Laufende Ermittlungen
Streaming: 82% der Musiker/innen verdienen weniger als 200 Pfund im Jahr – sind die Labels schuld?
Nile Rodgers & CHIC (live in Frankfurt 2018). © Torsten Reitz
Das britische Parlament untersucht derzeit die Auswirkungen der zunehmenden Popularität von Streamingdiensten auf die Lebensverhältnisse von Musikerinnen und Musikern in Großbritannien. Dabei kommen in erster Linie die Künstler/innen selbst zu Wort.
Kontext
Um einen breiteren Kontext für die einzelnen Aussagen der Befragten zu bieten, haben die britische Ivors Academy und die Musician's Union zusätzlich die wirtschaftliche Situation von Musikerinnen und Musikern im Vereinigten Königreich in einer neuen Studie erfasst. Die Ergebnisse sind erschreckend:
- 82 Prozent der Befragten verdienen weniger als 200 Pfund im Jahr durch Streaming – das betrift jeweils die Gesamtheit der von den Artists hochgeladenen Songs auf allen Streamingplattformen im Jahr 2019.
- Unter den Befragten waren dabei keinesfalls nur "kleinere" Musiker/innen, sondern auch solche mit tausenden oder hunderttausenden Streams bzw. Streams in Millionenhöhe.
- 92 Prozent der Befragten gaben an, dass Streaming-Einnahmen weniger als fünf Prozent ihres gesamten Einkommens im Jahr 2019 ausmachten.
- Für 50 Prozent steht fest, dass ihr Einkommen mit recorded music in den vergangenen zehn Jahren gesunken ist.
- 43 Prozent der Teilnehmer/innen mussten sich aufgrund ihres unzureichenden Einkommens bereits Berufe außerhalb des Musik-Business suchen.
Sündenbock
Die Umfrage von Ivors Academy und Musician's Union zeigt also in erster Linie, dass es für Musiker/innen (nicht nur) in Großbritannien zunehmend schwieriger wird, von ihrer Kunst allein zu leben. Doch ist es laut Graham Davies, dem CEO der Ivors Academy, zu kurz gedacht, allein den Streaming-Plattformen die Schuld für diese Entwicklung zu geben.
Für Davies steht fest, dass Plattenfirmen einen zentralen Teil des Problems darstellen; zu viel der Streaming-Einnahmen gingen an die Majors. Auch Nile Rodgers, Produzent, Songwriter und Gitarrist der Band Chic, schließt sich dieser Ansicht an. Gegenüber dem britischen Parlament äußerte sich Rogers wie folgt:
"Wir Künstler/innen haben kein Problem mit Streamingdiensten. Es ist fantastisch, dass sie unser Produkt auf eine so effektive Art und Weise verbreiten können. Das Problem sind die Labels."
Fragezeichen
Dem Parlament schlug er in dessen zweiter Sitzung zum Thema vor, sich für die Künstler/innen einzusetzen und gemeinsam mit ihnen Änderungen umzusetzen, die die absolute Macht der Major-Labels brechen können:
"Die Ungleichheit ist absolut lächerlich, und die Sache ist, dass die Labels wissen, dass sie nur noch größer werden wird. Und wenn sie erst einmal groß genug geworden ist, dann werden die Labels so viel Macht haben, dass wir die Kluft nicht mehr schließen können."
Weiterhin forderte Rodgers mehr Transparenz von den Labels. So wisse er aufgrund von Geheimhaltungsvereinbarungen noch immer nicht, wie viel seine Streams eigentlich wert sind. Er habe zwar Spotify-Statisiken, etwa zur Verbreitung seiner Musik; sein Label auf der anderen Seite biete ihm jedoch überhaupt keine Informationen.
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