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"Jeder sollte mehrere Säulen als Musiker aufbauen"

"Mein Plan B": Leo Schmidthals (Selig), Rockbassist und Theaterkomponist

Interview von Martell Beigang
veröffentlicht am 26.11.2019

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"Mein Plan B": Leo Schmidthals (Selig), Rockbassist und Theaterkomponist

Mein Plan B: Interview mit Leo Schmidthals (Selig). © Leo Schmidthals

Nur wenige Musiker leben davon, ausschließlich mit ihrer eigenen Musik auf der Bühne zu stehen. Für die meisten Profis besteht ihr Job aus ganz unterschiedlichen Facetten. In unserer Serie Plan B stellen wir euch Kollegen vor, die interessante Nischen besetzen. Heute: Leo Schmidthals (50), Bassist bei Selig und Theaterkomponist!

Leo Schmidthals spielt seit 1993 bei Selig. Daneben komponiert er seit 2001 viel fürs Theater. Ich erreiche ihn am Telefon (Köln calls Hamburg) und habe ihn offensichtlich beim Frühstück gestört. Er nimmt es mit Humor…

Backstage PRO: Lieber Leo, die meisten kennen Dich als Bassist der Kultrocker Selig. Ihr wart gerade auf Tour. Wie war es, die Songs der ersten Platte nach so langer Zeit mal wieder zu spielen?

Leo Schmidthals: Fantastisch! Es war nun mal eine sehr wichtige Platte für uns. Wir spielten sogar die original Reihenfolge. Beim Konzert in Hamburg haben die Zuschauer einfach komplett alles mitgesungen. Es ist schön zu merken, dass die Platte, die 1994 ja unser „Ausrufezeichen“ war, auch heute noch so vielen Leuten etwas bedeutet. Bei Selig mitzuspielen ist ein Riesenglück für mich. Unsere Chemie ist schon etwas besonderes.

Backstage PRO: Wie geht es weiter bei euch?

Leo Schmidthals: Wir arbeiten gerade an unserem neuen Album, das nächstes Jahr erscheinen wird. Dafür waren wir gerade zehn Tage in Dänemark in einem Ferienhaus. Zudem hatten wir noch zusätzlich einen Proberaum bei einem Bauern gemietet.

Backstage PRO: Habt ihr dort auch aufgenommen?

Leo Schmidthals: Mit einem guten Mikro, Laptop und Interface hat man ja heutzutage ein komplettes mobiles Studio. Einmal haben wir Drums sogar mit dem Handy im Proberaum zum Klick aufgenommen und dann damit weitergearbeitet. Aber alles nur als Vorproduktion.

Ist schon irre, dass sich das Musikmachen für mich immer noch so frisch wie vor 25 Jahren anfühlt. Ich freue mich darauf, wenn es wieder losgeht mit den Jungs und dann treffen wir uns und die Faszination ist sofort wieder da. Und dann komme am Ende auch noch meistens echt tolle Lieder dabei raus.

"In der Theaterwelt wird anders gearbeitet"

Backstage PRO: Mit Selig bist du nicht immer aktiv. Was machst du in der Zwischenzeit?

Leo Schmidthals: (lacht) Ich mache sehr unterschiedliche Sachen. Seit 2001 zum Beispiel Theatermusik. Jedes Jahr meistens zwei Stücke. Damals hat mich die Musik zu „Black Rider“ von Tom Waits sehr inspiriert. Ich kannte den Keyboarder und er meinte, dass es ein neues Stück geben wird. Ich solle mich mal bewerben. Das hat dann zwar nicht geklappt, aber dadurch bin ich überhaupt auf den Gedanken gekommen so etwas mal zu machen und außerdem habe ich bei dieser Gelegenheit den Regisseur kennengelernt, mit dem ich schon ganz viele Stücke gemeinsam gemacht habe.

Damals war es für mich sehr spannend zu sehen, dass in der Theaterwelt ganz anders gearbeitet wird als in der „freien Wirtschaft“. Da das Theater subventioniert wird, kann man da viel entspannter rangehen und muß nicht dauernd an die verkauften Tickets denken. Man bekommt einen Kompositionsauftrag und kann sich für 6 Wochen vollständig auf die Kunst konzentrieren. Sensationell.

Backstage PRO: Wie hat das bei dir angefangen mit der Musik, mit welchem Instrument? Du komponierst doch sicher am Klavier, oder?

Leo Schmidthals: Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal inspiriert mich ein neuer Synthie oder eine Ukulele oder ein Schifferklavier, manchmal der Bass, aber du hast recht, das meiste mache ich am Klavier. Oder am Computer, der ist für mich inzwischen ein richtiges Instrument, mit dem man fast alles machen kann. 

Angefangen habe ich klassisch am Klavier mit etwa 8 Jahren. Mit 10 Jahren kam dann das Cello dazu. Cool war, dass mein Vater mir parallel zum Klassikunterricht ganz früh die Bluesform beigebracht hat, sodass ich eigentlich immer schon improvisiert habe. Meine Tante hat mir ihre Plattensammlung geschenkt mit vielen Bluesleuten, Boogie Woogie oder auch Oscar Peterson. Da ging dann nochmal eine ganz andere Welt auf. Mit 14 habe ich dann bei einer Projektwoche in der Schule mit einem Kumpel die erste Band gegründet, wo wir Beatles nachgespielt, aber auch immer schone eigene Titel geschrieben haben. Meine Muter hatte mir einen Bass geschenkt und das ging wegen dem Cello auch direkt ganz gut.

Mein Plan B: Interview mit Leo Schmidthals (Selig)

Mein Plan B: Interview mit Leo Schmidthals (Selig), © Leo Schmidthals

"Bei Rockmusik kommt man schnell zu Ergebnissen"

Backstage PRO: Was war das originellste Ensemble für das du je etwas komponiert hast?

Leo Schmidthals: Letztes Jahr in Stuttgart haben wir „Publikumsbeschimpfungen“ von Handke inszeniert. Da hab ich dem Regisseur vorgeschlagen, eine Band mit den Schauspielern zu machen, die alle bis dato kein Instrument gespielt haben. Die klangen am Ende wie Velvet Underground.

Bei Rockmusik kommt man halt schnell zu Ergebnissen. Und an der Staatsoper in Hamburg hatte ich letztens ein Projekt, das hieß „Ring & Wrestling“ dort haben wir Wagners Ring mit klassischem Orchester und einer Wrestlinggruppe aufgeführt. Dort mußte ich richtig viel Partitur schreiben, habe Arien und Rezitative komponiert, selbst dirigiert und manchmal Bass gespielt. Verrückt wie da die Welten aufeinanderstießen. Am Anfang waren die Wagnerianer etwas skeptisch, aber am Ende waren alle begeistert.

Ich glaube, wenn es zu Wagners Zeiten schon eine E-Gitarre gegeben hätte, hätte er sie auch eingesetzt. Er hat ja immer nach neuen Klängen gesucht.

Backstage PRO: Du hast an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und am Berklee College of Music Boston studiert. War dir von Anfang an klar, dass du so ein breites musikalisches Spektrum bedienen wolltest?

Leo Schmidthals: Schon ein bisschen Plan, ja. Als ich nach Berklee ging, wollte ich Jazzbassist werden. In New York habe ich dann im Blue Note einen Bassisten gesehen, der mit Michel Petrucciani spielte, und dachte: Das ist es, genauso möchte ich spielen. Ich nahm dann bei ihm Unterricht und wir haben uns angefreundet.

Ich merkte schnell, dass er, obwohl er saugut war, ein ziemlich hartes Leben hatte, mußte drei Shows am Abend spielen um über die Runden zu kommen. Ich dachte nur, "wow, das ist heftig" und als es dann bei mir mit dem Touren losging und ich, nicht zuletzt durch den Popular-Kurs, langsam in die Hamburger Szene reinrutschte, bin ich dann nicht nach New York gegangen…

Und dann kam Selig, war sehr erfolgreich, aber nach 5 Jahren überraschend auch schon wieder vorbei.

"Eine gute Ausbildung ist nie verkehrt"

Backstage PRO: Wie ging es dann weiter?

Leo Schmidthals: Dann stand ich da und fragte mich: Und jetzt? Eigentlich wollte ich ja immer schon Komposition studieren, aber hatte mich nie getraut. Durch Selig hatte ich ein bisschen Geld zurückgelegt und konnte mich ein halbes Jahr auf die Aufnahmeprüfung vorbereiten und hab sie tatsächlich auch bestanden und dann direkt angefangen.

Das war ein super Studium. Und ich merkte wie mir das lag, mal nicht in der ersten Reihe zu stehen, als Arrangeur und Komponist fühlte ich mich echt wohl. Nicht immer touren und Interviews geben...

In der Zeit bin ich auch Vater geworden und begann mir Sorgen zu machen: Was passiert, wenn mal irgendetwas mit meinen Händen sein sollte? So Handversicherungen sind ja ganz schön teuer. Also ich kann jedem empfehlen mehrere Säulen als Musiker aufzubauen. Eine gute Ausbildung ist nie verkehrt.

Backstage PRO: Wie beeinflussen deine verschiedenen Tätigkeiten deine Arbeit als Bassist bei Selig?

Leo Schmidthals: Das befruchtet sich alles gegenseitig. Ich bin ja nicht der einzige der etwas anderes neben der Band macht. Jan macht viel Theater, Stoppel hat jahrelang bei James Last gespielt und Christian macht internationale Songwriting-Sessions. Wir erzählen uns immer was gerade passiert und manchmal nützt es dem Song, an dem wir gerade arbeiten. Man bekommt Lust mal Sachen auszuprobieren, die zunächst vielleicht etwas abwegig erscheinen. Es ist spannend mit ganz unterschiedlicher Musik zu tun zu haben.

Backstage PRO: Komponiert ihr eigentlich zusammen?

Leo Schmidthals: Das erste Album waren meist Songs von Christian und Jan, aber wir haben immer schon Input gegeben. Heutzutage komponieren wir meistens zusammen, reden auch viel über Inhalte. Jan macht zwar vorne die Ansagen, aber er versichert sich immer bei uns, damit wir da auch alle hinter stehen. Zum Beispiel in Sachen Klimathematik, demokratische Gesellschaft... Ist immer noch alles Musik, was wir machen, aber wir wollen auch eine Message vertreten und deswegen muß man sprechen innerhalb der Band.

"Es muß alles aus dir selbst kommen"

Backstage PRO: Hättest du noch  einen Tipp für unsere Leser auf Lager?

Leo Schmidthals: Ich kann jedem empfehlen, der überlegt professionell Musik zu machen, dranzubleiben, obwohl es manchmal anstrengend ist. Da ist niemand, der dich antreibt, das muß alles aus dir selbst kommen. Aber mit dem Spaß, den das Ganze bringt, geht dann die viele Arbeit, die man manchmal hat, echt wie von selbst.

Backstage PRO: Hast du heute frei?

Leo Schmidthals: Nee, ich hab heute abend noch ein Konzert mit Clara Pazzini. An die Band bin ich durch meine Arbeit an der Oper gekommen. Dort wurde ich mit akustischer Musik angefixt und mir viel auf, dass ich seit 25 Jahren eigentlich nur elektrisch verstärkt gespielt habe. Daraufhin habe ich mir erstmal einen Kontrabass gekauft und spiele jetzt Chansons, viele Sachen von Brel und eigene Sachen, alles akustisch. Ein Traum.

Backstage PRO: Vielen Dank für das spannende Gespräch und viel Erfolg bei allem was jetzt kommt!

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