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Neue Studienergebnisse

Sind Indie-Labels und Künstler bei von Spotify kuratierten Playlists im Nachteil?

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 06.05.2022

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Sind Indie-Labels und Künstler bei von Spotify kuratierten Playlists im Nachteil?

© cottonbro via Pexels

Laut einer Studie von Music Tomorrow stammt die Mehrheit der Songs auf den vom Streamingdienst Spotify selbst kuratierten Playlists von Musikerinnen und Musikern, die bei Major-Labels unter Vertrag sind. Music Tomorrow fragt daher, wie transparent die aktuelle Playlist-Landschaft eigentlich ist.

In der Streaming-Ökonomie haben sich besonders die redaktionellen Playlists der Streamingdienste selbst zu einem entscheidenden Marketingkanal für Muskerinnen und Musiker entwickelt. Doch wie offen und transparent ist deren Playlist-Politik? Und spielt es eine Rolle für den Auswahlprozess, ob ein Artist auf einem Major- oder Indie-Label unter Vertrag steht?

Die Suche nach Antworten

Das Beratungsunternehmen Music Tomorrow hat sich diese Frage gestellt und eine Studie durchgeführt, die genau diese Frage am Beispiel von Spotify, der derzeit wohl populärsten Streamingplattform, beantworten soll.

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die drei größten Musiklabels der Welt, Universal Music Group (UMG), Sony Music und Warner Music Group am stärksten in den wichtigsten von Spotify kuratiert Playlists vertreten sind.

Freitags beim Major Label

Music Tomorrow analysierte mit Hilfe des Analyse-Tools Chartmetric die Daten einiger der global populärsten, von Spotify kuratierten Playlists in den Jahren von 2017 bis 2021, darunter New Music Friday (NMF) Global, Rap Caviar, Get Turnt, Today's Top Hits und Pop Rising. Ziel war es, herauszufinden, von welchen Labels die Musik vertrieben wird, die in dieser Zeitspanne in diesen Playlists erschienen ist.

Bei der Playlist New Music Friday Global stellte Music Tomorrow fest, dass ca. 70 Prozent der Titel von Major Label-Acts stammen. 30 Prozent der Songs werden von UMG vertrieben, der Anteil von Sony Music und Warner beträgt jeweils 19 Prozent.

Lediglich 22 Prozent der in diese Playlists aufgenommenen Songs entfallen also auf Indie-Acts. Diese haben es damit deutlich schwerer, in eine solche kuratierte Wiedergabeliste aufgenommen zu werden als Musiker/innen, die bei einem Major Label unter Vetrag stehen – und können damit auch in geringerem Maße von den Promo-Möglichkeiten dieser Playlists profitieren. 

Diese Anteile blieben bei New Music Friday Global im Verlauf mehrerer Jahre bis in die jüngste Vergangenheit konstant, was dafür spricht, dass das Verhältnis zwischen Major- und Indie-Artists kein Zufall ist. Erst 2022 zeigten sich tiefgreifende Veränderungen (siehe dazu unten Abschnitt "Grund zum Optimismus?").

Einseitige Verteilung

Bei poulären Spotify-Playlists aus dem Hip-Hop-Genre wie Get Turnt oder Rap Caviar ist der Major-Anteil sogar noch höher. Ganze 86 Prozent der aktuellen Musik aus diesen Wiedergabenlisten stammen von Artists, die von den Major Labels vertrieben werden. Auch die millionenfach abonnierten Playlists Today's Top Hits und Pop Rising werden mit einem Anteil von 87 % von den Major Label dominiert. Music Tomorrow kommentiert die Ergebnisse der Studie folgendermaßen:

"Auch wenn es einfacher denn je geworden ist, Musik zu machen und zu veröffentlichen, ist die Unterstützung durch ein großes Label – und dessen Marketing-Abteilung – eine der wichtigsten Voraussetzungen (wenn nicht sogar die Voraussetzung) für den Zugang zu einigen der wertvollsten Promo-Möglichkeiten der Streamingdienste."

Kein Zufall

Der Autoren der Studie stellen fest, dass es sicherlich sehr viele kleinere kuratierte Playlists gibt, die einen höheren Anteil an Indie-Acts bzw. Labels aufweisen. Ein anderes Bild zeigt sich aber bei den bekanntesten und beliebesten Playlists wie New Music Friday Global.

Die über lange Zeit konstante Verteilung zwischen den drei Majors und den Indie-Labels in dieser Playlist deutet an, dass die Verteilung von Streaming-Unternehmen und Major Labels bewusst gesteuert wird. Dafür spricht auch, dass die Verteilung ungefähr dem Marktanteil der Labels entspricht.

Ungleiche Voraussetzungen

Damit erhärtet sich eine schon längere Zeit bestehende Vermutung, dass Streaming-Dienste und Major Labels eine enge Zusammenarbeit zu beiderseitigem Nutzen pflegen, während kleineren (Indie-)Labels und Künstlern die Marktmacht, die Ressourcen und auch der persönliche Kontakt zu den verantwortlichen Kuratoren fehlt, um Einfluss auf Platzierungen in populären, kuratierten Playlists geltend zu machen.

Es mag zutreffen, dass die kombinierte Marktmacht der Indie-Labels bemerkenswert groß ist und dass auch sie vom Aufschwung der Musikindustrie profitieren. Allerdings verfügen sie nicht über denselben Einfluss wie ein Major Label. Die zahlreichen Indie-Labels agieren getrennt voneinander, ohne einheitliche Stimme, ohne einheitliche Vertretung und ohne mit den Majors vergleichbare Möglichkeiten, ihre neuen Acts den Playlist-Kuratoren vorzustellen.

Grund zum Optimismus?

Die Analysten von Music Tomorrow stellen fest, dass kuratierte Playlists nicht der einzige Weg sind, um neue Musik zu popularisieren. Unabhängige Playlists, algorithmische Empfehlungen oder Empfehlungen von Freunden oder Hörern ähnlicher Musik sind häufig ebenso erfolgreich oder sogar erfolgreicher – wenngleich auch Empfehlungs-Algorithmen im Verdacht stehen, eher Songs von Major-Artists vorzuschlagen

Außerdem zeichnet sich in jüngster Zeit eine Ausnahme zu den oben vorgestellten Ergebnissen ab: Aktuelle Daten aus dem April 2022 zeigen laut Music Tomorrow, dass hier 63 Prozent der Titel in der Playlist New Music Friday von Nicht-Major-Labels stammten. In früheren Monaten machten die Indie-Künstler ungefähr 30 Prozent dieser Playlist aus. 

Die Ursache dieser Entwicklung ist vollkommen unklar. Ebenso unbekannt ist, ob es sich um einen einmaligen Ausreißer handelt oder ob sich dieser Trend fortsetzen wird. Allerdings ziehen die Autoren der Studie u.a. auf der Basis dieser Entwicklung eine überraschend optimistische Schlussfolgerung:

"Dennoch gibt es keinen Grund, das redaktionelle Ökosystem [zur Kuratierung von Playlists] zu pessimistisch zu beurteilen. Streaming-Dienste stehen unter einem enormen Druck von Aktionen wie #BrokenRecord, zu einem nachhaltigeren und faireren Geschäftsmodell für Urheber überzugehen. Auch wenn es noch zu früh ist, um das mit Sicherheit sagen zu können, können wir in diesem Jahr bereits die ersten Anzeichen eines solchen Wandels erkennen."

Nicht zu früh freuen

Wer die Streaming-Debatte der letzten Jahre verfolgt hat, wird diesen Optimismus nur bedingt teilen. Aus kurzzeitigen Entwicklungen sollten nicht ein fundamentaler Wandel in Hinblick auf die Aufnahme von Indie-Künstlern in kuratierte Playlists abgeleitet werden, wenn nicht klar ist, dass die Änderungen tatsächlich nachhaltig sind.

Der Druck auf die Streaming-Dienste mag gestiegen sein, wirklich fundamentale Veränderungen lassen sich bisher aber kaum ausmachen. Angesichts dieser Tatsache bleibt Indie-Künstlern und Labels keine andere Wahl, als den Druck hochzuhalten, bis wirklicher Wandel eingetreten ist. Eine "independent-first era of the music business" auszurufen, wie die Autoren der Studie es tun, ist jedenfalls verfrüht.

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