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"Algorithmen beeinflussen, was User tatsächlich hören"

Christine Bauer (Universität Salzburg) über KI, Empfehlungsalgorithmen und deren Auswirkungen auf Musiker/innen

Interview von Florian Endres
veröffentlicht am 12.05.2023

künstliche intelligenz future music camp

Christine Bauer (Universität Salzburg) über KI, Empfehlungsalgorithmen und deren Auswirkungen auf Musiker/innen

Mag. DI. Dr. Christine Bauer. © Kurt Hörbst

In ihrer Keynote beim Future Music Camp 2023 fragt Christine Bauer von der Universität Salzburg nach dem Stellenwert von KI in der Musikbranche. Im Interview mit Backstage PRO spricht Bauer über Musikempfehlungssysteme und die Auswirkungen von Algorithmen und KI auf Musikerinnen und Musiker.

Backstage PRO: Hallo Christine. Im Titel deiner Keynote fragst du nach den Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf die Musikwirtschaft. Was ist der Zusammenhang zwischen KI und (Empfehlungs-)Algorithmen?

Christine Bauer: Oft werden die Begriffe KI und Algorithmen fälschlicherweise gleichgesetzt. Algorithmen beschreiben einen definierten Rechenweg, der zu einem erwartbaren Ergebnis führt – ähnlich zu einem Kochrezept. KI basiert auch auf Algorithmen, mit dem Unterschied jedoch, dass diese Systeme im Gegensatz zu klassischen Algorithmen dazulernen. Zum Beispiel können sie so in großen Datenmengen in sekundenschnelle Muster erkennen.

Backstage PRO: Welche Algorithmen kommen bei Empfehlungssystemen zum Einsatz?

Christine Bauer: Bei Empfehlungssystemen etwa von Streamingdiensten können zum einen recht simple Algorithmen zur Anwendung kommen, zum Beispiel solche, die die am meisten gehörten Tracks der letzten Woche berechnen. Das kann manchmal ganz spannend sein, ist aber nicht auf die jeweiligen Nutzer/innen zugeschnitten.

Um eine solche Personalisierung zu erreichen und dabei auch einen gewissen Grad an Abwechslung im Hinblick auf die Empfehlungen zu bieten, kommen Ansätze des Machine Learning bzw. vermehrt des Deep Learning zum Einsatz, die Teilbereiche der KI darstellen.

Backstage PRO: Wie funktionieren die erwähnten Algorithmen für die Musikempfehlung?

Christine Bauer: Algorithmen für die Musikempfehlung funktionieren ähnlich wie in anderen Bereichen. Im Prinzip kann man zwischen zwei Basisansätzen unterscheiden: Zum einen gibt es "Collaborative Filtering", zum anderen inhaltsbasierte Ansätze.

Collaborative Filtering beruht auf der Annahme, dass Nutzer/innen, die in der Vergangenheit ähnliche Präferenzen hatten, auch in Zukunft ähnliche Präferenzen haben werden. Dementsprechend werden auf Basis des Hörverhaltens Nutzer/innen mit ähnlichem Musikgeschmack identifiziert und dann wird einer Person empfohlen, was diese ähnlichen Nutzer/innen in der Vergangenheit gehört haben.

Im Gegensatz dazu besteht die zentrale Idee inhaltsbasierter Ansätze darin, Musik zu empfehlen, die ähnlich zu jener ist, die zuvor gehört wurde. Dabei wird Ähnlichkeit zwischen verschiedenen Stücken beispielsweise über das Genre der gehörten Musik definiert, über deren Tempo oder andere inhaltsbezogene Elemente wie etwa die Stimmung.

Backstage PRO: Welchen Einfluss haben Empfehlungsalgorithmen auf die Nutzerinnen und Nutzer von Streamingdiensten?

Christine Bauer: Musikempfehlungsalgorithmen sind integraler Bestandteil von Streamingplattformen wie beispielsweise Spotify und Apple Music. Streamingdienste bieten ihren Nutzerinnen und Nutzern ein unglaublich großes Repertoire von Musik an, auf das diese zugreifen können. Doch genau deswegen haben wir als Nutzer/innen die Qual der Wahl – das Angebot von Streamingdiensten überfordert uns schlichtweg. 

Algorithmen, die empfehlen, was uns gefallen könnte, bzw. auch automatisiert Playlists fortsetzen, bieten uns daher viel Erleichterung. Allerdings führt das auch dazu, dass wir hauptsächlich auf das aufmerksam werden, was uns empfohlen wird – anderes werden wir im Hinblick auf das enorme Angebot kaum entdecken. Algorithmen kommt demnach eine große Bedeutung zu: Sie beeinflussen, was Nutzer/innen tatsächlich hören.

Backstage PRO: Welche Folgen hat das für Künstler/innen und die Musikwirtschaft im Allgemeinen?

Christine Bauer: Da Algorithmen das Hörverhalten von Nutzer/innen stark beeinflussen, hat das selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Musikwirtschaft und auch auf die Künstler/innen: Diese bemerken, ob ihre Songs vermehrt empfohlen werden, oder ob sie weniger oder gar nicht von den Algorithmen wahrgenommen und ausgespielt werden. Dies hängt wiederum empfindlich mit dem Bekanntheitsgrad zusammen. Und die Tantiemen, die an die Künstler/innen ausgezahlt werden, stehen letztlich mit diesem ganzen Themenkomplex in Verbindung. 

Dies hat in einem weiteren Schritt auch Auswirkungen auf andere Künstlerinnen und Künstler, etwa bei inhaltsbasierten Ansätzen, wo ja ähnliche Artists empfohlen werden. Das typische Problem bei Empfehlungsalgorithmen, die auf Collaborative Filtering basieren, ist der sogenannte Popularity Bias.

Populäre Tracks oder Artists haben dadurch, dass sie bereits viel gehört werden, eine größere Chance, algorithmisch empfohlen zu werden. Dadurch werden sie wiederum noch öfter gehört, was die Chancen nur noch mehr erhöht, empfohlen zu werden. 

Backstage PRO: Gibt es weitere Auswirkungen, mit denen man vielleicht nicht sofort rechnet?

Christine Bauer: Ja, zum Beispiel den Gender Gap. Der Anteil an Frauen und Gender-Minderheiten ist im kreativen Musikbereich relativ klein; je nach Bereich ca 20-25 Prozent. Auch im Musikkonsum – im Hinblick auf den Geschlechteranteil der gehörten Musik – ist der Prozentsatz ähnlich. Meine Forschung mit Andrés Ferraro, der mittlerweile bei Pandora arbeitet, hat ergeben, dass Basisansätze zum Collaborative Filtering den Anteil auf ähnlichem Niveau halten. Das kann man jetzt gut oder schlecht finden.

Für uns erstaunlich war in jedem Fall das Ergebnis, dass User in einer Serie von Empfehlungen im Durchschnitt auf den siebten oder achten Track warten müssen, um den ersten Track einer Frau zu hören. Und da Nutzer/innen hören, was ihnen empfohlen wird und das wiederum als Input für die folgenden Empfehlungen dient, kreiert das eine sich wiederholende Schleife, die eben dazu führt, dass weiterhin nur weniger Musik von Frauen vorgeschlagen wird. In einer Computersimulation konnten wir jedoch zeigen, dass man durch einfache Adaptionen algorithmischer Natur diese Schleife durchbrechen kann.

Backstage PRO: Wie lassen sich in dieser Hinsicht die Interessen von Kreativen mit der immer weiter fortschreitenden technologischen Entwicklung in Einklang bringen?

Christine Bauer: Ein wichtiger Punkt ist dafür sicherlich, Kreative in die angesprochenen Prozesse einzubinden. Und zwar nicht nur, wenn es um Diskussionen über die möglichen Auswirkungen technischer Innovationen geht, sondern bereits in deren Entwicklungsphase.

Zum einen geht es darum, die Bedürfnisse der Kreativen zu verstehen und nach Möglichkeiten zu suchen, die diesen Bedürfnissen gerecht werden. Natürlich bietet Technologie nicht immer eine passende Lösung. Aber manchmal eben schon. Meist sind es ja die Kreativen, die neue Entwicklungen höchst kreativ einsetzen, weil es sie inspiriert. Wichtig ist dabei aber auch, klar zu kommunizieren, was es Neues gibt, wie man mit diesen umgehen kann und was deren Grenzen sind. Man kann nur einsetzen, was man kennt und was man hinreichend versteht.

Backstage PRO: Ist dieses Verständnis denn vorhanden?

Christine Bauer: Das ist ein wesentliches Thema rund um KI in der Musikbranche: Momentan herrscht zu weiten Teilen große Besorgnis – ja, teilweise vielleicht sogar Angst. Ich glaube, hier spielt viel Unklarheit mit, was KI nun kann oder nicht kann, und die Unsicherheit und Besorgnis, ob und wie KI das eigene Schaffen nun in Zukunft in Frage stellen könnte. Hier gibt es viel Informationsbedarf, auch in Bezug darauf, was Kreative mit KI-Unterstützung gemeinsam machen könnten. Vermutlich waren Kreative nicht früh und weitreichend genug in der Entwicklungsphase eingebunden. Dann ist es wohl jetzt höchste Zeit dafür.

 

In ihrer Keynote "KI in der Musikbranche: Last oder Lösung? – Ethische Fragen im Zusammenhang mit Algorithmen" am Freitag des Future Music Camps (26.05.2023, 14:00 - 14:30) behandelt Christine Bauer die hier aufgeworfenen Probleme von Empfehlungsalgorithmen im Streaming-Bereich ausführlich und diskutiert insbesondere die Frage nach fairen Lösungen für Künstler/innen. 

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