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Artenkunde mit Augenzwinkern

Die unergründlichen Mysterien Musiker und Band. Versuch einer Typologie.

Spezial/Schwerpunkt von Backstage PRO
veröffentlicht am 29.07.2015

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Die unergründlichen Mysterien Musiker und Band. Versuch einer Typologie.

Musiker? Bands? ts! Wir lassen unseren Vorurteilen einfach mal freien Lauf. © Nikolai Grigoriev (123RF)

Habt ihr auch den Eindruck, dass sich so mancher Musiker nicht richtig in die Lage anderer Musiker hinein versetzten kann, dass man also oft aneinander vorbei redet? Im Ergebnis führt dies zu unnötigen Meinungsverschiedenheiten und allgemein zu mangelndem Verständnis für die jeweils andere Motivation. Vielleicht liegt's ja daran, dass diese Typen eben wirklich ganz unterschiedlich sein können…

Mit einem Augenzwinkern haben wir im folgenden Artikel mal einige Vorurteile ausgepackt, um uns der Problematik ganz grundsätzlich zu nähern und haben dabei fünf vorherrschende Spezies ausgemacht!

Auch lesen: Der Veranstalter, das unbekannte Wesen. Versuch einer Typologie.

I. Die jungen Wilden

Alter: 16-20 Jahre

Mucke: Haben erste eigene Frühkompositionen mit Pennälertexten, spielen aber auch mehrere Coversongs (leider nur in mäßig kreativen Versionen), um ein 45-Minuten-Set voll zu bekommen.

Erfahrung: Wenig bis keine. Beginner.

Karriereziel: Wollen zwar noch die Welt erobern, primär aber Angehörige des jeweils anderen (ggfs. auch gleichen) Geschlechts für sich begeistern.

Karriereplanung: Spielen gerne auf renommierten Bandwettbewerben, nehmen aber oft auch zweifelhafte Contest-Events mit, da es ansonsten scheinbar null Wege rauf auf die beliebten Bühnen gibt.

Fallstricke: Respektfalle (Geringes Ansehen. Dienen vor allem gerne mal als Multiplikator für Wettbewerb-Veranstalter, die so im Schneeballprinzip eine Menge Tickets verkaufen).

Karriereende: Die meisten dieser Bands verschwinden schnell wieder in der Versenkung, wenn es bei den Wettbewerben nicht bis ins Finale reicht und sich auch ansonsten nicht die erhoffte soziale Anerkennung einstellt.

II. Die Aufstrebenden

Alter: 20- 27 Jahre. In Ausnahmefällen bis maximal Mitte 30 (jung gebliebene Studienabbrecher).

Mucke: Machen vor allem eigene Songs. Je länger sie bestehen, desto mehr deutschsprachige Texte schleichen sich ins Programm. Mindestens eine Kollaboration (Band<>Band, Band<>DJ, Band<>MC, Band<>Remixer o.ä.) am Start. Das Set umfasst ziemlich genau 90 Minuten. Ein beliebtes Cover aus den wilden Anfangstagen hält man für den Zugabenblock zusätzlich noch in der Hinterhand.

Erfahrung: Man kennt sich gefühlt recht gut mit allen Selbstvermarktungstools im Netz aus. Sie wissen tendenziell mehr über Mechanismen der Musikindustrie als die noch folgenden „unknown Oldies“ und „Hobbyisten“ zusammen genommen.

Karriereziel: Sehr ambitioniert! Klassische Träume: Plattendeal, Zusammenarbeit mit kompetenter Booking-Agentur, Tourneen in Hallen ab 1000+, ausreichendes Einkommen um einen guten Lebensstandard zu sichern.

Karriereplanung: Per D.I.Y. will man soweit wie möglich kommen, um eines der verbliebenen Major-Labels mit glänzenden Zahlen überzeugen zu können. Alle Aktivitäten zur Mehrung der Linkes, Friends und Shares stehen daher ständig im Vordergrund („viral gehen“). Label soll dann die Arbeit übernehmen und €€€ ins weitere Marketing stecken. Präsentieren sich live hier und da auch schon mal als Vorband renommierterer Acts oder als Festival-Opener, ohne gleich nach überzogener Gage zu schreien. Sind aus dem Bandwettbewerb-Stadium der „jungen Wilden“ aber definitiv raus.

Fallstricke: Die Aufstrebenden stehen in der Blüte ihres Lebens. Nicht nur gefühlt stehen einem noch alle Wege offen. Träume werden geträumt, Pläne gemacht, Erfolge erzielt. Doch je vielfältiger die Weggabelung, desto größer auch die Zahl der Fallstricke:

  • Mainstreamfalle (Fokus darauf, anderen zu gefallen, dadurch geringe Entwicklung eigener Profilschärfe).
  • Zeitfalle (Musiker mit zahllosen Aufgaben neben der eigentlich Musik beschäftigt, stets Burn-Out-Gefahr).
  • Geldfalle (Miete muss bezahlt werden, ggfs. übernehmen andere Jobs im Laufe der Zeit die Alltagsplanung. Dann wird die Musik rasch wieder zum reinen Hobby).
  • Respektfalle (z.B., wenn man sich trotz des bisher Erreichten noch auf Nachwuchscontests drängt).

Karriereende: Die Phase, in der man mehr vom idealistischen Traum als vom Geld auf dem Konto lebt, erstreckt sich zu lange. Spannungen nicht auszuhalten, wenn sich nicht rechtzeitig reale Optionen ergeben.

III. Die Profis

Alter: 24-50 Jahre.

Mucke: Profimusiker spielen gerne noch eigene Songs, aber oft fehlt die richtige Band dafür.

Erfahrung: Wissen sehr wohl, wie schwer es ist, mit eigener Musik Geld zu machen. Been there, done that!

Karriereziel: Irgendwann im Laufe der Zeit sind sie definitiv schon einmal auf dem Hosenboden gelandet, haben mit Zeit- und Geldfalle Bekanntschaft gemacht und mussten sich widrigen Realitäten stellen. Sind dennoch nach wie vor in ausreichendem Maße vom Idealismus getrieben und arbeiten weiter hart an der eigenen Karriere.

Karriereplanung: Verdienen ihren Lebensunterhalt mit der Musik. Meistens Mischfinanzierung aus eigenen Projekten, Cover-, Gala-Acts, Unterricht, Vertriebstätigkeit für Endorsementpartner, Studiomusiker-Jobs. Sind hier und da auch mal bei Bandwettbewerben in der Jury – allerdings nicht, weil sie an das Format glauben, sondern weil sie als „Promi“ eingekauft wurden!

Fallstricke: Geldfalle.

Karriereende: Midlife-Crisis.

IV. Die unknown Oldies

Alter: Generation 50-Plus.

Mucke: Covern am liebsten die Songs ihrer Jugendidole.

Erfahrung: Sitzen tagsüber zwar brav am Schreibtisch und gehen einer Verwaltungstätigkeit nach. Treten vor allem im Netz aber als „väterliche/mütterliche Instanz“ auf und versuchen, den Wilden und Aufstrebenden die Musikindustrie zu erklären.

Karriereziel: Leiden sehr darunter, dass sie es nicht geschafft haben mit ihrer eigenen Musik Geld zu verdienen. Zerstörte Träume! Sehen in den „Aufstrebenden“ eine zusätzlich aufkommende, neue Bedrohung, da diese sich nicht zu schade sind, auch mal für weniger Geld aufzutreten und bisherige Strukturen aufzubrechen, um ihre eigenen Songs zu promoten.

Karriereplanung: Über ein halbes bis ganzes Dutzend Gigs pro Jahr (jedes Jahr dieselben versteht sich) geht's nicht mehr hinaus. Oft gebucht von über viele Jahre befreundeten Veranstaltern, die ihnen selbstverständlich eine gute Gage zahlen: „Wie immer? – Wie immer!“

Fallstricke: Keine. Alles verläuft in „geregelten Bahnen“.

Karriereende: Gegen persönliche Konflikte und Schicksalsschläge ist niemand gefeit.

V. Die ewigen Hobbyisten

Alter: 30-Plus

Mucke: Können ein paar Akkorde ihrer Lieblingsbands nachspielen. Hier eine Strophe, da ein Chorus. Verstehen die Texte oft falsch und geben entsprechend lustige Versionen von sich („I got my first real sex-dream“ statt „I got my first real six-string“).

Erfahrung: Lebensberatung und Karrieretipps via vereinzelten Youtube-Fundstücken. Glauben aber, sie hätten die Mechanismen der Musikindustrie erfunden.

Karriereziel: Den Hauptberuf an den Nagel hängen, um auf dem eingeschlagenen „dritten Bildungsweg (Youtube)“ doch noch als Musiker durchstarten.

Karriereplanung: Man pflegt ein Facebook-Profil, lädt einminütige mit der Webcam aufgezeichnete Songclips auf den eigenen Youtubekanal („Social Media Marketing“) und tritt vor allem im Rahmen privater Feste im Freundeskreis auf. Aus den Schulterklopfern ihrer betrunkenen Kumpels ziehen sie sich ihr Selbstwertgefühl. Noch in derselben Nacht erliegen sie ihrem Frust, es damit noch nicht geschafft zu haben, den sie dann als Musiker-Trolle im Netz ausleben, indem sie alles und alle anderen schlecht reden.

Fallstricke: Übermutfalle (es besteht die Gefahr sozialen Abstiegs, wenn der eigene Hauptjob aufgrund irrtümlich guten Zuredens im Bekanntenkreis – „Also bei Supertalent könntest du doch locker mal mitmachen!“ – aufgegeben wird).

Karriereende: Völlig zu Recht früher oder später als Troll gebrandmarkt, es folgen ausbleibende Kontakte, ausbleibende private Gigs.

Eure Meinung

Sind wir zu bösartig, unrealistisch oder gar noch viel zu weichherzig in unseren hier ausgeschütteten Vorurteilen? Am Ende ist doch klar, dass jeder selbst entscheiden sollte, wo und wie man sich positioniert! Wie lautet deine Typologie? Schreib in die Kommentare, was du denkst!

P.S.: Als nächstes werden wir uns auf Anregung aus der Community hin um eine Typologie der Fans kümmern (Groupie, Stalker, …). Schickt unserem Redakteur Markus eine Nachricht, wenn ihr dazu eine Geschichte zu erzählen habt.

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