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Voraussetzungen, Alltag und Praxis

Freelancing als Session-, Tour-, Studio-Musiker und Co.: Wie du als "Hired Gun" überlebst

Tipps für Musiker und Bands von Steffen Knauss
veröffentlicht am 22.11.2019

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Freelancing als Session-, Tour-, Studio-Musiker und Co.: Wie du als "Hired Gun" überlebst

Steffen Knauss. © Harald Marka

Als "Hired Gun" oder auch Freelancer bezeichnet man Berufsmusiker, die von Bands und Solokünstlern für Tourneen und Studiojobs angeheuert werden. Steffen Knauss und einige seiner Kollegen geben hier ihre Erfahrungen weiter und durchleuchten den Beruf Freelancing-Musiker aus mehreren Blickwinkeln!

Manch einer wird die Rock-Doku "Hired Gun" gesehen haben. Bei dem Titel könnte man meinen, es geht um einen schwer bewaffneten Elitekämpfer, der als Auftragskiller gebucht wird. Doch da liegt man mächtig daneben… Mein Name ist Steffen Knauss und ich möchte in diesem Bericht einen kleinen Einblick in meine Arbeit als Bassist und Freelance-Musiker geben.

Mit 17 Jahren war ich das erste Mal in Los Angeles und absolvierte die Summer School des Musicians Institute in Hollywood, Ca. Mit 21 Jahren schloß ich mein Studium an der Grove School of Music in Van Nuys, Ca. ab und werde seitdem von den unterschiedlichsten Künstlern und Bands für Live- und Studiojobs gebucht.

Was wird von Freelance Musikern erwartet und wie sieht deren Alltag aus?

Wie üblich gibt es natürlich keine allgemeingültigen Vorgaben und Erfolgsrezepte. Es geht auch nicht ausschließlich um die Elitemusiker, die für die großen deutschen Acts wie die Fantastischen Vier, Helene Fischer oder Mark Foster arbeiten.

"Hired Guns" werden z.B. auch von Cover- und Galabands für Konzerte oder sogar nur als einmalige Aushilfe für eine Hochzeit oder Firmenfeier gebucht. Was sie alle vereint, ist eine gewisse Fähigkeit, schnell und unkompliziert das Repertoire der jeweiligen Band zu lernen.

Selten gibt es für solche Jobs irgendwelche öffentlichen Stellenausschreibungen. Meist werden die Musiker weiterempfohlen.

Wie komme ich als Freelancer an Gigs?

Als Bassist habe ich das Glück, dass es eine recht große Nachfrage aber relativ wenig Bassisten gibt. Vor allem durch die Kombination von E-Bass und Kontrabass, wie es bei mir der Fall ist, erhöht sich natürlich die Wahrscheinlichkeit als Freelancer gebucht zu werden.

Wie bei den meisten Kollegen ergibt sich bei mir der Großteil der Jobs aus Weiterempfehlungen von Musikern. Man lernt bei Gigs neue Kollegen kennen und diese melden sich dann hoffentlich, wenn sie Bedarf an einem Bassisten haben. So entwickelt sich über die Jahre ein immer größeres Netzwerk und verbunden damit auch immer mehr Konzerte.

Markus Kullmann

Markus Kullmann

Der Schlagzeuger Oli Rubow (De-Phazz, Hattler, Blumentopf, Cro, …) beschreibt seinen Weg zu einem der begehrtesten Freelance Schlagzeugern Deutschlands so:

"Es hat irgendwann mal – immer mit Schützenhilfe des Zufalls – so angefangen, dass ich viel gespielt (aber auch immer wieder neue Stilrichtungen ausprobiert) habe und sich dadurch im Laufe der Zeit viele Kontakte ergeben haben, die das Fundament meines freiberuflichen Daseins geschaffen haben. Später wollte ich mich deutlicher positionieren, mich auf meine Stärken besinnend spezialisieren. Das führte zu Gigs bzw. zu einem neuen Umfeld und einer Jobumschreibung als Trommler, der die typischerweise programmierten Beats der Club Culture leidenschaftlich auf der Bühne umsetzen mag. Darüber hinaus entschied ich mich all meine Erfahrungswerte, Ideen und Visionen aufzuschreiben und zu teilen. Ab und an in Buchform, vor allem aber mittels kostenlosem Weblog (www.e-beats.net). Dabei entwickelte sich nicht nur ein reger Austausch mit Gleichgesinnten, es wurde auch eine neue Tür zu Workshops, Clinics und Drumfestivals geöffnet. Die (mir eigentlich zu oberflächlich arbeitenden) sozialen Medien verwende ich heute vor allem als Litfasssäule für meinen Blog, sowie als Teaser für Konzerte und sonstige Aktivitäten."

Auch Bassist Marius Goldhammer erhält seine Engagements in erster Linie durch Weiterempfehlungen:

"Es gibt Bands oder Produzenten, für die ich seit vielen Jahren immer wieder spiele, sowie Acts, die neu dazukommen, wie letztes Jahr BAP oder die Latenight Show 1:30 mit Teddy Teclebhran. Mit Rüdiger Baldauf, in dessen Band ich seit ca. 10 Jahren spiele, bin ich sehr viel unterwegs. Dadurch ergeben sich auch immer wieder Folgeprojekte."

Dass es nicht immer die großen Bühnen und TV-Studios sind, in denen erfolgreiche Freelancer unterwegs sind zeigt sich auch an der Erfahrung von Marius Goldhammer und Nico Schliemann (Gitarrist bei Glasperlenspiel, Wincent Weiß, Maite Kelly u.v.a.), wenn es um das Thema Hochzeitsgigs und Firmenevents geht. Beide spielen zwar nicht mehr so viele Privatparties und Galajobs wie am Anfang ihrer Karriere, aber trotzdem findet sich auch in deren Kalender der ein oder andere Hochzeits- oder Geburtstagsgig.

Nico Schliemann

Nico Schliemann, © Foto: Joshua Schwarz

Ist es sinnvoll sich als Freelancer zu spezialisieren oder sollte man lieber alles spielen können?

Nico Schliemann meint dazu:

"Generell ist es nie verkehrt, stilistisch möglichst breit aufgestellt zu sein, aber es macht meiner Ansicht nach wenig Sinn, sich krampfhaft in Ecken zu drücken, die man nicht bedienen möchte, weil einem die Musik z.B. nicht liegt. Ich denke da an Situationen, wo der beherzte Blues-Rocker im Free Jazz wildert, eventuell sollte man sich da überlegen, ob es für einen selbst das Richtige ist. Es zwingt einen ja niemand dazu, einen Gig anzunehmen und oftmals ist es auch ein Zeichen der Größe, wenn man auch mal zugibt, dass man für ein Job nicht der Richtige ist."

Ein Tipp von Marius Goldhammer ist:

"Es schadet jedoch nicht, Sachen wie Kontrabass oder Synthbass oder Backingvocals anbieten zu können. Solche Zusatzaufgaben entscheiden nicht selten, ob man angerufen wird oder nicht."

Welche Voraussetzungen benötigt man, um als "Hired Gun" erfolgreich zu sein?

Ich habe mich bewusst nicht auf eine Stilrichtung festgelegt und werde dadurch auch vom Jazzgig bis zur Bierzelt Coverband angefragt. Mir macht es einfach viel Spaß an dem einen Tag Miles Davis Standards zu spielen, den nächsten Abend mit Rage Against the Machine Songs abzurocken, danach dann mit dem Latin Trio oder der Soulband ein Open Air zu spielen und anschließend eine Club-Tour durch halb Europa mit der jungen Gitarristin Yasi Hofer zu rocken.

Da bleibt meist recht wenig Zeit für die Vorbereitung. Aber auch das Raushören und Auswendiglernen von Songs fällt einem mit der Zeit immer leichter und über die Jahre wächst das Repertoire an Songs. Manchmal wundert man sich da schon, was alles in so einen kleinen Kopf reinpasst. Wer Noten oder zumindest Leadsheets oder Chord Charts lesen kann, ist da auf jeden Fall im Vorteil.

Eigentlich muss man auf alles vorbereitet sein. Mir ist es nicht nur einmal passiert, dass sich eine Setliste noch während dem Konzert plötzlich geändert hat oder der Sänger dann doch lieber eine andere Tonart für den Song hätte.

Nico Schliemann bereitet sich zu 95% mit Aufnahmen der zu spielenden Songs vor. Nico sagt:

"Ich versuche auch wenn ich das Zeug durchspiele, es quasi wie im Livebetrieb zu machen, also eine Chance, ohne abzubrechen und im Stehen. Eventuell gibt es auch Proben vor Gigs, aber generell sollte die ganze Vorbereitung vorher stattfinden, da man während der Probe effizient arbeiten sollte und nicht zum Songs lernen da ist. Die Anderen bereiten sich ja (hoffentlich) auch vor und niemand will ewig proben."

Oli Rubow erklärt seine Herangehensweise um neue Songs zu lernen so.

"Ich höre mir sowohl die Studioproduktionen, als auch Live-Mitschnitte sorgfältig an, schreibe letztere in Leadsheet Form heraus, überlege mir ein sinnvolles Setup und übe die Tracks schließlich zur Musik. Gibt es im Vorfeld ausreichend Zeit, lasse ich die Tracks immer wieder im Alltag (beim Einkaufen, Kochen) laufen, um sie besser kennenzulernen, im Gehirn zu verankern, um sie im Idealfall fast auswendig zu können. Parallel dazu wird die Logistik geklärt: An- und Abreise, das mitzuführende Equipment, die entsprechende Bühnenkleidung."

Benötigt man spezielles Equipment, wenn man als Freelancer gebucht werden will?

Wenn man in unterschiedlichen Bands spielt und dabei auch noch unterschiedliche Musikstile bedienen soll, muss natürlich nicht nur das technische Know-How passen, sondern auch das Equipment entsprechend angepasst werden können. Das heißt nicht, dass der ganze Keller voller Gear stehen muss, aber unterschiedliche Setups für unterschiedliche Bühnengrößen und Musikrichtungen sollten machbar sein.

Zum Equipment gehören für einen Freelancer auch die Noten des eigenen Repertoires. Was man früher in Leitz-Ordnern oder Fake-Books zu den Gigs mitbringen musste, erledigt mittlerweile Gott sei Dank das Tablet. Ein paar Hundert der geläufigsten Songs sollte man als gefragter Freelancer möglichst weitgehend auswendig spielen können. Den Rest hat man dann auf dem Tablet gespeichert.

Marius Goldhammer

Marius Goldhammer, © Foto: Simon Engelbert

Was sollte ich als Band oder Solokünstler beachten, wenn ich einen Musiker buchen möchte?

Man sollte auf keinen Fall zögern uns Berufsmusiker direkt anzusprechen. Oft denkt man, dass Musiker, die für bekanntere Acts unterwegs sind, ständig ausgebucht sind. Wenn man aber früh genug mit seiner Planung dran ist, gibt es meist noch ausreichend freie Slots. Falls nicht, weiß der Musiker eigentlich immer jemanden, den er für den Gig weiterempfehlen kann.

Toll ist es natürlich, wenn die Band oder der Solokünstler auch selbst gut vorbereitet ist. Eine Liste mit den korrekten Songnamen, Tonarten, Interpreten und am besten den passenden Audiofiles wäre perfekt. YouTube-Links reichen aber heutzutage auch oft aus. Vor allem wenn es um spezielle Versionen von Songs geht, ist ein Link zum Livevideo Gold wert.

Wenn es dann auch noch frühzeitig einen Zeitplan für Aufbau, Soundcheck etc. und eine Adresse der Location gibt, die im Navi funktioniert, umso besser. Infos zum Dresscode können auch nicht schaden und wenn dann die Gage pünktlich überwiesen wird ist der Gig fast schon zu perfekt.

Schlagzeuger Markus Kullmann (Glenn Hughes, Voodoo Circle, Moby Dick, Hartmann) wünscht sich von seinen Auftraggebern:

"Zuverlässigkeit und Gründlichkeit was die Vorgaben angeht. Also keine Änderungen kurz vor den Shows, sondern gleich die richtigen Versionen im Cover- und Tributebereich. Bei eigenen Songs gerne Offenheit meinen Stil spielen zu können - weswegen man ja auch eigentlich gebucht wird."

Was bekommt ein Freelancer an Gage?

Je nach Aufwand, Fahrtstrecke und Event liegen die Kosten für einen gebuchten Musiker bei 250 € bis 1000 € und mehr. Für den Jazz-Gig im kleinen dunklen Keller gibt es eben weniger Gage als für den VIP-Hochzeitsgig oder die 14-tägige Stadiontour.

Fazit

Wer Lust daran hat, immer wieder neue musikalische Herausforderungen zu meistern, neue Musiker kennenlernen möchte und sich nicht darauf verlassen will, dass die eigene Band jahrelang erfolgreich ist und gut bezahlte Gigs spielen wird, für den ist das Leben als "Hired Gun" oder Freelancer sicher einen Versuch wert.

Wer bereits feuchte Hände bekommt, wenn er nur daran denkt, dass er in einer Woche auch mal mehrere Setlisten mit jeweils 20 bis 30 Songs auf dem Schreibtisch liegen hat, die er bis zum Wochenende vorbereitet haben sollte, der sollte besser nach anderen Möglichkeiten Ausschauen halten, um mit Musik Geld zu verdienen.

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