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"Musik und Gaming hatten schon immer sehr viel Kontakt"

Maurice Klinge über die Verbindung von Gaming und Musik und Marketing-Chancen für Künstlerinnen und Künstler

Interview von Doktor Nic
veröffentlicht am 01.12.2023

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Maurice Klinge über die Verbindung von Gaming und Musik und Marketing-Chancen für Künstlerinnen und Künstler

Maurice Klinge ist Marketing Manager bei Bigben Interactive. © Lutz Adorf

Maurice Klinge ist Marketing Manager DACH bei Bigben Interactive und darüber hinaus als Sänger in der deutschen Musikindustrie verwurzelt. Im Interview teilt er seine Erkenntnisse über die spannenden Möglichkeiten, die sich aus der Verbindung von Musik- und Gaming-Industrie ergeben. Darüber hinaus erläutert er, warum das nicht nur die "großen Akteure" betrifft, sondern auch Indie-Künstlerinnen und -Künstler diese Chance keinesfalls ignorieren sollten.

Backstage PRO: Maurice, du arbeitest im Gaming Bereich für einen großen Publisher in Deutschland. Erzähle uns doch bitte kurz, was du so machst.

Maurice Klinge: Ich bin Product Manager bei Bigben Interactive. Das ist der deutsche Standort von Nacon, einem französischen Hersteller für Gaming-Zubehör wie Controller und Headsets sowie Double A-Games. Dort bin ich maßgeblich für das Marketing im DACH-Bereich zuständig. Mein Alltag reicht von Customer-Service, über Social Media Management bis hin zu kompletten Marketing-Kampagnen für neue Produkte und Games. Seit letztem Jahr habe ich außerdem mehrere Titel im Bereich Musik beratend betreut und Songs aus unseren Games in Zusammenarbeit mit einem Label auf den DSPs veröffentlicht.

Backstage PRO: Du hast auf dem Reeperbahnfestival 2023 einen Vortrag über die Möglichkeiten der Fusion von Gaming und Musikbusiness gehalten. Welche Verbindungspunkte siehst du?

Maurice Klinge: Wenn man in die Vergangenheit beider Branchen schaut, sieht man sehr schnell, dass Musik und Gaming schon immer und schon sehr früh sehr viel Kontakt miteinander hatten, wenn man z.B. an den legendären Tetris Soundtrack oder das Radio in Grand Theft Auto denkt. In beiden Branchen arbeiten viele Künstler*innen, die lange an ihren Werken arbeiten und teilweise Jahre auf einen Release hinarbeiten. 

Backstage PRO: Welche anderen Gemeinsamkeiten siehst du?

Maurice Klinge: Das oftmals Entscheidende ist die richtige Vermarktung, damit das geschaffene Produkt zum einen Leute erreicht und zum anderen auch am besten die richtige Zielgruppe findet. In den letzten Jahren gab es hier und da immer wieder mal spannende neue Projekte wie z.B. das Live-Konzert von Travis Scott in Fortnite oder das Game Metal: Hellsinger, an dessen Artists wie Tatiana Shmayluk (Sängerin von Jinjer) oder Serj Tankian (Sänger von System of a Down) mitgewirkt haben. Doch sind wir ehrlich, von solchen Projekten sind die meisten Newcomerbands noch weit entfernt. Spannender hingegen sind wirklich viele kleinere Game Studios und sogar Festivals, die sich auf die Kombination von Musik und Gaming spezialisiert haben und "Nerd-Events" veranstalten.

Backstage PRO: Inwiefern hat die Musikindustrie möglicherweise Chancen verschlafen und wer hat deiner Meinung nach Gaming genau richtig für sich genutzt? Schließlich waren die beiden Industriezweige schon alleine durch Soundtracks immer eng miteinander verknüpft.

Maurice Klinge: Ganz ehrlich hat nicht nur die Musikindustrie eine Entwicklung verschlafen, sondern auch die Gamingindustrie. Obwohl man um die 2000er herum schon eine starke Entwicklung gezeigt hat, ist diese mit Social Media und all den neuen virtuellen Möglichkeiten eingeschlafen. Am meisten fehlt es an Kommunikation beider Seiten. 

Backstage PRO: Wie meinst du das?

Maurice Klinge:  Die wenigsten Labels und Musikverlage wissen, wie sie an Spieleentwicklungsstudios kommen und selbst wenn es so weit kommt, scheitert es oftmals an mangelndem Budget für die Lizenzierung, da das selten der finanzielle Fokus der Entwickler*innen ist. Die meisten Studios hingegen kennen sich oft wenig mit Musik aus und schon gar nicht mit der Lizenzierung rund um Urheberrechte, deswegen wählen die meisten Studios oft gemafreie Stock-Musik. Aber was viele leider oftmals vergessen. Gaming ist nicht nur Sync, also die Verbindung von bewegten Bildern und Musik. 

Backstage PRO: Welche weiteren Möglichkeiten meinst du?

Maurice Klinge: Amazon Music z.B. ist eng mit Twitch verknüpft und bietet Artists die Möglichkeit, das Artist-Profil mit einem Twitch-Kanal zu kombinieren. Hier also können Artists live gehen, egal ob musikalisch, einfach ein wenig chatten oder gar Gaming-Content zu liefern. Die Gaming-Szene wächst gerade stetig und ist für mich eine Content-Maschine, die in den nächsten Jahren für einige Artists ein absolutes USP werden könnte. 

Backstage PRO: Wie stellst du dir das vor?

Maurice Klinge: Zum einen bietet Twitch die Möglichkeit den Austausch mit der Community zu intensivieren, neue Fans zu generieren, aber auch neue Wege, neue Musik oder Tourneen zu promoten. Ab einer gewissen Größe ist es sogar möglich, den Kanal zu monetarisieren und über Werbeclips Einnahmen zu generieren. Wichtig jedoch in der Gaming-Szene ist, jederzeit authentisch zu sein! Wer also absolut nichts mit Gaming anfangen kann und da eigentlich nichts davon hält, sollte besser auch nicht jetzt das Ziel haben, E-Sports Legende werden zu wollen. 

Backstage PRO: Das Thema Sync ist für viele Leute in und außerhalb der Musikindustrie interessant, aber auch sehr undurchsichtig. Wie wird deiner Erfahrung nach verfahren, wenn es um Soundtracks für Videospiele geht? Wie komme ich mit meiner Musik auf einen Soundtrack?

Maurice Klinge: Sync ist wirklich die "Königsdisziplin". Das ist schon in anderen Bereichen wie TV und Serien sehr schwierig und aufgrund der mangelnden Kommunikation der beiden Branchen existiert nicht unbedingt die beste Ausgangslage. Aber auch hier gilt es, neue Wege zu finden. In größeren Studios gibt es Music Directors oder A&Rs, die speziell für die Gamingtitel Musik auswählen und dann à la Playlisting in ihre Games integrieren. Diese findet man meist ganz gut über die Abbinder am Ende eines Games, Websites, die diese Daten pflegen oder über soziale Medien wie LinkedIn. 

Backstage PRO: Wie erfolgversprechend ist dieser Ansatz?

Maurice Klinge: Die Wahrscheinlichkeit, dass es gelingt, ist relativ gering, aber wenn man einen Song geschrieben hat, genügend Vorlauf bis zu einem Release hat und der Song musikalisch zu einem Game passt und man den Kontakt herausgefunden hat, sollte man es definitiv nicht unversucht lassen. Alternativ kann man natürlich ab einer gewissen Größe einen passenden Verlag oder Label suchen, die bereits einige Artists erfolgreich in den Games untergebracht haben und eine Zusammenarbeit anfragen. 

Backstage PRO: Wie sieht es im Hinblick auf kleinere Studios aus?

Maurice Klinge: Kleinere Studios, die wir auch in Deutschland haben, haben eher selten spezielle Personen dafür eingestellt. Bei ihnen lohnt es sich aber, das Internet zu nutzen und zu schauen, ob es passende Indie-Games oder Double-A-Games gibt, die zu der eigenen Musik passen und die Studios per Mail zu kontaktieren. Die meisten Indie-Teams bestehen aus kleinen Gruppen und wenn die Musik passt, könnte das Interesse schnell da sein. Der Nachteil hier ist natürlich, dass kleine Studios nicht die finanziellen Mittel haben, wie die großen die an die Major Publisher angebunden sind. 

Backstage PRO: Was ist das Entscheidende, damit mein Song auch im Game zu hören ist?

Maurice Klinge: Dass die Musik wirklich zum Game passt, die gleichen Emotionen wie das Game versprüht sowie den Standard professioneller Tracks erfüllt. Wenn ein Track im Trailer eingebunden wird, werden außerdem verschiedene Auskopplungen benötigt, damit der Trailer in 4-5 verschiedenen Längen geschnitten werden kann. Versionen mit oder ohne Stimme sind mindestens genauso wichtig. Sync bietet also eine große Chance, bringt aber auch einige Anforderungen mit sich, die man bewältigen muss. Wer ein Homestudio besitzt und in der Lage ist, den Track in verschiedenen Versionen zu liefern, hat klare Vorteile!

Backstage PRO: Der Erfolg im Game kann ja auch auf andere Bereiche der Musikkarriere zurückwirken.

Maurice Klinge: Genau. Es ist eine Option, Sync im Gaming nicht nur als Einnahmequelle, sondern auch als Marketingtool für neue Releases und für anstehende Pitches zu nutzen. Selbst wenn man mit kleineren lokalen Studios in Kontakt kommt und den Soundtrack für einen Indie-Titel beisteuern darf, der möglicherweise maximal 50.000 Spieler:innen hat, ist das für viele kleinere Künstler:innen schon ein großer Erfolg. Beim späteren Pitching und Release spielen solche Kooperationen absolut in die Karten der Artists und bieten zusätzliche Munition für Marketing & PR, Playlistings, Content-Erstellung wie z.B. offiziellen Trailer des Games und Vervielfachung der Reichweite. 

Wenn man das, wie zuvor bereits erwähnt, noch mit einer passenden Content-Strategie über Social Media und insbesondere Twitch unterstützt, bieten sich auch spannende Möglichkeiten dieses Branding auf das Booking für Festivals auszuweiten, die beides kombinieren.

Backstage PRO: Herzlichen Dank für das Interview.

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