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Aggressive Fans und überforderte Securities

Das Rolling Loud Festival 2023 stand wegen Ausschreitungen kurz vor dem Abbruch - aber warum?

News von Backstage PRO
veröffentlicht am 14.07.2023

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Das Rolling Loud Festival 2023 stand wegen Ausschreitungen kurz vor dem Abbruch - aber warum?

Das Rolling Loud Festival stand kurz vor dem Abbruch. © Daniel Kurth

Das Hip-Hop-Festival "Rolling Loud Germany" fand dieses Jahr zum ersten Mal in Deutschland statt und hat über 50.000 Fans auf das Messegelände am Ostrand Münchens gezogen. Das Wochenende vom 7. bis 9. Juli verlief allerdings alles andere als friedlich: Nach Steinwürfen stand das Festival sogar kurz vor dem Abbruch.

Vor allem am Freitag überwanden zahlreiche Besucher/innen die Barrikaden zwischen den einzelnen Bereichen (sog. Wellenbrecher) und sorgten vor der zweiten Bühne für Gedränge im vorderen Bereich. Die Securities vor Ort waren nicht in der Lage, sie aufzuhalten.

Unruhen und Absagen

Schließlich eskalierte die Situation im vorderen Bereich. Besucher/innen warfen Steine und Flaschen, die neun Menschen verletzten. Aufgrund ständiger Unruhen und Rangeleien musste der Auftritt von Sheck Wes mehrmals unterbrochen werden. Die danach geplante Show von Ufo361 wurde komplett abgesagt, da die Sicherheit wegen fehlender Ordner/innen nicht mehr gewährleistet werden konnte. 

Eine Münchner Firma zog aufgrund tätlicher Angriffe gegen ihre Mitarbeiter/innen 65 Ordner/innen ab. Die Münchner Polizei bewertete das Verhalten der Besucher als "bemerkenswert aggressiv". 

Backstage PRO hat mit Daniel Kurth gesprochen, der das Festival vor Ort miterlebte. 

Er meint, dass es richtig gewesen sei, konsequent zu reagieren und rechnet den Veranstaltern ihr direktes Eingreifen bei ersten Anzeichen von Unruhe im Publikum positiv an. 

Sobald den Securities ein Time-Out-Symbol aus dem Publikum aufgefallen sei und damit signalisiert wurde, dass es einer Person möglicherweise nicht gut ging, wurde die Musik laut Kurth direkt gestoppt. Sicherheit habe an erster Stelle gestanden, obwohl die Umsetzung sehr unglücklich gelaufen sei. Durch die ständigen Unterbrechungen wurde die Stimmung im Publikum immer gereizter.

Hohe Auslastung

Kurth sieht ein großes Problem in der hohen Besucherzahl des Rolling-Loud Festivals, das aufgrund der angekündigten großen internationalen Acts noch bis zum letzten Tag vor dem Festival zahlreiche Ticket-Abnehmer/innen gefunden hatte. 

Nach Ansicht von Kurth war das Gelände zumindest teilweise überfüllt. Da die Sicht in den hinteren Bereichen - beispielsweise durch Festivalstände - stark eingeschränkt gewesen sei, drängten viele Besucher/innen in den vorderen Bereich der Bühnen, kletterten über Wellenbrecher und missachteten die Anweisungen der Ordner. Dadurch sei die maximale Auslastung des vorderen Bereiche schnell erreicht gewesen

Diese Aussagen decken sich mit anderen Berichten, während Veranstalter André Lieberberg von LiveNation erklärte, Besucher/innen hätten "grundlos in vordere Wellenbrecherbereiche" gedrängt, "obwohl hierfür überhaupt kein Anlass bestand. Allen Teilnehmern bot sich nämlich hervorragende Sicht auf das Bühnengeschehen, Ton-, Licht- und Videoanlagen zählten zu den modernsten ihrer Art weltweit."

Falls die Sicht nicht so hervorragend war wie Lieberberg Jr. behauptet, wäre das eine plausible Erklärung für das Nach-Vorne-Stürmen der vornehmlich jungen Besucher/innen. 

Enttäuschende Planänderungen

Trotz zweifellos extrem aggressiver Vorfälle hat Kurth die Stimmung auf dem Festival weniger aggressiv, sondern eher als "motzig" wahrgenommen. Viele Besucher/innen seien enttäuscht darüber gewesen, dass bekannte Acts teilweise bereits im Voraus abgesagt und durch kleinere Acts ersetzt wurden.

Auch angekündigte Special Guests seien nicht erschienen. Dass dann während des Festivals selbst Konzerte nicht stattgefunden hätten oder unter zahlreichen Unterbrechungen gelitten hätten, habe viele frustriert. Dieser Frust habe sich teilweise in Gewalt entladen, obwohl Kurth selbst nicht Zeuge solcher Vorfälle war.

Übergriffe im Publikum

Auch Zündfunk-Autorin Alba Wilczek war vor Ort und hat ihre Erfahrungen in einem Artikel zusammengefasst. Sie berichtet davon, während des Festivals Aufenthalts ein sehr unwohles Gefühl verspürt zu haben. Ein Gefühl, mit dem sie nicht allein gewesen sei. Im Verlauf des Festivals habe sie sich immer wieder mit verschiedenen Besucher/innen ausgetauscht. 

Auffallend sei gewesen, dass fast alle Frauen, mit denen sie gesprochen habe, sich aufgrund des überdurchschnittlich hohen Männeranteils im Publikum unwohl und nicht sicher gefühlt hätten. 

Einige Frauen hätten laut Wilczek davon berichtet, ständig angegraben und angefasst worden zu sein. Das anwesende Awareness Team hätte laut ihren Aussagen leider zu wenig davon mitbekommen, weshalb für die Zukunft der Wunsch nach einer Ansprechstation auf dem Festivalgelände besteht. 

Ausbau des Sicherheitskonzepts

Den zweiten Festivaltag hat Daniel Kurth insgesamt als angenehmer und besser organisiert wahrgenommen. Er berichtet unter anderem davon, dass das Festivalgelände ab Samstag deutlicher in zwei Bereiche unterteilt worden war.

Hierbei wurde ein durch die Organisatoren entwickeltes Ampelsystem, das am ersten Tag bereits für den vorderen Bereich eingesetzt worden war, am Festivalsamstag weiter ausgebaut und zudem auf den zweiten Bereich angewandt. 

Die Ampeln, die den Besucher/innen signalisieren sollten, welcher Bereich noch zugänglich bzw. bereits maximal gefüllt war, wurden zusätzlich durch klare Botschaften à la “Heute wird niemand mehr eingelassen” auf den Anzeigen ergänzt. 

Am Festivalfreitag, hätten die Ampeln laut Kurth noch häufiger zwischen rot und grün gewechselt, am Samstag hingegen blieben sie schnell und konsequent bei rot. Die Ampelbotschaften, die zusätzlich durch Ansagen der Veranstalter gestützt wurden, sollten ein unnötiges Warten seitens der Fans verhindern.

Neben einer verbesserten Kommunikation wurden die zwei Festival-Bereiche durch das Herbeiziehen von polizeilicher Unterstützung nach den Ausschreitungen am Freitag auch stärker gesichert. 

"Ab dem zweiten Tag war sehr viel Polizei da, die die Barrikaden zusätzlich gesichert haben, weil die dort zuständigen Security Leute überfordert und viel zu wenig waren. Vor dem Eintreffen der Polizei konnte man zwischen ihnen durchhuschen und über die Barrikaden springen."

Luft nach oben

Das Fazit des ersten Rolling Loud Festivals in Deutschland fällt wohl für alle Beteiligten so aus, dass noch Potenzial für Verbesserungen besteht.

Derart große Musikveranstaltungen sind sowohl für Besucher als auch für die Organisatoren eine große Herausforderung. Das gilt besonders für neue Veranstaltungen auf bislang nicht als Festivalgeländen erprobten Geländen wie der Messe München. Laut Kurth habe man sehr deutlich gemerkt, dass das Festival dort zum ersten Mal stattgefunden habe.

Die Veranstalter sollten auf jeden Fall ehrlich und unvoreingenommen klären, ob die Sicht aus den hinteren Bereichen wirklich so gut war, wie von ihnen behauptet - und ob die Besucher/innen tatsächlich ohne erkenntlichen Grund nach vorne drängten.  

Gleichzeitig zeigt es sich wohl, dass ein Festival mit sehr vielen relativ jungen Besucher/innen, darunter naturgemäß zahlreichen jungen Männern, ein anderes Sicherheitskonzept benötigt als ein Festival mit älteren Besucher/innen. Erschwerend kam beim Rolling Loud hinzu, dass man die Zusammensetzung des Publikums nicht kannte, da es sich ja wie gesagt um die Premiere handelte.

Festivalorganisator/innen sind aber auch gut beraten, dafür zu sorgen, dass sich Besucher/innen auf ihrem Gelände wohlfühlen. Schattige Orte sind absolut essentiell und können Besucher/innen erlauben, auch mal zu entspannen und "runterzukommen". Besucherfreundliche Wegeführung und Sichtachsen sorgen zudem für Zufriedenheit bei denjenigen, die nicht ganz vorne dabei sein können oder auch mal die Stage wechseln wollen.

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