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Von der Band zur Filmmusik

Mein Plan B: Interview mit den Filmmusik-Komponisten Dürbeck & Dohmen

Interview von Martell Beigang
veröffentlicht am 02.05.2023

production music musikbusiness berufswelt

Mein Plan B: Interview mit den Filmmusik-Komponisten Dürbeck & Dohmen

Jumpel Dürbeck und René Dohmen (2023). © Dürbeck & Dohmen, Cologne

Nur wenige Musiker leben davon, ausschließlich mit ihrer eigenen Musik auf der Bühne zu stehen. Für die meisten Profis besteht ihr Job aus ganz unterschiedlichen Facetten. In unserer Serie Plan B möchten wir euch Kollegen vorstellen, die interessante Nischen besetzen. Heute sind das die Filmmusik-Komponisten Jumpel Dürbeck (55) und René Dohmen (56) aus Köln.

Gemeinsam vertonen Dürbeck & Dohmen Fernsehfilme und Serien (Tatort, Polizeiruf und viele weitere) und Kinofilme. Ich treffe die beiden in ihrem 200 Quadratmeter großen Studio in Köln, in der Nähe des Hauptbahnhofs, in dem beeindruckend viele Instrumente einsatzbereit bereit stehen: Klaviere, Keyboards, Gitarren, Analog Synthesizer, Drumsets. Bei einem Kaffee führen wir das folgende Gespräch.

Backstage PRO: Ich würde gerne mit der Frage einsteigen, was euer Kerngeschäft ist.

René: Das Schreiben von Musik für bewegtes Bild, also für Kino, Fernsehen und Serien.

Backstage PRO: Welche Kunden habt ihr in der Regel?

René: Es sind hauptsächlich Regisseur/innen, die uns kontaktieren, manchmal auch direkt die Produktionsfirma, selten die Sender. Wir werden dann gefragt, ob wir Lust haben, an einem Projekt mitzuarbeiten.

Backstage PRO: Müsst ihr selbst noch Akquise betreiben?

René: Glücklicherweise kommen die Kunden mittlerweile wirklich von allein. Wir haben einen Stamm von Regisseur/innen, mit denen wir zusammenarbeiten, die uns immer wieder fragen, weil wir schon lange mit ihnen zusammenarbeiten. Und es kommen immer wieder mal neue dazu.

Backstage PRO: Wenn ihr Musik produziert, macht ihr dann viel mit virtuellen Instrumenten oder nehmt ihr auch Live-Instrumente auf?

Jumpel: Anfangs haben wir sehr viel mit virtuellen Instrumenten gearbeitet, aber inzwischen haben wir viele analoge Geräte und wieder mehr physische Instrumente im Einsatz. Wir arbeiten auch wieder mehr mit echten Audioaufnahmen, statt nur mit Midi zu produzieren, legen also viel mehr Wert auf den Moment. Unser Motto lautet also weniger "We fix it in the Mix", sondern der Fokus liegt bei uns schon während der Aufnahme auf Sound und Komposition. Das macht unsere Arbeit kreativer.

Backstage PRO: Erhaltet ihr in der Regel genaue Vorgaben?

René: Das ist ganz verschieden. Normalerweise besprechen wir am Anfang sehr detailliert mit der Regie, wo genau die Reise hingehen soll. Es gibt aber auch Kunden, die sagen: Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich will. Andere haben den ganzen Film schon durchgetemped, sprich, andere, bereits fertige Musik darunter gelegt. Manchmal ist das auch unsere eigene Musik aus anderen Filmen. Das ist dann meistens eine gute Diskussionsgrundlage, gelegentlich aber auch ein Fluch, weil der Kunde sich davon nicht mehr verabschieden kann oder will.

Backstage PRO: Und wahrscheinlich kann man Musik von euch ja auch nicht einfach in mehreren Filmen verwenden, oder?

René: Genau, in einem solchen Fall muss man dann einfach nochmal neu reinkommen, also die Musik komplett neu komponieren. 

Backstage PRO: Müsst ihr eigentlich immer mehrere Vorschläge abgeben, wie bei einer Werbeagentur?

Jumpel: Nein, glücklicherweise haben wir uns inzwischen einen Status erarbeitet, dass die Leute, die zu uns kommen, uns auch wollen. Wir haben letztens festgestellt, dass wir in den ersten Jahren ein riesiges Archiv von nicht genommenen Layouts aufgebaut haben, mit denen wir teilweise Source-Musiken bestückt haben. Aber in den letzten vier, fünf Jahren haben wir das gar nicht mehr nachgefüllt, weil wir einfach gar keine Layouts mehr schreiben, die nicht genommen werden. Inzwischen reden wir, bevor wir komponieren, sehr lange mit dem Regisseur und erstellen einen Entwurf. Und der wird dann auch zum größten Teil genommen. Sicherlich müssen wir manchen den Entwurf modifizieren, aber etwas völlig Neues müssen wir nur selten machen.  

René: Manchmal komponieren wir nur das Hauptthema und stellen damit das musikalische Konzept vor. Erst wenn denn das genommen wird, vertonen wir den ganzen Film. Dem liegt zugrunde, dass wir sehr oft dem sogenannten Leitmotivansatz folgen. Wir komponieren eben nicht nur punktuell Musik für eine Szene, sondern entwickeln Personen- und Situationsthemen, die sich meistens schon in der ersten Viertelstunde des Films zeigen. Das dient uns als Blaupause für den restlichen Film.

Backstage PRO: Wie fing die ganze Arbeit für euch an?

Jumpel: Es fing so ziemlich genau vor 30 Jahren an, als wir mit unserer Band, den Bones, zusammen mit M. Walking On The Water auf Tour waren. Werner Pillig, Werbefilmregisseur von Markenfilm, rief uns damals an und wollte ein Stück von uns für eine C&A Werbung haben. Wir haben das zuerst nicht so gerne gewollt. Aber als wir gehört haben, welches Honorar man dafür erhält, haben wir es doch gemacht. Und so hat das alles angefangen – mit Werbemusik. 

René: Werner Pillig hat uns danach immer wieder Werbejobs besorgt, zum Beispiel für Nokia oder Blaupunkt. Anfangs haben wir immer nur Songs geschrieben, also das gemacht, was wir bis dahin auch immer gemacht haben – und für unsere Verhältnisse dafür richtig viel Geld bekommen. Wir sind da also so reingerutscht. Irgendwann haben wir uns gesagt, wenn wir schon Auftragsmusik machen, dann möchten wir auch in Richtung Filmmusik gehen. Und das hat in den letzten 25 Jahren auch super funktioniert.

Das Tonstudio von Dürbeck & Dohmen in Köln

Das Tonstudio von Dürbeck & Dohmen in Köln, © Dürbeck & Dohmen, Cologne

Backstage PRO: Ihr habt inzwischen aber auch noch eine andere Nische für euch entdeckt, oder?

Jumpel: Wir haben noch ein völlig anderes Betätigungsfeld, das sich aber auch überschneidet. Wir lieben es, mit dem Rechner Musik zu machen und dabei benutzen wir gerne unsere eigene Instrumenten-Library. Ich habe als Keyboarder schon sehr früh mit Samplern gearbeitet, also auch schon vor 35 Jahren, als das alles noch sehr neu war. Damals hatte ich ein Sample gemacht und wollte es dann auch in anderen Tonhöhen und Tonarten spielen. Also musste ich mir daraus ein eigenes Instrument bauen. Das haben wir dann später einfach professionalisiert und kommerzialisiert. 

Backstage PRO: Wie kann ich mir das genau vorstellen?

Jumpel: Im Prinzip gab es immer einen Bedarf, den Wunsch nach einem bestimmten Sound, zum Beispiel für eine Verfolgungsjagd bei einem Tatort und dann haben wir wieder ein neues virtuelles Instrument gebaut: Kalimba, Glass & Iron, Pan Drum, Java Mallets und andere. Am Anfang hatten wir noch überlegt, ob wir unsere Schätzchen so einfach rausgeben sollen, aber dann dachten wir: Nicht der Sound macht die Musik, sondern das Gehirn, also der Komponist, der damit arbeitet. So entstand 2009 eine echte Win/Win Lösung, unsere Firma Cinemathique Instruments. Inzwischen sorgt die für richtig viel Arbeit, weil die Anforderungen an die Scripte immer komplexer werden, aber im Prinzip entstehen die neuen Instrumente immer noch aus dem Bedarf nach bestimmten Sounds, die wir suchen und uns erstmal selbst ein Instrument bauen.

Backstage PRO: Ist die GEMA ein wichtiger Faktor eures Einkommens?

René: Ja, ein sehr, sehr wichtiger.

Backstage PRO: Macht ihr noch eigene Musik?

Jumpel: Momentan, sprich die letzten zwei Jahre, nein. Ich habe gerade keine Motivation, jetzt noch ein weiteres Stück von mir zu veröffentlichen.

René: Ich werde am 13. Mai mal wieder mit eigenen Songs zusammen mit einer befreundeten Sängerin auftreten.

Backstage PRO: Unter welchem Namen?

René: (lacht) Wir haben noch keinen.

Backstage PRO: Cool, das klingt doch inspiriert. Was habt ihr als nächstes gemeinsam vor?

René: Als nächstes machen wir Musik "Marie fängt Feuer", einer Mainstreamreihe für das ZDF. Das mach ich immer sehr gerne, weil wir da viel mit akustischen Instrumenten arbeiten und ich muss viel Akustik-Gitarre spielen. Das macht immer wahnsinnig viel Spaß. Da geht es um vier Folgen und dann kommen zwei Ostfriesland Krimis mit Stephan Lacant einem Regisseur, mit dem wir schon ganz viele Filme gemacht haben.

Backstage PRO: Plant ihr richtig langfristig, also schon ins nächste Jahr rein?

Jumpel: Wir haben gerade zwei Filme und eine Netflix Serie abgeschlossen und jetzt haben wir gerade ein bisschen Pause gemacht und konzentrieren uns umso mehr auf Cinematique Instruments.

Backstage PRO: Welche eurer Arbeiten empfindet ihr im Rückblick als Highlight?

René: Beltracci, die Doku über den Kunstfälscher war eine sehr schöne Arbeit.

Backstage PRO: Stimmt, die beginnt mit einem sehr coolen Indie-Rock-Stück. Hammer.

René: Und im Sommer kommt eine neue Netflixserie "Schlafende Hunde", die uns sehr gefordert hat. Daran haben wir sicherlich ein halbes Jahr ausschließlich gearbeitet. Das ist ein Krimi bzw. Thriller mit sehr viel Musik.

Backstage PRO: Hättet ihr noch einen Tipp für Musiker, die in eurem Segment arbeiten wollen?

Jumpel: Hier ein Tipp, der nichts mit dem Genre zu tun hat, sondern eigentlich für jede Musikrichtung gilt: Bleib bei dir und sei authentisch. Versuche, eine eigene Handschrift zu entwickeln.

René: Als wir jung waren, haben wir auch andere kopiert, die wir geil fanden. Das ist auch völlig legitim. Zunächst kopiert man die Leute, die man wirklich geil findet, damit man versteht, wie sie es machen. Aber wenn man dann irgendwann die Fertigkeiten hat, dann muss man authentisch sein, weil man sonst ersetzbar ist.

Jumpel: Genau und dann sollte man auch mit aller Konsequenz dabei bleiben. Das heißt womöglich, dass man Jobs auch absagen oder krasse Gegenvorschläge machen muss. Auf jeden Fall aber sollte man bei seinem authentischen Gestus bleiben. Wenn einer von uns einen Reggae haben will, sage ich: Ich bin kein Reggae-Typ, ich mache lieber das, was ich kann.

René: Oder man sagt eben, wir machen Reggae, aber wir transformieren ihn in unseren Stil. The Clash waren auch keine Reggae-Band, aber haben immer mit verschiedenen Stilen gespielt, auf ihre Art. So würden wir das auch machen. Wir haben schon einiges in unser Universum überführt.

Backstage PRO: Ein schöner Schlusssatz! Vielen Dank. Es war echt interessant, mit euch zu sprechen.

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