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Debatte legt Probleme offen

Labels profitieren vom Streaming, während Bezahlung für Musikschaffende zu niedrig ist

News von Florian Endres
veröffentlicht am 19.02.2021

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Labels profitieren vom Streaming, während Bezahlung für Musikschaffende zu niedrig ist

Zu wenig Streaming-Tantiemen für Musikschaffende. © Maxim Lupascu / 123RF

Die Streaming-Revolution hat das Musikbusiness grundlegend verändert. Doch zentrale Probleme des Streamings bleiben ungelöst. Das betrifft insbesondere die Entlohnung der Musiker und Songwriterinnen. Wir fassen die Argumentationslinien der Debatte zusammen und bieten einen Ausblick.

Die ungebrochene Bedeutung der Streaming-Debatte zeigt sich u.a. darin, dass sich seit Ende 2020 sogar das britische Parlament mit der Frage beschäftigt, ob Streaming-Plattformen die Musikerinnen und Musiker, deren Musik sie vertreiben, fair entlohnen.

Obwohl Streaming weltweit bereits über die Hälfte des weltweiten Umsatzes der Musikindustrie ausmache, erhielten Musiker/innen noch immer nur einen Bruchteil der durch das Streaming generierten Gelder, heißt es von Seiten des Parlaments.

Aus diesem Grund soll das Geschäftsmodell der Streamingdienste untersucht werden um auf Basis der Aussagen der Beteiligten – Musiker/innen, Labels und Streaming-Dienste – festzustellen, ob ein Eingreifen von Seiten der Politik notwendig ist. 

Das zentrale Problem: die Bezahlung

Bereits in der ersten Anhörung vor dem Parlament wurde deutlich, dass die geringen Auszahlungen der Streaming-Plattformen das zentrale Problem für viele Künstlerinnen und Künstler sind. Dieses Problem wird durch die Corona-Pandemie noch verstärkt, da durch die herrschenden Veranstaltungsverbote eine der wichtigsten Einnahmequellen für viele Musiker/innen weggefallen ist. 

Spotify, Apple Music und Co. behalten einen Teil der Einnahmen für sich (bei Spotify sind es angeblich 30%); der Rest fließt einerseits an die Songwriter/innen und Komponist/innen, andererseits an die Künstler/innen (genauer: Rechteinhaber/innen).

Das bedeutet, dass jene Acts, die ihre Songs komplett selbst schreiben, tendenziell mehr pro Stream verdienen als jene, bei deren Produktionen viele verschiedene Personen beteiligt sind.

Überleben? Unmöglich

Ein Beispiel zeigt, dass auch in Fällen, in denen alle Rechte auf einer Person vereinigt sind, die Einnahmen kaum zum Leben reichen.

Die Cellistin Zoë Keating muss als Solo-Musikerin mit eigenen Songs keine Lizenzgebühren an andere Writer/innen abführen; gleichzeitig erhält sie im Rahmen eines Distributions-Deals 100 Prozent ihrer recorded music-Tantiemen. Und dennoch erhielt sie zwischen Januar und September 2019 von Spotify gerade einmal 0,003 Dollar pro Stream; von Apple Music gab es 0,012 Dollar. 

Für die selbstständige Musikerin Keating reichen die Einnahmen auf beiden Plattformen nach eigener Aussage kaum, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten – ein Problem, das laut einer Studie der britischen Musician's Union auch auf zahlreiche britische Musiker zutrifft.

Vor dem Untersuchungsausschuss des Parlaments bezeichneten die geladenen Musiker/innen, darunter Ed O'Brien (Radiohead) und Guy Garvey (Elbow), das aktuelle System der Auszahlungen als eine Bedrohung für die Zukunft der Musik: Gerade für junge Acts sei es derzeit fast unmöglich, zu überleben.   

Intransparent und gierig? 

Hand in Hand mit der Debatte um die zu geringen Auszahlungen geht auch der Vorwurf an die Streaming-Plattformen, den Künstlern wichtige Informationen vorzuenthalten. So kritisierte beispielsweise Nile Rodgers (Chic), dass er bis heute nicht wisse, wie viel seine Streams eigentlich wert seien – die Streamingdienste und die Labels hielten diese Informationen zurück. 

Diese Intransparenz hinsichtlich der Auszahlungen verbirgt die Faktoren, die letztlich die Höhe der Ausschüttungen tatsächlich bestimmen, in einer Art "Black Box" – eine Tatsache, die sich schon darin zeigt, dass die Auszahlungen der Plattformen lediglich geschätzt werden können.

Übermächtige Labels

Nile Rodgers beschreibt die Major-Labels außerdem als zu mächtig, ihren Einfluss als zu groß – und die von ihnen einbehaltenen Anteile an den Einnahmen aus Streaming, Download und Tonträgerverkauf als noch immer viel zu hoch. 

Dem schlossen sich auch die in der ersten Parlamentssitzung befragten Musiker/innen an. Sie kritisierten u.a., dass Labels in vielen Fällen mindestens 80 Prozent der erwirtschafteten Gelder einbehielten. Während die Gewinnspanne bei Tonträgerverkäufen noch verhältnismäßig hoch sind, bleibt von den sowieso schon geringen Streaming-Ausschüttungen fast nichts mehr für die Artists übrig.

Man könnte vermuten, dass Streaming-Unternehmen und Labels eine Art "unheiliger Allianz" gebildet haben, um die Musiker gezielt aus dem Prozess der Verteilung der Einnahmen auszuschließen und sie finanziell kleinzuhalten.

User-centric licensing 

Die aufgezählten Probleme sind freilich nicht wirklich neu – die Diskussion im britischen Parlament trägt also in erster Linie dazu bei, die aktuellen Konfliktlinien zu verdeutlichen. Die britische Regierung möchte aber auch Lösungen schaffen – und diese verdienen Aufmerksamkeit.

Ein viel diskutierter Ansatz ist eine Veränderung des Abrechnungsystems, die bereits 2019 von Deezer vorgeschlagen wurde (siehe auch unser Interview mit Richard Wernicke von Deezer zu diesem Thema!), da das aktuelle Abrechungsmodell der Streaming-Plattformen die Künstler/innen angeblich benachteiligt.  

Paradigmenwechsel

Derzeit ist es so, dass die Abo-Gebühren der Plattformen in einem großen Topf zusammenfließen und dann, wie bereits beschrieben, abzüglich der Betriebskosten anteilig nach Anzahl der Streams an die Artists ausgeschüttet werden. Das bedeutet jedoch auch, dass Nutzer/innen Künstler/innen mitfinanzieren, die sie gar nicht tatsächlich gehört haben. 

Das von Deezer vorgeschlagene User Centric Payment System (UCPS) umgeht dies, indem das Geld direkt (nach Abzug der Betriebskosten) von der Hörerin bzw. dem Hörer anteilig an die gehörten Artists fließt. Richard Wernicke, Head of Content bei Deezer, beschreibt den Wechsel wie folgt: 

"UCPS betrachtet nicht mehr den Marktanteil einzelner Streaming-Zahlen, sondern die Anzahl der Nutzer. Wenn ein Nutzer beispielsweise nur einen Künstler in einem Monat hört, geht seine komplette Gebühr an den Rechteinhaber dieses Künstlers. Damit führt UCPS dazu, dass die Künstler-Fan-Beziehung wieder eingeführt wird: So wie ich einen Künstler unterstütze, indem ich seine Platte erwerbe, unterstütze ich ihn, indem ich seine Musik streame."

Equitable Remuneration

Ein weiterer Lösungsvorschlag, der im Zuge der Diskussionen im Parlament aufgekommen ist, ist die Einführung des sogenannten "Equitable Remuneration"-Prinzips ("angemessene Vergütung", ER) für bestimmte Bereiche des Audio-Streamings.

Equitable Renumeration ist ein im (britischen) Urheberrecht verankertes Prinzip, das die Gelder betrifft, die die Tonträgerindustrie durch Aufführungen über den Rundfunk und in der Öffentlichkeit einnimmt. Nach dem ER-Prinzip haben Künstler/innen bei diesen Einnahmen ein gesetzlich festgeschriebenes Recht auf Bezahlung nach Industriestandards – wodurch bestehende Verträge mit dem Label in diesen Fällen außer Kraft gesetzt werden. 

Einnahmen aus Rundfunk und öffentlicher Aufführung werden 50/50 zwischen Label und Künstler/in geteilt; die Verteilung für die Künstler/innen erfolgt beispielsweise über die zuständige Verwertungsgesellschaft. Künstler/innen und ihre Verbände fordern, dass dieses Prinzip auch auf Streaming-Plattformen umgesetzt wird – aber nur bei einer "rundfunkähnlichen", "passiven" Nutzung des Angebots, also etwa beim Hören von Playlists oder automatisch erstellten Radiostationen. 

Gespanntes Warten

Inwiefern die vorgestellten Lösungsansätze tatsächlich in die Realität umgesetzt werden könnten, bleibt abzuwarten: So hat beispielsweise bis heute kein anderer Streamingdienst als Deezer überhaupt Bereitschaft signalisiert, diese Veränderung umzusetzen.

Doch zeigt die Diskussion im britischen Parlament zumindest, dass das grundsätzliche Problem der Vergütung beim Audio-Streaming immer stärkere Aufmerksamkeit bekommt – und schürt so die Hoffnung, dass sich vielleicht tatsächlich einmal etwas zugunsten der Musiker/innen ändert.

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