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Laut gegen Nazis

Spotify und Co.: Verbreiten Streamingdienste per Algorithmus rechte Musik?

News von Backstage PRO
veröffentlicht am 02.02.2022

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Spotify und Co.: Verbreiten Streamingdienste per Algorithmus rechte Musik?

© Laut gegen Nazis (Screenshot)

Die Initiative "Laut gegen Nazis" hat für eine aktuelle Aktion eine vorgebliche Rechtsrock-Band ins Leben gerufen, um zu zeigen, welche Rolle die Algorithmen von Streamingdiensten bei der Verbreitung rechter Inhalte spielen. Nun fordert die Initiative die Streaming-Dienste selbst dazu auf, aktiv zu werden.

Wer auf Streaming-Plattformen wie Spotify, Soundcloud, Deezer, YouTube und Co. unterwegs ist, kennt die individualisierten Playlists und Mixtapes, die die Streamingdienste für ihre Nutzer/innen erstellen, ebenso wie die empfohlenen Künstler/innen und Songs. Oftmals treffen sie mit ihren Vorschlägen tatsächlich ins Schwarze.

Die dunkle Seite

Hinter dieser Funktion stecken Algorithmen. Um Streaming-Usern attraktive Musikempfehlungen zu geben, orientieren sie sich u.a. an deren Favoriten, mit denen sie etwa Klang, Texte und das Erscheinungsbild weiterer Künstler/innen abgleichen. Auch die Hörgewohnheiten von Musik-Fans mit ähnlichem Geschmack werden berücksichtigt. 

Dass Algorithmen eine Schattenseite haben, ist allseits bekannt: Der Mechanismus hält Menschen in der sogenannten eigenen "Bubble" und bewirkt etwa, dass sich die Nutzer/innen von Medienplattformen in Kreisen von Menschen mit ähnlichen Vorlieben bewegen. Das kann auch dahin führen, dass unterschiedliche Ansichten nicht mehr aufeinander treffen. 

Hier lest ihr, wie Empfehlungs-Algorithmen gewisse Musikstile benachteiligen.

Rechte Algorithmen?

Auf Musik-Streaming-Plattformen gibt es inzwischen ein großes rechtes Netzwerk, das von solchen Algorithmen gestützt wird. Die Zeit, in der CDs mit faschistischen Inhalten auf Schulhöfen verteilt wurden, ist vorbei – inzwischen sorgen Algorithmen dafür, dass rechte Titel in den Playlisten von Menschen landen, die empfänglich für das rechte Gedankengut sind.

Die Initiative Laut gegen Nazis e.V. engagiert sich seit 2004 aktiv gegen den Rechtsextremismus in Deutschland. In einem Pilotprojekt zeigt die Initative nun anhand eines eigens geschrieben Songs einer vermeintlichen Rechtsrock-Band, wie rechte Inhalte auf Streaming-Plattformen verbreitet werden. In einem Artikel auf der Webseite der Initiative erklärt Gründer Jörn Menge den Prozess:

"Wir haben zunächst die beliebtesten Rechtsrock-Stücke und -Bands eindringlich untersucht und wiederkehrende Charakteristika und Eigenheiten herausgearbeitet. Mit gezielter Bewerbung der Hörprobe auf den Plattformen haben wir dann dafür gesorgt, dass Fans anderer Rechtsrock-Bands den Song von "Hetzjaeger" zu hören bekamen."

Das Projekt "Hetzjaeger"

Die Band "Hetzjaeger" mit ihrem Song "Kameraden" ist das Resultat der Recherchearbeit der Initiative. Zunächst hat "Laut gegen Nazis" nur einen 30 sekündigen Teaser des Songs und ein dazugehöriges Video veröffentlicht. Dieser erweckt tatsächlich den Eindruck, rechten Kreisen zu entstammen. 

In dem Video sind maskierte Personen zu sehen, die mit Fackeln durch einen dunklen, nebligen Wald laufen – alles in den Farben Schwarz, Weiß und Rot gehalten. Außerdem hat das Lied Lyrics wie "Und wenn du dir dann wieder alte Zeiten wünschst, wenn du begreifst, dass Stück für Stück dein Land sich vor dem Feind ergibt". 

Erst am 30. Januar um 18:18 Uhr sollte der gesamte Song veröffentlicht und die Aktion damit aufgelöst werden. Die Uhrzeit verweist auf einen von Neonazis häufig verwendeten Zahlencode "18". Die "1" steht hierbei für den ersten Buchstaben des Alphabets (A) und die "8" für den achten (H). Somit bildet der Code die Initialien Adolf Hitlers. 

Erstaunliche Resonanz

Tatsächlich verbreitet sich der Teaser von "Kameraden" schnell. "Laut gegen Nazis" gibt an, dass der Teaser innerhalb weniger Tage mehrere tausend Klicks auf Spotify, Soundcloud und Co erhielt. Die Links zu der Hörprobe wurden sogar über Telegram verbreitet. Der Erfolg des Songs führt so weit, dass der fiktiven Band Kooperationen aus der rechten Szene angeboten wurden.  

Die große Reichweite des Songs zeigt, dass die meisten Streaming-Plattformen keine besonderen Vorkehrungen bezüglich der Verbreitung rechter Inhalte durch ihre Algorithmen getroffen zu haben scheinen. Stattdessen vertrauen sie wohl auf die Meldungen von Nutzer/innen ihrer Dienste.

Rechtes Gedankengut im "Mix der Woche"

Auf Spotify landete die Vorschau von "Kameraden" so schon bald im "Mix der Woche" verschiedener von "Laut gegen Nazis" erstellter Testaccounts. Der Initiative gelang es sogar, die Preview auf der Plattform zu bewerben. Erst nach von Usern und Presse geäußerter Kritik sperrte Spotify den Teaser. Soundcloud tat es dem Unternehmen gleich. Ganze sechs Mal gelang es der Initiative jedoch, ihn erneut hochzuladen.

YouTube bleibt unter den Streaming-Plattformen eine Ausnahme, indem der Anbieter Inhalte, die gegen die allgemeinen Richtlinien verstoßen, maschinell herausfiltert und blockiert. Auf diese Art und Weise konnten laut einem Artikel der taz im dritten Quartal 2021 sechs von zehn in diese Kategorie fallende Videos maschinell blockiert werden, bevor sie über zehn Aufrufe erreichten.

Dennoch blieb "Kameraden" auch von dieser Plattform vorerst unbeachtet und erreichte dort innerhalb kurzer Zeit ganze 75.000 Views. 

Falsche Freunde

Nicht alle Fans des Teasers wollten bis zum offiziellen Release am 30. Januar warten: Scheinbar befürchteten Angehörige eines rechten Netzwerkes, dass das Lied nach Veröffentlichung nicht mehr lange verfügbar sein würde. Aus diesem Grund nutzen sie eine Sicherheitslücke YouTubes aus und verbreiten den kompletten Song bereits im Voraus. "Laut gegen Nazis" spricht von einem großen Erfolg:

"Dass sie der Idee damit noch einen finalen Schub geben, wussten die Rechten nicht. Denn dieser Aufruf führt dazu, dass der finale Song tausendfach von genau den richtigen Menschen gehört wird."

Denn die Erwartungen der Rechten Szene wurden alsbald enttäuscht: Hatte die Aussage im Refrain anfangs noch einen nationalistischen Unterton, änderte sich dies im kompletten Song schnell: Nach der ersten Minute verzerrt sich das Bild des Musikvideos, immer wieder werden bunte Farben eingeblendet.

Die zweite Strophe bringt dann die Auflösung. So übernimmt nun ein Sänger im weißen Plüschmantel und rappt "Ich hab genug von dir, dieser Song ist mein Revier, den setz' ich in dein rechtes Ohr, das ich auf links polier'". Auch das Video ist nun sehr bunt, immer wieder werden Herzchen und die Worte "Love", "Respect", "Fck Hate" und "Peace" eingeblendet. Zum Schluss wird der Refrain abgewandelt, sodass es heißt: "Denn wir, wir sind nicht eure Kameraden und wir geben nicht nach". 

Ein Erfolg 

Obwohl es bereits vor der Veröffentlichung des Liedes auch einige kritische Stimmen aus der rechten Szene gegeben hat und manche Mitglieder etwa Jan Böhmermann hinter dem Projekt vermuteten, hat sich die Aktion von "Laut gegen Nazis" gelohnt. 

Schließlich bestand das Hauptziel der Aktion nicht darin, Nazis erfolgreich hereinzulegen, sondern herauszufinden, wie der Verbreitung von rechtsradikalen Inhalten durch den Algorithmen entgegen gewirkt werden kann. Das verdeutlicht der Abspann des Musikvideos zu "Kameraden", in dem sich "Laut gegen Nazis" selbst zu Wort meldet und Streaming-Plattformen dazu aufruft ihre Algorithmen aktiver gegen das rechte Netzwerk einzusetzen:

"Unsere Aktionen der letzten Monate haben die Algorithmen der Streaming Plattformen so manipuliert, dass sie Rechtsrockfans Hetzjaeger empfehlen. So arbeiten die Algorithmen jetzt mit uns gegen Rechts, statt weiter rechte Songs zu verbreiten."

Die Initiative fordere mit ihrem Video Soundcloud, Spotify, YouTube, Amazon, Apple, Deezer und alle anderen dazu auf, endlich auch selbst aktiv zu werrden und konsequent gegen rechte Musik durchzugreifen.

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