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Was hat er, was ich nicht habe?

Welche "Soft Skills" Bands, Veranstalter und Produzenten von Musiker*innen wollen - ein Erfahrungsbericht

von Fred Guggenberger
veröffentlicht am 22.05.2024

musikbusiness

Welche "Soft Skills" Bands, Veranstalter und Produzenten von Musiker*innen wollen - ein Erfahrungsbericht

© Vidar Nordli-Mathisen

Warum hat eine unfassbar talentierte Sängerin und Songwriterin nur begrenzten Erfolg? Weshalb will ein Veranstalter seine "Hausband" loswerden, obwohl sie ihm jedes Mal die Hütte vollmacht? Entscheiden wirklich nur musikalische Fähigkeiten über den Erfolg oder kommt es im Musikbusiness auch auf anderes an? Dieser Erfahrungsbericht wirft Licht auf diese Fragen.

Vor vielen Jahren war ich auf einem Konzert von Eric Clapton. Dabei wurde ich unfreiwillig Zuhörer eines Gesprächs, das meine beiden Nebenmänner führten. Es ging um den Rhythmusgitarristen, der ihrer Meinung nach viel zu schlecht war, um mit Clapton spielen zu dürfen.

Mein Nachbar war überzeugt, viel besser zu sein. Eigentlich sollte er da oben stehen. Es endete mit der Feststellung, dass die Welt eben ungerecht und "der Kerl da oben" bestimmt nur über Beziehungen in die Band gekommen sei. An seinem Können auf der Gitarre konnte es ja nicht liegen.

Es geht nicht nur um die Musik

Vermutlich spielen sich solche Momente jeden Tag rings um den Globus ab. Am Ende läuft es immer darauf hinaus, dass irgendjemand viel besser Gitarre (Bass, Schlagzeug, Keyboard…) spielen kann als "der da oben" und deshalb den Job in der Band haben sollte. Aber sind es wirklich nur musikalische Fähigkeiten, die den Ausschlag geben?

Auf Tour zu gehen bedeutet, 24 Stunden am Tag mit den immer gleichen Leuten zu verbringen, und das sieben Tage die Woche. Gemeinsam ist man vielleicht sechs Wochen, vielleicht aber auch sechs Monate oder länger unterwegs.

Die Beschwernisse einer Tour

Eine Tour bringt häufig mit sich, viele Nächte in einem Bus zu verbringen, wo jedes Schlagloch in der Straße dich aus dem Schlaf reißen kann und der Nachbar vielleicht schnarcht wie ein Ork. Es bedeutet auch Heimweh, Lagerkoller und nicht da zu sein, wenn liebe Menschen Geburtstag haben.

Falls Du Dich krank fühlst und lieber im Bett bleiben möchtest, interessiert das herzlich wenig. Deine Mutter ist gestern gestorben? Das ist tragisch, aber da draußen warten 5.000 Menschen, die Geld dafür bezahlt haben, die Show zu sehen. Heulen kannst Du hinterher.

Eine lange Tour ist eine der härtesten Situationen, die man in einem beruflichen Umfeld erleben kann. Und musikalische Fähigkeiten sind hier nur zwei Stunden am Tag von Bedeutung. Die restlichen 22 Stunden sind andere Talente gefragt.

Auf die Persönlichkeit kommt es an

Stell Dir vor, jemand spielt Gitarre wie ein Gott, ist aber in menschlicher Hinsicht so schwierig, dass ihn selbst Mutter Theresa nach einer Woche verprügeln würde. Ist das die Art von Mensch, die man sechs Monate auf Tournee erleben möchte? Ganz bestimmt nicht.

In meinen Zeiten als "Mietmusiker" bin ich immer wieder einem beeindruckenden Schlagzeuger begegnet. Er konnte sich vor Anfragen nicht retten und war mit Gott und der Welt auf Tournee. "Was machst Du nach der Show?" - "Ich muss nach Schweden, ein paar Shows mit einer Pop-Band spielen. Danach ein Fernsehauftritt mit einer Blues-Sängerin und dann Europa-Tournee mit so einem Promi…" War er großartig an den Drums? Absolut! Gibt es viele großartige Drummer? Oh ja!

Was ihn auszeichnete und so erfolgreich machte, war jedoch etwas anderes: Er war die Art von Mensch, bei der du dich sofort gut fühlst, wenn sie den Raum betritt. Du hast Heimweh, zu wenig geschlafen und der Kopf tut weh? Nach fünf Minuten im Bandbus mit dem Kerl wirst du das alles vergessen haben und über seine Witze lachen. Das ist die Art von Mensch, die man gerne auf Tournee dabei hat!

Großes Können und reale Anforderungen

Und mal ehrlich: Mit großen Stars und Sternchen zu spielen erfordert nur selten maximales Können auf dem Instrument. Wer für Eric Clapton Rhythmusgitarre spielt, muss nicht in der Lage sein, zu spielen wie Eddie Van Halen. Und das gilt auch, wenn Du mit Helene Fischer, Taylor Swift oder anderen Stars auf Tour gehst.

Finde Deinen Platz im Rudel, musikalisch wie menschlich und sei jemand, mit dem man gerne Zeit verbringt. Das hilft meist mehr, als die "tritonische Substition in Y-Moll-6 mit verminderter None über einen Dominant-Sept-Akkord mit und ohne Bottleneck im authentischen Wes-Montgomery-Sound spielen zu können".

Publikum ist begeistert, Veranstalter kocht vor Wut

Vor vielen Jahren war ich mit einer Band unterwegs, die eine treue Fanbasis hatte. In einem Club in einer bayerischen Stadt waren sie quasi die Hausband. Einmal im Monat ließen sie dort die Kuh fliegen und sorgten für volles Haus, massive Getränkeverkäufe und tolle Stimmung.

Eines Tages war es wieder so weit. Ich kam am späten Nachmittag an, trug meine Ausrüstung hinein, begrüßte das Personal dort und fragte die Dame an der Bar freundlich, ob ich einen Kaffee haben könnte.

Im Anschluss an die Show und nachdem der Club geschlossen hatte, saß ich mit dem Bandleader an der Bar. Uns fiel auf, dass der Besitzer des Clubs äußerst übel gelaunt war. Als wir ihn darauf ansprachen, explodierte es förmlich aus ihm heraus:

"Ihr kommt regelmäßig hierher und verdient gutes Geld bei mir. Ihr habt Euch hier einen Namen gemacht und eigentlich könnte man meinen, dass Euch das freut. Aber wenn Ihr keinen Bock mehr habt, hier zu spielen, können wir das gerne sofort beenden!"

Was für eine Ansage! Als wir ihn fragten, wie er auf solche Gedanken käme, gab es die folgende Antwort:

"Dein Keyboarder (also ich, manchmal spiele ich auch auf den Tasten) kam heute als erster hierher. Er hat meine Leute begrüßt, freundlich um einen Kaffee gebeten und sich dann bedankt. Der Rest von euch bringt nicht mal das Maul auf, um Hallo zu sagen. Und Deine Sängerin kommt nur an die Bar, um meiner Frau ein Wort zu sagen: 'Kaffee!' Und dann haut sie wieder ab. Also wenn Ihr meint, dass das hier unter Eurer Würde ist, kann ich mir gerne eine andere Band suchen!".

Natürlich gab es dann eine ganze Runde Entschuldigungen und das Versprechen, künftig besseres Benehmen zu zeigen. Am Ende war wieder alles gut. Aber es zeigt, dass volles Haus und tolle Umsätze nicht immer ausreichen, um einen Veranstalter dauerhaft auf deiner Seite zu haben, wenn die menschliche Seite ihm nicht gefällt. Habe ich schon erwähnt, dass es in diesem Geschäft nicht alleine die Musik ist, die Türen öffnet oder verschließt?

Die Sängerin, die keiner wollte

Vor vielen Jahren hatte ich eine Reihe von Auftritten als Songwriter und Solokünstler in Nashville. Bei einer dieser Shows traf ich backstage eine hochgewachsene und attraktive Sängerin. Wir grüßten uns und sie wollte wissen, woher ich kam.

Meine Antwort lautete (wenig überraschend) "Germany". Worauf sie mich mit einem angeekelten Blick strafte und meinte: "Oh, we got accent night“ ("Oh, heute ist Akzent-Nacht"). Dann ließ sie mich stehen, nicht ohne mich noch mal angewidert anzusehen. Na toll.

Als sie auf die Bühne ging, war ich platt. Was für eine Stimme! In Nashville scheinen fantastische Sängerinnen auf den Bäumen zu wachsen, aber sie stach sogar in einem solchen Umfeld massiv heraus. Mein Gott, was für ein Talent! Wäre da nicht diese Ausstrahlung gewesen, die sie irgendwie unsympathisch machte.

Ich schob es darauf, dass ich sie wegen der blöden Bemerkung hinter der Bühne nicht mochte. Aber dann unterhielt ich mich im Anschluss mit einem Veteranen der Musikindustrie, der im Publikum war. "Was hältst Du von ihr?" wollte er wissen. Ich antwortete höflich, dass sie eine außergewöhnliche Stimme hatte. Außerdem wäre sie eine tolle Songwriterin.

Er nickte und antwortete: "Das stimmt. Aber ich mag sie nicht. Ihre Einstellung ist beschissen!". Dann fügte er hinzu: "Ihr unwürdigen Kreaturen solltet eurem Schöpfer auf Knien danken, dass er ausgerechnet Euch so reich damit beschenkt, mich singen hören zu dürfen. Das ist es, was sie ausstrahlt und jeden im Raum vermittelt. Nein, ich mag sie wirklich nicht."

Was soll ich sagen? Obwohl sie auf den ersten Blick alles im Überfluss mitbrachte, was man für eine Bilderbuchkarriere benötigt, blieben außerhalb ihres engsten Freundeskreises alle Türen für sie verschlossen.

Spielen kann jeder, die kleinen Dinge zählen

Wo Menschen sind, da menschelt es - das trifft auch auf die Musikindustrie zu. Aber viel zu oft ignorieren wir diesen Punkt und glauben, musikalisches Können wäre alles, worauf es ankommt. Tatsächlich ist es nicht so. Dass wir in der Lage sind, das zu spielen, was man von uns erwartet, wird als Selbstverständlichkeit betrachtet, nicht als Bonus. Dass wir über die notwendige Ausrüstung verfügen, ebenso.

Am Ende sind es die kleinen Dinge, die den Ausschlag machen. Also positive menschliche Eigenschaften, die uns in jedem sozialem Umfeld gut zu Gesicht stehen. Die Musikindustrie stellt da keine Ausnahme dar.

Vielleicht wäre es ja ganz hilfreich, neben Zielen wie "Wie werde ich ein fantastischer Musiker?" auch Zeit und Energie in "Wie werde ich ein Mensch, mit dem man gerne zu tun hat?" zu stecken. Um eine erfolgreiche Künstlerin zu zitieren: "Du wirst es nie schaffen, der beste Songwriter auf diesem Planeten zu sein. Aber Du kannst der freundlichste Mensch im Raum sein". Und das kann eine ganze Menge bewirken.

Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Wie seht ihr die Sache mit den Soft Skills bei Musikern? Wollt ihr eure Erfahrungen mit der Community teilen? Dann sagt es uns in den Kommentaren.

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