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Umgang mit hohen Selbstansprüchen

Wie viel Perfektionismus verträgt deine Musikkarriere?

Tipps für Musiker und Bands von Manu Holmer
veröffentlicht am 23.11.2021

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Wie viel Perfektionismus verträgt deine Musikkarriere?

Tipps aus der Perfektionismus-Falle. © Andrea Piacquadio / Pexels

“Done is Better Than Perfect" sagt der Programmierer und schiebt im wöchentlichen Rhythmus seine Bugfixes und neue Features in den Store. Musik funktioniert so nicht. Aber wie gehen wir mit dem Wunsch nach dem bestmöglichen Ergebnis um?

Gert brütet seit Wochen über der Bridge für seinen neuesten Song. Bald soll es ins Tonstudio gehen. Das Datum rückt gefährlich nahe. Eine Schweißperle tropft auf das leere Blatt. Er steckt fest wie der Nager in der Lebendfalle. Und wieder: tropf. Den Termin wird er wohl verschieben müssen. Es ist zum Mäusemelken.

Frida hingegen freut sich. Sie nippt an ihrem frisch aufgebrühten Tee. Minze-Holunder. Köstlich. Gerade eben veröffentlichte sie ihren neuesten Song. Sie wirft einen Blick in die YouTube-Statistiken und lehnt sich zurück. Noch sieht sie wenig. Egal, das kann warten. Ein weiterer Schluck. Woran wollte sie jetzt arbeiten? Ach ja. Ihr Notizbüchlein weiß mehr. Das klingt doch vielversprechend – der nächste Release kann kommen.

Gert oder Frida: Wer willst du sein?

Beide musizieren mit Herzblut. Beide haben hohe Ansprüche an sich und ihre Arbeit. Jedoch unterscheiden sie sich in einer Sache deutlich: Gert leidet an Perfektionismus. Frida lässt los.

Du könntest auch sagen: Wenn Gert noch an der Bridge arbeitet, verkauft Frida schon Zugangscodes für ihren nächsten Livestream. Das ist Perfektionismus. Der schadet nicht nur Gerts Musikkarriere.

Warum ein überzogener Anspruch dich nicht weiterbringt

Als Musiker oder Musikerin liebst du, was du tust. Deine Kunst ist untrennbar mit dir verbunden. Veröffentlichst du einen neuen Song, spaltest du immer auch einen kleinen Teil von dir selbst ab. Du kehrst dein Innerstes nach außen und machst dich dadurch verletzlich. Keine Frage, das kann einen kleinen Tropfen Angstschweiß in eine reißende Sturzflut verwandeln. Das Streben nach Perfektion scheint hier ein tragfähiger Damm zu sein: Ist deine Kunst nämlich perfekt, kommt kritisches Geblubber erst gar nicht auf. Mehr noch: Deine Fans werden dein Streben nach Perfektion definitiv zu schätzen wissen. Oder?

Was zunächst schlüssig klingen mag, ist ein Trugschluss. Das liegt in der Natur der Sache. Perfektion ist Kopfsache. Eine allumfassend geltende Definition für sie existiert nicht. Jagst du ihr blind und planlos hinterher, bist du einem Phantombild auf den Schlichen. Für jeden von uns sieht dieses anders aus. Für Gert ist es eine fahle Fratze, die er nicht ignorieren kann. Sie folgt jedem seiner Bewegungen mit starrem Blick. Ist er doch einmal mit seinem Werk zufrieden, hämmert sie ihm unnachgiebig auf die Schulter. Dann nähert sie sich seinem Ohr. Ein eiskalter Schauer läuft ihm dabei über den Rücken. Mit süffisantem Grinsen murmelt sie schließlich: Nein, das ist nicht gut genug. Definitiv nicht.

Und Frida? Sie begrüßt die Perfektion wie eine alte Freundin. Manchmal knirscht es zwischen den Balken, doch grundsätzlich verstehen sie sich wunderbar. Das war jedoch nicht immer so. Auch Frida machte vor vielen Jahren Bekanntschaft mit der fahlen Fratze.

Was Gert von ihr lernen kann: Sie zeigte der Perfektion die Rote Karte – und verwies sie des Platzes. Ihre Gedanken können sich nun ganz auf ihre Musik und den Aufbau ihrer Community konzentrieren. Mit den nachfolgenden Tipps kannst du das auch.

Wie beim Schreiben: Akzeptiere einen ausbaufähigen Erstentwurf

Perfektionismus und produktives Arbeiten passt nicht zusammen. In der Musik ist es wie beim Schreiben: Brütest du stets nur über einem Satz, wirst du deinen Roman nie veröffentlichen. Essenziell ist, einfach zu handeln. Habe dabei nicht den Anspruch, dass dein nächster Song sofort ready to record ist. Du kannst ihn jederzeit überarbeiten. Das nimmt dir eine große Last von den Schultern. Du weißt: Das hier muss jetzt nicht perfekt sein. Denn: Du wirst dein Werk später sowieso anpassen. Dadurch wirst du auch kreative Blockaden überwinden können – alleine und gemeinsam mit anderen.

TIPP 1: Erlaube dir einen schrecklichen Erstentwurf. Überarbeite ihn anschließend und mache ein Meisterwerk daraus.

Übernimm dich nicht – setze auf die Kraft der kleinen Schritte

Wie hast du dein Musikinstrument gelernt? Innerhalb einer Woche? Oder doch über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg? Das ist die Kraft der kleinen Schritte. Das Streben nach Perfektion hingegen ist so, als würdest du die 30 Meter in die Tiefe klaffende Schlucht vor dir ohne Anlauf überspringen wollen. Wohin das führt, kannst du dir denken.

Vor Angst zu erstarren bringt dich an dieser Stelle jedoch auch nicht weiter. Du musst schließlich über diese Schlucht.

Das schaffst du in kleinen Schritten:

  • Vielleicht kannst du das Gefälle in einem Tagesmarsch umgehen.

  • Womöglich gibt es irgendwo eine Brücke, die du noch nicht kennst.

  • Oder du rufst eine befreundete Pilotin an, ob sie nicht doch …

Und sei der einzelne Schritt noch so klein: Alles ist besser, als eine perfekte Landung am Boden der Schlucht hinzulegen.

TIPP 2: Brich ein bestimmtes Ziel in erreichbare kleinere Etappenziele hinunter. Halte dich nicht mit theoretischen Lösungsansätzen auf. Als Mensch werden dir keine Flügel wachsen. Handle in kleinen Schritten – und meistere das, was zunächst unmöglich schien.

Nutze die 80/20-Regel

Um deine Musikkarriere auf das nächste Level zu heben, musst du die Ärmel hochkrempeln. Machen ist angesagt. Stürze dich jedoch nicht kopflos in die Arbeit, sondern nutze die 80/20-Regel dafür. Sie ist auch als Paretoprinzip oder Paretoformel bekannt. Dabei besagt sie, dass 80 Prozent der Ergebnisse durch 20 Prozent des Arbeitsaufwands erreicht werden können.

Ein Beispiel: Die meisten Fans gewinnst du über Instagram. Das hast du nicht im Gefühl, sondern liest du an den Statistiken ab. Zwar kommen hin und wieder auch Menschen über deine Website auf dich zu. Jedoch ist klar, was dich und deine Community wirklich zusammenbringt. In diesem Fall wäre es wenig clever, tagelang an einem perfekten Logo für deine Online-Präsenz zu arbeiten. Sinnvoller ist gemäß der 80/20-Regel, dich auf die wertschöpfenden 20 Prozent zu fokussieren.

Das Paretoprinzip kannst du übrigens auch beim Schreiben eines Songs, für deine Übe-Routine oder im Rahmen deiner Akquise anwenden.

TIPP 3: Finde heraus, welche 20 Prozent deines Arbeitsaufwands für 80 Prozent deiner Ergebnisse verantwortlich sind. Perfektionismus kommt dank dieser Fokussierung gar nicht erst auf.

Stelle dir einen Timer, um messbar produktiv zu sein

Diese Note passt irgendwie noch nicht so ganz. Hier könnte ich noch ein anderes Pattern ausprobieren. Und überhaupt: Dieses Wort sollte ich unbedingt durch ein smarteres Synonym ersetzen!

Die Verschlimmbesserung tritt meist dann auf, wenn der zeitliche Rahmen für eine bestimmte Handlung nicht abgesteckt ist. Dadurch ist das Open-End-Szenario für zahlreiche Musikkarrieren ein massives mentales Hindernis.

Außerdem: Möchtest du als Gitarrenlehrer zum Beispiel einen Online-Kurs in einem Rutsch aufnehmen und siehst den Berg an Arbeit vor dir, könntest du diese Entscheidung schon bald hinterfragen. Auch beim Üben spielen wir gerne herum, wenn übermäßig viel Zeit zur Verfügung steht.

Das Trio

  • verschlimmbesserndes Verhalten,

  • Überforderung und

  • fehlender Fokus

sorgt dafür, dass viele Kunstschaffende bei ihrer täglichen Arbeit stagnieren.

Glücklicherweise tragen wir die Lösung für dieses Problem alle mit uns herum: einen Timer.

Stellst du dir den Handywecker beispielsweise auf fünf Minuten, bleibt keine Zeit für eine gut gemeinte und wenig gekonnte Überarbeitung. Auch überfordert dich ein überschaubarer Zeithappen von wenigen Minuten nicht. Darüber hinaus sorgt die strikte Zeiteinteilung dafür, dich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Denn: Sind die fünf Minuten um, ist Schicht im Schacht. Das Lied muss fertig sein, der Rhythmus geübt oder die E-Mail abgeschickt.

Selbstverständlich erfordert diese Konsequenz Mut. Perfektion hat hier keinen Platz. Die fahle Fratze zwinkert dir trotzdem schon einmal zu. Was machst du daraus?

TIPP 4: Sei wie Frida.

Es liegt an dir: Wirst du jetzt handeln, um deinen Zielen näherzukommen? Oder lässt du dir vom Phantom ein Bein stellen?

…übrigens: Gert überlegt noch.

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