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Verzerrter Wettbewerb

Studie belegt: Streaming-Dienste bevorzugen Künstler von Major-Labels bei Playlists

News von Karla Gojan
veröffentlicht am 16.04.2021

spotify streaming playlists

Studie belegt: Streaming-Dienste bevorzugen Künstler von Major-Labels bei Playlists

Studie weist deutliche Benachteiligung von Indie-Artists nach. © Deniz / Unsplash

Streaming-Dienste wie Spotify bieten ihren Nutzern Playlists an, die von den Diensten selbst zusammengestellt werden. Eine neue Studie zeigt, dass diese Playlists Künstlerinnen und Künstler von Major-Labels oftmals bevorzugen.

Aufhänger für die Studie "Music Streaming: Is It a Level Playing Field?" der unabhängigen Antitrust-Plattform Competition Policy International (CPI) ist, auf der einen Seite, der noch immer ungebrochene Erfolgszug des Audio-Streamings: Plattformen wie Spotify bieten den Usern günstigen und einfachen Zugriff auf ein breites Spektrum von Musik, während Musiker/innen ebenfalls eine günstige Möglichkeit erhielten, ihre Musik einer potentiell großen Hörerschaft bekannt zu machen.

Ein kritischer Blick

Auf der anderen Seite häuft sich Kritik zahlreicher Content-Creators an den Streaming-Plattformen, nach der Spotify und Co. mit ungleichen Wettbewerbsbedingungen insbesondere kleinere Musikerinnen und Musiker benachteiligen

Genau dieser Kritik geht die CPI-Studie nach, indem sie die Wettbewerbsbedingungen für Musiker/innen anhand der Praktiken des Streaming-Marktführers Spotify und deren Auswirkungen auf den britischen Musikmarkt analysiert. Die Ergebnisse lassen sich laut der Verfasser/innen der Studie weltweit übertragen. 

Traurige Gewissheit

Laut CPI zeigen die (vorläufigen) Ergebnisse der Studie eine deutliche Benachteiligung von Indie-Artists zugunsten der Künstlerinnen und Künstler, die bei den Major-Labels Sony, Universal und Warner unter Vertrag sind. Die Verfasser/innen weisen dies u.a. anhand der Playlist-Landschaft auf Spotify nach.

Playlists sind für Plattformen wie Spotify insofern bedeutsam, als sie nicht nur den Usern dabei helfen, neue Musik zu entdecken. Aufgrund ihrer steigenden Popularität haben sie auch zunehmend Einfluss auf die Streaming-Zahlen. So hat etwa die Platzierung eines Songs auf der populären Spotify-Playlist "Today's Top Hits" dessen Wiedergaben einer Untersuchung zufolge um gut 20 Millionen Plays verstärkt. 

Eine Vielzahl von Faktoren führt laut CPI dazu  dass 81 Prozent der Songs in den 100 beliebtesten Spotify-Playlists von Major-Künstlerinnen und -Künstlern stammen. Je breiter der Rahmen gesteckt wird, desto mehr sinkt die Zahl zwar; doch selbst in den Top 100.000-Playlists sind Major-Artists noch immer mit 64,6 Prozent vertreten.

Es geht um's Geld

In erster Linie bedeutet dieses Ungleichgewicht, dass die Streaming-Zahlen von großen Künstlerinnen und Künstlern weiter in die Höhe getrieben werden. Aufgrund der derzeiten Pro-Rata-Auszahlungspraxis der Streaming-Dienste macht sich die Bevorzugung der Majors für kleinere Künstler/innen dann in ihren Ausschüttungen negativ bemerkbar.

Denn anders als bei Tonträgern und Downloads, bei denen sich die Ausschüttungen direkt aus den Verkaufszahlen ergeben, werden beim Streaming die Einnahmen aus den Abo-Gebühren der User in einem großen Topf addiert.

Die Auszahlungen an die Künstler/innen erfolgen nach ihrem Anteil an der Gesamtzahl der Streams. Ein zahlender Streaming-User, der nur Musik weitab des Mainstreams hört, unterstützt also nicht (nur) seine Lieblingskünstler, sondern vornehmlich diejenigen, die von der breiten Masse präferiert werden –  ein Ungleichgewicht in den Playlists zu Gunsten dieser Mainstream-Artists wiederum verstärkt diese Dynamik deutlich.  

Problemfelder: Playlists ...

Die Gründe, die die Autorinnen und Autoren der vorliegenden Studie für die Bevorzugung von "Mainstream"-Artists angeben, sind zwar vielfältig, jedoch allesamt verwurzelt in der Art und Weise, wie Playlists auf Spotify funktionieren.

Zunächst einmal ist ausschlaggebend, dass die Playlist-Landschaft auf Spotify geprägt ist von proprietären Playlists, also solchen Playlists, die von dem Unternehmen selbst betrieben werden. Der Studie zufolge handelt es sich bei 98,4 Prozent der Top 100-Playlists um proprietäre Spotify-Listen; unter den Top 1.000-Playlists stammen gut etwa 90 Prozent von Spotify selbst. 

Hier findet ihr die Basics zu Playlisten auf Spotify!

Problematisch an dieser Prävalenz proprietärer Playlists ist, dass die Kriterien für die Aufnahme unbekannt sind und somit auch nicht sichergestellt werden kann, ob die Aufnahmebedingungen für alle Künstlerinnen und Künstler gleich sind. So haben laut der Studie besonders kleinere Artists u.U. enorme Schwierigkeiten, durch Playlist-Pitching auf den Editorial-Playlists von Spotify zu landen.

Laut CPI ist dies wegen der schieren Menge täglich neu hochgeladener Songs zwar verständlich, trägt aufgrund der Bedeutung von Playlists für die Streaming-Zahlen eines Acts jedoch gleichfalls zur Ungleichbehandlung von Künstlerinnen und Künstlern bei.

... und Algotorials

Auch sogenannte Algotorial-Playlists, die im Gegensatz von den von Redakteuren zusammengestellten Editorial-Playlists von Spotify-eigenen Algorithmen individuell zusammengestellt werden, besitzen das Potential, kleinere bzw. Independent-Künstler/innen zu benachteiligen. Zu solchen Algotorial-Playlists zählen Playlists wie der Mix der Woche und die automatisch generierten Playlists, die etwa nach dem Ende eines Albums laufen. 

Die Algorithmen hinter diesen Playlists sind, wie auch die Kriterien für einen erfolgreichen Pitch, geheim, weshalb sich über ihre Auswirkungen auf die Song-Auswahl der User nur spekulieren lässt.

Fest steht jedoch, dass etwa Algorithmen, die sich an der weltweiten Gesamtperformance von Songs orientieren, dazu führen können, dass Nutzer/innen stets nur sowieso schon populäre bzw. etablierte, internationale Musik als "neu" vorgeschlagen wird – Newcomer gehen im schlechtesten Fall in der Feedback-Schleife des Massengeschmacks unter. 

Dies könnte beispielsweise auch dazu führen, dass Musik abseits etablierter Genres bzw. Musik mit nicht-englischen Texten algorithmisch benachteiligt wird, da solche Musik auf dem internationalen Markt eben weniger stattfindet und somit von den entsprechenden Algorithmen nicht erfasst wird. 

Aktive Teilhabe der Majors

Darüber hinaus warnen CPI und TNW vor einer Bevorzugung der Musik von Major-Labels durch Spotify, die bereits in den Verträgen zwischen den beiden Parteien begründet sein könnte. So gibt es etwa eine "Minimale Auszahlungsgarantie" (PDF), die besagt, dass Spotify ein Label auch dann entlohnen muss, wenn eine vorher angegebene Mindestzahl an Streams nicht erreicht wird.

Mit der Bevorzugung von Major-Künstler/innen in den proprietären Playlists und einer dadurch erhöhten Sichtbarkeit könnte Spotify das Risiko senken, solche Auszahlungen tatsächlich an die entsprechenden Labels leisten zu müssen – während Indie-Labels oder Künstler/innen ohne Label aufgrund fehlender Marktmacht nicht in der Lage sind, solche Verträge überhaupt abzuschließen. 

Spotify macht's leicht

Während die Beeinflussung aufgrund von bestehenden Verträgen zwar möglich, jedoch derzeit nicht zu beweisen ist, hat Spotify mit dem Ende November 2020 eingeführten Discovery Mode eine handfeste Möglichkeit zur Einflussnahme auf Playlists vorgestellt.

Dieser bietet Künstler/innen und Labels die Möglichkeit, Songs als Priorität bei der Beachtung durch Algorithmen zu kennzeichen. Im Gegenzug schüttet Spotify für diese Songs dann geringere Tantiemen aus.

Die Verfasser/innen der Studie bezeichnen dies, wie auch zahlreiche Kritiker, als eine Form von Payola. Obwohl das Modell durch den Verzicht auf Vorauszahlungen fair wirken mag, lässt sich argumentieren, dass eine Reduktion der letztendlichen Ausschüttungen vor allem für große Labels und Künstler/innen in Frage kommt – kleinere Künstlerinnen und Künstler können sich beispielsweise in der Corona-Pandemie eine solche Beschneidung der Auszahlungen gar nicht leisten. 

(K)eine Lösungen in Sicht?

Dass es für die mutmaßliche Benachteiligung kleiner Künstler/innen auf Streamingplattformen – in erster Linie auf Spotify – keine einfache Lösung gibt, ist in Anbetracht der Komplexität des Problems evident. 

Stattdessen gibt es mehrere einzelne Ansätze, mit denen Streaming-Plattformen laut CPI für ein faireres Streaming-Ökosystem sorgen könnten. In erster Linie wiederholen die Verfasser/innen der Studie die Forderung nach einer Reform der Auszahlungen und die Einführung des User-Centric Payment Systems. In der Vergangenheit hatte bereits Deezer dafür geworben; SoundCloud hat im März 2021 sogar den vollständigen Umstieg auf UCPS angekündigt.

Mit dem Umstieg soll die Verteilung der Ausschüttungen der Streaming-Plattformen gerechter gestaltet werden, indem die Abo-Gebühren der Nutzerinnen und Nutzer nicht mehr, wie im Pro Rata-Modell, in einem Topf gesammelt werden.

Stattdessen gehen die Abogebühren (nach Abzug des Anteils der Streaming-Plattform) hier anteilig – und ausschließlich! – an die tatsächlich vom User gehörten Acts. Durch so ein Konzept könnten Artists wieder direkt für ihre Werke bezahlt und von Fans unterstützt werden, ähnlich wie beim Kauf von physischen Tonträgern oder Downloads.

Forderung nach mehr Transparenz

Ansonsten legen die Urheberinnen und Urheber der vorliegenden Studie die Notwendigkeit von stärkerer Transparenz von Seiten der Streaming-Unternehmen nahe: Die Prozesse in der Erstellung von Editorial- und Algotorial-Playlist sollen offengelegt und nachprüfbar gestaltet werden. Nur so könne eine Ungleichbehandlung von Artists auf Streaming-Plattformen ausgeschlossen werden. 

Im besten Fall, so die Autor/innen weiter, sollten die Verträge zwischen den (Major-)Labels und den Streaming-Plattformen offen gelegt bzw. eine Wettbewerbsbehörde für den Streaming-Sektor eingeführt werden, die die Vereinbarungen zwischen beiden Parteien unabhängig überprüft. 

Eine bessere Zukunft für alle 

Diese Maßnahmen könnten langfristig dazu führen, dass das vermutete bias der Streamingdienste – deren inhärente Bevorzugung von Mainstream-Acts – ausgeglichen wird.

Somit könnten kleinere bzw. lokale(re) Musikerinnen und Musiker sowie Artists aus Nischen-Genres zukünftig größere Chancen haben, Erfolge auf den jeweiligen Plattformen zu feiern, und damit nicht nur ihre Popularität, sondern im besten Fall auch ihre Einnahmen zu erhöhen.

Dies wiederum sollte laut Competition Policy International gerade in Zeiten der Corona-Pandemie, in denen den Künstler/innen der sonst so eintragsreiche Live-Bereich vollkommen fehlt, absolute Priorität haben. 

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