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Fehleinschätzungen und Zeitverschwendung

Vermeide diese fünf häufigen Fehler in der musikalischen Professionalisierung

Tipps für Musiker und Bands von Matthias Hartmann
veröffentlicht am 11.07.2023

musikbusiness berufswelt

Vermeide diese fünf häufigen Fehler in der musikalischen Professionalisierung

Auf dem Weg zur musikalischen Professionalisierung gibt es viele Stolperfallen. © Thibault Trillet via pexels.com

Das eigene Brot mit dem Musizieren zu verdienen, bleibt für viele ein unerfüllter Traum. Die Professionalisierung stellt für Musikerinnen und Musiker eine zuweilen unüberwindbar scheinende Schwelle dar. Schuld sind oft weniger Talent und Fleiß, als vielmehr ein schlechter Umgang mit eigenen Fähigkeiten und Ressourcen. Dieser Artikel will fünf häufige Fehler und entsprechende Lösungen aufzeigen.

Die Wege der musikalischen Professionalisierung sind vielfältig. Mal führt der Weg über das Instrumentalstudium an der Musikhochschule oder über die Berufsfachschulen. In anderen Fällen führt er hingegen über stete Livepräsenz, gutes Networking und den gekonnten Aufbau einer Fangemeinde. 

Im Falle des Orchestermusikers verbirgt sich hinter dem Wörtchen Professionalisierung ein anderer Lernprozess als im Falle des DJs. Professionalisierung kann Spezialisierung oder Patchwork bedeuten, manchmal auch beides.

Gelegentlich ist musikalische Professionalisierung mit Rollenkonflikten verbunden. Die Vorstellung, die eigenen musikalischen Projekte zugleich ökonomisch ansehen zu müssen, befremdet manche. Es fällt nicht immer leicht, auf die Musik spezifisch als Beruf zu blicken, wo sie sich doch wie eine Berufung anfühlt. 

Wer aber die ökonomische Seite des Musikberufs aus Künstlertum verachtet, bringt sich schlimmstenfalls um die Möglichkeit, der eigenen Musik überhaupt Gehör zu verschaffen. Die Herausforderung der musikalischen Professionalisierung besteht nicht zuletzt darin, Kreativ- und Marktrolle in ein sinnvolles Verhältnis zu setzen.

1. Fehleinschätzungen

Der musikalische Karrierepfad ist kein vorgezeichneter, eher ein Wildpfad mit manchen anstrengenden Serpentinen, unerwarteten Abzweigungen und gelegentlichen Holzwegen. Orientierung fällt schwer. Wo stehe ich auf meinem Weg? Und wo genau liegt sein Ziel? Um diese Fragen beantworten zu können, ist Reflexion erforderlich.

Dabei herrscht Verwechslungsgefahr. Ein abgeschlossenes Instrumentalstudium ist keine Erfolgsgarantie, sondern eher ein Schlüssel, zu dem die richtigen Türen gefunden werden müssen. Technische Fähigkeiten und Professionalität im ökonomischen Sinne stehen nicht unbedingt in direktem Verhältnis zueinander. 

Die Verwechslung von beidem kann zu einer Fehleinschätzung von sich selbst sowie des Standes der eigenen musikalischen Karriere führen. 

Hilfreich sind dabei Methoden, die auch sonst im Business Coaching angewandt werden: Die schematische Visualisierung eigener Einkommensquellen, des eigenen Geschäftsmodells, die Abwägung von Schwächen, Stärken, Risiken und Möglichkeiten dieses Modells, die Ausarbeitung und Formulierung mittel- und langfristiger Ziele, die Besinnung auf persönliche Schwächen und Stärken, und nicht zuletzt auf das eigene Wohlbefinden. Nicht jeder ist für ständige Gigs gemacht, nicht jeder für tagtägliches Unterrichten. 

Ziel ist es, ein Modell zu finden, das konkret und realistisch für den eigenen Fall funktioniert, in Anbetracht der eigenen Kapazitäten, der eigenen Situation, Fähigkeiten und Unfähigkeiten.

2. Zu viel selber machen wollen

Das eigene Video drehen, das Design des Artworks konzipieren und produzieren, Venues selbst kontaktieren, jedes Mal die Pressemappe mit der eigens verfassten Band-Bio und den selbstgemachten Fotos senden, die eigenen Social-Media-Präsenzen bespielen: Künstlerische Unabhängigkeit und vollumfängliche Selbstbestimmtheit sind, sowohl in Bezug auf das eigentlich Musikalische als auch die Außendarstellung betreffend, nachvollziehbare Wünsche. Dennoch kann der Gedanke künstlerischer Eigenständigkeit ins Vermessene umschlagen und sich einer sinnvollen Professionalisierung in den Weg stellen.

Ein typischer Fall ist die Auffassung, man könne die eigene Musik fürs Release einfach selbst abmischen. Tonproduktionsprogramme, DAWs, sind auf einfache Zugänglichkeit, auf intuitive Verwendbarkeit hin gestaltet. Der professionelle Sound ist heute scheinbar sogar mit Freeware zu erzielen, ganz ohne weiteren Kostenaufwand. 

Dennoch sind Mixing und Mastering mit Grund eine gesonderte Domäne im hochspezialisierten, arbeitsteiligen Musikbetrieb. Selbst dort, wo bei Musikerinnen und Musikern wirklich Skills und Know-How über das eigene Instrument hinaus vorhanden sind, bleibt es dabei, dass sie (ihre) Musik aus einer speziellen Warte hörten, eben aus Musiker-Perspektive. Die rohen Tracks wurden schon unzählige Male gehört und perfektioniert. Es stellt sich Betriebsblindheit ein.

Entscheidend ist, dass nicht der Mischer selbst ins Musizieren involviert ist. Seine Ohren sind außenstehende Ohren. Mixing und Mastering sollen die musikalischen Ideen, den Spannungsverlauf eines Tracks für ein Publikum fassbarer machen und herausarbeiten, und zwar nicht für fachmännisches Publikum, sondern für Nichtmusiker, für Leute, die einen Song zum ersten Mal hören.

Diese Hör-Perspektive kann jemand, der schon in Songwriting und Einspielung involviert war, schwer einnehmen. Tut man sich online um, stößt man leicht auf zahlreiche Eigenproduktionen, die daran scheitern, den eigenen Sound, die eigenen Ideen und musikalischen Gedanken für ein Publikum greifbar zu machen.

Das Hinzuziehen von Außenstehenden kann in vielen Fällen sinnvoll sein. Das Gesagte ließe sich auf Promotion übertragen. Es gehört zum Grundwissen von Public Relations, ein Wissen darum, dass das in der Eigendarstellung intendierte Bild oftmals nicht dem entspricht, was beim Publikum ankommt. Selbstbild ist nicht gleich Fremdbild. 

Die Außendarstellung gegenüber dem Publikum oder einer Fangemeinde ist wie jede Kommunikation durch Missverständnisse geprägt. Was gesendet wird, entspricht nicht dem, was bei den Empfängern ankommt. Es gibt keine Kommunikation ohne Kommunikationsprobleme. Am schwersten ist aber gerade, sich selbst, das eigene Auftreten kritisch zu analysieren. Probleme und Fehler in der Außendarstellung von Musikern und Musikerinnen werden in vielen Fällen gar nicht als solche erkannt. 

Ausnahmen bestätigen bekanntermaßen die Regel. Manche haben ein besonderes Händchen für Promo, für Mixing und so fort. Es sollen hier keine Generalrezepte ausgestellt werden! Sich an Produktion oder Promo selbst zu versuchen, kann sehr lehrreich sein. 

Es ließen sich mannigfaltige Beispiele nennen, in denen Eigenproduktion und Selbstvermarktung gelingen. Aber es ließe sich eine schier endlose Menge an Fällen dagegen halten, in denen das Ganze gehörig scheitert. Das weiß jeder Musikjournalist, jede Redaktion.

Die finanzielle Ersparnis durch das DIY-Prinzip entpuppt sich hinterher als Verlust an Lebenszeit. Monate konzentrierter Arbeit an einem Projekt führen zu nichts. 

Die Eigenproduktion bleibt ungehört, weil alle nach zwanzig Sekunden schon genug von zu leisem Gesang und überfrachteten Bässen haben, die beim Selbermischen nicht als Probleme gehört wurden. Damit ist niemandem geholfen. Wer professionell Musik machen will, muss sich auch klar sein, worin er lediglich Amateur ist.

3. Zeitverschwendung online

Dass Social Media für den Publikumskontakt von Musikern heute ein essentielles Mittel ist, steht außer Frage. Jedoch werden Onlineauftritte häufig dilettantisch gepflegt. Ein klassischer Fehler ist der Upload von minder qualitativen Konzertmitschnitten: der Ton bloß mit dem ungeeigneten Smartphone oder einem überforderten Field Recorder aufgenommen, das Bild unstet, verwackelt. Die Assoziation, die hier geschaffen wird, ist die der eigenen Combo mit Krach und Chaos. Ein schönes Konzertfoto wäre besser gewesen.

Die Social-Media-Algorithmen bevorzugen Kanäle mit stetem Output. Sprich, wer viel postet, erlangt auch höhere Sichtbarkeit. Das Wissen hierum verführt, Quantität größer als Qualität zu schreiben. Dabei sind die Beiträge häufig gar nicht unaufwendig. 

Musiker, in der Produktion von visuellen Medien normalerweise Laien, versuchen sich am Umgang mit Schnittprogrammen, Bildbearbeitungsprogrammen, Animationsprogrammen und Ähnlichem. Online lässt sich zahlreicher, sichtbar, zeitaufwendiger, aber dennoch amateurhafter Content finden. Er verhallt resonanzlos. Stunden um Stunden fließen in die Präsenz online, die sich offline kaum auswirkt.

So wird Social Media-Pflege zur Zeitverschwendung, zumal neue potentielle Fans, jenseits der eigenen "Bubble", ohne Zahlung für Reichweite meist kaum erreicht werden. Die Frage, ob nicht auf der lokalen Session oder nach dem Gig neu geknüpfte Kontakte wichtiger sind als die hundert Views auf Instagram, ist berechtigt. 

Ohne die Rolle von Social Media kleinreden zu wollen: Manchmal geht der Blick dafür verloren, dass die Plattformen erstmal Mittel zum Zweck sind. Der Insta- oder TikTok-Account – mag er auch noch so viele Follower haben – ist eine Traumwelt, solange ihm im "real life" nichts wirklich entspricht.

Der Fokus auf Social Media stiehlt zudem ihr die Show: der guten alten Website. Von manchen schon als Sache der Vergangenheit verschrien, hat sie immer noch ihre Berechtigung. 

Sie erfüllt in Zeiten einer Vielfalt von Anbietern sozialer Medien, deren Plattformen häufig gleichzeitig genutzt werden, eine wichtige Funktion als Sammel- und Knotenpunkt. Zudem wirkt sie als Kontaktmöglichkeit für viele Locations, Agenturen und Labels nach wie vor seriöser als ein Social-Media-Profil. Eine Instagram-Page ist fix erstellt. Wer im Jahr 2023 eine Website hat, der meint es ernst.

4. Keine Ausarbeitung eines markanten Profils

Wer eine Unternehmung startet, dem ist normalerweise klar, dass ohne die Ausbildung eines charakteristischen Markenprofils nichts geht. Nicht viel anders verhält es sich mit einer musikalischen Unternehmung. Häufig fehlt es dafür an Bewusstsein. Das fängt bei der Wahl einer stimmigen Bühnenkleidung an. Live hört das Auge mit und niemals erfreut es sich an einer wilden Mischung von Paisley- und Karohemden.

Wichtig ist auch die Findung von Referenzen und Genrebegriffen, die ein greifbares ästhetisches Konzept vermitteln und klar machen, für wen die eigene Musik interessant sein will. Teilweise überbieten sich gerade junge Bands in der Erfindung von abstrusen Stilbezeichnungen. Man will besonders und originell sein. Verständlich und recht so! Dennoch gilt bei der Betrachtung eines Online-Auftritts oder bei der Lektüre von Promotexten: Je deutlicher wird, was eine Band verkörpert, umso besser.

Das eigene künstlerische Profil muss sich dabei freilich nicht in einem einzigen Begriff oder in wenigen Referenzen erschöpfen. Professionelle Musiker arbeiten oft an verschiedenen Projekten gleichzeitig. 

Trotzdem lohnt es sich, darüber nachzudenken: Was macht mich als Musik oder Musikerin eigentlich aus? Was kann ich bieten – welchen Input, welchen Sound, welchen Workflow – das andere vielleicht nicht bieten können? Wer seine "Unique Selling Points" kennt, kann sie kultivieren und auch bewusst ausspielen.

Wichtig sind dabei Kohärenz und Authentizität. Das eigene Auftreten – sei es auf der Bühne, online oder gegenüber potentiellen Auftraggebern – muss eine gewisse Schlüssigkeit aufweisen und gut fassbar sein. 

Doch sollte kein Image um des Images Willen übergestülpt werden. Fehler passieren hier in zwei Richtungen. Häufiger als ihnen klar ist, senden Musiker oder Bands ein diffuses und wenig greifbares Image aus: nichts Ganzes und nichts Halbes.

Das andere Extrem ist jedoch nicht seltener. Eine allzu enge und einseitige Festsetzung des Images wirkt wenig authentisch. Eine PR-Gratwanderung: Um verständlich zu sein, muss auf Bekanntes zurückgegriffen werden – in Form des klassischen Name-Droppings ("für Fans von Soundso") oder durch Verweis auf bekannte Genre-Bezeichnungen. Allerdings sollte man sich auch nicht im Rückgriff auf altbekannte Kategorien erschöpfen, ansonsten kippt das Image schnell ins Klischee um.

5. Mangelndes Ressourcen-Verständnis

Viel des vorher Gesagten läuft auf diesen Punkt hinaus: Die eigene Zeit, die eigene Energie werden nicht klar genug als Ressourcen verstanden. Dies führt zum eingangs angesprochenen Rollenkonflikt zurück. Musizieren – das ist ein Beruf, der aus Passion für die Sache ergriffen wird. Die meisten verstehen schnell, dass der Rock-Millionär den absoluten Ausnahmefall darstellt und man den musikalischen Beruf nicht aus Geldgründen wählen sollte. 

Ohne Passion geht es nicht! Doch Leidenschaft und Engagement für die Musik, so lobenswert sie auch sind, verstellen bisweilen den selbstkritischen Blick auf die eigenen Ressourcen. Ein Verständnis von Ressourcen sollte sich aber lieber früher als später etablieren. 

Dass die eigene Lebenszeit die wertvollste Ressource ist, wird manchen erst nach dem ersten kleinen oder großen Zusammenbruch klar. Immer wieder zeigen Erhebungen, unter welcher starken körperlichen und psychischen Belastung professionelle Musikerinnen und Musiker stehen. Ressourcen-Verständnis ist keine rein ökonomische Angelegenheit, sondern auch Selbstschutz.

Es wird nicht leichter (leider)

Schön wäre ein positiverer Abschluss. Fest steht aber: Es wird nicht leichter. 

Zwar ist heute die Möglichkeit, seine eigene Musik zu produzieren und zu veröffentlichen, für beinahe alle gegeben. Aus dem Homestudio direkt ins Internet – das wirkt scheinbar wie eine immense Demokratisierung. Allerdings wird die Hürde der Professionalisierung immer schwerer zu nehmen. 

Aus dem Verkauf von Tonträgern Gewinn zu erzielen, ist kaum möglich. Die beinahe monopolistischen Streamingdienste sind nicht gerade für Fairness gegenüber ihren Künstlern und Künstlerinnen und benachteiligen gerade kleine und mittelgroße Acts.

Der Zugang zu den heute für die Publizität so wichtigen "kuratierten" Playlists ist nicht immer leicht, vor allem wenn keine findige und auf den heutigen Musikmarkt angepasste Promoagentur im Hintergrund steht. Und nicht jede Musik eignet sich gleichermaßen, Gewinne über Merchandise zu erzielen.

Wenn der obige Artikel in dieser Situation manche Handreichung geben konnte, ist dies wunderbar. Zum Glück bietet Backstage PRO eine riesige Zahl an weiteren Tipps und Anregungen. 

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