×

Vielfalt in Gefahr

UK Report zeichnet besorgniserregendes Bild des mentalen Wohlbefindens in der Musikbranche

News von Backstage PRO
veröffentlicht am 11.12.2023

musikindustrie gesundheit berufswelt depressionen

UK Report zeichnet besorgniserregendes Bild des mentalen Wohlbefindens in der Musikbranche

© Anastasia Kolchina

In einem durch die Musicians' Union veröffentlichten Bericht mit dem Fokus auf das mentale Wohlbefinden britischer Musiker*innen, hat mit 30 Prozent fast ein Drittel der Befragten davon berichtet, sich in keinem guten mentalen Zustand zu befinden. Angehörige dieser Gruppe gaben zudem etwa doppelt so häufig an, es sei unwahrscheinlich, dass sie in den nächsten ein bis fünf Jahren noch in der Musikbranche arbeiten würden.

Die Musicians' Union ist ein Zusammenschluss von über 34.000 Musiker*innen in Großbritannien, der sich für den Schutz der Rechte seiner Mitglieder und für eine gerechtere Musikindustrie einsetzt.  

Eine Langzeitstudie der britischen Musikindustrie

Der aktuelle Bericht erscheint im Rahmen eines in diesem Jahr gestarteten Langzeitprojekts – dem sogenannten Musicians' Census. Ziel des Projekts ist es ein umfassendes Bild der Lage der Musikschaffenden im Vereinigten Königreich zu zeichnen und zu verfolgen, wie sich wichtige Themen im Laufe der Zeit ändern. 

Erkenntnisse aus der in diesen Zusammenhang getätigten Umfragen sollen dabei das weitere Vorgehen der Musician's Union bestimmen, sodass diese Musiker*innen in Zukunft besser helfen und die breitere Musikindustrie entsprechend dabei unterstützen kann, die Bedürfnisse der Musiker*innen zu verstehen und auf diese einzugehen. 

An der diesjährigen Umfrage haben laut Angabe der Musician's Union insgesamt 5867 Personen teilgenommen. 

Der aktuellste Bericht – der Mental Wellbeing Insight Report [PDF] – legt seinen Fokus auf das mentale Wohlergehen der als Musiker*innen tätigen Briten und zeigt dabei ein besorgniserregendes Ergebnis. 

Was genau ist gemeint?

Die Musician's Union definiert mentales Wohlbefinden dabei wie folgt:

"Mentales Wohlbefinden kann als 'sich gut fühlen und gut funktionieren' verstanden werden. Mentales Wohlbefinden verändert sich mit der Zeit und Menschen können mit einer langfristigen psychischen Krankheit leben und trotzdem gut funktionieren, ebenso können Menschen ohne eine psychische Erkrankung leben, aber dennoch unzufrieden sein (und daher ein schlechtes mentales Wohlbefinden vorweisen)."

Im Rahmen der Umfrage wurden Musiker*innen aus diesem Grund sowohl nach ihrem mentalen Wohlergehen als auch nach langfristigen psychischen Erkrankungen befragt, die ihr tägliches Funktionieren beeinträchtigen könnten. Laut Musician's Union sei es wichtig, diese beiden Aspekte getrennt abzufragen, da beide Aspekte eine unterschiedliche Form von Unterstützung erfordern.

Insgesamt sollen 30 Prozent und somit fast ein Drittel der durch die Musician's Union Befragten von einem geringen mentalen Wohlbefinden berichtet haben. Diese Gruppe wurde daraufhin intersektional betrachtet. 

Wer ist wie betroffen?

Bei Musiker*innen der LGBQ+ Community lag der Anteil an Personen, die von einem geringen mentalen Wohlbefinden berichteten bei fast 50 Prozent, bei Musiker*innen mit Behinderung wurden die 50 Prozent erreicht.

Bei Befragten aus der trans* Community waren es schon 63 Prozent. Im Vergleich dazu lag die Quote bei Cis-Männern bei 28 Prozent, bei Cis-Frauen bei 31 Prozent. Personen, die ihr Gender anderweitig definieren (dazu gehören nicht-binäre und genderqueere Personen, sowie andere, die sich außerhalb des binären Gendersystems identifizieren), gaben ebenfalls zu 63 Prozent an, ein geringes mentales Wohlbefinden zu haben.

Besonders hoch war der Prozentsatz an Personen mit geringem mentalen Wohlbefinden bei Musiker*innen mit starken physischen Leiden, hier gaben ganze 80 Prozent diese Bewertung an.

Bei Menschen, die primäre Pflegepersonen für Erwachsene mit Behinderung oder ältere Menschen waren, wurde mit 39 Prozent bzw. 36 Prozent von höheren Raten berichtet als bei denjenigen ohne Pflegeverantwortung. 

Auch Musiker*innen in bestimmten Rollen oder Genres wiesen höhere Raten von geringem Wohlbefinden auf. Am höchsten waren diese bei Studio-/Mastering-Ingenieur*innen und Live-Sond-Ingenieur*innen (38 Prozent), Produzent*innen (37 Prozent) sowie Musiker*innen, die im Bereich Dance-Musik (35 Prozent), Rock und Alternative (33 Prozent) und UK Rap (33 Prozent) arbeiten. 

Der Bericht zeigt zudem, dass auch das Einkommen eine große Rolle spielt. Diejenigen, die mit weniger als 7000 Pfund pro Jahr, die niedrigsten Einkommen durch Musik erzielten, waren doppelt so häufig von geringem mentalen Wohlbefinden betroffen, die mehr als 55.000 Pfund pro Jahr verdienten. 

Nur 36 Prozent der Befragten, die von einem geringen mentalen Wohlbefinden berichteten gaben an, genug zu verdienen, um sich selbst oder ihre Familie zu unterstützen. Im Rahmen aller Befragten lag dieser Wert bei 44 Prozent. 

Ganze 94 Prozent der Musiker*innen, die ein geringes mentales Wohlergehen meldeten gaben an, mindestens eine Hürde in ihrer beruflichen Entwicklung erlebt zu haben, verglichen mit 85 Prozent der allgemein Befragten. Als Hürde galten etwa die Unfähigkeit, ein nachhaltiges Einkommen zu erzielen, keine klare Karriereentwicklungsmöglichkeit und das Fehlen von Kontakten in der Branche. 

Darüber hinaus wurde von einer höheren Rate an Diskriminierung jeglicher Art berichtet. 

Auswirkungen auf die Zukunft der Musikbranche

Befragte, die angaben ein geringes mentales Wohlbefinden aufzuweisen gaben insgesamt etwa doppelt so häufig an, es sei unwahrscheinlich, dass sie in den nächsten ein bis fünf Jahren noch in der Musikbranche arbeiten würden. 

Ein fatales Ergebnis, denn wie die Musician's Union hervorhebt wird dieser Zustand – dass einige demografische Gruppen, die von einem eher geringeren mentalen Wohlbefinden haben, nach den Ergebnissen der Befragung eher dazu neigen, die Musikbranche frühzeitig zu verlassen – potenzielle Folgen für die Vielfalt der Musikindustrie haben.

Hinzu kommt, dass die höchsten Werte für geringes mentales Wohlergehen nach Karrierestufe von Studierenden und Personen, die noch nicht als Musiker*innen arbeiten (jeweils 41 Prozent) erreicht werden. Es könnte also auch dazu kommen, dass immer weniger Personen den tatsächlichen Schritt in die Musikbranche wagen.

Die Musician's Union kommt dabei zu folgendem Schluss:

"Wenn wir bedenken, wie geringes mentales Wohlbefinden, Geschlecht, Sexualität, Behinderung, Einkommen und körperliches Wohlbefinden ineinander greifen, wird klar, dass Vielfalt in der Musikindustrie gefördert und entwickelt werden kann, indem man sich auf die Verbesserung von psychischen Wohlbefinden fokussiert. Das wiederum führt zur Entwicklung nachhaltiger Karrieren, die es Musiker*innen ermöglichen, weiter zur Musikszene im Vereinigten Königreich beizutragen."

Musicians' Census 2023

Beim Mental Wellbeing Report handelt es sich nicht um den ersten veröffentlichten Bericht der Musicians' Union im Rahmen des Musicians' Census.

Im September 2023 war bereits ein Financial Insight Report [PDF] veröffentlicht worden. Dieser sollte einen Einblick in die demografische Zusammensetzung der Musiker*innen in Großbritannien, die Hindernisse für eine berufliche Entwicklung in der Musikbranche und wirtschaftliche Herausforderungen bieten. 

Im November folgte der Musicians from the Global Majority Insight Report [PDF]. Dieser Bericht schließt sich der ersten Veröffentlichung an, konzentriert sich jedoch auf die Unterschiede hinsichtlich des Einkommens, des beruflichen Fortschritts und der Erfahrungen mit Diskriminierung bei britischen Musiker*innen der Global Majority (gemeint ist damit die Gruppe an Menschen, die sich selbst nicht als Weiß betrachtet oder nicht als Weiß betrachtet wird) gegenüber dem Rest der befragten Musiker*innen.

Ähnliche Themen

Luminate-Jahresendbericht: Country und Latin Music boomen in den USA

Gegensätzliche Entwicklungen?

Luminate-Jahresendbericht: Country und Latin Music boomen in den USA

veröffentlicht am 12.01.2024   1

Warner Music möchte die Auswirkungen von Musik auf die Gesundheit erforschen

Kooperation mit MediMusic

Warner Music möchte die Auswirkungen von Musik auf die Gesundheit erforschen

veröffentlicht am 05.01.2024

Musiker/innen haben leicht erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen

Komplexe Zusammenhänge

Musiker/innen haben leicht erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen

veröffentlicht am 14.03.2023   19

Wie sich der Künstlerhilfe e.V. für die Förderung psychisch kranker Künstler einsetzt

Depressionsgefahr bei Kreativschaffenden

Wie sich der Künstlerhilfe e.V. für die Förderung psychisch kranker Künstler einsetzt

veröffentlicht am 12.07.2022   3

Newsletter

Abonniere den Backstage PRO-Newsletter und bleibe zu diesem und anderen Themen auf dem Laufenden!