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"Musiker leben gefährlich"

Sänger/Gitarrist Kosho über Stephan Ullmanns Tod und den Kampf von Musikern gegen Depressionen

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 06.07.2020

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Sänger/Gitarrist Kosho über Stephan Ullmanns Tod und den Kampf von Musikern gegen Depressionen

Michael "Kosho" Koschorreck litt selbst unter Depressionen. © René van der Voorden

Vor Kurzem erschütterte der Tod des Mannheimer Musikers Stephan Ullmann die Musikszene weit über die Rhein-Neckar-Region hinaus. Aus diesem Anlass sprachen wir mit dem Gitarristen und Sänger Michael "Kosho" Koschorreck über seinen eigenen Weg aus der Depression.

Michael "Kosho" Koschorreck erlangte als Mitglied der Söhne Mannheims deutschlandweite Bekanntheit. Der für seinen ganz eigenen Stil bekannte Gitarrist und Sänger wirkte auf einer Vielzahl von Studioaufnahmen mit und arbeitet darüber hinaus als Dozent für Gitarre und Bandcoaching an der Mannheimer Popakademie sowie am Landeskonservatorium Vorarlberg in Österreich.

Backstage PRO: Der Tod von Stephan Ullmann hat viele Menschen tief bewegt und getroffen. Du kanntest ihn gut. Warum sind viele so erschüttert?

Kosho: Stephan war eine bekannte Musikerpersönlichkeit, der viele Menschen bei zahllosen Auftritten mit seiner Ausstrahlung und Energie glücklich gemacht hat. Wenn diese Menschen erfahren, dass eine solche Persönlichkeit sich das Leben nimmt, schockiert sie das natürlich. Auch ich bin noch nicht darüber hinweg. Wir waren seit vielen Jahren in musikalischer Freundschaft verbunden, wenngleich wir uns zuletzt nur selten gesehen haben.

Backstage PRO: Wie und wo bist du Stephan zuerst begegnet?

Kosho: Ich habe Stephan schon während unserer Jugendzeit im "Musicant" in Frankenthal kennengelernt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon etwas mehr Erfahrung als Musiker. Wir sind sofort ins Gespräch gekommen und waren uns auf Anhieb sympathisch. Ich hatte ihn noch nicht singen oder Gitarre spielen gehört und war schon beeindruckt von seiner Ausstrahlung, physischen Präsenz und Kompetenz, denn er war auch ein hervorragender Verkäufer von Instrumenten, was zu dieser Zeit sein Beruf war.

Backstage PRO: Ihr habt später auch gemeinsam Musik gemacht.

Kosho: Genau. Als ich ihn dann erstmals in seiner damaligen Band "US & Band" singen und Gitarre spielen gehört habe, bekam ich Gänsehaut und war sehr beeindruckt von seinem Talent. Viele Jahre später spielten wir schließlich gemeinsam in einer Partyband, was uns viel Freude bereitete. 

"Stephan wollte immer das musikalisch Beste tun"

Backstage PRO: Wofür hast du ihn besonders geschätzt?

Kosho: Stephan war ein Alleskönner, der sowohl außergewöhnliches Talent als Gitarrist und Sänger besaß, aber auch ein hervorragender Performer und Entertainer war. Gleichzeitig kümmerte er sich um andere Leute und hatte kein Problem damit, sich zurückzunehmen und zuzuhören. Das ist eine seltene Eigenschaft für Musiker, die einen Drang danach haben, auf der Bühne zu stehen. Er wollte immer das musikalisch Beste tun.

Backstage PRO: Ist es schwieriger psychische Probleme bei Menschen zu bemerken, die  extrovertiert wirken und anscheinend voller positiver Energie stecken?

Kosho: Es kommt mir zumindest so vor. Ich habe leider schon mehrfach erlebt, dass Menschen, die nach außen immer sehr positiv und lebensfroh wirkten, plötzlich aus dem Leben geschieden sind, weil es in ihnen drin ganz anders aussah. Ihre wirklichen Gefühle zu verbergen fällt Menschen, die beruflich auf der Bühne stehen, natürlich umso leichter.

Backstage PRO: Wie meinst du das?

Kosho: Es ist mir selbst schon oft passiert, dass ich mich bei einem Konzert nicht wohlgefühlt und hinter der Bühne gesagt habe: "Ich bin heute sehr unzufrieden mit mir, mit meiner Stimme, ich hatte Soundprobleme und es hat nicht wirklich gepasst." Als Antwort höre ich dann häufig: "Das merkt man dir überhaupt nicht an." Offensichtlich haben Künstler die Fähigkeit, positive Energie zu vermitteln und bei den Zuschauern für gute Stimmung zu sorgen, egal wie sie sich im Augenblick tatsächlich fühlen. Das ist fraglos eine gewisse schauspielerische Leistung, aber es heisst ja für die "Bühnentiere" auch nicht umsonst "the show must go on". Übrigens: Wenn man sich dann Aufnahmen dieser gefühlt "verpatzten Auftritte" im Nachhinein anhört oder ansieht, stellt man häufig fest, dass sie gar nicht so schlecht waren, wie man gedacht hat. 

"Schon ein einziges, heftiges Ereignis kann Depressionen auslösen"

Backstage PRO: Glaubst Du, dass die Coronakrise eine besondere Gefahr für Musiker bildet, die sich hier in einem tragischen Beispiel niederschlägt? 

Kosho: Ich kann nicht beurteilen, inwieweit die Coronakrise Auswirkungen auf Stephans Befinden hatte, aber ich halte es für wahrscheinlich. In den Zeiten des Lockdowns wurde immer wieder vor negativen psychischen Auswirkungen gewarnt. Es gibt sicherlich Menschen, die den Lockdown aufgrund der Entschleunigung und der damit verbundenen besseren Lebensqualität als wohltuend erlebt haben. Für andere bedeutete er aber eine ungewohnt schwierige Zeit, sei es aus finanziellen oder persönlichen Gründen. Schon in normalen Zeiten können bereits Kleinigkeiten den Menschen in seinem Wohlbefinden empfindlich stören. Und ein einzelnes, heftiges Ereignis kann sogar Auslöser für Depressionen sein, das war zumindest meine persönliche Erfahrung.

Backstage PRO: Du hattest in der Vergangenheit mit Depressionen zu kämpfen. Was war der Auslöser dafür und wie bist du aus der Situation wieder heraus gekommen?

Kosho: Der Auslöser für meine Depressionen war der Tod meiner Schwester. Sie hatte Krebs und kämpfte drei Jahre lang dagegen an. Ich war dauerhaft in großer Sorge und pendelte fast jede Woche, zum Teil mehrfach, zwischen Mannheim und dem Krankenhaus in Berlin. Es hat mich sehr eingenommen und gleichzeitig befand ich mich auf einem Höhepunkt meiner Karriere. Daher musste und wollte ich viel arbeiten und war dauernd unterwegs. Es war ein bizarres Aufeinandertreffen von schlimmen und glücklichen Ereignissen.

Backstage PRO: Man kann sich leicht vorstellen, dass das eine sehr schwierige Situation war.

Kosho: Ja. Als meine Schwester dann trotz aller Hoffnungen starb, erfasste mich eine tiefe Schwermut, die in den folgenden Monaten immer tiefer in eine Abwärtsspirale führte. Gleichzeitig habe ich weiterhin zu viel gearbeitet, was mir einerseits half, aber mich wahrscheinlich auch von meiner Trauerarbeit abgelenkt hat. Irgendwann musste ich erkennen, dass es so nicht weitergehen kann und ich das alleine nicht schaffe. Ich erkannte mich selbst nicht wieder – und hatte schlichtweg keine Lebensfreude mehr.

"Durch das Medikament ging es mir schlagartig besser"

Backstage PRO: Was hast du dann gemacht?

Kosho: Ich habe mir Hilfe gesucht und mich von einer Psychotherapeutin begleiten lassen. Mit ihr führte ich regelmäßig Gespräche und nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass ich nicht alleine durch intellektuelle Einsicht und die bewusstere Wahrnehmung meiner Trauer der Depression entkomme. Wir sprachen dann erstmals über die Möglichkeit der Einnahme eines passenden Medikaments. Eine langjährige Freundin von mir, die auch Psychologin ist, riet mir ebenfalls es zu versuchen, und nahm mir die Angst vor einer medikamentösen Behandlung. Die neuere Generation von Medikamenten, die sogenannten SSRI-Medikamente galten zumindest zum damaligen Zeitpunkt als sehr verträglich. Im Beipackzettel sind natürlich dennoch eine ganze Menge an Nebenwirkungen aufgelistet.

Backstage PRO: Aber das hat dich nicht abgehalten.

Kosho: Das Leben ist nun einmal riskant und ich kam zu einem Punkt an dem ich mir dachte, dass das Medikament mich in meinem Zustand wahrscheinlich nicht beschädigen und viel eher helfen wird. Zumal die Einnahme auch zeitlich befristet sein würde – zumindest hoffte ich das. Ich habe also an meine psychologischen Beraterinnen, den verschreibenden Neurologen und mich selbst geglaubt und schließlich begonnen, das Medikament einzunehmen. 

Backstage PRO: Was war das Ergebnis?

Kosho: Es ging mir schlagartig besser. Vielleicht zählte ich zu den weniger schwerwiegenden Fällen, denn ich kenne auch Menschen, die mehrmals umsteigen mussten, bis sie ein passendes Medikament fanden. Ich hatte aber Glück und sicher war ich auch gut beraten. Jedenfalls bewirkte das Medikament eine große Befreiung von der ununterbrochenen Schwermut. Ich konnte meinen Alltag wieder viel leichter leben und banale Dinge endlich wieder ausüben, die für mich seit der Erkrankung eine große Herausforderung dargestellt hatten. Als ich merkte, dass ich so ausgeglichen bin und eher auf einer Art emotionalen "Null-Linie" fühle, sodass ich anfing, gewisse Höhen und Tiefen regelrecht zu vermissen, wollte ich den nächsten Schritt gehen.

Backstage PRO: Du hast das Medikament dann abgesetzt?

Kosho: Genau, nach Rücksprache mit meiner Ärztin. Und es tat wirklich gut, das Leben nach dem langsamen Ausschleichen des Medikaments wieder dynamischer zu erleben. Ich bin sehr dankbar, dass die medikamentöse Behandlung bei mir so gut verlief und ich würde es jederzeit wieder so machen, falls ich erneut in solch eine Lage geraten sollte. Aber es ist total wichtig, sich zuerst einer qualifizierten Person anzuvertrauen und über die eigene Situation auszutauschen, denn man selbst kann meistens nicht beurteilen, ob Medikamente nötig sind oder nicht. Es gibt Menschen unter uns, die fühlen sich an einem Tag unbesiegbar, platzen vor Energie und Ideen, aber am nächsten Tag fühlen sie sich unvorstellbar hoffnungslos und unrettbar verloren. Und deswegen können sie oft nicht rechtzeitig um Hilfe bitten, es geht ihnen einfach zu gut oder zu schlecht.

"Es ist wichtig, den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen"

Backstage PRO: Was rätst du denjenigen, die schon länger an Depressionen leiden, aber nie Hilfe gesucht haben?

Kosho: Es ist wichtig, den Zeitpunkt nicht zu verpassen, um sich professionelle Hilfe zu holen, wenngleich es den Zeitpunkt ja nicht gibt. Es geht auch nicht immer gleich darum, einen Suizid zu verhindern, sondern um die Steigerung der Lebensqualität auf ein normales Level und darum, eine Abwärtsspirale und den Sturz ins Bodenlose zu verhindern. Wenn man jeden Tag wenigstens eine halbe Stunde genießen kann, ist das für die Betroffenen schon ein Fortschritt. So war es jedenfalls für mich. Menschen, die an chronischer Depression leiden können nicht einmal fünf Minuten am Tag genießen – sich freuen, dass die Sonne durch das Fenster scheint oder die Pflanzen in voller Pracht blühen. Aber es sind auch diese anscheinend kleinen Dinge, um die es wirklich geht.

Backstage PRO: Es gibt Studien, die besagen dass Musiker offensichtlich eine höhere Neigung zu Depressionen und Angststörungen haben als die Normalbevölkerung. Kannst du das nachvollziehen?

Kosho: Ich halte das für gut möglich, allerdings frage ich mich, ob es nicht nur Musiker, sondern sogar allgemein künstlerisch tätige Menschen betrifft. Die häufig schwierige wirtschaftliche Lage, das immer wieder auftretende Bangen, ob in drei Monaten genug Gigs da sind, um den Lebensunterhalt oder auch nur die nächste Steuervorauszahlung bezahlen zu können, sind das Eine.

Das Andere könnte in der Antwort auf die Frage liegen, warum ich überhaupt unbedingt auf die Bühne wollte? Benötige ich den Applaus, die Anerkennung von ganz vielen Menschen, um ein ungestilltes Bedürfnis nach unbedingter Liebe zu kompensieren? Diesen Komplex fand ich sehr eindrucksvoll dargestellt in "Rocket Man", der Verfilmung von Elton Johns Biographie. Wir finden diese teilweise tragischen Lebensläufe bei vielen unserer künstlerischen Idole, aber manchmal eben leider genauso auch bei unserem eigenen Bandkollegen.

Aber auch ohne dieses Bedürfnis kann beruflicher Erfolg, und das ist erstmal auch jeder kleine, aber gelungene Auftritt vor jubelndem Publikum, auf eine gewisse Art abhängig machen. Irgendwann merken wir, dass wir auf diesem Weg Liebe und Anerkennung bekommen, zumindest glauben wir das. 

Backstage PRO:  Du meinst, dass das in Wirklichkeit ein Irrtum ist?

Kosho: Ich denke schon, denn die Selbstliebe bekommen wir nicht vom Beifall des Publikums, der macht eher abhängig. Das lässt sich meiner Meinung nach mit der Nutzung von sozialen Netzwerken vergleichen, beispielsweise wenn man nach dem Posten eines Beitrags ständig die Anzahl der Likes überprüfen muss. Die Likes setzen Glückshormone frei, das gleiche passiert auch beim Applaus. 

Backstage PRO: Warum machst du Musik und was bedeutet sie dir?

Kosho: Für mich bedeutet Musik Geborgenheit und Heilung. Ich merke, dass sie mir guttut. Musik ist wahrscheinlich die älteste Medizin. Abgesehen von menschlicher Berührung ist Musik das schönste, was ein Mensch sich und anderen geben kann, da sie einen unmittelbaren Ausdruck erzeugt, der zurückgespiegelt wird. Aber ich mache Musik auch, weil es mein Beruf ist, ich tue es auch für Geld und Anerkennung. Das Entscheidende ist, auf lange Sicht die Balance zwischen den Beweggründen zu halten, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu respektieren.

"Der Lebensstil von Musikern kann Depressionen auslösen"

Backstage PRO: Welchen Einfluss hat der Lebensstil von Musikern?

Kosho: Wir Musiker leben gefährlich. Während einer Tour sind wir ständig von Leuten umgeben, die in Partystimmung sind und Feierabend haben, während wir arbeiten. Vor einem Gig steht für die meisten Musiker die Anfahrt und der eigene Aufbau an, dann das eigentliche Konzert und schließlich noch die Fanbetreuung, der Abbau und die Heimfahrt – oder das Ankommen im Hotel.

Backstage PRO: Und nach dem Gig wird häufig gefeiert.

Kosho: Genau. Für die Meisten von uns gehört ein Besuch an der Bar auch dazu und es wird gefeiert, was der Körper hergibt. Dieses Umfeld stellt eine Gefahr dar, denn für freie, selbstständige Musiker und Musikerinnen ist es normal, mit einem Drink in der Hand dazustehen, anders als Schauspieler beim Theater oder für Angestellte einer Firma. Hinzu kommt die mit dem Job verbundene körperliche Erschöpfung und der Schlafmangel. Diese Faktoren können zumindest dazu beitragen, dass man an Depressionen erkrankt. Erfreulicherweise kenne ich auch viele Musiker, die  früh schlafen gehen können und genau wissen, wo die Grenze liegt.

Backstage PRO: Was würdest du Musikern raten, die nicht wissen, wie sie ihre aktuellen Herausforderungen bewältigen sollen?

Kosho: Ich würde ihr oder ihm raten, sich ein Herz zu fassen und mit einem vertrauenswürdigen Menschen aus Familie oder Freundeskreis darüber zu sprechen. Ich würde diesem aber nicht alles und ständig alleine aufbürden, sondern weitergehen und professionelle Hilfe in einer psychologischen Praxis mit einem Menschen suchen, dem man sein Vertrauen schenken will, diesen sicher nicht einfachen, aber letzliche befreienden Weg der Selbstfindung zu begleiten. Das können tiefgehende Gespräche sein, die konkrete Anleitung zu nachhaltigen Verhaltensänderungen bis vielleicht hin zur Verschreibung eines Medikaments. Das Wichtigste ist für mich, herauszufinden, was einem nachhaltig gut tut und dahin führt, wo man gerne sein will.

Backstage PRO: Vielen Dank für das Gespräch.

Artists

Kosho

groove songs/pop/jazz aus Mannheim

ULLMANN

Rock & Pop mit deutschen Texten aus Mannheim

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