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"Die Künstler sind in einer schlimmeren Lage als vor zwei Jahren"

Bernd Schweinar vom Verband für Popkultur in Bayern über die Sorgen der Liveszene vor Herbst und Winter 2022/23

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 23.08.2022

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Bernd Schweinar vom Verband für Popkultur in Bayern über die Sorgen der Liveszene vor Herbst und Winter 2022/23

Bernd Schweinar, Geschäftsführer des Verbands für Popkultur in Bayern. © Initiative Musik

Bernd Schweinar ist seit mehr als 30 Jahren Geschäftsführer des Verbands für Popkultur in Bayern (VPBy). Im Interview spricht er über Erfolge und Misserfolge der Corona-Hilfen in Bayern und darüber, was die Kulturszene braucht, um den Herbst 2022/23 zu bewältigen.

Backstage PRO: Was hat es mit dem Verband für Popkultur in Bayern auf sich? Du bist dem Verband ja schon seit langer Zeit verbunden.

Bernd Schweinar: Das stimmt, ich bin schon seit den 1980er Jahren dabei, seit November 1991 offiziell als Geschäftsführer des Verbands. Ein anderer Journalist nannte den Verband für Popkultur mal "eine Art Kultur-Holding", da wir sowohl ein Netzwerk von Clubs bzw. Festivals und Szene-Förderern sind, aber auch Künstler vom Amateur- bis zum Profi-Bereich fördern. Zusätzlich engagieren wir uns in der kulturellen Jugendarbeit bis hin zu Lehrkräftefortbildungen. Wir bieten außerdem seit vielen Jahrzehnten Workshops für Veranstaltende an, die inzwischen tausende durchlaufen haben, die überall in Deutschland Veranstaltungen organisieren. 

"Corona hat uns einige Schritte nach vorne gezwungen"

Backstage PRO: Wie hat Corona eure Arbeit verändert?

Bernd Schweinar: Durch Corona haben wir nochmal mächtige Schritte nach vorne gemacht bzw. machen müssen. Dank unserer guten politischen Kontakte zu allen im bayerischen Landtag vertretenen demokratischen Parteien wussten wir, an welchen Stellen wir ansetzen müssen. Wir mussten nicht erst nach Ansprechpartnern suchen, sondern haben die gleichen Personen kontaktiert, mit denen wir schon jahrelang im Austausch standen, beispielsweise auch in den Ministerien.

Backstage PRO: Wie lief der Kontakt konkret ab?

Bernd Schweinar: Dank der Unterstützung bayerischer Künstlerinnen und Künstler aus dem Kabarett- und Musikbereich wie Haindling, Sportfreunde Stiller und Spider Murphy Gang konnten wir den bayerischen Ministerpräsidenten schon im Mai 2020 für die Idee eines Kultur-Rettungsschirms gewinnen. Das Ergebnis waren 140 Millionen Euro zusätzlicher Mittel für den bayerischen Kulturbereich. Leider hat die Verwaltung in der Folge vieles nicht so umgesetzt, wie es ursprünglich geplant war.

"Den Spielstätten konnten wir helfen – den Soloselbstständigen nicht so gut"

Backstage PRO: Wem sind diese Hilfen vor allem zugutegekommen?

Bernd Schweinar: Uns war wichtig, dass wir möglichst wenige Spielstätten verlieren. Das bayerische Spielstättenhilfsprogramm hat einen wichtigen Teil dazu beigetragen, dass die Spielstätten die Krise bis jetzt einigermaßen gut bewältigt haben. Wir waren damit die Ersten und das zu einem Zeitpunkt, als viele im Bund noch gar nicht auf dem Schirm hatten, dass Corona ein Problem für die Veranstaltenden werden würde. Bis heute ist es übrigens so, dass Leistungen, die vom Bund nicht abgedeckt werden, von den Clubs auf bayerischer Ebene zusätzlich zu den Bundesgeldern beantragt werden können.

Backstage PRO: Du hast aber nicht alles erreicht, was Du erhofft hattest?

Bernd Schweinar: Bei den Solo-Selbständigen ist es uns nicht so gut geglückt. Erst im Herbst 2020 hat die Landesregierung Maßnahmen ergriffen, um die Solo-Selbständigen zu unterstützen. Das war leider zu spät, denn rund 80 Millionen der für Solo-Selbständigen vorgesehenen Mittel wurden nie ausgezahlt und fließen Ende 2022 voraussichtlich wieder in den Landeshaushalt zurück.

Backstage PRO: Das überrascht mich etwas, denn Bayern zahlte als eines der wenigen Bundesländer den sog. Unternehmerlohn in Höhe von 1.180 Euro. Hat das in der Praxis nicht funktioniert?

Bernd Schweinar: Genau. Dieser "fiktive Unternehmerlohn" wurde auf diejenigen nicht angewandt, die den erleichterten Zugang zur Grundsicherung (Hartz-IV) in Anspruch genommen hatten. Das ist der Grund dafür, dass ein beträchtlicher Teil der bayerischen Solo-Selbstständigen diesen Unternehmerlohn nie erhalten hat. Die Grundsicherung hat vielen Leuten leider gar nichts genutzt, sondern viele Existenzen zerstört. Wir haben das lange kritisiert, sind aber leider nicht durchgedrungen. 

Backstage PRO: Wie hast du die Gespräche mit den Politikern empfunden?

Bernd Schweinar: Wir saßen innerhalb von nur sieben Tagen mit Markus Söder zusammen und sind mit unseren Problemen durchgedrungen. Aber der gute politische Wille des Ministerpräsidenten hat sich bei der Umsetzung durch die Bürokratie fast in Staub aufgelöst, insbesondere in Hinblick auf die Solo-Selbständigen. 

"Wir haben Corona noch lange nicht hinter uns"

Backstage PRO: Wie beurteilst du die aktuelle Lage "nach Corona"?

Bernd Schweinar: Ich muss dir widersprechen, wir sind nicht "nach Corona". Genau das hören wir immer wieder von Politikern, die mit Blick auf den "tollen Festivalsommer" erklären, dass weitere Förderungen für den Kulturbereich überflüssig seien, da die Leute ja wieder zu den Konzerten strömen. 

Backstage PRO: Wie ist denn die tatsächliche Lage?

Bernd Schweinar: Die Bilder feiernder Festivalbesucher täuschen über die wahre Lage hinweg. Viele kleine Veranstalter oder diejenigen, die neue Events an den Start bringen wollen, haben massive Probleme. Die Politiker werden von Veranstaltungen geblendet, deren Tickets teilweise schon 2019 verkauft wurden. Gerade die Großproduktionen spiegeln nicht wider, wie die Lage im Mittel- und Unterbau tatsächlich ist. Daher kommt es jetzt zu zahlreichen Absagen von Tourneen. Das verdrängen viele Politiker momentan – egal welcher Partei sie angehören. Wir versuchen dagegen zu steuern, denn die Kulturbranche ist noch lange nicht über den Berg, braucht Supportprogramme bis 2023 ggf. sogar 2024. Das versuchen wir gerade intensiv zu kommunizieren.

"Die Politik ist mitschuldig"

Backstage PRO: Welche Verantwortung siehst du bei den Politikern?

Bernd Schweinar: Die Politik ist mitschuldig daran, dass die Leute keine Konzertkarten mehr kaufen, weil viele Politiker ihnen eingeredet haben, dass Spielstätten besonders unsichere Orte sind. Gleichzeitig haben sie Maßnahmen blockiert, die Clubbetreiber ermöglicht hätten, schärfere Einlassvoraussetzungen einzuführen, als die Corona-Verordnungen sie vorsahen. Damit meine ich insbesondere das Recht, immer einen tagesaktuellen Test zu fordern. Meines Erachtens sollte das eine Option sein, Veranstaltern zu ermöglichen, die größtmögliche Sicherheit zu geben. Damit wären die Zuschauer vielleicht auch wieder bereit, in größerem Umfang Karten zu kaufen, weil sie sich mentaler auch sicherer fühlen können. 

Backstage PRO: Was kann man jetzt tun? Eine Möglichkeit wäre die Fortführung von Neustart Kultur und entsprechender Förderprogramme auf Landesebene. Oder man führt neue Programme ein, um der Kulturbranche über diese schwierige Wiederanlaufphase zu helfen.

Bernd Schweinar: Die Fortschreibung von Neustart Kultur für die nächsten 2-3 Jahre ist aus meiner Sicht unerlässlich. Das muss auf jeden Fall kommen, um den Veranstaltenden und den Künstler/innen eine Notfallabsicherung zu verschaffen, damit sie nicht vor der Insolvenz stehen, wenn sie Tourneen trotz der schwierigen Lage durchziehen. Die Länder wälzen aktuell vieles auf den Bund ab, weil das natürlich ihre Haushalte entlastet.

"Die Lage bleibt angespannt"

Backstage PRO: Welche Veranstaltungen und Festivals sind am meisten von der Krise betroffen? Allenthalben hört man, dass Großveranstaltungen am besten laufen.

Bernd Schweinar: Auch das kann täuschen: Nur weil ein Festival ausverkauft ist, bedeutet das nicht, dass die Veranstalter auch Gewinn gemacht haben, weil es ja noch unter den Konditionen von 2019 geplant wurde. Durch die Bank sagen auch alle, mit denen ich spreche, dass neue Veranstaltungen nur sehr selten funktionieren. Newcomer und Acts aus dem Mittelbau wissen aktuell nicht, was sie machen sollen: Die Karten verkaufen sich sehr schlecht. Ich wundere mich beispielsweise darüber, dass Metal-Veranstaltungen schlecht laufen. Bisher dachte ich, das Metal- und Hard-Rock-Publikum sei relativ belastbar. 

Backstage PRO: Die Veranstalter finden in einigen Fällen auch gar keine Dienstleister, teilweise wurden deshalb ja schon Festivals abgesagt.

Bernd Schweinar: Veranstalter von Corporate- oder Business-Events haben aus Furcht vor der Pandemie alle Events, bei denen das irgendwie möglich war, in den Zeitraum April bis Oktober verschoben. Das verschärft den Mangel an Dienstleistern, die sehr hohe Preise aufrufen, weil sie nicht wissen, was im November oder Dezember geschieht und ob dann nicht doch wieder viele Events abgesagt werden. 

Backstage PRO: Das heißt, die Lage der Dienstleister ist nach wie vor sehr angespannt?

Bernd Schweinar: Bei den Solo-Selbständigen ist das Vertrauen auf eine politische Lösung gleich null. Die Einführung einer "Arbeitslosenversicherung für Gewerbetreibende und Neue Selbstständige" im Kulturbereich, wie in Österreich, ist in Deutschland nicht in Sicht. Daher versuchen die Selbstständigen aktuell alles mitzunehmen, was geht.

"Die Lage ist schlimmer als vor zwei Jahren"

Backstage PRO: Gibt es irgendetwas Positives zu sagen?

Bernd Schweinar: Schwierig. Positiv ist, dass die Leute, die übrig geblieben sind, für ihren Job brennen. Aber auch die berichten davon, dass ihre früheren Crew-Mitglieder jetzt Elektroladesäulen an den europäischen Autobahnen aufbauen und von geregelten Arbeitszeiten und sicherem Einkommen profitieren. Andere berichten davon, dass sie Freunde und Bekannte durch Selbstmord verloren haben. Die Politik hat leider viele Existenzen durch zu zögerliches Handeln zerstört.

Backstage PRO: Wie sind die Auswirkungen für die Bands? Viele mittelgroße und kleine Bands müssen sich damit arrangieren, dass die Vorverkäufe sehr schlecht sind.

Bernd Schweinar: Den Künstlern geht es genauso schlecht. Oft haben die Bands Beteiligungdeals und wenn wenige Leute kommen, dann geht es ihnen genauso, als würde die Tour ganz abgesagt werden. Vielen droht dann die Grundsicherung. Das ist dem Kulturland Deutschland unwürdig. Die Veranstaltungsbranche hat in den vergangenen Jahren sehr viel Steuern gezahlt und nach zwei Jahren Pandemie lässt man sie dennoch an den Kraterrand marschieren – und vielleicht noch einen Schritt weiter. Mir wird Angst und Bange beim Gedanken an den nächsten Winter, weil die Politik gar nichts aus den letzten beiden Jahren gelernt hat. Die Künstler sind aus meiner Sicht in einer schlimmeren Lage als vor zwei Jahren.

"Wir müssen die Politik unter Druck setzen"

Backstage PRO: Die Lage vieler Bands war schon vor Corona schwierig.

Bernd Schweinar: Viele Bands haben sich nur durch den Live-Markt über Wasser gehalten. Jetzt bricht der Live-Markt auch wegen des fehlenden Publikums weg und ohne Bundes- und Landesförderung werden viele Schwierigkeiten haben, wirtschaftlich zu überleben. Viele Kreative werden in den nächsten Monaten schwere psychologische Kämpfe ausfechten müssen. Deshalb wäre es wichtig, dass die Politik jetzt ein Signal setzt, diese Kreativen zu unterstützen. Wenn die Förderung jetzt nicht weitergeführt wird, waren die ganzen bisherigen Fördermaßnahmen eigentlich Geldverschwendung.

Backstage PRO: Wie bewertest du die Arbeit der Kultur- und Veranstalterverbände?

Bernd Schweinar: Es ist eine gute und wichtige Arbeit, aber man kämpft bisweilen gegen Windmühlen. Ich kann nur jedem raten, nicht aufzugeben und weiterzukämpfen und die Politiker unter Druck zu setzen. Das ist gerade jetzt wichtiger denn je!

Backstage PRO: Herzlichen Dank für das Gespräch!

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