln.

Folgen für die Erziehung

Auch aus einem anderen Grund sollte der polygone Score PGSrhythm nicht als absolutes, alles vorherbestimmende Maß betrachtet werden. 

Selbst wenn man als Elternteil nicht musikalisch aktiv ist, lohnt es sich laut Miriam Mosing den eigenen Kindern ein musikalisches Umfeld zu bieten. Kinder sollten in der frühkindlichen Phase mit einem Musikinstrument vertraut gemacht werden.

Zudem gilt weiterhin, dass die musikalische Neigung an sich natürlich nicht das Üben an einem Instrument ersetzen kann. Sie dient nur als Basis für intensivere Beschäftigung – und verdeutlicht, dass sich komplexe Talente oder Fähigkeiten nicht auf einen einzigen Faktor zurückführen lassen.

Ähnliche Themen

Musikerkennungs-Studie: Menschen wissen nach 5 Sekunden, ob ihnen ein Song gefällt

Kurze Ausschnitte genügen

Musikerkennungs-Studie: Menschen wissen nach 5 Sekunden, ob ihnen ein Song gefällt

veröffentlicht am 28.03.2023   12

Musiker/innen haben leicht erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen

Komplexe Zusammenhänge

Musiker/innen haben leicht erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen

veröffentlicht am 14.03.2023   19

Newsletter

Abonniere den Backstage PRO-Newsletter und bleibe zu diesem und anderen Themen auf dem Laufenden!