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Chance oder Risiko?

UK Studie: Etwa zwei Drittel junger Artists greift beim Musikproduzieren auf KI-Tools zurück

Spezial/Schwerpunkt von Backstage PRO
veröffentlicht am 16.02.2024

künstliche intelligenz

UK Studie: Etwa zwei Drittel junger Artists greift beim Musikproduzieren auf KI-Tools zurück

© Vollume

In einer aktuellen Studie beleuchtet die britische Organisation Youth Music wie sich junge Musiker und Musikerinnen das Angebot von KI-Tools zu Eigen machen und für die Erstellung neuer Inhalte nutzen.

In der Studie, hat Youth Music die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf den Schaffensprozess junger Künstlerinnen und Künstler untersucht. Dabei befragte die Organisation 1008 im UK ansässige Artists im Alter von 16 bis 25 Jahren. 

Die KI-Revolution

Inzwischen fassen immer mehr auf KI basierende Tools in sehr unterschiedlichen Bereichen der Musikbranche Fuß. Dazu zählt Songwriting und Komposition ebenso wie Recording, Mixing und Mastering 

Diese Entwicklung ruft unterschiedliche Reaktionen hervor. Während einige fürchten, die Flut an KI-Tools könne den Tod der Kreativität bedeuten und Künstler*innen womöglich eines Tages ersetzen, erklären andere, die neuen Möglichkeiten eröffneten Kunstschaffenden neue, ungeahnte Möglichkeiten.

Angesichts dieser Diskussionen bezüglich generativer KI hat sich Youth Musik junge Kreativen befragt, um deren Perspektive auf die neuen Entwicklungen zu verstehen. 

KI hat sich bei jungen Artists etabliert

Im Rahmen dieses Austausches, gaben dabei nicht weniger als zwei Drittel (63 Prozent) der Befragten im Alter von bis zu 25 Jahren an, Künstliche Intelligenz als Hilfsmittel in ihrem kreativen Schaffungsprozess einzusetzen oder sich vorstellen zu können, dies in Zukunft zu tun. 

Dieser Wert nimmt jedoch ab, je älter die Befragte sind. Nur 19 Prozent der über 55-jährigen nutzen KI-Tools und zeigen sich damit deutlich zurückhaltender. 

Das Interesse bzw. die Bereitschaft zum Einsatz von KI nimmt mit zunehmendem Alter ab

Das Interesse bzw. die Bereitschaft zum Einsatz von KI nimmt mit zunehmendem Alter ab, © Youth Music

Ausgewogene Nutzung wichtig

Dr. Robert Laidlow, ein renommierter Experte für KI, Komponist und Forscher am Jesus College in Oxford, betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung einer ausgewogenen Nutzung von KI im kreativen Prozess.

Seiner Ansicht nach könnte KI als interaktives Werkzeug dienen, das den kreativen Austausch fördert und eine Umgebung schafft, in der Ideen entstehen und erkundet werden können.

KI für viele Anliegen

Die Verwendung von KI-Programmen hat sich für junge Artists gleich vielermaßen als hilfreich erwiesen. Durch ihre Unterstützung kann zum einen ihre Produktivität gesteigert werden, zudem können zeitliche und finanzielle Barrieren überwunden werden.

So berichtet etwa Lewis Dobbs, ein Student im dritten Jahr der Medien- und Kreativindustrie aus Leamington Spa von seinen Erfahrungen:

"KI ermöglicht es mir, Aufgaben schneller zu erledigen, was anfangs ziemlich schockierend war, aber sobald ich sie immer wieder verwendet habe, wurde sie ein Teil meiner täglichen Praxis und meiner Arbeit. Ich denke, in diesem Sinne ist es wirklich großartig, wenn man sie kontrollieren und die Kontrolle behalten kann."

Auch wenn es viele Stimmen gibt, die Bedenken hinsichtlich der potenziellen Auswirkungen von KI auf die Kreativität und Authentizität in der Musikindustrie äußern, geht aus der Studie hervor, dass viele junge Kreative KI als ein Instrument sehen, das ihre kreative Praxis ergänzt, anstatt sie zu ersetzen. 

Viele Einsatzmöglichkeiten

Neil Tennant von den Pet Shop Boys erklärte in einem Interview mit dem Guardian, dass KI Musikern helfen könnte Schreibblockaden zu überwinden und Songs zu vollenden. 

Tom Auton, ein 24-jähriger Rockmusiker und Produzent aus Cardiff, betonte, dass KI ihm dabei geholfen habe, seinen Wortschatz zu erweitern, indem die KI verschiedene Phrasen und Wörter mit einbezogen habe, die Auton normalerweise nicht in einem Lied verwenden würde.

"Manchmal, wenn sie einfach dort vor einem liegen, von der KI geschrieben, betrachtet man sie auf eine andere Weise."

Als Hilfeleistung für die Findung passender Ausdrucksweisen oder interessanter Akkordfolgen, kann KI somit auch zur schnelleren Fertigstellung von Songs beitragen.

Eine befragte Künstlerin namens Tia Talks betonte zudem, dass sie KI als Werkzeug zur Umsetzung administrativer Aufgaben einsetze, die sie von ihrer kreativen Arbeit abhielten. Somit stelle KI für sie eine Möglichkeit dar, ihre eigene Effizienz zu steigern und Ressourcen zu sparen, ohne die Authentizität ihrer Kunst zu beeinträchtigen. 

Keine Beeinträchtigung der Kreativität?

Viele junge Menschen scheinen KI-Programme in ihren kreativen Prozess zu integrieren ohne dabei zu befürchten, dass diese ihre Kreativität beeinträchtigen könnte. So kommentierte etwa Dobbs:

"Derzeit betrachte ich es fast als Spielzeug, etwas, das nicht wirklich übermäßig ernst ist. Ich denke, der Grund, warum ich es jetzt bentze, ist, weil ich weiß, dass es nicht die Macht hat, zu übernehmen. [...] Es ist hauptsächlich ein Werkzeug, und ich denke, man muss derjenige sein, der zuerst eine originelle Idee hat, damit es wirklich so wird, wie man es möchte. Aber ich denke die Verwendung von KI-Tools kann einem helfen, schneller dorthin zu gelangen."

Auch Ladlow merkt an, dass es sehr hilfreich sein könne, wenn KI auf intuitive und interaktive Weise – ähnlich wie ein menschlicher Mitarbeiter – verwendet werde.

Obwohl KI in der Musikbranche in jüngster Vergangenheit immer wieder Alarm ausgelöst hat – etwa durch die nicht autorisierte Verbreitung von Musik, die auf urheberrechtlich geschütztem Material basiert und der Sorge, dass durch eine Flut an KI-generierter Tracks menschliche Werke ersetzt werden könnten, kann sie auch Kreativen als nützliches Instrument dienen. 

Über Youth Music

Youth Music ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in London, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, junge Artists bei der Verwirklichung einer Karriere in der Musikbranche zu unterstützen.

Hierfür gewährt Youth Music anderen britischen Organisationen wie etwa kleineren Wohltätigkeitsorganisationen, Kunstvereinen, Musikunternehmen, Jugendclubs, Zentren für Musikerziehung und etwa Kindergärten Zuschüsse zur Durchführung von Musikprojekten oder zur Schaffung von Karrieremöglichkeiten in der Musik. 

Blick auf die GEMA/SACEM Studie

Auch eine gemeinsame Studie der deutschen Verwertungsgesellschaft GEMA und ihres französischen Pendants SACEM zeigt, dass viele ihrer Mitglieder KI bereits nutzen. Dennoch ist hier auch die Rede von Sorgen hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der KI-Revolution.

Laut Goldmedia könnten schon bis 2028 etwa 27 Prozent der Einnahmen von Musikschaffenden aufgrund von generativer Künstlicher Intelligenz gefährdet sein. 

Dennoch nutzen trotz dieser – zugegeben spekulativen – Prognosen rund 35 Prozent der befragten GEMA- und SACEM- Mitglieder Künstliche Intelligenz. Weitere 13 Prozent sehen Potenzial in der Nutzung von KI, 26 Prozent lehnen KI eher ab, 7 Prozent sind untentschlossen und 19 Prozent lehnen KI grundsätzlich ab. 

Auch hier zeigte sich jedoch eine verschiedene Ausprägung der KI-Nutzung in den verschiedenen Altersgruppen. Unter den jüngeren Befragten (unter 45 Jahren) gaben fast 50 Prozent an, KI zu nutzen. 

Die Befragten erwarteten unter anderem, dass KI in Zukunft vermehrt im kreativen Prozess, also dem Songwriting und Komponieren eingesetzt wird (63 Prozent). Auch im Bereich des Recording, Mixing und Mastering (58 Prozent), in der Erstellung von Promo-Content, im Marketing und in der Erstellung von Inhalten für Fans bzw. für den Austausch mit diesen (48 Prozent) wird eine wachsende Bedeutung für KI erwartet. 

Dennoch überwiegen in der GEMA und SACEM Studie bei rund 64 Prozent der Befragten die Einschätzung von KI als Risiko. 11 Prozent sehen sie hauptsächlich als Chance. 25 Prozent sehen einen etwa ausgewogenen Anteil von Vor- und Nachteilen. 

Verantwortungsvoller Umgang

Wie genau sich die Zukunft der Musikbranche unter dem Einzug der KI entwickeln wird, bleibt abzuwarten und hängt dabei vor allem vom Umgang mit den mit den Chancen einhergehenden neuen Herausforderungen ab.

Erst kürzlich bestätigte etwa das Musiklabel Believe, einen Erkennungsalgorithmus einführen zu wollen, der nicht lizenzierte KI-Musik erkennen und deren Verbreitung einschränken soll. Auch andere Plattformen wie etwa YouTube streben speziell auf KI ausgerichtete Regulierungen an. Gleichzeitig strebt der AI Act der EU die erste staatliche Regulierung von KI an.

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