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"Es bringt etwas, die Musiker im Studio zu pushen"

"Mein Plan B": Arne Neurand, Musiker, Produzent und Mitinhaber des HORUS Sound Studios Hannover

Interview von Martell Beigang
veröffentlicht am 06.11.2020

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"Mein Plan B": Arne Neurand, Musiker, Produzent und Mitinhaber des HORUS Sound Studios Hannover

Arne Neurand im Studio. © Eric Nagel / Teufelkueche

Nur wenige Musiker leben ausschließlich von ihrer eigenen Musik. Für die meisten Profis besteht ihr Job aus ganz unterschiedlichen Facetten. In unserer Serie Plan B stellen wir euch heute Arne Neurand (38) vor. Er ist Musiker, Aufnahme- und Mix-Engineer, Produzent (Guano Apes, LDC, Revolverheld, The Intersphere…) und Mitinhaber des Horus Sound Studios Hannover.

Arne bat mich darum, mich möglichst früh morgens zu melden, weil er gerade viel zu tun hat. Wir telefonieren von Köln ins Horus Studio Hannover.

"Froh darüber, dass man irgendwie weitermachen kann"

Backstage PRO: Wo treffe ich dich an?

Arne: Ich bin im Studio.

Backstage PRO: Wow, früh am Start. Hat die Coronakrise einen großen Einfluss auf deine aktuelle Arbeit?

Arne: Die hat schon einen ziemlichen Einfluss. Mitten im Lockdown zum Beispiel waren zwei Plattenproduktionen geplant und die Bands durften leider nicht kommen, weil das Studio einfach zu eng ist. Das wäre nicht legal gewesen. Aber ich hatte ein bisschen Glück im Unglück, weil ich noch zwei Platten zu mischen hatte und das konnte ich dann gut machen in der Zeit. Aber insgesamt ist das Geschäft schon ganz schön eingebrochen.

Es gibt ja zwei Faktoren: Der erste ist, dass man bestimmte Produktionen einfach nicht machen konnte. Und jetzt wo es wieder möglich wäre, können es sich die Band plötzlich einfach nicht mehr leisten, weil sie ja durch die fehlenden Konzerte keine Einnahmen mehr haben. Die meisten Bands finanzieren sich ja ihre Aufnahmen durch ihre Gigs. Deswegen ist dann von den zwei geplanten Platten auch eine komplett abgesagt worden. Aber dafür habe ich Verständnis. Im Moment ist man ja froh, dass man überhaupt noch da ist und irgendwie weitermachen kann.

Backstage PRO: Sind es tatsächlich die Bands selbst, die sich ihren Tonträger finanzieren oder gibt es noch Budget von Plattenfirmen?

Arne: Wenn eine Band einen Majordeal hat, zum Beispiel bei Sony, dann gibt es schon noch vernünftiges Budget. Aber auch diese Budgets sind nicht mehr so üppig wie früher. Und es wird sehr genau geschaut, wer das Geld bekommt. Früher war es ja klassischerweise so, dass eine Plattenfirma zehn Bands finanziert hat, von denen dann eine die anderen neun durchgebracht hat. Sowas gibt’s nicht mehr. Da wird nicht mehr einfach mal probiert. Es wird nur noch Geld bei einer "sicheren Sache" ausgespuckt. Was man inzwischen ja auch im Radio hört. (lacht) Aber die meisten Bands, auch wenn sie eine Plattendeal haben, zahlen das Gros selbst. Denn bei einem Vorschuss von 5000 € kannst du eigentlich keine Platte vernünftig aufnehmen.

Im Lockdown habe ich ein Album mit einer Band gemacht, die einen ganz guten Deal hatte, aber auch da wird die Produktion nur teilweise bezahlt, und das sind ja eigentlich auch nur Vorschüsse, sprich die Zahlungen werden am Ende wieder mit den Erlösen verrechnet.

"Man muss einen guten Mittelweg finden"

Backstage PRO: Kann man also sagen, dass die Bands heutzutage sehr selbstständig unterwegs sind und viel mit ihren eigenen Mitteln wirtschaften?

Arne: Sie hantieren viel mit ihrem eigenen Geld. Auch um vernünftige Promo oder am besten noch ein, zwei Videos zu machen. Und dann gibt es Bands, die einen noch kleineren Indiedeal haben. Da geht es hauptsächlich um die Vertriebswege, nicht ums Budget.

Die Situation hat sich schon geändert in den letzten Jahren. Als ich 2003 hier beruflich eigestiegen bin, sah es noch anders aus. Immer noch gut bezahlt wird, wenn es etwas mit Fernsehen zu tun hat. Manchmal kommt ein Team von RTL oder ZDF und die wollen dann hier einen Tag etwas filmen. Die haben das Geld noch locker in der Tasche sitzen. Aber sonst muss man von Fall zu Fall gucken. Ich sag den Bands immer gerne einen Satz:

'Wir müssen halt schauen, dass ihr euch nicht zu krass verschuldet und ich muss aufpassen, dass ich nicht jeden Morgen mit Bauchschmerzen aufwache, weil ich total unterbezahlt bin.'

Wenn man das beides hinbekommt, hat man einen guten Mittelweg gefunden, bei dem es Spaß macht, eine Platte aufzunehmen und bei dem alle cool sind. Ich gucke also jedes Mal wieder neu, für welches Geld wir hier was machen können. Oder was die Band selbst machen kann. Wofür können wir uns jetzt kein Studio leisten? Manchmal gehe ich dann auch zu den Bands in den Proberaum und nehme halt da den Bass oder ein paar Gitarren auf.

Dieses klassische Ding: Band kommt ins Studio und produziert in vier Wochen eine Platte, kommt bei weitem nicht mehr so häufig vor, wie früher. Es gibt immer mehr Split-Produktionen.

Backstage PRO: Wie fing das bei dir an mit dem Produzieren?

Arne: Wie bei den meisten anderen Leuten, die produzieren oder Toningenieur sind, habe ich vorher selbst Musik gemacht. Mit 6 Jahren habe ich angefangen Schlagzeug zu lernen und dann später Gitarre. Damals hatte ich ein 4-Spur Aufnahmegerät. Und ich fand das ganz toll, mich selbst aufzunehmen. Ich konnte alles nacheinander einspielen, also mit mir alleine Musik machen. Und als Teenager habe ich dann gemerkt, dass das Aufnehmen mir fast noch mehr Spaß macht, als das Spielen selbst. Ich fing an, andere Bands aufzunehmen. Außerdem wusste ich, dass meine musikalischen Fähigkeiten womöglich nicht ausreichen würden, um Musik zu studieren.

"Es ist für mich normal geworden, alle Fäden in der Hand zu haben."

Backstage PRO: Wirst du eher als Toningenieur angefragt oder produzierst du immer gleich mit?

Arne: Das geht meistens Hand in Hand. Ich produziere ja meistens ganze Bands, meistens Gitarrenrockmusik. Und da werde ich oft für das Gesamtpaket angefragt, das heißt, ich nehme auf, produziere, mixe und habe das Studio, wo es passiert. Wenn ich nur Toningenieur bin, ist das meist nur zum Mischen. Dass Bands mit einem Produzenten kommen und ich nur zum Aufnehmen engagiert werde, kommt allerdings nur noch selten vor, auch deswegen, weil inzwischen aus Kostengründen eine Person alles auf einmal macht.

Früher waren das mal getrennte Jobs, aber heute spart man sich das meistens. Das ist ganz stumpf eine Budget-Frage. Und da ist es für mich inzwischen ganz normal geworden, alle Fäden in der Hand zu haben. Ich glaube heutzutage geht man ins Studio, um das Gesamtpaket zu bekommen. Da kriegt man einen guten Sound, es ist inspirierend und macht Bock.

Backstage PRO: Spielen die Bands bei euch hauptsächlich live ein?

Arne: Das ist unterschiedlich. Am Anfang einer Platte starten wir in der Regel so, dass wir alles aufbauen, sich alle hören und zusammenspielen können. Meistens behält man dann nur die Schlagzeug-Tracks. Meistens wird dann overdubbed. Selten kommt es vor, dass wir wirklich live tracken. Aber wenn, auch gerne mal ohne Click. Dazu muss die Band halt wirklich saufit sein. Da gehört viel Handwerk dazu.

Nacheinander aufzunehmen ist schon zu 80% die Regel. Aber das live aufnehmen macht halt einfach richtig Spaß. Du hörst sofort ein fertiges Stück. Das habe ich mal mit The Intersphere gemacht. Die haben mich einfach nur weggehauen. Da haben wir in sieben Tagen live die Songs eingeballert und zwar sowas von akkurat. Das ist aber auch eher selten sowas.

Gesang kommt fast immer am Ende drüber. Dass live gesungen wird, ist die ganz große Ausnahme.

"Je moderner der Sound, umso mehr Postproduktion"

Backstage PRO: Wie viel Sound wird im Studio live gemacht und wie viel in der Postproduktion?

Arne: Das ist sehr Genre anhängig. Eine soulige Platte zum Beispiel kann man gut live aufnehmen. Da kommt der ganze Sound von der Band. Ich würde sagen, je moderner der Sound wird, umso mehr Postproduktion gibt es. Wenn man zum Beispiel Nu-Metal macht, dann kommt man gar nicht drum herum viel nachzubearbeiten, damit es der modernen Hörerwartung entspricht. Da wird editiert und quantisiert.

Ich sag immer, man kann viel editieren oder an der Tightness und Intonation schrauben. Was man aber nicht editieren kann ist die Attitüde, die Spielfreude und der Sound vom Instrument. Auch lieber mit Vollgas singen, aber dafür nicht ganz gerade. Hauptsache der Ausdruck stimmt. Das ist mir viel lieber als umgekehrt.

Ich mische gerade eine Punkplatte, da hüten wir uns allerdings davor alles zu editieren. Sonst würde der Vibe der Band verloren gehen. Man möchte nicht, dass der Sänger einem was von der AFD um die Ohren brüllt und dabei steril klingt. Es muss einfach immer credibel bleiben. Aber auch bei Instrumenten ist das so. Ich kann mir einen Wolf schrauben bei einem Drumset, um es energetisch klingen zu lassen, aber wenn da einfach nicht richtig reingedroschen wurde, bekomme ich die Energie da nachträglich auch nicht mehr reineditiert.

Deswegen muss man beim Aufnehmen auch so hart arbeiten und es bringt etwas, die Musiker im Studio zu pushen. Ich coache sie ja auch immer währenddessen. Ich sage einem Drummer auch mal: Achte mal auf deine linke Hand und arbeite mit Dynamik. Das muss alles vorher passieren. Man kann nicht sagen: Spiel mal irgendwie und ich mache hinterher alles schick. Das geht bei Pop vielleicht bis zu einem gewissen Grad. Bei Rock ist das unmöglich, denn diese Musik lebt von Energie und Attitüde.

Backstage PRO: Welche Produktion hat dir am meisten Spaß gemacht?

Arne: Ende der Nuller Jahre habe ich mal eine Band aus der Schweiz aufgenommen und gemixt: Dada ante portas. Da hatten wir ein echt tolles Team bei einander. Fabio Trentini hat produziert. Es gab einen Vocal Coach aus Amerika, Jason Nye. Es hat einfach alles gepasst. Und das Ergebnis war am Ende auch genauso, wie wir uns das gewünscht hatten. Und dann gab es auch noch eine goldene Schallplatte. Das waren ganz tolle Wochen, an die ich immer wieder gerne zurückdenke.

In der letzten Zeit hat mir die Platte mit Long Distance Calling sehr viel Spaß gemacht, die wir im Lockdown aufgenommen haben. Das war auch eine der aufwändigsten Produktionen. Die Platte heißt "How do we want to live?" und ist vor drei Monaten rausgekommen.

Die hat deswegen soviel Spaß gemacht, weil wir einen ganz puristischen Ansatz gewählt haben. Es ist insrumentale Musik und lebt stark durch Atmosphären und lange Spannungsbögen. Wir wollten eine echte "Hifi-Platte" machen. Sie sollte organisch und audiophil klingen. Und alle Sounds, die man hört, sollten selbst kreiert sein. Wir wollten ganz ohne fertige Samples oder Presets auskommen. Alles sollte so anlog wie möglich sein. Ich hatte mal wieder das Mischpult mit 48 Spuren voller Stuff und habe mir noch analoge Effektgeräte dazu geliehen. Wir haben in einem Riesenraum ein ganz tolles Schlagzeug aufgenommen.

Und am Ende waren alle zufrieden mit dem Ergebnis und dann ist die Band auch noch gechartet auf Platz 7. Das ist für Instrumentalmusik außergewöhnlich gut. Die Platte passte einfach gut in die Zeit rein. Da geht es um die Beziehung von Mensch und Maschine. Ein tolles Konzeptalbum.

[Ein Interview mit Schlagzeuger Janosch Rathmer von Long Distance Calling über Strategien in der Coronakrise lest ihr hier, Anm.d.Red.]

"Man muss Bands darauf vorbereiten, dass es einfach Rückschläge gibt"

Backstage PRO: Was würdest du einer jungen Band gerne mit auf den Weg geben?

Arne: Wenn junge Band es wirklich ernst meinen und versuchen eine Karriere aufzubauen, dann müssen sie lernen, sich nicht immer gleich zurückschlagen zu lassen. Man muss Bands darauf vorbereiten, dass es einfach Rückschläge gibt, dass nicht jeder, dem sie das neue Zeug zeigen, das auch abfeiern wird. Sondern dass es da auch ziemlich viel Gegenwind geben kann. Und dass sie dann unbedingt weitermachen müssen. Manchmal dauern Dinge halt einfach. Man sollte nie vergessen, warum man das alles macht. Nämlich, weil es einem Spaß macht. Und man sollte sich nie den Spaß nehmen lassen, auch nicht durch eine Industrie, die um einen herum agiert und runterziehen kann. Früher war es wichtig, dass man eine gute Platte auf den Markt kriegt und dass man einen gutes Management hatte. Heutzutage ist es am wichtigsten eine gute Bookingagentur zu haben. Man muss sein Zeug auf die Straße kriegen und sich Fans erspielen kann. Plattenfirmen fangen heutzutage nicht mehr bei Null an, sondern wollen sehen, dass sich die Band bereits eine Kundschaft erspielt hat.

Und darüber hinaus musst du an dir arbeiten und einfach gut spielen und dabei immer besser werden. Mich kriegen Sachen dann, wenn sie authentisch sind. Wenn die Musiker keine Show abziehen. Ich bin dann begeistert, wenn ich merke da steht jemand, der mir etwas sagen will. Leute merken, ob das echt ist. Bands sollten nicht Schablonen nachjagen, sondern fragen, was macht uns Spaß und wenn der Spaß ehrlich ist, dann überträgt sich das auch aufs Publikum.

Backstage PRO: Was musst du gleich noch machen?

Arne: Gleich kommt Flo V. Schwarz, der Produzent von ZSK (Punkband aus Berlin) ins Studio. Ich mische gerade seit ein paar Tagen deren neues Album. Gleich gehen wir schonmal die ersten Mixe durch und haben dann hoffentlich bald das Album fertig.

Backstage PRO: Und eine Punkband kann sich einen Produzenten leisten?

Arne: (Lacht) Klar, Punkband heißt ja nicht gleich arm. ZSK gibt es seit 20 Jahren und die spielen ausverkaufte Touneen. Die machen auch mal bis zu 4000er Hallen voll. Die haben sich richtig etwas aufgebaut und haben eine ganz lange Beziehung mit ihrem Produzenten und machen das seit Anbeginn mit ihm zusammen. Der ist quasi schon Bandmember und ist gleichzeitig Booker und Manager und das funktioniert prima. Und das Mischen macht mir auch immer einen Riesenspaß.

Backstage PRO: Punk am frühen Morgen.

Arne: Genau. Wenn ich gleich das Mischpult anwerfe, werde ich erstmal schön angeschrien….

Backstage PRO: Na dann noch viel Spaß dabei und ganz viel Erfolg mit allem, was noch kommt!

Personen

Horus Sound Studio

Tonstudio aus Hannover

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