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"Auch der Künstler kann sich schadenersatzpflichtig machen."

Rechtsanwalt Wolf-Dietmar Schoepe über Haftung bei Straftaten oder Störungen im Konzertbetrieb

Interview von Michael Erle
veröffentlicht am 03.11.2023

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Rechtsanwalt Wolf-Dietmar Schoepe über Haftung bei Straftaten oder Störungen im Konzertbetrieb

Wolf-Dietmar Schoepe ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in München. © privat

Ob Schlamm bei Wacken 2023 oder Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens bei Rammstein - Unsicherheit ist ein Teil des Eventbetriebs. Wo fängt für Künstler und Veranstalter die Verantwortung an, wo drohen Schadenersatz oder Klage? Und welche Rechte hat der Besucher? Zu diesen Fragen stand Wolf-Dietmar Schoepe, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht Rede und Antwort.

Backstage PRO: Konzertveranstaltungen beinhalten das Zusammenarbeiten zahlreicher Parteien. Im Fall Rammstein wird davon gesprochen, dass die vorgeworfenen Missbrauchsfälle durch eine regelrechte Organisation seitens der Band und ihrer Dienstleister ermöglicht wurden. Wie ist die rechtliche Haftbarkeit von Helfern und Mitwissern zu bewerten?

Wolf-Dietmar Schoepe: Jede rechtliche Haftbarkeit setzt Verschulden voraus: Derjenige, der haftbar gemacht werden soll, muss vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt oder eine gebotene Handlung unterlassen haben. Der Anspruchsteller bzw. im Fall einer strafrechtlichen Haftung die Strafverfolgungsbehörden müssen den Nachweis sowohl der Tathandlung (d.h. der objektive Tatbestand) als auch des Verschuldens (d.h. der subjektive Tatbestand) darlegen und beweisen. Im Strafrecht kommt es noch darauf an, ob eine fahrlässige Tatbegehung überhaupt strafbar ist. Das ist nur dann der Fall, wenn es ausdrücklich im Gesetz vorgesehen ist.

Backstage PRO: Wie sieht es mit möglichen Mitwissern aus?

Wolf-Dietmar Schoepe: Was die mögliche Haftung von Helfern und Mitwissern anbelangt, hängt dies vom konkreten Tatvorwurf ab. Im Raum stehen die Verabreichung von Substanzen, die die freie Willensbetätigung einschränken, und sexueller Missbrauch. Wenn einer der Helfer beispielsweise solche Substanzen in Kenntnis der beabsichtigten Verwendung beschafft oder bereitgestellt hat, haftet er auch. Der Beweis wird aber schwer zu führen sein. Das gilt sowohl für eine straf- als auch eine zivilrechtliche Haftung. Von einer Beihilfehandlung hinsichtlich etwaiger Sexualdelikte wird man kaum ausgehen können, da diese Vorgänge nach meiner Kenntnis im innersten Zirkel abliefen. Zudem muss immer erst der Einwand entkräftet werden, dass alles, was passierte, einvernehmlich war.

Backstage PRO: Das Strafrecht hilft also hier nur wenig weiter?

Wolf-Dietmar Schoepe: Eigentlich geht es nicht um Haftung, sondern um das Schaffen eines Bewusstseins aller Beteiligten, dass solche Handlungen schlicht nicht tolerierbar sind. Das ist dann aber ein gesellschaftliches und kein rechtliches Problem. Jeder Verantwortliche sollte klar Flagge zeigen und jeden bestärken, einen Missstand offen anzusprechen, egal von wem er ausgeht. Nur dann bekommen wir das in den Griff.

Backstage PRO: Können Veranstalter Rechtsschutzversicherungen abschließen, um sich im Falle von Vorwürfen zu wappnen? 

Wolf-Dietmar Schoepe: Speziell für diese Fälle sehe ich keinen gesonderten Nutzen von Rechtsschutzversicherungen. Im Fall eines vorsätzlichen Tatvorwurfs greifen sie ohnehin nicht. Wie immer muss man unbedingt beachten, was im Versicherungsvertrag alles ausgeschlossen wird.

Backstage PRO: Welche Möglichkeiten haben Veranstalter, sich etwa durch Hausregeln zu schützen?

Wolf-Dietmar Schoepe: Veranstalter können selbstverständlich Regeln aufstellen, sei es im Vertrag selbst, sei es in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder in einer Hausordnung. Ich frage mich allerdings, inwieweit ein solcher Exzess [wie im Fall Rammstein, Anm. der Red.] durch Verträge oder Hausordnungen unterbunden werden kann. Soweit ich informiert bin, fanden die behaupteten Übergriffe ja nicht nur im Venue, sondern teilweise nach der Show an einem anderen Ort statt. Es ist aber jedenfalls unschädlich, wenn ein Betreiber einer Versammlungsstätte oder ein Veranstalter Verhaltensregeln aufstellt. Dabei muss berücksichtigt werden, dass z.B. der Venue-Betreiber in der Regel keine eigene Vertragsbeziehung zum Künstler hat, es sei denn, er veranstaltet selbst.

Backstage PRO: Wie gehen öffentliche Stellen mit dieser Thematik um, die ja einerseits den Auftrag haben, Kultur unvoreingenommen zu unterstützen (etwa durch Räume für Veranstaltungen), andererseits aber auch eine Verpflichtung zu Rechtsstaatlichkeit und Recht haben?

Wolf-Dietmar Schoepe: Für öffentliche Stellen gilt das Gleiche wie in oben ausgeführt. Ein unpassendes oder gar strafrechtlich relevantes Verhalten muss auch eine öffentliche Stelle nicht hinnehmen.

Backstage PRO: In welcher Verantwortung steht ein Veranstalter rechtlich, wenn es um den sicheren Ablauf des Events geht?

Wolf-Dietmar Schoepe: Die Veranstalter sind für die Sicherheit sowohl der Besucher als auch aller Mitwirkenden verantwortlich. Allerdings gilt auch hier das Verschuldensprinzip. Er muss alles ihm Zumutbare unternehmen, um erkennbare und voraussehbare Schadenssituationen zu vermeiden. Dem Veranstalter obliegt insoweit die Verkehrssicherungspflicht, gegebenenfalls gemeinsam mit dem Hallenbetreiber, so dass ein Geschädigter sich sowohl an den Veranstalter wegen dessen Haftung aus dem zwischen Besucher und Veranstalter geschlossenen Vertrag als auch an den Hallenbetreiber wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht halten kann.

Backstage PRO: Wann haftet ein Veranstalter, wenn ein Event wegen chaotischer Zustände oder extremen Wetterlagen abgebrochen wird? Lohnen sich hier entsprechende Versicherungen?

Wolf-Dietmar Schoepe: Im Fall einer Absage oder eines Abbruchs wegen extremer Wetterbedingungen hat der Kartenkäufer einen Anspruch auf Erstattung des Eintrittspreises. Das ist kein Schadenersatzanspruch, sondern ein Rückerstattungsanspruch, weil der Ticketkäufer vorgeleistet hat und der Veranstalter seine Vertragspflicht – die Durchführung der Veranstaltung – nicht erfüllen kann. 

Backstage PRO: Wie kann der Veranstalter sich schützen?

Wolf-Dietmar Schoepe: Dieses Risiko kann dem Veranstalter auch niemand nehmen, es lässt sich aber versichern. Solche Ausfallversicherungen sind nicht unüblich und schon aufgrund des nicht unerheblichen Risikos auch zu empfehlen. Bei einer Absage wegen chaotischer Zustände kommt es wiederum darauf an, ob dem Veranstalter ein Organisationsverschulden vorzuwerfen ist.

Backstage PRO: Was bedeutet das für Fälle, in denen eine Veranstaltung kurzfristig von einer öffentlichen Stelle als Verpächter des Raumes unterbunden wird, etwa wenn es um vermutete Straftaten geht, oder um rechtsextreme oder andere extremistische Inhalte? Haftet der Veranstalter oder bleibt der Staat und damit die Gemeinschaft auf den Kosten sitzen?

Wolf-Dietmar Schoepe: Das hängt davon ab, ob der Grund für die Unterbindung im Verantwortungsbereich des Veranstalters liegt. Wenn der Veranstalter z.B. einen Künstler gebucht hat, dessen eigenes Verhalten Anlass zur Absage oder zum Abbruch bietet, z.B. wegen eines Aufrufs zur Gewalt, wäre das dem Veranstalter zuzurechnen mit der Folge, dass er die Pacht zahlen muss. Auch der Künstler kann sich schadenersatzpflichtig machen. Liegt der Grund für den Abbruch bzw. die Absage außerhalb des Einflussbereichs des Künstlers oder des Veranstalters, bleibt die öffentliche Stelle in der Tat auf den Kosten sitzen.

Backstage PRO: Hat ein Besucher eine Möglichkeit, sich entstandene Kosten bei einer Absage (Reise- oder Stornierungskosten) ersetzen zu lassen? Welche Voraussetzungen müssen dabei gegeben sein?

Wolf-Dietmar Schoepe: Nur dann, wenn der Veranstalter schuldhaft gehandelt hat. So musste im letzten Jahr das Puls Open Air abgebrochen werden, weil nicht genug Sicherheitspersonal vorhanden war. Das ist ein klassisches Verschulden des Veranstalters und begründet neben dem Erstattungsanspruch auch einen Schadenersatzanspruch. Der Besucher muss dann aber den Zusammenhang zwischen dem Ausfall und dem Schaden darlegen. So bekommt er z.B. Reisekosten nur dann erstattet, wenn er nachweisen kann, dass er ausschließlich zu diesem Zweck zum Veranstaltungsort angereist und am nächsten Tag wieder abgereist ist. Zudem muss der Schaden verhältnismäßig sein. Wenn er z.B. auf zwielichtigen Portalen wie Viagogo ein Ticket zum zehnfachen Preis gekauft hat, bekommt er nur den aufgedruckten Ticketpreis erstattet.

Backstage PRO: Herr Wolf-Dietmar Schoepe, vielen Dank für dieses Gespräch.

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